STREIT 1/2025

S. 3-5

Laudatio zur Verleihung des Maria-Otto-Preises des Deutschen Anwaltvereins am 06.11.2024 an das Anwältinnenbüro Leipzig: Ina Feige, Susette Jörk, Nadine Maiwald

Sehr geehrte Anwesende, liebe Leipzigerinnen, liebe Ina, liebe Susette, liebe Nadine. 
Ich wäre heute lieber zuhause geblieben, hätte mich verkrochen, geheult, vielleicht mich betrunken und mich dem Weltschmerz ergeben. Oder vielmehr in Sorge um die Welt gegrämt. An einem Tag, in dem in den USA ein Menschenverachter, ein Rassist, ein Frauenhasser an die Macht gewählt wurde, an einem Tag, an dem wir uns fragen müssen, ob Trump gewählt wurde, obwohl er all das verkörpert oder ob er vielmehr gerade deshalb gewählt wurde. Aber vielleicht ist es an einem solchen Tag gerade wichtig, hier zu sein, Feministinnen zu ehren, für das, was sie jeden Tag so unermüdlich und meist außerhalb des Rampenlichts tun. 
Ich bedanke mich sehr, dass ich eine Laudatio an dieser Stelle und vor allem auf Euch halten darf und freue mich für Euch. 

Auch wenn ich mich ein wenig frage, wie viel wir eigentlich erreicht haben, wenn es immer noch Preise für Anwältinnen geben muss und es kein Pendant für männliche Anwälte geben muss, und was es bedeutet, dass hier wieder vor allem weiblich gelesene Personen anwesend sind. Aber das wird schon noch, auch der DAV hat ja eine enorme Entwicklung in den letzten 100 Jahren mitgemacht. 
Auf der 14. Vertreterversammlung des DAV vom 28./29. Januar 1922 hieß es: „Die Frau eignet sich nicht zur Rechtsanwaltschaft oder zum Richteramt, ihre Zulassung würde daher zur Schädigung der Rechtspflege führen und ist aus diesem Grund abzulehnen.“ Sie hatten also Angst, die Herren der Anwaltschaft, sie hatten Sorge, ihre gute Gesellschaft könnte bedroht sein, sie befürchteten, man könnte an ihrer Macht rütteln. Und damit hatten sie auch Recht. Genutzt hat es ihnen auf Dauer nicht. 
1922 wurde Maria Otto als erste Frau zur Anwaltschaft zugelassen, aber, lassen Sie mich dies hier einmal kurz kritisieren, noch heute fällt es dem Deutschen Anwaltverein sicht- und hörbar schwer, die geschlechtliche Vielfalt ihrer Mitglieder gerecht zu benennen. Etwas über 100 Jahre ist es also her, dass Maria Otto Anwältin werden durfte, heute sind es über 55.000 – ca. 35 % der gesamten Anwält*innenschaft, Tendenz steigend. 
Aber täuschen wir uns nicht, diese Rechte wurden hart erkämpft, mit erheblichen persönlichen Niederschlägen und, leider, errungene Rechte können auch schnell wieder weggenommen werden. Vor der Machtübernahme der Taliban gab es in Afghanistan ca. 250 weibliche Rechtsanwältinnen, heute gibt es keine mehr. In Saudi-Arabien sind Frauen erst seit 2013 als Anwältinnen zugelassen und es ist nicht besonders gut gestellt um die Frauenrechte dort. 
Weltweit werden weibliche Anwältinnen bei ihrer Berufsausübung bedroht, an ihrer Berufsausübung gehindert, angegriffen und eingesperrt. Denken wir an den Iran, wo derzeit einige Kolleginnen eingesperrt sind und um ihr Leben bangen müssen, denken wir an Russland, wo es gefährlich ist, sich für politische Gefangene einzusetzen, denken wir an die Türkei, in der alle, die sich für Menschenrechte aller einsetzen, verfolgt werden und in Gefahr leben müssen. Männliche Kollegen werden auch bedroht, aber bei weiblichen kommt immer noch die geschlechtsbezogene Gewalt hinzu. Und denken wir erneut an die USA, in der ein Mann gewählt wurde, der wegen Sexualstraftaten verurteilt wurde, dem mindestens 26 Frauen Vergewaltigungen und sexuelle Übergriffe vorwerfen und der sich selbst seiner Übergriffigkeit rühmt. Und vergessen wir nicht, wer durch ihn in höchste juristische Ämter erhoben wurde und die Rechtsprechung der nächsten Jahre prägen wird. 

Warum sage ich das? 

Nicht weil ich denke, die Taliban oder Putin stehen vor der Tür, nicht weil ich denke, wir sind kurz davor, unsere Zulassungen zu verlieren. Aber auch wir, wenn wir explizit feministisch arbeiten, wenn wir für Frauenrechte und Rechte queerer Menschen eintreten, wenn wir uns entscheiden, immer und immer wieder zu thematisieren, dass Frauen immer noch benachteiligt sind, dass sie weniger verdienen und mehr Care-Arbeit leisten, wenn wir lautstark kritisieren, dass die Entscheidung, ob eine Schwangerschaft ausgetragen werden soll oder nicht, immer noch nicht allein in der Hand der schwangeren Person liegt, wenn wir gegen geschlechtsspezifische Gewalt kämpfen, gegen Hatespeach, Stalking und Femizide, wenn wir für die Rechte von Menschen einstehen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtszugehörigkeit fliehen müssen, sei es vor einem Staat, einer Gesellschaft oder ihrem Partner oder Familie, auch wir, auch hier in Deutschland werden wir immer wieder bedroht, angegriffen und ausgegrenzt. 
Wir leben in einer Gesellschaft, in der wir weltweit eine Expansion rechtsextremer oder ultrareligiöser Bewegungen haben und in der in Deutschland Rechtsextreme massiv an demokratischen Grundsätzen sägen – auch an der Justiz. Und eine ihrer wichtigsten Anliegen ist es, feministische Errungenschaften rückgängig zu machen. 
Und Ihr, Ihr lieben Kolleginnen aus Sachsen, Ihr seid noch einmal sehr viel näher dran an dieser Gefahr; örtlich, politisch und persönlich. Und auch deshalb gebührt Euch unser größter Respekt. 

Susette hat ein großartiges Grundsatzurteil zur Lohngleichheit erstritten, in dem 2023 endlich einmal klargestellt wurde, dass die Arbeit von Frauen genauso und nach den gleichen Kriterien beurteilt und entlohnt werden muss wie die Arbeit von Männern. Wie politisch katastrophal und unendlich traurig ist es, dass man dafür durch die Instanzen gehen musste, und wie großartig, dass Susette diesen Weg mit der Betroffenen gegangen ist. 
Susette Jörg, Ina Feige und Nadine Maiwald arbeiten da, wo es oft wehtut. 
Sie unterstützen parteilich, hochqualifiziert, empathisch und im besten Sinn feministisch Frauen, die in diesem Staat die Unterstützung von Anwältinnen so dringend nötig haben, weil sie ansonsten nicht ihre Rechte bekämen. 

Warum sage ich das? Die Kollegin Otto wurde als „eine Feministin im besten Sinne“ bezeichnet. Was damit gemeint war? Ich zitiere aus der beim DAV publizierten Biografie: „Eine Frau, die für andere Frauen kämpft. Die sehr genau weiß, worauf sie hinauswill. Dabei kein Aufhebens um ihre eigene Person macht, geschweige denn Krawall. Eine Frau, die bessere Argumente solange auf ihrer Seite versammelt, bis die Gegenseite sich irgendwann fügen muss. Dafür braucht es freilich einen langen Atem.“ 
Den langen Atem beweist Ihr, die besseren Argumente habt Ihr auch. Aber ich hoffe, liebe Leipzigerinnen, Ihr und wir machen Krawall. 
Vieles, was Ihr alltäglich macht, sind Aufgaben, die eigentlich der Staat erfüllen sollte. Ihr vertretet Frauen, die vor ihren gewalttätigen Männern geflohen sind, die mit ihren Kindern nach einem gewaltfreien Leben suchen, die sexualisierte Gewalt erlebt haben. Ein Großteil Eurer Arbeit besteht im Gewaltschutz im weitesten Sinn. 
Und um das einmal an dieser Stelle zu sagen. Es ist ein Skandal, wie schlecht diese Arbeit entlohnt wird. Auch hier, liebe Susette, müsste man einmal für Entgeltgleichheit sorgen, auch wenn es noch ungleich schwerer ist. Wir wissen, dass männliche Anwälte viel mehr verdienen als weibliche. Auch, weil weibliche Anwältinnen in den sehr viel weniger lukrativen Bereichen arbeiten und dort häufig Frauen vertreten und diese häufig arm sind und auf Verfahrenskostenhilfe angewiesen sind. 
Besuchen Sie mal Fortbildungen im Familienrecht. Wenn es um Vermögensauseinandersetzungen geht, um Fragestellungen wie „Die Aufteilung des Unternehmens im Trennungsfall“ etc., dann werden Sie viele männliche Kollegen dort antreffen. Besuchen Sie aber einmal eine Fortbildung zum Gewaltschutzgesetz, zu häuslicher Gewalt – Sie werden fast ausschließlich weibliche oder queere Kolleg*innen treffen. Warum? Weil es rechtlich banal ist, uninteressant, unwichtig? 
Nein, weil es einfach nicht lukrativ ist, weil das Leben einer Frau und ihrer Kinder, ihre Sicherheit, einfach nichts wert sind, und dabei meine ich nicht nur finanziell. Im Durchschnitt arbeiten wir, so sagte es mir eine der Leipzigerinnen, 7 Stunden an einem Gewaltschutzverfahren, in der Regel sind unsere Mandantinnen auf Verfahrenskostenhilfe angewiesen. Wissen Sie, was die Gebühren für ein solches Verfahren sind? Es sind € 196,– inclusive MwSt. Wissen Sie, wie viel Arbeit in einem streitigen Umgangsverfahren steckt, in dem es ein Sachverständigengutachten gibt, in dem 3, 4 oder 5 Anhörungstermine anberaumt werden? Wissen Sie, was dafür bei Verfahrenskostenhilfe gezahlt wird? Ca. € 700,– ohne MwSt. 

Wissen Sie, was eine Anwältin als Nebenklagevertreterin, die der Mandantin beigeordnet wird, verdient? Es sind die Pflichtverteidigungs­gebühren mittlerweile. Immerhin. Nur arbeitet kaum ein Verteidiger für diese Gebühren, wir in der Regel schon. Ein Hauptverhandlungstag vor dem Amtsgericht beginnt in der Regel um 9 Uhr und endet so gegen 15 Uhr. Da die Pausen abgezogen werden, bleiben wir meist – was gebührentechnisch erheblich ist – unter 5 Stunden. Das bedeutet ein Einkommen von 242 Euro. Bitte errechnen Sie selbst den Stundenlohn. 

Aber genug davon – Ihr macht es ja, wie die meisten von uns hier, für die gute Sache. Oder? Ihr, liebe Leipzigerinnen, sorgt Euch für Gleichstellung, soziale Absicherung und für die Sicherheit von Frauen und Ihr habt so unendlich viel Arbeit, weil der Staat versagt. 
Die Zahlen geschlechtsbezogener Gewalt steigen, immer noch fehlen in Deutschland allein 17.000 Frauenhausplätze, finden gewaltbetroffene Frauen, die ihre Männer verlassen, keine Wohnungen, keinen Job, erhalten sie meist keinen Unterhalt. Das Gewalthilfegesetz, das wir alle so dringend bräuchten, weil es wenigstens ein wenig helfen würde, die Situation ein wenig zu verbessern, wird von dieser Regierung blockiert. 
Aber, liebe Kolleginnen, wie haltet Ihr das aus? Diese alltägliche Beschäftigung mit dieser so ungerechten Welt? Ich weiß es nicht, ich weiß aber, dass Ihr so viel Richtiges dabei macht. Denn Ihr arbeitet nicht nur als Rechtsanwältinnen zusammen, Ihr lebt es auch. Ihr vernetzt Euch, sei es im Netzwerk im Sozialrecht tätiger Anwälte und Anwältinnen, im Koordinierungskreis gegen häusliche Gewalt, im Netzwerk Kinderschutz oder im Koordinierungskreis gegen sexualisierte Gewalt. Ihr tauscht Euch aus, Ihr tretet ein, Ihr kämpft, auch wenn es etwas pathetisch klingt, für eine bessere Welt für alle. 
Seit vielen Jahren ist der Feministische Juristinnentag ohne Eure Beteiligung nicht vorstellbar, sei es durch Eure Austragung der Veranstaltung, Antragstellungen und Abrechnungen oder Eure inhaltlichen Beiträge. Hier wird für einen regen Austausch feministischer Juristinnen gesorgt, hier werden streitbare Themen aus Wissenschaft und Praxis analysiert und diskutiert und ich bin über die Jahre sehr froh, dass durch Euch auch die Stimmen der Anwältinnen immer wieder gehört werden. 
Aber Ihr lebt Solidarität noch mehr. 
Das Leipziger Anwältinnenbüro ist weiterhin als Kollektiv organisiert. Hier wird nicht nur gemeinsam gewirtschaftet, hier wird auch jeden Tag für alle gekocht, da helfen die Kolleginnen, die Mitarbeiterinnen, die Mütter, Töchter und Freundinnen mit, wenn es nötig ist, und zweimal die Woche kommt eine Yogalehrerin, die alle wieder erdet. Wenn Kinder – und davon habt Ihr reichlich – krank sind oder Ferien haben, können sie selbstverständlich mit ins Büro kommen und werden kollektiv beschäftigt, und wenn sich eine einen Arm oder Bein bricht, da wird sich gekümmert, gesorgt und gepflegt. 
Wenn ich ganz persönlich an Euch denke, dann ist es stets ein warmes, ein herzliches Gefühl. Dann denke ich daran, wie ich immer anrufen kann, wenn ich eine juristische Frage nicht lösen kann und mir Ina immer wieder sagt – aber Christina, vergiss nicht Geld zu nehmen, das brauchst du, auch für die anderen Mandantinnen, die es nicht haben. Dann denke ich daran, wie die drei zusammen zum Feministischen Juristinnentag kommen, älter werden, wie wir über Kinder sprechen, über Gesundheit, über Geld, Träume, Wünsche, Ziele, über Beziehungen, wie wir uns gemeinsam über die Ungerechtigkeiten aufregen, wie wir unsere schlimmsten Highlights im Gerichtsalltag des vergangenen Jahres austauschen, wir über Ost und West und unten und oben sprechen, über Kapitalismus und Wohlstand, über das, was jede für sich braucht und das, was wir gerne teilen können. 
Ich denke daran, dass Ina immer, wenn wieder ein feministischer Juristinnentag ansteht, schnell für einige Anwältinnen aus unterschiedlichen Orten Zimmer in einem netten kleinen Hotel abseits des Rummels bucht – damit wir es auch schön gemütlich haben. Dann tanzen, sprechen, trinken wir zusammen und quatschen am ersten Abend schon so lange, dass wir nicht wissen, wie wir den nächsten Tag überstehen sollen. Und kurz vorm Einschlafen kommt dann Ina noch einmal vorbei, bewaffnet mit einer – selbstverständlich „bio, öko, fair, vegan“ hergestellten – Gesichtscreme, die wir uns doch bitte auftragen sollen, „denn“, so Ina, „Regeneration ist auch wichtig, für uns, aber auch für alle anderen.“ 
Also – in diesem Sinn, kämpfen wir gemeinsam, sorgen wir füreinander, üben wir Solidarität und jetzt – feiern wir!