STREIT 4/2021

S. 188-190

Buchbesprechung: Konstanze Plett: Geschlechterrecht

Herausgegeben von Marion Hulverscheidt, transcript Verlag, Bielefeld 2021

Als im September 2020 die US-amerikanische Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg starb, fragten sich feministische Rechtswissenschaftler*innen hierzulande: Wer ist eigentlich die deutsche RBG? Falls noch nicht geschehen, sollte Konstanze Plett in diesem Zusammenhang unbedingt genannt werden! Der Sammelband „Geschlechterrecht“ vermittelt einen Eindruck einer bemerkenswerten Juristin und ihres jüngsten akademischen Lebensthemas: den Rechten intergeschlechtlicher Menschen.
Konstanze Plett, 1947 geboren, war in ihrem beruflichen Leben vieles: Jura-Studentin in Marburg, Tübingen und Hamburg, Journalistin, Referendarin, Aktivistin für die Abschaffung der Anrede „Fräulein“, Vertreterin verschiedener Organisationen in der Arbeitsgemeinschaft Hamburger Frauenorganisationen, wissenschaftliche Hilfskraft an der Uni Hamburg, Mitarbeiterin in der Sozialwissenschaftlichen Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht und am Zentrum für Europäische Rechtspolitik, Sprecherin des Zentrums für Feministische Studien an der Uni Bremen, später dort Jura-Professorin und Studiendekanin, Bevollmächtigte für die Verfassungsbeschwerde „Dritte Option“, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Nicht zuletzt ist Konstanze Plett auch einer der Gründe, warum das vermeintliche Fundament der Zweigeschlechtlichkeit in Deutschland erheblich erschüttert ist.
Im Band „Geschlechterrecht“ werden nun 22 Texte Pletts aus den Jahren 1999 bis 2018 gesammelt herausgegeben. Gemein ist ihnen, dass sie sich alle um den Themenkomplex „Geschlecht im Recht“ drehen. Der Fokus liegt auf dem Infragestellen der Geschlechterbinarität, also der Vorstellung, alle Menschen könnten ausschließlich in die zwei Kategorien „Männer“ und „Frauen“ eingeordnet werden. Problematisch an einer solchen Dichotomisierung von Geschlecht ist einerseits, so Plett, dass sie dazu verführt, mit anderen Dichotomisierungen – stark/schwach, Verstand/Gefühl, Natur/Kultur – verknüpft und so als Rechtfertigung für das Vorenthalten oder den Entzug von Rechten herangezogen zu werden: „Zur […] Herstellung oder Aufrechterhaltung von Ungleichheit ist es eine schon fast klassisch zu nennende Strategie“ (Orte der Geschlechtlichkeit im Recht, 2000, 53, 72 f.). Gleichzeitig haben intergeschlechtliche Menschen, die mit Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, die von den traditionellen Geschlechtsvorstellungen abweichen, in einem binären Geschlechtersystem keinen Platz. Der Wille, diese Ungerechtigkeiten zusammen zu denken, sichtbar zu machen und ihre Konstruktion durch das Recht aufzuzeigen, durchdringt alle Texte Pletts.
Vorangestellt ist den Texten – neben den ebenfalls sehr lesenswerten Geleitworten von Frederike Wapler und der Herausgeberin Marion Hulverscheidt – eine von Daniela Heller originell illustrierte Zeitleiste, die juristische, gesellschaftspolitische und medizinische Ereignisse mit den Lebensdaten von Konstanze Plett verbindet (Insider-Tipp: Die Zeitleiste kann jeder unter www.danielaheller.de/portfolio/zeitleiste ansehen). Auch die gesammelten Texte Pletts werden in „Geschlechterrecht“ nicht bloß aneinandergereiht, sondern in einem kursiv gesetzten Vorwort zu jedem Beitrag in den zeitlichen Kontext der Erstveröffentlichung eingeordnet. Bemerkenswert ist dabei schon auf den ersten Blick die Breite der Publikationen, in denen Konstanze Plett veröffentlicht hat. Zur „Zeitschrift für Sexualforschung“, dem „Jahrbuch Sexualitäten“ oder Bänden aus der Reihe „Studien interdisziplinärer Geschlechterforschung“ greifen die meisten Juristinnen in ihrem Alltag wohl eher selten. Hinter dieser Publikationspraxis steckt die Überzeugung, dass „eine so tiefgreifende Änderung wie das Aufbrechen einer ausschließlich binär verstandenen Geschlechterordnung“ (Hulverscheidt, S. 13) einen ständigen Austausch zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen und der Zivilgesellschaft erfordert – Interdisziplinarität at it’s best also! Kehrseite dieser Entscheidung ist allerdings, dass Pletts Texte zur Intergeschlechtlichkeit bisher an vielen verschiedenen Stellen verstreut und mitunter schwer zugänglich waren. Dies ändert sich mit dem vorliegenden Sammelband glücklicherweise. Die Konzeption von „Geschlechterrecht“ geht allerdings über eine bloße Sammlung hinaus. Der Band bildet anhand der Texte Pletts vielmehr eine Chronologie der Rechtsentwicklung der letzten 20 Jahre ab. Eines wird dabei überdeutlich: Seit 1998 ist viel passiert. Noch spannender zu lesen ist „Geschlechterrecht“, wenn man weiß, dass Konstanze Plett an der gewaltigen Rechtsentwicklung in diesem Zeitraum maßgeblich beteiligt war.
Als Plett Anfang der 2000er anfing, zum Anteil des Rechts an der gesellschaftlichen Konstruktion von Geschlecht zu forschen, war sie damit im deutschsprachigen Raum nahezu allein. Wie sie in ihrer Abschiedsvorlesung „Recht und (Ge)schlecht – ein Thema findet seine Forscherin“ (S. 35 ff.), deren Text als Eröffnung in „Geschlechterrecht“ abgedruckt ist, beschreibt, war es auch für sie eine überraschende Erkenntnis, dass die Rechtspraxis – zu diesem Zeitpunkt – Zwischenstufen zwischen einer Einordnung als „weiblich“ oder „männlich“ nicht anerkannte, obwohl dies der Realität intergeschlechtlicher Menschen zuwiderlief. Zu diesem Zeitpunkt war es in Deutschland und anderen westlichen Industrieländern gängige Praxis, den Körper intergeschlechtlicher Kinder durch geschlechtsverändernde Operationen und Hormongaben an eine binäre Geschlechtsnorm „anzupassen“, zu der dann ein passender binärer personenstandsrechtlicher Geschlechtseintrag vergeben werden konnte.
Frühe Erkenntnisse Pletts zur normierten Zweigeschlechtlichkeit sind in „Orte der Geschlechterpolitik im Recht“ (S. 53 ff.) aus dem Jahr 2000 nachzulesen. Plett beruft sich schon in diesem Text auf das Personenstandsrecht, einem „kleine[n] und weitgehend unbekannte[n] Rechtsort“ (S. 70), das durch die Pflicht zur Eintragung des Geschlechts im Personenstandsregister in der ersten Woche nach der Geburt, zum Mythos der eindeutigen Zweigeschlechtlichkeit beiträgt: „Mensch ist entweder männlich oder weiblich, d.h. als Erwachsene/r entweder Frau oder Mann. […] Das unmittelbar nach der Geburt festgestellte biologische Geschlecht wird aufgrund ordnungsrechtlicher Vorschriften registriert und damit zu einer nur unter außergewöhnlichen Umständen änderbaren Eigenschaft. Die Zuordnung zum weiblichen oder männlichen Geschlecht wird, so wage ich zu behaupten, durch das Recht essentiell, weil sie vor jeder Sozialisation auf dem Weg vom Säugling zum erwachsenen Menschen erfolgt – und sogar vor der weiteren Sexualisierung […]“ (S. 72). Diese fast schon leitmotivisch formulierten Gedanken verfolgte Plett in den nächsten Jahren konsequent weiter, Entwicklung und Vertiefung können etwa in den folgenden Texten „Intersexualität als Prüfstein“ (2003, S. 109 ff.), „Rechtliche Aspekte der Intersexualität“ (2007, S. 139 ff.) und „Begrenzte Toleranz des Rechts gegenüber individueller sexueller Identität“ (2010, S. 179 ff.) nachverfolgt werden.
Motivation für ihre Arbeit war dabei nicht nur wissenschaftliches Erkenntnisinteresse, sondern – und das klingt in ihren Texten immer wieder durch – vor allem auch ihr Kontakt und ihre Empathie mit intergeschlechtlichen Menschen, die unter chirurgischen Eingriffen litten, die an ihnen ohne ihr Einverständnis vorgenommen worden waren, und dafür kämpften, zukünftigen Generationen dieses Leid zu ersparen. In diesen Jahren waren Pletts Themen und Thesen, wie Frederike Wapler in ihrem Geleitwort schreibt (S. 10), sowohl Einfluss für jüngere Wissenschaftlerinnen als auch wesentliche Grundlage für die Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur „Intersexualität“ im Jahr 2012, die letztlich den Anstoß zur ersten Änderung des Personenstandsgesetzes im folgenden Jahr gab. Wie es zu dieser ersten Gesetzesänderung kam, wird im Text „»Lex Intersex« – und nun?“ (2016, S. 295 ff.) in beeindruckender Detailfülle und Klarheit nachgezeichnet. Seit dieser Änderung war es möglich, den Geschlechtseintrag im Geburtenregister offenzulassen, wenn das Kind weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zugeordnet werden kann. Obwohl diese Reform einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Gleichstellung intergeschlechtlicher Menschen markierte, wurde sie vielfach – und so auch von Konstanze Plett – nicht uneingeschränkt positiv bewertet. Warum etwa nahm sich die Gesetzgebung ausschließlich der Frage des Personenstandes, nicht aber einem Verbot geschlechtsverändernder Operationen an? Pletts Skepsis kommt in „M, W, X – schon alles?“ (2014, S. 231 ff.) und „Verqueres Recht – von den Schwierigkeiten, Inter gerecht zu werden“ (2014, S. 245 ff.) zum Ausdruck.
Eine anderer Kritikpunkt hängte sich daran auf, dass es durch die Reform zwar möglich geworden war, den Geschlechtseintrag offenzulassen, einen positiven Eintrag jenseits von „männlich“ oder „weiblich“ sollte es aber nicht geben. Intergeschlechtliche Menschen blieben vor dem Recht also weiterhin unsichtbar. Bereits 2014 stellte daher eine intergeschlechtliche Person, unterstützt von der „Kampagne für eine dritte Option“, einen Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags in einen positiven dritten Eintrag („inter/divers“), der zunächst in allen Instanzen abgelehnt wurde. Was danach passierte, hat mittlerweile Rechtsgeschichte geschrieben: Das Bundesverfassungsgericht gab der erhobenen Verfassungsbeschwerde in seinem „Dritte Option“-Beschluss statt und erklärte das Personenstandsgesetz in diesem Punkt für verfassungswidrig. Konstanze Plett, eine der Bevollmächtigten dieses Verfahrens, schreibt dazu: „Damit hat das Bundesverfassungsgericht das, was die Gesetzgebung 2013 unbedingt aufrechterhalten wollte – nämlich die Geschlechtsbinarität – letztlich als Taschenspielertrick entlarvt; mit der Einführung der Bestimmung zur Nichteintragung wurde die Illusion aufrechterhalten, es gebe nach wie vor nur zwei Ausprägungen von Geschlecht, obwohl schon der Nichteintrag eine dritte Möglichkeit bedeutete […]“ (Recht – m/Macht – Geschlecht, 2018, S. 341 ff.) – Mic Drop!
Was alle Texte Pletts unabhängig von ihrem Inhalt zusätzlich so lesenswert macht, ist ihre Sprache. Bedingt durch ihr interdisziplinäres Arbeiten ist sie es gewohnt, juristische Themen so zu beschreiben, dass auch Laien folgen können. Das macht ihre Ausführungen aber keineswegs unterkomplex, sondern offenbart ein umso tieferes Verständnis der Materie, insbesondere des Personenstandsrechts. Plett schreibt zudem – und das ist im juristischen Diskurs leider nicht selbstverständlich – immer respektvoll über marginalisierte Gruppen und legt etwa viel Wert auf die Verwendung aktueller Selbstbezeichnungen. In den 20 Jahren der Veröffentlichungen lassen sich dabei deutliche Veränderungen ausmachen. Nicht zuletzt sind ihre Texte trotz der Ernsthaftigkeit ihrer Themen von einem nicht zu leugnenden Witz durchdrungen, den juristische Ausführungen gleich welcher Art leider häufig vermissen lassen. Nur so viel: Ein Blick in die Fußnoten lohnt sich bei Plett immer!
Weder Pletts Weg noch die rechtliche Entwicklung enden freilich mit dem letzten Text des Bandes. Zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung von „Tertium datur – endlich“ (2018, S. 353 ff.), in dem Plett die Bedeutung des „Dritte Option“-Beschlusses für die Geschlechterdebatte thematisiert, war noch offen, wie die Entscheidung von der Gesetzgebung umgesetzt werden wird. Mittlerweile wissen wir: Der Geschlechtseintrag im Geburtenregister wurde nicht abgeschafft, sondern um die Option „divers“ ergänzt. Ob damit mehr Probleme gelöst als geschaffen wurden, bleibt abzuwarten. Aktuell wird etwa darum gestritten, welchen Personengruppen der Eintrag unter welchen Voraussetzungen offensteht, eine erneute Verfassungsbeschwerde ist anhängig. Doch auch außerhalb des Personenstandsrechts gerieten die Dinge in diesem Jahr in Bewegung: Im März 2021 wurde vom Bundestag (endlich) ein Verbot geschlechtsverändernder Operationen an intergeschlechtlichen Kindern verabschiedet. Konstanze Plett war zum Gesetzesentwurf zuvor als Gutachterin im Rechtsausschuss gehört worden. Auch die Kette ihrer stetigen Vorträge und Veröffentlichungen – ihr Publikationsverzeichnis umfasst über 140 Einträge, die Liste ihrer Vorträge allein seit 1990 füllt etliche Seiten – ist seit 2018 nicht abgerissen. In einigen Jahren dürfen wir uns also vielleicht über einen zweiten Band von „Geschlechterrecht“ freuen. Material gäbe es zur Genüge.