STREIT 2/2024

S. 95

Buchbesprechung: Merle Dyroff, Sabine Maier, Marlene Pardeller, Alex Wichnewski: Feminizide: Grundlagentexte und Analysen aus Lateinamerika

Barbara Budrich, Opladen, Berlin, Toronto, 2023

Die Herausgeberinnen tragen mit der Veröffentlichung verschiedener Texte aus Lateinamerika zu Feminiziden dazu bei, dass Wissens- und Theorietransfer aus dem globalen Süden Deutschsprachigen verfügbar gemacht wird. Der Lerneffekt bei der Lektüre der im deutschsprachigen Raum weitgehend unbekannten ausgewählten Texte lateinamerikanischer Feminist*innen ist groß. Der Begriff „Feminizid“ hat seinen Ursprung in der lateinamerikanischen feministischen Bewegung, so dass ein vielseitiges Verständnis des Begriffs an die Lesenden herangetragen wird.
Die Texte stammen von Jurist*innen, Anthropologinnen, einem Philosophen und unterschiedlichen Aktivistinnen, wobei der Schwerpunkt auf der Situation von geschlechtsspezifischer Gewalt in Mexiko und Argentinien liegt.

Das Buch beginnt mit einer Einleitung der Herausgeberinnen zur Relevanz der Feminizid-Forschung aus Lateinamerika. Hierbei wird nur auf die Thematisierung tödlicher Gewalt in der westdeutschen Frauenbewegung eingegangen. Der Verzicht auf die Darstellung einer ostdeutschen Entwicklung kann im Hinblick auf den lateinamerikanischen Schwerpunkt des Buches und die in der Einleitung interessante Zusammenfassung der historischen Auseinandersetzungen mit Feminiziden in Lateinamerika und der Darstellung der verschiedenen Begrifflichkeiten allerdings verziehen werden.

Etwas überraschend ist, dass die Einleitung von zwei Texten englischsprachiger Autorinnen abgelöst wird, wobei der Schwerpunkt der Texte auf einer britischen und US-amerikanischen Perspektive und nicht auf einer lateinamerikanischen liegt. Zumindest aber ab Seite 55 dürfen sich die Lesenden mit verschiedenen Texten lateinamerikanischer Autor*innen auseinandersetzen.

Die Autorinnen kommen hierbei zu sehr ähnlichen Feststellungen: Femiziale Gewalt wird durch eine soziale Ordnung produziert und steht im unmittelbaren Zusammenhang mit Sexismus, Rassismus und einer Reihe von anderen Ausgrenzungen. Interessant ist, dass die meisten Texte sich vor allem mit Gewalt gegen Frauen im öffentlichen Raum und weniger im Privaten beschäftigen. Die fehlende Aufklärung von Feminiziden wird als Spiegel der patriarchalen Zustände gesehen.
Die Auswahl der Texte in Bezug auf eine intersektionale Perspektive macht das Lesen besonders interessant. So werden nicht nur Zusammenhänge von Kolonialität, Rassismus und Armut dargestellt, sondern auch Transfemizide behandelt.
Die Textsammlung schließt mit der Darstellung eines Präzedenzfalls in Argentinien aus dem Jahr 2018. Der Mord an einer Transfrau wurde erstmals gerichtlich als Feminizid eingeordnet.
Der strafschärfende Tatumstand des Feminizids an der Aktivistin Amancay Diana Sacayán wird erörtert und die gerichtliche Subsumtion aus dem über 400-seitigem Urteil knapp dargestellt.

Die Textsammlung richtet sich nicht primär an Jurist*innen und bildet insgesamt eine wichtige, interessante und vielseitige Perspektive auf lateinamerikanische Diskurse rund um das Thema Feminizide.