STREIT 4/2017
S. 153
Dagmar Oberlies: Paragraph zweihunderachtzehn (Thesenpapier aus der AG „Verfassungsklage gegen § 218?“ des 13. FJT 1987)
Aus STREIT 3/1987, S. 101-103
1. Der Kampf gegen den § 218 geht weiter, aber warum? – Strafandrohung und Strafverhängung können nicht der Grund sein.
1.1. Frauen werden strafverfolgungsstatistisch vom geltenden § 218 kaum mehr bedroht als Männer. 1985 wurde 95 mal wegen eines Abtreibungsdelikts ermittelt, davon in 44 Fällen gegen Männer. (…) 1995 waren je ein Mann und eine Frau wegen eines Abtreibungsdelikts in Haft.
1.2. Der Paragraph 218 ist eine Kombination aus unverschämter Strafandrohung und verschämter Strafverschonung für die betroffenen Frauen. Rechtlich eine eher lächerliche Muskelspielerei. Strafandrohungen bei Abtreibung: drei Jahre, Führungsaufsicht kann angeordnet werden, der bloße Versuch ist strafbar; und: Frauen als kriminelle Vereinigung – die Werbung für den Schwangerschaftsabbruch ist strafbar. Aber: für die Schwangere selbst werden allüberall Ausnahmen gemacht. Bleibt die Feststellung, daß die gesetzliche Regelung und ihre faktische Anwendung, gemessen am ideologischen Überbau, ein (schlechter) Scherz ist.
2. Dies führt zu der These, daß sich der Kampf gegen den § 218 weniger gegen die faktische als vielmehr gegen die latente Bedrohung richtet, die von einem strafbewehrten Abtreibungsverbot ausgeht: die jederzeit aktivierbare und latent immer vorhandene patriarchale Verfügungsgewalt über die weibliche Gebärfähigkeit. Dann macht es aber kaum einen Unterschied, ob diese Verfügungsgewalt in eine Indikations- oder eine Fristenlösung gekleidet ist, solange Abtreibung grundsätzlich unter Strafe gestellt bleibt.
3. Damit soll nicht gesagt sein, daß die Fristenlösung nicht für die abtreibenden Frauen als Bewußtseinsphänomen ein kleineres Übel darstellen würde, um das es sich zu kämpfen lohnte. Vielmehr heißt es, der Kampf gegen den § 218 geht weiter bis zu seiner vollständigen Abschaffung. (…)
5. Was tun im Kampf gegen den § 218?
Zwei Wege stehen zur Diskussion:
a) der parlamentspolitische (z.B. Abschaffung des § 218 im Rahmen eines grünen Antidiskriminierungsgesetzes);
b) der Weg über eine Verfassungsklage.
5.1.Diese beiden Wege stehen aber nicht unbedingt gleichermaßen offen, sondern sie setzen die Klärung einer rechtlichen Vorfrage voraus: (…) Können Entscheidungen des BVerfG durch einfaches Gesetz geändert werden (dann sind a) und b) möglich), oder bedarf es zu ihrer Änderung wiederum einer -BVerfG-Entscheidung (dann nur b))? Rechtlich unzutreffend ist in jedem Fall die Meinung von Herta Däubler-Gmelin in der EMMA, Entscheidungen des BVerfG seien unabänderlich. (…)
6. Damit heißt die Frage nicht, warum Verfassungsklage, sondern, warum nicht?
6.1. Wir glauben nicht daran, daß sich etwas ändern könnte.
6.2 Wir wollen nicht, daß ein Gremium alter Männer über den § 218 entscheidet.
6.3 Das BVerfG hatte seine Chance, es hat sie nicht genutzt.
6.4. Wir geben ihnen einfach keine Chance zur Läuterung.
6.5. Der Wolf ist überall und der Igel schneller als der Hase.
6.6. Die § 218-Entscheidung scheint das letzte Bollwerk gegen gentechnische Manipulationen zu sein.
– Wer aber die 218-Entscheidung in der Auseinandersetzung um die Gentechnologie im Schilde führt, die vergißt, daß diese Entscheidung die Manipulation des Embryo erst möglich gemacht hat: Es war dieses Urteil, durch das die Abnabelung des Embryos von der Mutter rechtlich durchgesetzt wurde.
Wenn es demnach eine Rechtsstellung des ungeborenen Kindes gibt, die Schutz vor der eigenen Mutter bietet, dann doch erst recht vor Dritten, lautet die verquere Logik, auf die sich auch sog. Feministinnen berufen. (…) Abgesehen davon, daß die gentechnischen Manipulationen (sog. Entwicklungen) sowieso nur schwer zu unterbinden sein werden, kann dies jedenfalls nicht dadurch bewirkt werden, daß die Auseinandersetzung um den § 218 unterbleibt.
Auf der Suche nach einer rechtlichen Systematik der politischen Einsicht lautet deshalb die These:
7. Mutter und Embryo sind Eins. Mein Bauch bin ich. Die Mutter entscheidet über sich. Und die Mutter schwimmt selbst in der Petri-Schale (Zitat: Malin Bode). Körperliche Einwirkungen auf die Mutter (auch in der Petri-Schale) sind Körperverletzungen.