STREIT 1/2025
S. 6-8
Dankesrede zur Verleihung des Maria-Otto-Preises des Deutschen Anwaltvereins am 06.11.2024 an das Anwältinnenbüro Leipzig
Mit welchem Geschlecht wir geboren werden, ist vom Zufall abhängig. Es ist gar nicht einzusehen, dass dieser Zufall, der uns praktisch ereilt, bevor wir auf diese Welt kommen, darüber bestimmen soll, welchen Platz wir später in der Gesellschaft einnehmen dürfen, welche Rechte uns zukommen sollen, welchen Beruf wir ergreifen dürfen.
Vor nunmehr fast 102 Jahren erhielt mit Maria Otto erstmals eine Frau die Zulassung zur Anwaltschaft. Das scheint lange her zu sein, ist es aber nicht. Theoretisch hätten wir drei sie noch persönlich kennenlernen können – wir waren alle im fortgeschrittenen Vorschulalter, als sie verstarb und Alters- und politische Staatsgrenzen beiseite gedacht, wäre eine persönliche Begegnung doch möglich gewesen.
War Maria Otto 1922 die erste Rechtsanwältin und lange Zeit eine von ganz wenigen, sehen die Dinge in 2024 schon anders aus: von den Anfang 2024 in der Bundesrepublik insgesamt 165.776 zur Anwaltschaft zugelassenen Personen sind ca 37 % Frauen, nämlich 61.491. Dass die Wahl aus den 61.491 Rechtsanwältinnen ausgerechnet auf uns fiel, fühlt sich einfach großartig an. Dabei haben sich allein hier und heute viele versammelt, die den Preis wohl genauso verdient hätten. Gerade das bestärkt uns ungemein.
Unser Büro gibt es seit 21 Jahren. Nicht ganz so lange, aber doch auch schon deutlich länger als ein Jahrzehnt sind unsere Mitarbeiterinnen Anja Theuerkorn und Kristina Schwalbe an unserer Seite, ohne die das Büro nicht laufen würde. Seit ganz kurzem haben wir uns auch Verstärkung durch eine weitere Rechtsanwältin geholt; Dank an Kira Lippmann, die unser Team bereichert.
Den Namen Anwältinnenbüro haben wir uns vom ersten Berliner Anwältinnenbüro abgeguckt, in dem auch Christina Clemm gearbeitet hat. Das Berliner Anwältinnenbüro gibt es heute nicht mehr in dieser Konstellation, aber dem Namen und dem feministischen Hintergrund fühlen wir uns noch immer verbunden, heute mehr denn je. Christina Clemm, die heute neben ihrer Anwältinnentätigkeit als Bestsellerautorin die Herausforderungen von Nebenklageverfahren einer breiten Öffentlichkeit zugänglich macht, und Silke Studzinsky aus dem ersten Berliner Anwältinnenbüro waren die großen Vorbilder – ihretwegen hat sich Nadine entschlossen Nebenklageverfahren zu führen. Die Verfahren sind in den letzten 20 Jahren trotz positiver Entwicklungen im Strafrecht und im Opferschutz nicht einfacher geworden. Es sind aktuell vor allem die Verfahrensdauern, die einer effektiven Strafverfolgung entgegenwirken. Derzeit dauert es in Leipzig 2 bis 2,5 Jahre, ehe allein die Frage beantwortet ist, ob Anklage erhoben wird.
Dabei ist Zeit ein wesentlicher Faktor. Je mehr Zeit vergeht, desto schwieriger ist die „Wahrheitsfindung“ im Gerichtssaal. Heute haben wir als Vertreterinnen der Nebenklage weniger damit zu tun, dass die Betroffenen der Lüge bezichtigt werden, sondern wir müssen heute den Vorwürfen begegnen, dass die Nebenklägerin aufgrund des Zeitablaufs die Geschehnisse für sich erst im Nachhinein zu einer Gewalttat umgedeutet habe. Das führt nicht selten zum Freispruch und zur weiteren Schädigung der Betroffenen. Trotzdem ist Aufgeben keine Option.
Der Name Anwältinnenbüro ist Programm. Auch wenn einige immer noch meinen, vom Namen „Anwältinnenbüro“ auf unsere sexuelle Orientierung schließen zu können (was sich bei einem Anwaltsbüro sicher niemand fragt), soll schon der Name verdeutlichen, dass wir als feministisches Büro auftreten und uns besonders für Gleichberechtigung einsetzen.
Gerade wegen dieses Auftritts erreichen uns eben auch die „spannenden“ Mandate, z. B. zur gleichen Bezahlung von Frauen und Männern für gleiche oder gleichwertige Arbeit. So gesehen war der Name Ausgangspunkt eines Verfahrens, mit dem wir ein Stück Rechtsgeschichte geschrieben haben. Spätestens jetzt hat es sich herumgesprochen: Equal Pay lässt sich nicht wegverhandeln!
(Nur) im Familienrecht vertreten wir tatsächlich nur Frauen und Kinder. Gewaltschutzverfahren zu führen, gehört leider zum Tagesgeschäft. Erst letzte Woche sagte ein Familienrichter vom Amtsgericht Leipzig zur neuen Kollegin halb scherzhaft beim Flurgespräch: Frau Lippmann, bitte nicht mehr als einen Gewaltschutzantrag pro Tag und freitags nur bis 12 Uhr.
Ja …, wenn wir es in der Hand hätten … Dabei verwenden wir auch außerhalb des Kanzleialltages viel Zeit und Kraft in die Arbeit mit Beratungsstellen und Netzwerktätigkeiten, Ina ist langjährig im Vorstand des „Frauen für Frauen e.V.“, des Vereins, der u. a. das 1. Autonome Frauenhaus in Leipzig gegründet hat und Beratungs- und Koordinierungsstellen gegen häusliche Gewalt und Stalking betreibt. Ina und Nadine sind feste Säulen in vielen Arbeitskreisen und Netzwerken, z. B. „Netzwerk Familie in Trennung“, „Koordinierungskreis gegen sexualisierte Gewalt“, „Netzwerk gegen häusliche Gewalt und Stalking“ und Nadine ist Dozentin im Kinderschutz für medizinisches Personal, um nur einiges zu nennen.
Wir wissen, wie wichtig es ist, von Gewalt betroffenen oder bedrohten Frauen, die häufig auch in wirtschaftlicher Abhängigkeit leben, Wege aus der Krise aufzuzeigen. Gerade in den Ballungsgebieten, in denen bezahlbarer Wohnraum knapp ist, ist ein Auszug aus der Wohnung regelmäßig keine Option. Beratungsstellen haben lange Wartezeiten, in Leipzig aktuell von 5 Monaten. Frauenhausfinanzierung und Finanzierung der Beratungsstellen ist jedes Jahr eine Zitterpartie, die Versorgung mit Schutzräumen und Beratungsstellen im ländlichen Bereich sind unzureichend. Es genügt also am Ende nicht, nur hervorragende anwaltliche Tätigkeit abzuliefern. Damit die juristischen Möglichkeiten nicht an den gesellschaftlichen Lebensrealitäten scheitern, ist eine verlässliche Finanzierung von Frauenhäusern und von Beratungsstellen zwingend!
Und natürlich geht es auch um die eigene Finanzierung. Grundsätzlich begrüßen wir eine gesetzliche Regelung der Vergütung anwaltlicher Tätigkeit, aber die Gewichtung stimmt nicht. Vor allem Gewaltschutzverfahren lassen sich nicht kostendeckend führen. Der Verfahrenswert insbesondere für einstweilige Anordnungsverfahren muss heraufgesetzt werden, um eine auskömmliche anwaltliche Vergütung sicherzustellen, immerhin ist es doch staatliche Schutzaufgabe, Gewalt zu verhindern.
Lassen sich im Familienrecht unterbezahlte Verfahren noch querfinanzieren, ist das bei der sozialrechtlichen Vertretung von Versicherten oder Menschen, die Sozialleistungen beziehen, nahezu ausgeschlossen. Anwaltliche Vertretung in sozialrechtlichen Angelegenheiten wird auch bei der anstehenden RVG-Reform nicht ansatzweise angemessen honoriert – wie dem Gesetzentwurf zu entnehmen ist. Das geplante Anheben der Mittelgebühr um weniger als 9 % deckt noch nicht einmal die seit der letzten Reform gestiegenen allgemeinen Verbrauchskosten und Kosten für Miete, Personal, Strom etc. ab. Ein durchschnittliches sozialgerichtliches Verfahren dauert zwei Jahre – in zwei Jahren verdienen wir (inkl. Klagebegründung, Akteneinsicht, Auswertung von Befundberichten und eines Sachverständigengutachtens) 360 € netto, geplant dann 392 €. Eine Terminsgebühr bei jeder Entscheidung durch Gerichtsbescheid ist nach wie vor nicht geplant. Eine Einigungsgebühr wird verweigert, wenn die Behörde nur ein Teilanerkenntnis abgibt und die Klage im übrigen zurückgenommen wird. Die Sozialgerichte gehen auch nicht von einem eine fiktive Terminsgebühr auslösenden Anerkenntnis aus, wenn die Behörde das Klagebegehren einfach erfüllt, ohne explizit ein prozessuales Anerkenntnis abzugeben. Honorarvereinbarungen lassen sich mit Mandant*innen im Sozialrecht selten schließen, kein Wunder also, dass es kaum Nachwuchs gibt – in Sachsen gab es in den letzten 4 Jahren genau 2 Neuzulassungen zur Fachanwaltschaft für Sozialrecht. Mein ganz persönlicher Dank also auch an meine beiden Kolleginnen, denn ohne dass sie diese finanzielle Misere mittragen, könnte ich keine sozialrechtlichen Mandate bearbeiten.
Aber Aufgeben ist keine Option, denn wir wissen, dass die rechtsstaatliche Durchsetzung sozialer Rechte und die dabei notwendige kompetente, sachorientierte Kommunikation mit Mandant*innen, die oft am Rande der Gesellschaft stehen, ein fundamental wichtiger Beitrag nicht nur zur Rechtsdurchsetzung, sondern auch zur Bildung von Vertrauen in die Institutionen unseres Gemeinwesens ist und gerade dieses Vertrauen– das zeigen die Ergebnisse der letzten Landtagswahlen und das spüre ich in der täglichen Beratungspraxis zunehmend – gerade dieses Vertrauen in unseren Rechtsstaat scheint viel zu vielen Menschen abhandengekommen zu sein. Daher auch an dieser Stelle der Appell an den DAV, sich für eine RVG-Reform einzusetzen, die kompetente anwaltliche Vertretung im Sozialrecht ermöglicht und nicht verhindert!
Geld ist natürlich nicht alles. Austausch und Netzwerken gehört dazu, schon seit Studienzeiten sind wir regelmäßige Teilnehmerinnen des jährlich stattfindenden Feministischen Juristinnentages (FJT), haben die Tagung schon mehrfach nach Leipzig geholt und vor Ort organisiert – im kommenden Jahr übrigens wieder –, obwohl wir angesichts der Strapazen, die eine solche Organisation mit sich bringt, beim letzten Mal schon erklärt haben, dass jetzt bis zu unserem Ruhestand andere dran sind – aber es nützt ja nichts, die Dinge müssen in die Hand genommen werden, wenn sich nicht schnell genug jemand anderes findet, und Herzensangelegenheiten dürfen nicht aufgeschoben werden!
Eine weitere Herzensangelegenheit und Säule der feministischen Rechtsbewegung ist die feministische Rechtszeitschrift STREIT. Ganz besonders freuen wir uns, dass unter den zahlreichen Gästen heute auch einige Redakteurinnen der STREIT anwesend sind!
STREIT hat in der Diskussion um Frauenrechte und feministische Positionen in der Rechtswissenschaft und Rechtspolitik eine zentrale Bedeutung. Wir haben in jüngerer Vergangenheit z. B. widerstreitende Positionen zur rechtlichen Einordnung von 24-Stunden-Pflege in der Häuslichkeit, sog. live-in-care, veröffentlicht. Immer wieder Thema ist die schwierige Berücksichtigung von häuslicher Gewalt in familiengerichtlichen Verfahren. In der jüngsten Ausgabe findet sich z. B. einen Beitrag gegen die Legalisierung der Eizellspende oder eine wissenschaftliche Untersuchung der historischen Wurzeln des Antifeminismus.
Wer also noch kein Abo hat: heute ist DIE Gelegenheit. Wer nicht selbst lesen will, darf ein Soli-Abo abschließen oder ein Abo verschenken oder den Verein Frauen streiten für ihr Recht e.V. mit einer Spende unterstützen, denn obwohl wir Redakteuerinnen und auch unsere Autorinnen nicht gegen Entgelt arbeiten, verschlingt die Herstellung eines Heftes Kosten.
Natürlich verzehrt der Einsatz für Gleichberechtigung Kräfte und die Schicksale der Mandantinnen lassen uns auch nicht „kalt“. Alles zu ertragen, das geht nur mit einem stabilen sozialen Netz aus Freundschaften, Freundinnen und Freunden, die uns bestärken, aber auch mal den Kopf gerade rücken.
Bei der wahnsinnig anstrengenden Arbeit, die der Beruf der Rechtsanwältin ganz allgemein mit sich bringt, und dem zeitaufwändigen Engagement in Netzwerken und Vereinen kommt leider oft das Wichtigste zu kurz – und das ist die Zeit mit unseren Lieben. Ohne die Unterstützung der Familien wäre das alles nicht zu leisten. Wir sind uns sehr bewusst, wie viel unsere Familien mittragen müssen und dass insbesondere auch von den Kindern einiges abverlangt wird. Inas Kinder, inzwischen längst volljährig, sind heute manchmal noch traurig, weil sie angeblich immer als Letzte aus dem Kindergarten abgeholt worden sind; Nadines Kinder müssen Hausaufgaben meist ohne sie machen und auch ich bin immer im inneren Zwang, zu Hause bei der Pflege und Betreuung meiner Tochter mehr Einsatz zeigen zu müssen. Ohne stabilen familiären Rückhalt könnten wir unsere Aufgaben nicht erfüllen. Der größte Dank also an unsere Familien, ohne Euch hätten wir den Preis niemals bekommen!