STREIT 4/2021

S. 184-187

VG Hannover, § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG

Flüchtlingseigenschaft für alleinerziehende irakische Kurdin

1. Alleinstehende oder alleinerziehende Frauen ohne familiären Rückhalt bilden eine bestimmte soziale Gruppe i. S. v. § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG, denen geschlechtsspezifische Verfolgung drohen kann. Sie werden wegen ihrer deutlich abgegrenzten Identität von der irakischen Gesellschaft als andersartig betrachtet, nach verbreiteter Einschätzung sogar als gesellschaftlicher Fremdkörper.
2. Für alleinstehende Frauen in der kurdischen Autonomieregion gibt es keine innerstaatliche Fluchtalternative. Das liegt an der schwierigen humanitären Lage in der kurdischen Autonomieregion generell und auch daran, dass eine alleinerziehende Frau ohne familiären Rückhalt im Falle einer Rückkehr selbst bei Umzug an einen anderen Ort in der Autonomieregion nicht in der Lage wäre, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des VG Hannover vom 07.10.2019 – 6 A 5999/17

Zum Sachverhalt:
Die KlägerInnen, Mutter (Klägerin zu 1) und minderjähriger Sohn (Kläger zu 2), irakische Staatsangehörige kurdischer Volks- und sunnitischer Glaubenszugehörigkeit, begehren die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. Sie stammen aus der Stadt Sulaimaniyya in der gleichnamigen Provinz. Die Klägerin ist geschieden, ihr Ex-Mann, ihr Stiefvater sowie ein Teil der Großfamilie leben noch im Irak. Die Klägerin wurde von ihrem drogenabhängigen Ex-Mann fortwährend bedrängt, bedroht und schwer misshandelt. Die Sucht­erkrankung des Ex-Mannes wurde durch Atteste und die Erwähnung im Scheidungsurteil nachgewiesen. Nach der Scheidung drohte der Ex-Mann der Klägerin, das gemeinsame Kind, den Kläger zu 2, mitzunehmen und an Dritte zu verkaufen. Wegen der Bedrohungen und Übergriffe war die Klägerin viermal bei der Polizei, welche den Ex-Mann für maximal einen Tag inhaftierte und ihn dann wieder frei ließ. Die Klägerin versuchte bei der Schwiegermutter unterzukommen, aber diese hatte selbst Probleme mit ihrem drogenabhängigen Sohn. Auch bei ihren eigenen Familienangehörigen wurde sie nicht aufgenommen. Die Kläger*innen verließen 2015 den Irak und stellten 2016 in Deutschland einen Asylantrag, welcher im Jahr 2017 vom Bundesamt vollständig abgelehnt wurde, wogegen die KlägerInnen Klage erhoben.
(Zusammenfassung durch die Redaktion)

Aus den Gründen:
Die im Hauptantrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gerichtete Klage […] hat Erfolg. […] Die Kläger[Innen] haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. […]
Auf Basis dieses rechtlichen Maßstabs sowie der substantiierten Angaben der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt […] ist das Gericht im vorliegenden Fall zu der Überzeugung gelangt, dass den Kläger[Inne]n im Falle ihrer Rückkehr in den Irak aus individuellen, an ihre Person anknüpfenden Gründen Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG droht, d. h. wegen der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (§ 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG). […]
Nach den dem Gericht vorliegenden Erkenntnismitteln bilden alleinstehende oder alleinerziehende Frauen im Irak, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, eine derartige bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 b Abs. 1 Nr. 4 AsylG. Derart in ihrer Identität durch ihren Familienstand bzw. ihre familiäre Situation geprägte Frauen teilen sowohl einen unveränderbaren gemeinsamen Hintergrund als auch bedeutsame Merkmale (lit. a)). Sie werden überdies wegen ihrer deutlich abgegrenzten Identität von der irakischen Gesellschaft als andersartig betrachtet (lit. b)), nach verbreiteter Einschätzung sogar als gesellschaftlicher Fremdkörper.
An dieser Rechtsprechung (VG Hannover, Urteil vom 26.02.2018 – 6 A 5751/16, juris Rn. 38 ff.; Urteil vom 26.02.2018 – 6 A 6292/16, juris Rn. 34 ff.; Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18 –, juris Rn. 31 ff., jeweils m. w. N. auf Erkenntnismittel; ähnlich für alleinstehende, an westlichen Werten orientierte Frauen: VG Aachen, Urteil vom 03.05.2019 – 4 K 3092/17.A, juris Rn. 32 ff.; Urteil vom 06.03.2019 – 4 K 2386/17.A; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 08.06.2017 – 8a K 1971/16.A, juris LS 1 f., Rn. 32 ff.; VG Stuttgart, Urteil vom 18.01.2011 – A 6 K 615/10, juris LS, Rn. 30 ff.; für eine Gruppenverfolgung der bestimmten sozialen Gruppe alleinstehender Frauen: VG Münster, Urteil vom 02.10.2018 – 6a K 5132/16.A, juris Rn. 36 ff.; Urteil vom 06.02.2019 – 6a K 3033/18.A, www.asyl.net, S. 16 f.; a. A., allerdings ausschließlich auf eine fehlende Gruppenverfolgung abstellend: VG Berlin, Urteil vom 15.07.2019 – 5 K 393.18 A, juris Rn. 47) hält der Einzelrichter fest. Die Frage, ob Personen eine bestimmte soziale Gruppe bilden, lässt sich auch inhaltlich trennen von der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Angehörigen dieser Gruppe im Falle der Rückkehr in ihr Heimatland Verfolgung droht (vgl. zur Verfolgungsgefahr alleinstehender afghanischer Frauen ohne Unterstützung eines Familienverbandes: Nds. OVG, Beschluss vom 21.01.2014 – 9 LA 60/13, juris LS, Rn. 5).
Der Befund, dass alleinstehende oder alleinerziehende Frauen, welche nicht auf den Schutz eines Familienverbandes zurückgreifen können, eine bestimmte soziale Gruppe bilden, deren Angehörigen nach der jeweiligen Lage des Einzelfalls geschlechtsspezifische Verfolgung drohen kann, entspricht darüber hinaus weiterhin der geltenden Erkenntnismittellage zum Irak. Dies gilt auch für die Kurdische Autonomieregion (siehe zum Nachfolgenden: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage alleinstehender Frauen; Sicherheitslage [a-11064], 12. August 2019, m. w. N. auf die angeführten Erkenntnismittel).
Nach einem Bericht des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (European Asylum Support Office – EASO) aus Juni 2019 ist es allgemein nicht üblich, dass eine Frau im Irak allein lebt, da dies als Fehlverhalten gilt. Alleinlebende Frauen seien, auch auf dem Bericht der kurdischen Autonomieregion, oft mit negativen bzw. diskriminierenden Einstellungen der Behörden und Gesellschaft konfrontiert und einem besonders hohen Risiko von Gewalt ausgesetzt. Weibliche Haushaltsvorstände, geschiedene Frauen und Witwen seien in einer verletzlichen Position in Bezug auf ihre wirtschaftliche Lage und würden Gefahr laufen, Opfer von Belästigung zu werden. Sie hätten Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche, insbesondere wenn ihnen der Schutz eines männlichen Verwandten und die notwendigen Beziehungen zum Finden einer Anstellung fehlen würden. Die wirtschaftliche Diskriminierung erstrecke sich nicht nur auf den Zugang zum Arbeitsmarkt, sondern auch auf Kredit und Lohngleichheit. In der Autonomen Region Kurdistan sei es alleinstehenden Frauen aus kulturellen Gründen nicht möglich, selbst Eigentum zu mieten; in den meisten Hotels sei ihnen der Aufenthalt zudem nicht erlaubt. Korrespondierende Feststellungen finden sich in einem Länderbericht des australischen Außen- und Handelsministeriums (Department of Foreign Affairs and Trade – DFAT) aus Oktober 2018.
In seinen im Mai 2019 veröffentlichten Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs von Asylsuchenden aus dem Irak führt das Flüchtlingshochkommissariat (UN High Commissioner for Refugees – UNHCR) des Weiteren aus, alleinstehende Mütter und ihre Kinder seien Berichten zufolge mit gesellschaftlicher Ausgrenzung und Stigmatisierung konfrontiert. Frauen ohne männliche Unterstützung durch ihre Familie oder Stammesgruppen, d.h. insbesondere Witwen, Geschiedene und vor häuslicher Gewalt, Ehrverbrechen oder Zwangs- beziehungsweise Kinderheirat geflohene Frauen, seien besonders gefährdet, Opfer weiterer Misshandlung, Ausbeutung und Menschenhandel zu werden. Auch in der Kurdischen Autonomieregion sei die geschlechtsspezifische Gewalt hoch, denn neu eingeführte, rechtliche und institutionelle Reformen würden durch die Behörden lediglich mangelhaft umgesetzt, insbesondere aufgrund der vorwiegend patriarchalischen Geschlechternormen. Dieser Befund deckt sich mit Erkenntnissen eines im März 2019 veröffentlichten Menschenrechtsberichts des US Department of State (USDOS, Berichtszeitraum: 2018).
Dem EASO-Bericht aus Juni 2019 zufolge ist es für geschiedene Frauen im Irak zudem üblich, in die Obhut ihrer Familien zurückzukehren. Witwen könnten entweder von ihren eigenen Familien oder der Familie des verstorbenen Ehemannes beherbergt werden. Unter diesen Umständen würden männliche Verwandte jeweils als Aufsichtspersonen agieren. Von ihren Familien verstoßene Frauen ohne soziales Netzwerk zur Unterstützung seien demgegenüber erheblich schlechter gestellt.
Nach einem im November 2018 veröffentlichten gemeinsamen Bericht der dänischen Einwanderungsbehörde (Danish Immigration Service, DIS) und des norwegischen Herkunftsländerinformationszentrum Landinfo, basierend auf einer im April 2018 durchgeführten Fact-Finding Mission, gilt es nach wie vor als schwierig und stigmatisierend, als geschiedene Frau in der kurdischen Gesellschaft zu leben. Eine gut ausgebildete Frau mit eigenem Einkommen könne, soweit sie keinen Ehrenkonflikt mit ihrer Familie habe, unter Berücksichtigung der konkreten Rahmenumstände in der Stadt alleine leben. Eine geschiedene Frau, die außerhalb der Städte lebe, sei nicht in der Lage alleine zu leben.

Die dargestellte Erkenntnismittellage findet zudem ihre sachliche Entsprechung in den glaubhaften Angaben der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt. […] [D]ie Kläger[Innen] [sind] vorverfolgt aus dem Irak ausgereist.
Das Gericht ist zum einen zu der Überzeugung gelangt, dass die Klägerin zu 1. vor ihrer Ausreise als geschiedene Frau ohne schützenden Familienverband unmittelbar von geschlechtsspezifischer Verfolgung durch ihren Ex-Mann bedroht war. […]
Zum anderen steht zur Überzeugung des Einzelrichters fest, dass der Kläger zu 2. über einen originären, d.h. nicht erst aus § 26 Abs. 2, Abs. 5 S. 1 AsylG abzuleitenden Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft verfügt. Aus den glaubhaften Schilderungen der Klägerin zu 1. gegenüber dem Bundesamt wurde nämlich ersichtlich, dass ihr Ex-Mann dem Kläger zu 2. Gewalt bzw. Entführung und „Veräußerung“ androhte, um Druck auf die Klägerin zu 1. auszuüben, womit die dem Kläger zu 2. drohende Verfolgung im Einklang mit der dargestellten verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe in Gestalt der Kernfamilie der Klägerin zu 1. anknüpfte.

Die den Kläger[Inne]n widerfahrene (Vor-)Verfolgung ist auch rechtlich beachtlich im Sinne des § 3 c AsylG. Hiernach kann die Verfolgung auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat oder die in Nummer 2 der Norm genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, im Sinne des § 3 d AsylG Schutz vor Verfolgung zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3). […]
Unter Berücksichtigung dieser rechtlichen Vorgaben steht den Kläger[Inne]n nach der geltenden Erkenntnismittellage kein effektiver staatlicher Schutz gegen die Bedrohung durch den Ex-Mann der Klägerin zu 1. zur Verfügung.
Einem Bericht des EASO aus November 2018 zufolge stellt Gewalt gegen Frauen im Irak weiterhin ein ernsthaftes und weitverbreitetes Problem dar. Durchschnittlich eine von fünf irakischen Frauen (21,2 Prozent) sei körperlicher Gewalt ausgesetzt; nach Auskunft des Innenministeriums seien die Fallzahlen häuslicher Gewalt in den Jahren zwischen 2010 und 2016 kontinuierlich angestiegen. Mehrere hundert Frauen und Mädchen würden jedes Jahr Opfer sogenannter Ehrverbrechen, wobei die Dunkelziffer wegen der unzureichenden Dokumentation dieser Straftaten noch höher liege. Häusliche Gewalt oder Ehrenmorde würden kaum jemals bestraft; Vergewaltigung in der Ehe sei straffrei. Insbesondere Frauen stünden vor erheblichen Hürden, gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, was mit der diskriminierenden Grundhaltung von Polizisten und sonstigen Behördenvertretern ebenso zusammenhänge wie mit einer unzureichenden Information über ihre individuellen Rechte (EASO, Country of Origin Information Report. Iraq Actors of Protection, November 2018, S. 84 f. m. w. N.).
Im Kontrast zum restlichen Irak steht häusliche Gewalt in der Kurdischen Autonomieregion gesetzlich unter Strafe; die Autonomieregierung verfügt zudem über mehrere Organe, darunter einen „High Council for Women’s Affairs“, der sich für die Rechte von Frauen einsetzt (EASO, Country of Origin Information Report. Iraq Actors of Protection, November 2018, S. 85 m. w. N.). Nach Erkenntnissen des britischen Innenministeriums erweist sich die Strafverfolgungspraxis in der kurdischen Autonomieregion überdies grundsätzlich als effektiver im Vergleich zum Süd- bzw. Zentralirak, wobei das Niveau nochmals von Gebiet zu Gebiet variiere. Nach Angaben örtlicher Auskunftspersonen hätten die kurdischen Behörden das Potential, in den von ihnen kontrollierten Territorien sehr effektive Sicherheit zu gewährleisten. Sofern sie allerdings eine bestimmte Person nicht schützen wollten, könnten sie diese Entscheidung ebenfalls sehr effektiv durchsetzen. Hiermit korrespondierend hänge die Möglichkeit, staatlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, davon ab, wer der Verfolger sei, denn die Polizei und das Gerichtssystem seien anfällig gegenüber dem Einfluss politischer Akteure sowie bekannter Familien und Stämme (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1; ebenso: DIS, Honour Crimes against Men in Kurdistan Region of Iraq (KRI) and the Availability of Protection, März 2010, S. 9).
Nach Aussage des Danish Immigration Service, die sich auf Erkenntnisse des Hohen Menschenrechtskommissars der Vereinten Nationen stützt, bringt die örtliche Bevölkerung den kurdischen Strafverfolgungsbehörden außerdem wenig Achtung entgegen. Trotz einiger ausgezeichneter Gesetze, die internationalen Standards entsprächen, reagierten die Gerichte oft nicht auf Rechtschutzgesuche. Der Zugang zu gerichtlichem Rechtsschutz sei abhängig von der ethnischen und religiösen Zugehörigkeit, dem jeweiligen Stamm, Beziehungen, Familie und Verwandten. Für den Einzelnen sei es sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, selbst für seine Rechte einzutreten (Danish Refugee Council (DRC) and Danish Immigration Service (DIS), ‘The Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Access, Possibility of Protection, Security and Humanitarian Situation – Report from fact finding mission to Erbil, the Kurdistan Region of Iraq (KRI) and Beirut, Lebanon, 26 September to 6 October 2015’, April 2016, S. 45). Zahlreiche Beispielsfälle, so auch das britische Innenministerium, würden die Unfähigkeit des Gerichtssystems verdeutlichen, einen Abschreckungseffekt gegenüber Straftaten zum Nachteil von Frauen zu entfalten (Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Kurdish ‘honour’ crimes, Version 1.0, August 2017, Rn. 8.5.1 ff.; weitergehend hierzu: VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 65 ff.).
Der im März 2019 veröffentlichte Menschenrechtsbericht des USDOS (Beobachtungzeitraum: 2018) beschreibt schließlich die Knappheit von Plätzen in Schutzunterkünften für Frauen in der Autonomen Region Kurdistan. Auch dem EASO-Bericht aus Juni 2019 zufolge erweist sich die Anzahl der Plätze in Schutzunterkünften in der Autonomieregion als unzureichend. Dort sei es Organisationen zwar erlaubt, Schutzunterkünfte zu betreiben, Behörden hätten jedoch Berichten zufolge aufgrund von Vorwürfen der Prostitution Lizenzen für deren Einrichtung verwehrt. Schutzunterkünfte seien zudem oftmals Angriffen ausgesetzt, da sie als unmoralisch gelten würden. Die kurdische Regionalregierung müsse sie in derartigen Fällen schließen und an einem neuen geheimen Ort wiedereröffnen. Zur Aufnahme in einer Schutzunterkunft bedürfe es überdies einer gerichtlichen Anordnung, was Frauenberichten zufolge abschrecken würde (ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Autonome Region Kurdistan: Lage alleinstehender Frauen; Sicherheitslage [a-11064], 12. August 2019, m. w. N.; siehe hierzu auch: VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 68).
Dass die Kläger[Innen] angesichts der dargestellten Erkenntnismittellage in der Lage wären, im Einklang mit den Vorgaben des § 3 d AsylG polizeilichen bzw. gerichtlichen Rechtsschutz vor der Verfolgung durch den Ex-Mann der Klägerin zu 1. zu erlangen, erachtet der Einzelrichter als ausgeschlossen. Entgegen der Feststellungen im streitgegenständlichen Bescheid folgt nichts Anderes aus dem Umstand, dass die Polizei den Ex-Mann der Klägerin vor ihrer Ausreise mehrfach inhaftierte. Wie sie im selben Zusammenhang gleichsam dargelegt hat, haben die Behörden ihren Ex-Mann nämlich jeweils nur für einen Tag inhaftiert, wobei seine Nachstellungen und Bedrohungen nach der Freilassung aus Neue begannen.

Schließlich steht den Kläger[Inne]n im Falle ihrer Rückkehr in den Irak vor der weiterhin drohenden Verfolgungsgefahr kein interner Schutz im Sinne von § 3 e Abs. 1 AsylG zur Verfügung. […]
Ein anderer Ort auf dem Gebiet der kurdischen Autonomieregion, die allein als innerstaatliche Flucht­alternative in Betracht kommt (vgl. VG Hannover, Urteil vom 07.08.2019 – 6 A 1240/17, juris Rn. 33 m. w. N.), scheidet unter Berücksichtigung der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel aus. In diesem Zusammenhang berücksichtigt der Einzelrichter zum einen die schwierige humanitäre Lage in der kurdischen Autonomieregion generell (ausführlich hierzu: VG Aachen, Urteil vom 03.04.2019 – 4 K 1853/16.A, juris S. 9 ff.). Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass die Klägerin zu 1. im Falle einer Rückkehr selbst bei Umzug an einen anderen Ort in der Autonomieregion nicht in der Lage wäre, als alleinstehende Frau ohne familiären Rückhalt ihren Lebensunterhalt zu bestreiten (siehe hierzu auch: ACCORD, Anfragebeantwortung zum Irak: Lage von alleinstehenden Frauen, vor allem mit westlicher Gesinnung nach Rückkehr aus dem westlichen Ausland und Asylantragstellung [a-10899], 25. Februar 2019 m. w. N.). Das schweizerische Staatssekretariat für Migration teilt zudem unter Berufung auf Erkenntnisse der Nichtregierungsorganisation WADI mit, eine von Ehrverbrechen bzw. häuslicher Gewalt bedrohte Frau erhalte keine Hilfe seitens der kurdischen Regionalregierung, um in einen anderen Teil des Landes zu ziehen (Staatssekretariat für Migration, Report on Joint Finnish-Swiss Fact-Finding Mission to Amman and the Kurdish Regional Government (KRG) Area, May 10-22, 2011, 1. Februar 2012, S. 44; VG Hannover, Urteil vom 19.12.2018 – 6 A 4443/18, juris Rn. 68). […]
Anhaltspunkte für Ausschlussgründe gegenüber der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 2, Abs. 3 AsylG sowie § 60 Abs. 8 S. 1 AufenthG liegen nicht vor.
[…] Die Kläger[Innen] haben einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft. […]