STREIT 3/2017
S. 99-109
Das Wechselmodell – Ein Konstrukt
Die neue Leitbildkultur
Schon der Name Wechselmodell verursacht mir seit langem Ärger, Unbehagen und bewirkte Untätigkeit, obgleich ich längst gebeten war etwas dazu zu sagen, öffentlich – nicht nur im anwaltlichen Schriftverkehr Stellung zu nehmen.
War mir bewusst, dass es sich wieder mal um eine einfache Umkehrung handelt und über ein „Modell“, eine Idee, zudem eine fixe Idee, Wirklichkeit konstruiert werden sollte und würde? Deren bloße Ideenhaftigkeit sich manifestieren sollte und würde durch nachfolgende Sprache, „Sprüche“, Entscheidungen, von Lehre, Rechtsprechung und schließlich Legislative, wie bei dem Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge, zu dem ich so manches früher angemerkt habe?1
 Und alles nicht überholt, sondern hochaktuell.
Kant revolutionierte die Philosophie durch seine Einsicht, dass wir die Wirklichkeit konstruieren statt sie wahrzunehmen, was eigentlich nicht nur folgerichtig, sondern auch banal für einen Menschen war, der nie aus seiner Stadt Königsberg herausgekommen war, selten seine Behausung verließ, keine sozialen Kontakte pflegte, keine Beziehung lebte, sich in seinem eigenen Kopf aufhielt, den er jedoch mutig auseinandernahm.
Die Kopfgeburten von Hegel bildeten dann das Gerüst für die Konstruktion und Bedeutung wie Wirkung des Rechtsstatus aus Normen, die das Verhältnis der Einzelmenschen zueinander regeln, innerhalb des gesellschaftlich anerkannten und legalisierten Verhältnisses „Familie“ und der Verhältnisse außerhalb dieser Verhältnisse, nämlich zwischen diesem Individualsystem der unspezifischen Einheit einerseits und dem Gesamtsystem Gesellschaft und Staat andererseits. Bei ihm ist nachzulesen, was dieses Organisationsmodell „Familie“ ist.
Ein System, in dem Frauen und Kinder keinen eigenständigen Status hatten und auch keine Gerechtigkeit erfahren konnten.2
 Nach Hegel wird das Recht der Familie für das Individuum erst dann wirklich rechtens, wenn die Familie in die Auflösung geht, wo sich die Undifferenziertheit von Familiensubstanz erweist, wo das Allgemeine nicht mehr vom Interesse für sich befreit. Hegel zufolge gibt es in der Ehe, in der Familie, keine Individuen für sich. Familie ist kein Bündnis, vielmehr undifferenzierte substantielle Einheit, in der individuelle Einheiten gründen, die aber in ihr ihr individuelles Recht verlieren.3
Die Frage des Allgemeinen als Vermittlung muss sich deshalb auf die Frage des Rechts innerhalb des Paares einlassen und auf die Untersuchung der Form dieser Institutionen, deren Strukturen, deren Symmetrien und Asymmetrien. Nicht zufällig landeten die französischen Strukturalisten, Poststrukturalisten und Dekonstruktivisten beim deutschen Idealismus und dessen Philosophen, die sie jedoch – über und mit Marx – konsequent dekonstruierten, der aufforderte, die Verhältnisse wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und sich aus der Wirklichkeit Gedanken zu machen und nicht umgekehrt. Sie beobachteten und dekonstruierten.
Und nun machen sich die deutschen Idealisten und deren politische Propagandisten – hierbei wähle ich bewusst die männliche Bezeichnung, auch wenn sich weibliche Idealistinnen angeschlossen haben – wieder daran, gegen alle fundierten Gegenreden, Erkenntnisse, sozialen Wirklichkeiten, Meinungen und Ideen – die real und einzeln stimmen können, was eben im Einzelfall zu prüfen wäre – , eine Idee, ein Postulat zu einer allgemeinen Regel zu machen; womöglich gar in positiver Überzeugung, dass Recht in der Lage sein möge zu symbolischer Kraft und Wirkung für eine Gesellschaft, die nach ihrer Verfasstheit aus Freiheit, Gleichheit, Würde, Menschenrechten, das menschliche reale Sein nicht nur konstruieren, sondern zur Existenz zu bringen imstande sei.
Ich will den Konstrukteuren nicht einmal Unfähigkeit zur Erkenntnis unterstellen oder gar Verblendetheit, sondern ihnen ihren positiven Wunsch nach guten Regeln für Zusammenleben von Menschen in dieser Gesellschaft zunächst abnehmen, selbst wenn ich das alles für Trugschlüsse halte. 
Lange Zeit war sich die Rechtsprechung (der Obergerichte, von einigen Ausnahmen abgesehen, wie es Mindermeinungen immer gibt und geben muss), im Diskurs einig, dass das Wechselmodell eben ein Modell sei, das – ebenso wie ehemals das Modell der gemeinsamen elterlichen Sorge im Einzelfall gerechtfertigt sei, bei völliger Übereinkunft – Konsens – vernünftiger Bürger_innen, Eltern, im reinen bürgerlichen Vertragskontext, der individuellen Vertragsfreiheit auf einer real existierenden Grundlage – so es sie in diesem Feld geben kann –, somit eine individuelle Option, aber kein allgemeiner Regelfall. Das wäre ja auch anders verwunderlich gewesen, gegen alle wirklichen Grundlagen, alle sozio-ökonomische Wirklichkeit, die Wirklichkeit der Geschlechter-Familien- und Arbeitsverhältnisse zu regeln. 
Aber: so geschah es. Gegen die dezidierte Rechtsprechung setzte sich der deutsche Idealismus wieder durch, diesmal mit Hilfe der Psychologie, die die Soziologie entmachtet mit neuen Ideen, die uralt sind und aus dem patriarchalen Handgepäck stammen; obwohl m.E. die Soziologie sehr viel besser als die Psychologie, die Psychoanalyse, ja die Philosophie, das Unbehagen beschreibt, zwei verschiedenen Welten anzugehören, die scheinbar unvereinbar weit auseinanderliegen und doch in allem zusammen oder nebeneinander exisistieren.
Doch die Psychologie kümmert sich nicht um Strukturen und Konstruktionen wie Dekonstruktionen. Sie konstruiert in Individualkategorien und gibt die Deutung und Schlussfolgerung an die Juristen wieder, die wiederum die Meinungen in unbestimmten Rechtsbegriffen wiedergeben, im Ideennetz der Dualität der modernen Ich-Gesellschaft.4
Die väterliche Autorität
Und nun hat der BGH geliefert, die Leitsätze seien hier wiedergegeben:5
a) Eine gerichtliche Umgangsregelung, die im Ergebnis zu einer gleichmäßigen Betreuung des Kindes durch beide Eltern im Sinn eines paritätischen Wechselmodells führt, wird vom Gesetz nicht ausgeschlossen. Auch die Ablehnung des Wechselmodells durch einen Elternteil hindert eine solche Regelung für sich genommen noch nicht. Entscheidender Maßstab der Regelung ist vielmehr das im konkreten Einzelfall festzustellende Kindeswohl.
b) Die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Umgangsregelung setzt eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (Fortführung des Senatsbeschlusses vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15 – FamRZ 2016, 1439). Dem Kindeswohl entspricht es daher nicht, ein Wechselmodell zu dem Zweck anzuordnen, eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit erst herbeizuführen.
c) Ist das Verhältnis der Eltern erheblich konfliktbelastet, so liegt die auf ein paritätisches Wechselmodell gerichtete Anordnung in der Regel nicht im wohlverstandenen Interesse des Kindes.
d) Das Familiengericht ist im Umgangsverfahren zu einer umfassenden Aufklärung verpflichtet, welche Form des Umgangs dem Kindeswohl am besten entspricht. Dies erfordert grundsätzlich auch die persönliche Anhörung des Kindes (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 15.06.2016 – XII ZB 419/15- FamRZ 2016,1439).
Damit hat also, was schon lange medial verkündet und eingefordert wurde, der hohe Geist verkündet, dass nicht nur, wenn Eltern privat den Wechsel und Tausch vereinbaren, was vorher schon das BVerfG erlaubt hatte, – wobei der Hinweis erlaubt sei, dass dabei eigentlich nichts zu erlauben wäre, dass tatsächlich freie, gleiche, vernünftige Bürger_innen dies in ihrem Privatleben in einer freien Gesellschaft für sich zu bestimmen sich erlauben, wie die freie Gesellschaft ihnen eigentlich immer versprochen hat, und der weitere Hinweis, dass ganz andere Kräfte hier im Spiel sind – sondern auch bei Nicht-Übereinkunft der Eltern das paritätische Wechselmodell, also die Doppelresidenz, angeordnet werden kann. Der Weg zur Anordnung ist frei, auch zur gesetzlichen Anordnung.
Es zeigt sich nämlich hier die „andere wesentliche hoheitliche politische“ Kraft im staatlichen Regelwerk bürgerlicher Gesellschaft für die dann letztendlich für unfähig und unmündig gehaltenen Bürger_innen, denen die Normen ihres privaten Verhaltens geboten werden sollen, damit das Ordnungsgefüge eben nicht privat bleibt.
Dies zeigt sich in der Resolution der parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg „Equality and shared parental responsibility: the role of fathers“.6
 Wohl bemerkt: Der Europarat ist institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden; er ist aber die älteste originär politische Organisation europäischer Staaten und ein Forum für Debatten über allgemeine europäische Fragen, z.B. mit dem Ziel wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt zu fördern. Alle EU-Mitgliedstaaten sind Mitglieder des Europarats. Die parlamentarische Versammlung ist deshalb zwar nicht mit legislativer Macht ausgestattet, aber sie ist politisch bemächtigt, so in diesem Fall das Wechselmodell als Regelfall zu fordern. „Residenz weicht dem Wechsel“. 
Der Beschluss ist konsequent politisch begründet. Gleich der Titel der Resolution weist den Weg: „Gleichheit und gemeinsame Verantwortung: die Rolle der Väter“.
Mit keinem Wort ist von dem – zwar unbestimmten – Rechtsbegriff des Kindeswohls die Rede. Die Väterrechte sind es also, ich befinde mich im alten Film. Neuer Titel diesmal: „Scheidungskinder sollen zwei zu Hause haben“.
Der Wechsel
Die Durchsetzung des Wechsels vom Residenzmodell weg wird den einzelstaatlichen Parlamenten überlassen. Residenz heißt, dass die Kinder ihren Lebensmittelpunkt in einem Haushalt eines Elternteils haben und der andere Elternteil sein Umgangsrecht ausübt. Belgien ist dem Verlangen nach dem Wechselmodell schon nachgekommen und hat dieses Modell des Wechsels oder Pendelns eilig zum nationalen Regelfall erhoben. 
Brüssel ist nicht allein Hauptstadt Belgiens, sondern die Zentrale der politischen ökonomischen Technokratie Europas. Vielleicht liegt diese Form schon nahe, weil das Europäische Parlament selbst pendelt, zwischen Straßburg und Brüssel? Jedenfalls haben die gleichlautenden Bestrebungen und Maßnahmen dasselbe Ziel und denselben Grund:
Das Ich der Eltern ist in der Europa-Resolution benannt als Gerechtigkeits-Linie für erwachsene Bürger Europas, erfahren in Handel und Tausch und Wechsel. Und dafür steht Belgien, steht Brüssel, wegweisend. Dessen Institutionen dienen als Sprachrohr für die Gestaltung und Verwaltung der Bürgerlichen Familie in Europa. Das Modell des Wechsels dient dem Erhalt dieser bürgerlichen Familie.
Die Städte des jetzigen Belgiens (nicht des Landes Belgien, das es früher ja noch nicht gab) waren die Zentrale des aufkommenden Bürgertums und des Geldhandels, mit den ersten Geld- und Wechselhäusern in Europa, in Gent. Gent war als ehemals größte Stadt in Europa zur Freilassung und Sicherung des „freien“ Handels und Tauschs der florierenden Ich-Gesellschaft prädestiniert, die Geschichte der Renaissance in den Kapitalismus zu überführen, der dann faktisch und allgemein produktiv erst in England aufbrach die Welt zu verändern. Hier – in Europa – hat sich die universelle Geltung des kapitalistischen Tausch- und Wechselprinzips unter Aufrechterhaltung von Eigentums- und Besitzständen herauskristallisiert, was nur möglich war mit der Installierung des bürgerlichen „Ichs“, des bürgerlichen Subjekts. Als eine wohlwollende förderliche gemeinschaftliche solidarische Gesellschaftsgrundlage war dieses bürgerliche Ich gewiss nicht begründet.
Entgegen Karl Marx spielt sich Geschichte nicht immer hinter dem Rücken der Menschen ab, sondern geradewegs vor ihnen. Die Linie der Gerechtigkeit, die der Europarat zieht, verschweigt die Grenzen der Gerechtigkeit und die ungelösten Probleme der Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft.
Die amerikanische Philosophin und Rechtswissenschaftlerin Martha C. Nussbaum7
 beschreibt diese Grenzen, weil „die meisten Gerechtigkeitstheorien der westlichen Tradition weder den von Frauen erhobenen Forderungen nach Gleichheit noch den zahlreichen Hindernissen, die dieser Gleichheit im Wege stehen, die notwendige Beachtung geschenkt haben“, und dies, „weil die klassischen Vertreter der Idee und Tradition des Gesellschaftsvertrages, mit dem die Probleme der Gerechtigkeit gelöst werden sollen, davon ausgingen, dass die Vertragsparteien Männer sind, die in etwa über die gleichen Fähigkeiten verfügen und zu produktiver ökonomischer Tätigkeit in der Lage sind, dementsprechend Frauen (Kinder und alte Menschen) nicht als Teilnehmer der Verhandlungssituation verstanden wurden“, von den „Wilden“, den Afrikanern und Asiaten, ganz abgesehen, die – nach Hegel und Kant – gar nicht Subjekt „Mensch“ sein konnten/können; zumal bei Kant noch deutlich mehr Menschen herausfallen, da die von ihm aufgestellte Bedingung der Unabhängigkeit das Verfügen über Eigentum erfordere“.
Das ist nicht uralte Vergangenheit, sondern bedeutet Wirkung in der Gegenwart, immer noch männlich konnotiert und männlich konstruiert und sie begrenzt die Linie der Gerechtigkeit, die entweder aus privatem Vertrag oder aus staatlicher Verordnung auf Grundlage des Bildes des Gesellschaftsvertrags gezogen wird, der „in vielen Bereichen unsere Wertschätzung verdient und äußerst produktiv ist, sich aber für die zukünftigen Herausforderungen als besonders einschränkend erweist.“8
Die neue Leitkultur
Mit der Ehe für alle entsteht derzeit, mit der gemeinsamen elterlichen Sorge und mit dem Wechselmodell, eine neue Leitkultur für die Gesellschaft. Denn die Ehe für alle bestimmt als leitendes Modell, jenseits von angemessener Gleichheitsherstellung für Vielfalt in der Gesellschaft, jenseits von Gerechtigkeit, Subjekte für die Festlegung auf das Sein als Paar, das familiale staatlich anerkannte und geförderte Konstrukt „Familie“ schlechthin.
In einer Zeit, in der alte Familienstrukturen und Institutionen als Form zusammenbrechen, in der Ehen geschieden und wieder geschlossen werden, greift nun das Allgemeine wiederum als Vermittlung in die Rechte des Paares ein und wiederholt die undifferenzierte substantielle Einheit in der Weise, dass die gescheiterte Familiensubstanz formal reorganisiert wird und zudem noch romantisch verklärt wird, was allerdings nötig ist, um zu verhindern, dass der Blick sich öffnet darauf, dass gerade – für historische Sekunden – erweiterte Rechte von Frauen wieder minimiert werden (wie derzeit mit Hilfe von Rechtstheorie der Rechts-Subjekt-Status für den Embryo konstruiert wird, tatsächlich und rechtlich vordringlich gegen die Frau, deren Mutterschaft verfügbar wird und enteignet).
So können sich Paare, die sich als Eltern zusammentun, im freien Warenverkehr Kinder bei Leihmüttern – derzeit nur im Ausland möglich – kaufen und diese dann später auch im Pendelverkehr unter sich aufteilen oder auch, wenn sie das nicht zu anstrengend für sich finden, in Nestmodellen „parken“.
Geschrieben habe ich vor Jahren über die Subjekt-Konstellation und die Ich- Suche und Ich- Bestimmung und die Differenz bzw. Differenzierung „Frau als Subjekt – Frau als Objekt“- und die Dualität des sozialen Konstrukts im System von Geschlechtern, Klassen, Rassen und über die Notwendigkeit, mit diesem Blick Ursachen und Wirkungen immer zu hinterfragen und die Folgen für Frauen und Kinder zu überdenken; dass Frauen Subjekte sind, wenn sie die patterns des Gefüges von Geschlecht und Arbeit und Gesellschaft akzeptieren, die – nicht nur m.E. – allemal männlich konnotiert sind, nur jeweils anders im jeweiligen Kontext. Geschlecht als gesellschaftliche Struktur wird negiert.9
Die Psychologie als Konzept individueller oder individualistischer Gesellschaft des Bürgers des 20.Jahrhunderts hat im Fortgang dieser Gesellschaft den Alltag inzwischen so zu individualisieren und psychologisieren verstanden, dass jegliche Konzepte zur Herstellung sozialer Gerechtigkeit und zur Bekämpfung von Ungleichheit wehrlos werden und sich in den Leitsätzen der Psychologie zur Elternschaft verflüchtigen, die ideal verallgemeinern mit ihren allgemeinen Konzepten von Vertrag, Konsens, Vernunft, Frei-Handel, übernommen aus dem polit-ökonomischen und eben nicht mehr privaten familialen System. Diese Konzepte sollen diese Gesellschaft jetzt noch stützen, die im zunehmenden Zerfall begriffen ist.
Der Trick dabei besteht nun darin, geschlechterpolitische Fragen in den privaten Bereich abzuschieben. Kommunikation und – ggf. wohlwollender – Austausch (merke das Wort Tausch) werden als einzige Lösungsmodelle für gesellschaftliche Konflikte vorgeschlagen und in den Diskurs bürgerlicher Freiheit verschoben.
Es muss auch nicht mehr anders konnotiert werden, es muss erst recht nicht bezweifelt werden; denn in dieser so verorteten Gesellschaft lernt das Kind zum Wohl dieser Gesellschaft von Beginn an Abhängigkeiten loyal im dualen System zu leben, nunmehr auch im dualen System nach Trennung von privaten Bezugspersonen, womöglich der ersten Bezugspersonen, der Eltern. Zu erlernen sind und erlernt werden: Loyalitätsverhalten einerseits und Flexibilität und Mobilität andererseits.
Paul Mason, der unzweifelhaft kluge britische Ökonom und Journalist, der meint, der Kapitalismus sei längst am Ende (ja wäre das schön!), beschäftigt sich mit dem „Postkapitalismus“, den er im Wesentlichen für ein Verteilungsprojekt hält, in dem schließlich Individualismus und Solidarität triumphieren und kooperieren würden auf der Basis reiner Uneigennützigkeit.10
 Ich bezweifle schon die Richtigkeit seiner Thesen, erlaube mir aber die – nicht unwesentliche – Frage, wie der Weg aus dem gegenwärtigen etatistischen Kochtopf aussehen soll, – die NZZ nannte es die Frage nach dem Weg aus dem gegenwärtigen etatistischen Schlamassel – in dem immer wieder – nicht zufällig – die Gespenster aus der Vergangenheit auftauchen, in den neuen Kleidern der Leitkulturmodelle?
Das Kind als Wechsel
Aber zum Thema: welcher Individualismus wechselt nun im Wechselmodell, wer wechselt jeweils in die Rolle Subjekt-Objekt, in eine jeweils andere Rolle? Es wechselt doch eigentlich nur das Kind, es übt seine Rolle als Spiegel der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, es wird geschoben und verschoben und wird dabei im Glauben gelassen, es handele sich um seine eigene Autonomie, sein eigenes Ich, das nun als flexibler Mensch Subjekt werden soll, wie ich nachfolgend ausführe.
Insbesondere die französischen Strukturalisten und Poststrukturalisten – Soziologen, Philosophen, Psychiater, Anthropologen – haben vor Jahrzehnten – fast vergessen – erkundet, wie die monetären und emotionalen Ströme, Geld und Körper, Psyche, Ökonomie in der bürgerlichen Gesellschaft nicht nur zusammenhängen, sondern inkorporiert sind. Sie verstanden sozusagen, ohne sich ideologisch einzubetonieren, z.B. den Pendelverkehr zwischen Marx und Freud, immer wieder hinweisend auf die Altlasten der Philosophen des deutschen Idealismus, den sie sehr intensiv erforschten.
M.E. hat es immer noch am besten Pierre Bourdieu11
 begriffen, dass die familiären Verhältnisse in unserer Gesellschaft, immer, nicht nur jetzt, auch immer Produktionsverhältnisse und Herrschaftsverhältnisse sind und diese spiegeln, wenn auch alle aufgeklärten, liberalen, vernünftigen, gar autonomen Bürger- oder Antibürger-Eltern dies weit von sich weisen und sich freie Subjekt-Qualität zuweisen.
Die späteren, jetzigen, klugen Soziologen beschäftigen sich mit Flexibilität und Mobilität, dem „flexiblen Menschen“, den sie ganz real beobachten und beschreiben, der längst nicht mehr an einem Platz steht, sondern wechselt, pendelt, im ökonomischen – neoliberalen System, in dem die Familie die kleinen Menschen auf die Arbeit vorbereitet, darin gar nicht grundsätzlich unterschieden von den Menschen früherer Lebensverhältnisse, in denen ebenfalls die Kinder auf ihre Aufgaben und Rollen vorbereitet wurden, zugerichtet wurden, in Familiensystemen, in denen auch Beziehungen vorherrschten, die „von Haus aus“ nach dem System und Bild der Arbeit gestaltet waren, nur anders, zumal entscheidend anders, bis die bürgerliche Familie (noch nicht lange her) öffentlich und privat politisch trennte und Ehe und Familie mit dem Band romantischer Liebe verklärte und Wirklichkeiten ideal neu konstruierte, zum Nutzen der bürgerlichen – männlich konnotierten – Gesellschaft. Heute werden die Bilder und patterns von der Arbeit auf die Familie übertragen, selbst wenn es genau umgekehrt deklariert wird.
Hat Adorno sich von der in der Antike, in Zeiten der Philosophie gebildeten „Lehre vom richtigen Leben“ verabschiedet mit dem Hinweis, dass der Blick auf ein „richtiges Leben“ gar nicht mehr möglich sei angesichts von Herrschaft, Verdinglichung, Entfremdung, sowie durch die universelle Geltung des kapitalistischen Tauschprinzips, so fügt dem die „moderne“ Ökonomie nun das Prinzip des Teilens hinzu, angeblich aus dem gezielten Nutzen der Vielfalt der „sharing economy“, mit dem nach ihrer Ansicht positiven Modell öffentlicher und örtlicher Flexibilität und Mobilität, das angeblich zu einer besseren solidarischen Gesellschaft beitrage.
Die „sharing economy“
Teilen, tauschen, sharing: sharing heißt nicht teilen. Was bedeutet es? Was deutet es an? Die Neigung, das „weite Reich“ der nicht monetären Transaktionen zu übersehen, insbesondere aber zu übersehen, dass diese strukturell ins „monetäre Reich“ inkorporiert sind? „Dieses Reich stehe im Schatten“, sagt der Ethnologe Hans P. Hahn.12
 
In Familien seien emotionale und finanzielle Beziehungen unauflösbar verquickt, sagt die israelische Soziologin Eva Illouz, benannt als Spezialistin für die Paradoxien des Ich und der Emotionen. „Dass Teilen etwas moralisch Besseres ist, steht nicht von vornherein fest“.13
Das Image eines neuen, auf Chancengleichheit, Transparenz und individueller Freiheit beruhenden Wirtschaftens heute macht skeptisch. Gilt das generell? Auch – schon – zwischen den Geschlechtern?
Es gibt „Propheten“ (m.E. falsche Propheten), die glauben, dass neben dem Kapitalismus eine andere demokratische Ökonomie entstehe, in der „Menschheitsfamilie“.14
 Mason und Rifkin sind zu nennen, weil sie den mainstream in der „modernen“, angeblich antikapitalistischen politischen Ökonomie bilden. Sie meinen, teilen sei überlebenswichtig und notwendig, schließlich gebe es Traditionen von gemeinsamem Wohnen, von crowdfunding, sodass Vergangenheit und Zukunft zusammenfließen könnten in einer neuen Gemeinschaftserfahrung. Das wäre sicher schön, wenn es denn so wäre. Worauf andere erwidern, dass „der Kapitalismus märchenanfällig“ sei, und der oben genannte Rifkin erzähle sie, während wieder andere dazu auf das „Gespenst des Kapitalismus“ hinweisen, als Schattenfigur des Märchens.15
Zu nennen sind die neuen Konzepte, die den sharing-Publizisten zur sharing economy einfallen unter dem Aspekt der Solidarität, z.B.:
- Car-sharing, als womöglich zeitweise etwas ökologisch Sinnvolles, um die Autos in den Städten zeitweise zumindest zu verringern, nicht mehr je ein Auto haben zu müssen; wobei es unzweifelhaft sowohl ökonomisch wie ökologisch sinnvoller wäre den öffentlichen Verkehr zu stützen; 
- Uber: womöglich preiswerter als die normalen Eigen-Taxi-Betriebe; 
- Air bnb: preiswerter als ein Hotel oder eine Pension. 
Aber diese angebliche Solidarität hat eine eindeutig ökonomische Grundlage und ein Muster: die Gewinne macht der Eigner nach klarem ökonomischem Gewinn-Kalkül, und ist das Gegenteil einer Kooperation auf der Basis reiner Uneigennützigkeit. Es wird nicht solidarisch oder genossenschaftlich oder gemeinnützig verstreut, sondern „wer sein ungenutztes Zimmer oder Auto vermietet, aktiviert erst sein brachliegendes Eigentum und agitiert wie ein guter alter Kapitalist“, schreibt R. Scheu richtig in der NZZ.16
Ein Rückgriff auf früheren Diskurs sei mir hier erlaubt, um den „Märchen“ zu entkommen und Gegenwart anders zu erkunden und zu verstehen: Die begriffliche Trennung zwischen Besitz und Eigentum ist Ökonomen, aber auch Juristen hinlänglich bekannt. Beides fällt zunehmend auseinander. Wo Eigentum entfällt oder entschwindet, wird Besitz ein förderlicher Faktor, als Besitzindividualismus, zunächst im Waren- und Tauschverkehr, den monetären Beziehungen, sonach in privaten, familialen Beziehungen.
Ich habe früher schon auf C.B. Macphersons Untersuchungen der Probleme einer gesicherten Grundlage für den liberal-demokratischen Staat hingewiesen, wonach er als gemeinsame Voraussetzung einen auf Besitz gegründeten und am Besitz orientierten Individualismus erkennt und davon ausgeht, dass die Gesellschaft nichts anderes sei als eine Reihe von Marktbeziehungen zwischen diesen freien Individuen. Dies scheint mir keineswegs veraltet.17
„Wir machen halbe/halbe“
Im Besitzindividualismus begründet sich das Wechselmodell, in dessen gegenwärtiger Ausprägung des modernen kapitalistischen Systems, in dem mobile flexible Menschen agieren (- sollen). „Die Eltern wechseln die Kinder, die nötigsten Worte und die Autos.“18
 
Alles ist austauschbar und verhandelbar, die Dinge, die Waren, die Partner, die Kinder, die in den Rechtsformen verdinglicht werden und dort einen Preis bekommen, aber ihren Wert verlieren, der ehemals aus ihren sozialen Lebensverhältnissen stammte. So kaufen sich Elternpaare, welcher Art auch immer, Kinder bei Leihmüttern und können sie dann später unter sich aufteilen, im Pendelverkehr oder auch im Nestmodell, dem Modell des einen Standortes der Kinder, eben dem Nest. Alles ist möglich.
Niemand hat m. W. empört auf die kurze Nachricht in den Medien reagiert, dass Nicolas Berggruen, der angeblich soziale moderne Investor und Milliardär, selbst in so hohem Maß mobil und flexibel, dass er nicht in fester Wohnung lebt, sondern nur in Hotels, sich zwei Töchter bei zwei Leihmüttern bestellte und nun „mobiler“ Vater ist ohne Mütter, allerdings mit der Info an die Medien, dass die Kinder an einem Ort wohnen würden, in fester Wohnung. Dann aber wohl Mutter- und Vaterlos „im Nest“, oder?
Hinter diesem radikalen Individualismus erscheinen die alten Gespenster der alten Muster: das Kind gehört mir, jedenfalls den alten Eignern oder / und Besitzern; und was mir gehört, gebe ich nicht her!!! Und das findet sich trefflich in der Sprache wieder: von „Haben“ ist die Rede. „Es ist jedes Mal ein Kampf, das Kind länger zu haben“ schreibt ein Vater, „Wir wollen sie eigentlich beide mehr haben“, und deshalb „haben wir uns dann in der Mitte geeinigt“, sagt eine Mutter, „wir machen halbe/halbe“. Nur, wo, was ist die Mitte und wer wird halbiert? Wie treffen sich Verb und Subjekt? Und wer traut sich noch ein „salomonisches Urteil“ zu fällen, das nicht „halbiert“?
Verborgen bleiben die alten Strukturen, die nur neu verbrämt werden, mit der individualen, individuell gewendeten, Fragestellung, ob „Väter die besseren Mütter sind?“ oder mit der Forderung: „Lasst die Väter ran!“– oder noch klarer: „Väter an die Front“ – weil die Mütter es den Vätern angeblich vorwerfbar schwer machen würden, gehen die Väter an die Front und erklären den Krieg? „Wie die neuen coolen Väter die Mütter abwerten durch Konstruktion von lockerer Männlichkeit“ beschreibt der Autor Jochen König.19
 
Heute wünscht sich ein Drittel der Väter mehr Zeit mit den Kindern verbringen zu können. Ja warum tun sie es denn nur nicht? Können oder wollen Väter nicht in der Arbeitswelt für ihr Recht kämpfen, Vater zu sein, so wie Frauen dafür gekämpft haben, nicht nur Mutter sein zu müssen? An Väter stellt niemand hohe Erwartungen; alle sind froh, wenn sie überhaupt etwas tun.
Ein neues individuelles Wunschprojekt, dem eine ganz alte Geschichte zugrunde liegt, aber das nun erneut gesellschaftlich politisch gewollt ist und von moderner Erziehungspädagogik und Psychologie getragen wird und vorgegeben wird, als neue „Ideologie“ moderner Gesellschaft auf den Pfeilern von Gleichheit und Freiheit.
Bei klarem Blick zeigt sich, dass es der Egoismus der Eltern ist, die ein praktisches, ökonomisch soziales Projekt wählen, konsequent aus elterlichem individuellen und beruflichen Alltag, individuell entlastend für die Eltern, die die Kinder auf die Reise schicken, mit Koffern und Rucksäcken, und damit auch noch den gesellschaftlichen Zweck erfüllen, sozusagen hinter ihrem Rücken, den politischen Zweck, geteilte elterliche Verantwortung, zu schaffen, in der mobilen flexiblen Arbeits- und Lebensweise des modernen Neo-Liberalismus. 
Denn selbst wenn die Elternteile (vorwiegend die Väter) nicht schon beruflich pendeln und örtlich wechseln, so sind sie jedenfalls mittendrin im Arbeitsprozess. Sie brauchen Entlastung. Studien zufolge erreichen einige Pendler zuweilen den gleichen Stresspegel, wie er für Kampfpiloten üblich ist.20
Und wie ist die Aufteilung der Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern tatsächlich? Gerade liegt der zweite Gleichstellungsbericht der Bundesregierung vor, der einmal pro Legislaturperiode veröffentlicht wird. So sollen Sorge- und Erwerbsarbeit zwischen Frauen und Männern gerecht aufgeteilt werden. Der Bericht spricht indes von einem Gender Care Gap von 52,4 % , wonach Frauen im Alter von 34 Jahren durchschnittlich 4 Stunden und 13 Minuten verwenden, um Kinder zu betreuen, Eltern zu pflegen, sich um Nachbarn zu kümmern, während Männer dafür nur 2 Stunden und 36 Minuten „opfern“.21
Die Berichte über die Aufteilung von Elternarbeit, Bezug von Elterngeld, Erziehungsurlaub bezeugen nicht gerade, dass es zwischen den Geschlechtern in unserer Gesellschaft gerecht zugeht. Jedoch fordern Männer offen und vehement Gerechtigkeit, jedenfalls für den Besitz am Kind, aber sie meinen: Gleichheit von Rechten.
Sicher ist: Die Zahl der Familien schwindet. Derzeit leben 48 % der Deutschen in Familien und Ehepaare mit Kindern sind mit 68 % nach wie vor die häufigste Form dieser Kernzelle der Gesellschaft. Egal, ob das Kind gerade erst geboren oder ein/zwei Jahre alt ist: 87 % der Väter arbeiten während des 1. Lebensjahres eines Kindes, während nur 9 % der Frauen in dieser Zeit arbeiten.22
 
Laut einer Studie des Deutschen Jugendinstituts lebten 2014 knapp 95 % der Kinder nach der Trennung der Eltern im Residenzmodell, also leben im Klartext 5 % der Kinder im Wechselmodell, wobei die häufigste Aufteilung dabei 60/40 ist (Mütter/Väter). 87 % der Väter arbeiten Vollzeit, während 72 % der Mütter Teilzeit arbeiten (und damit konsequent in die weibliche Altersarmut gehen).23
Laut einer Studie des Bundesfamilienministeriums haben 19 % der verheirateten Frauen zwischen 30 und 50 Jahren kein eigenes Einkommen, 63 % verdienen weniger als tausend Euro netto im Monat.24
 Jede 3. Ehe wird geschieden, wonach das Prinzip der Eigenverantwortung gilt (seit 2008) und Unterhaltszahlungen nicht (mehr) die Regel sind. „Heiraten bedeutet für Frauen in Deutschland sich klein zu machen“.25
 
37 % der Väter nehmen Elternzeit, zu 75 % für 2 Monate26
 – als ob einzelne Vätermonate irgendeine strukturelle Männerrolle ändern würden, zu der Mut gehören würde, aus alten Rollen und Mustern auszusteigen, – und rechtfertigen dies mit Gründen außerhalb ihrer Person, aus arbeitsbedingten Hindernissen, die unabwendbar seien, d.h. der Faktizität der monetären Beziehungen. Sie jedenfalls haben nicht vor, den Preis der Altersarmut zu tragen. „Nur 9-13 % der Väter sehr kleiner Kinder sind sogenannte neue Väter, bei den Schulkindern sind es dann immerhin 25 bis 30%“, sagt die Psychoanalytikerin Seffke-Krenke im Interview mit dem Spiegel, weil die Mütter dann wieder arbeiten und Partizipation einfordern.27
 Der neue Vater, der seine Kinder wickelt, auch mal zum Arzt geht, die Kinder in die Kita bringt, taucht zwar ständig in den Medien auf, schreibt Bücher und Essays, zeigt sich auch jedenfalls auf der Straße; aber es gibt ihn gar nicht so oft. Er nimmt meist nur die älteren und pflegeleichten Kinder auf, „nicht vier kleine Kinder, von denen eines auch noch einen Hörschaden hat“, sagt sie.
Und seine Weigerung, Untätigkeit oder Unfähigkeit hat nicht nur individuelle Gründe. Nochmals ist der soziologische Rekurs unabdingbar:
Der flexible Mensch in der männlich konnotierten Arbeitsgesellschaft
Der amerikanische, in England und den USA lehrende Soziologe Richard Sennett beobachtet und beschreibt den flexiblen Menschen: Stellenwechsel, häufige Umzüge, Anpassungsfähigkeit, Flexibilität, neue Formen der Zeit, besonders der Arbeitsorganisation, Instabilität als etwas Normales. Bei ihm ist nachzulesen: Heute muss ein junger Amerikaner mit mindestens 2-jährigem Studium damit rechnen, in vierzig (40) Arbeitsjahren wenigstens 11x die Stelle zu wechseln und dabei seine Kenntnisbasis wenigstens 3 x auszutauschen. Im Machtsystem „Flexibilität“ seien die Leute wild auf Veränderungen, je dynamischer der Markt wird. Oder: statt umzuziehen (was eine grundsätzliche mobile Bewegung an einen anderen festen Ort bedeuten würde), nimmt er immer längere Wege zwischen Wohnen und Arbeiten in Kauf, zu neuen Arbeitsplätzen.28
 
59,4 % aller Beschäftigten, das sind 18,4 Millionen in Deutschland pendeln, 8,5 Millionen davon sind täglich mehr als eine Stunde zur Arbeit unterwegs, sie pendeln täglich, sie sind engagiert, mobil, flexibel.29
Der Inbegriff des typischen deutschen Mannes/Vaters (von Ausnahmen selbstverständlich abgesehen, wie immer) ist jedenfalls, selbst wenn er pendelt, vollzeitarbeitend, qualifiziert, ordentlich – jedenfalls ausreichend verdienend, und mit seinem Job eher verheiratet als mit seiner Frau. Er ist gut präpariert für die Abläufe der Industriegesellschaft, die bis ins Innerste der gewerkschaftlichen Organisationen das kapitalistische System glänzend verinnerlicht haben, in dem „Wohlstand“ der überparteiliche Slogan geworden ist und in dem soziale Gerechtigkeit oder gar geschlechterdemokratische Gesellschaftsorganisation immer nachrangig gewesen sind (was auch durch kurze Wahlkampfparolen nicht sichtbarer oder gar glaubwürdiger wird).
Europäische Normierung
Der_die die Resolution 2079/2015 verfasst habende Europäische Parlamentarier_in jedenfalls pendelt zwischen Brüssel oder Straßburg und seinem_ihrem Wohnort oder seiner_ihrer Konzernzentrale oder Filiale und wird als flexible_r Arbeiter_in in die Familie entlassen, um dort auftanken zu können, abgespannt, erholungsreif, damit er_sie engagiert, opferbereit und erholt wieder ans Werk gehen kann, das gesellschaftlich wirkend ist. Ist es da verwunderlich, dass diese Elternteile – vorwiegend Väter – jedenfalls „zu Hause“ ihre Koffer abstellen wollen und ihre Flexibilität nicht auch noch in ihrem familialen Leben fortsetzen wollen? 
Es zeigt sich – öffentlich – die Spaltung zwischen privater und gesellschaftlicher Lage und deren Auftrag – nur nicht für die Gerechtigkeit fordernden Väter, denen dieser Auftrag nicht bewusst wird, wo sie doch ihre Kinder ersatzweise in ständige Bewegung setzen, um selbst jedenfalls ein bisschen verschont zu werden. 
Allerdings machen die Väter sich ständig Gedanken um ihre Kinder; sie haben Wünsche, in ihrem Kopf, in ihrem Herzen; denn der deutsche Idealist denkt und lenkt und fühlt. Üben sie die „hohe Kunst der Asozialität“, wie Peter Sloterdijk es ausdrücken würde, wenn er „die Bürger des Kosmos“ und den „Pendler zwischen Tonne und Weltall“ beschreibt?30
Die erwerbstätige Person, durchweg Mann, in der Industriegesellschaft ist demnach vorrangig flexibler Arbeiterin, Dienstleisterin, Produzentin, Konsumentin, solange ersie Arbeit hat und gibt dies konsequent – und gewünscht, selbst wenn ihmihr dies nicht bewusst ist, – an seine_ihre Kinder weiter, vermeintlich zu deren Wohl, das Kindeswohl genannt wird. 
Auf die Familie übertragen bedeuten diese Werte einer flexiblen Gesellschaft: bleibt in Bewegung, bringt selbst keine Opfer, bewältigt die Angst, die Kontrolle über das Leben zu verlieren.
Bislang fehlen dazu Regeln für ein ethisches persönliches Verhalten, insbesondere auf die Familie bezogen, außer der Regel, dass die Familie unter dem Schutz des Staates steht, grundrechtlich geschützt. Diese Regeln werden jetzt neu gestaltet, zum Schutz der gesellschaftlichen Ordnung, zur Erleichterung der Leben der flexiblen Erwachsenen in dieser Ordnung.
Kinder akzeptieren grundsätzlich Alles, sie halten auch Gewalt aus, wie wir wissen, sie nehmen Mobilität als etwas Natürliches im gesetzten Erziehungsprozess, ihren Bezugspersonen im Muster folgend, loyal und gehorsam und meinen dabei ihrem Gefühl zu folgen. Sie werden zu „Driftern“.31
 Und die Wirkungen?
Gibt es jetzt ein „Zuhause im Plural“? Und: die Pendelkinder: leben sie fast im Himmel oder im Kreidekreis?“ wie Heribert Prantl in der SZ schreibt.32
 
Gerade derzeit ist zu sehen, wie die Kinder fraglos den Eltern, den Müttern, den Vätern, den Verwandten etc. in den Flüchtlingsströmen folgen, in denen derzeit 65 Millionen Menschen in der Welt unterwegs sind und vergebens nach ihrem Wohl suchen. Die Kinder folgen, was sollen sie auch sonst tun? Sie halten viel aus, aber das heißt nicht, dass ihnen das stets auch gut tut. Alternativen und Optionen sind nicht sichtbar bzw. werden nicht gesucht. 
Redet jemand von Kindeswohl?
Endstation Kindeswohl
Das Kindeswohl als Legitimation zur Entlastung der Erwachsenen.
Und nun kommt der unbestimmte Rechtsbegriff „Kindeswohl“ als notwendige Verknüpfung und Verbindung, Aufhebung der Spaltung, ins Spiel. Er soll das Wechselmodell legitimieren und steuern. „Endstation Kindeswohl“.
Wer definiert diesen Begriff? Wer definiert die „wohlverstandenen Interessen des Kindes“? Wer bestimmt die „am wenigsten schädliche Alternative zum Schutz von Wachstum und Entwicklung des Kindes“, die früher als allgemeine Richtlinie galt? Wann waren die Einsichten von Joseph Goldstein, Anna Freud, Albert Solnit, Spiros Simitis u.a. überholt?33
 Welcher Zeitgeist bestimmt, aus wessen Sicht definiert wird?
Wann setzte sich die erwachsenenbezogene Denkweise endgültig durch, die im Europarat eindeutig zum Ausdruck kam und Gleichheit für die Väter verlangt? Eine massgebliche Vertreterin des Wechselmodells, die ständig zitierte Familienrechtlerin Hildegund Sünderhauf-Teaser, Professorin an der evangelischen Hochschule Nürnberg, frühe Vertreterin und mediale Helferin der Väterrechtsbewegung, auch Vortragende beim Europarat zur Beschlussfassung (s.o.) hat angeblich alle Studien zum Wechselmodell und dessen positive „Effekte“ gesichtet, darunter auch „bessere Leistungen“ und geringere Ängstlichkeit der Kinder, auch mehr Loyalität im Verhältnis zu beiden Eltern. Das ist doch gut für die Erwachsenenwelt, wenn die Kinder für die Eltern sorgen. Gerechtigkeit für die Erwachsenen!34
Kerima Kostka hat sich ausführlich mit dem Wechselmodell als Leitmodell befasst und Umgang und Kindeswohl im Spiegel aktueller internationaler Forschung beleuchtet.35
 Sie warnt entschieden vor diesem Hintergrund der Erfahrungen aus dem Ausland vor „gesetzgeberischen Schnellschüssen“ und zitiert die Kinderrechtskommission des Deutschen Familiengerichtstags: „Als Mehrheits- oder gar allgemeines Leitmodell für die Kindessorge bei getrennt lebenden Eltern scheidet das Wechselmodell jedenfalls – bei kindeswohlorientierter Betrachtung – aus“.36
Nur ist auch hier wieder das Problem, dass sich die Katze in den Schwanz beißt. Vorgeblich wird das „Kindeswohl“ als entscheidender Gesichtspunkt der Auseinandersetzung, auch der rechtlichen, benannt, inhaltlich geht es jedoch den Rechtsprechern und Rechtsauslegern – und erst recht der Legislative und deren Vorläufern oder besser Vorkämpfern – darum, die Rechte zweier Elternteile vergleichend in Beziehung zu setzen. Einhellig ist die Tendenz, auch bei den Jugendämtern, vorgebliche Gerechtigkeit und Gleichbehandlung walten zu lassen und zwar zwischen den Eltern. Einhellig ist das Bestreben, Familienkonflikte so wenig wie möglich zu explorieren, geschweige denn einzuschätzen, weil dies womöglich eine Stellungnahme zugunsten des/der Einen oder zu Lasten der/des Anderen herbeiführen müsste. Der unbestimmte Rechtsbegriff Kindeswohl muss herhalten als Klebstoff der Elternrechte, zwischen Freiheits- und Gleichheitsrechten der Erwachsenen.
Dahinter steht die Familienideologie, wiederum als Klebstoff der liberalen radikalen Individualgesellschaft, die sich ihr Kleid vor etwas mehr als zweihundert Jahren genäht hat. Wenn Eltern erreichen können, dass für die Entwicklung der Kinder förderliche frühere Beziehungen in einem Restbestand erhalten bleiben können, gewährleistet, gar verbessert werden können, hat dies zunächst nichts mit einem Familienmodell zu tun, schon gar nicht mit dem der Kleinfamilie. Gerade dies Modell aber ist es, das die Psychologie derzeit wieder ideologisch aufrüstet, – wohl bemerkt in einer Zeit, in der die Zahl der Familien schwindet, die Familie sich auflöst (s.o.), mithilfe der Ideologie der heilen Familie (jedoch ohne die Prüfung, ob diese vorher auch heil war), formal bestehend aus dem Dreiergestirn Vater, Mutter, Kind(er), das über alle Veränderungen hinweg bestehen bleiben soll, nur aktuell angepasst an die Veränderungen der mobilen Gesellschaft, demgemäß die Kinder mobil und flexibel sein sollen, gerüstet für die Anforderungen der modernen Welt.
Insofern hat sich nichts geändert zu meinen früheren Ausführungen zum Kindeswohl und zur Familienideologie.37
Wieder, immer anders, werden Kinder zu Experimentierobjekten, zu „Versuchskaninchen“, wie Kerim Kostka sie nennt,38
 nun in der angeblich modernen individuellen Erziehungspädagogik und Individualpsychologie, der „Alltagspsychologie der neoliberalen Moderne“, wie ich sie nennen möchte, die sich nicht kümmert um Strukturen, die mit Individualkategorien verbrämt werden, die sie selbst wiederum konstruiert, Kopfmodelle aufbaut, die Loyalität gegenüber den Eltern, die die Verknüpfung darstellt, darstellen muss, weil es keinen anderen Ausweg gibt, nicht anders gedacht werden kann; denn das andere Modell, das Residenzmodell, ist oder wird zunehmend obsolet, veraltet, undurchführbar, unaushaltbar für Erwachsene in der Moderne.
Das Doppel-Residenz-Modell, Wechselmodell genannt, ist allein schon kostenintensiv (Vorhalten von allen Bedingungen, in denen und mit denen Kinder im Haushalt des Elternteils leben, Zimmer, Einrichtung, Bekleidung, Spielgeräte etc.) und deshalb nur für Oberschicht bzw. obere Mittelschicht lebbar. Das sogenannte Nestmodell, das den Kindern einen einzigen festen Lebensmittelpunkt in einer Wohnung für sie schafft, zu dem die Elternteile aus ihren je eigenen Haushalten kommen, ist so kostenintensiv, dass es wirklich nur der Oberschicht zu leben möglich ist (siehe Berggruen mit seiner Wohnung für seine Kinder).
Und das Einzel-Residenz-Modell als Nest-Modell, in dem die Kinder in einem Haushalt eines Elternteils leben , in das der andere Elternteil zur Ausübung seines Umgangs kommt, ist nur möglich, wenn tatsächlich nicht feindliche, sondern freundliche, freundschaftlich verbundene Elternteile den zeitweisen Aufenthalt desder abhanden gekommenen anderen Partnersin in seinerihrer Wohnung zulässt, entweder in seinerihrer Abwesenheit oder gar in ihrer seiner Anwesenheit, während derdie andere sich auf den Weg zu den Kindern machen muss, den doppelt beschwerlichen Weg, nachdem er_sie schon so viel pendeln muss im anstrengenden Arbeitsalltag.
Zugegeben, ein schwieriger Weg in Zeiten abnehmender oder verloren gegangener Liebe, nachdem diese, die romantische Liebe, das bürgerliche Ehemodell gestaltet und diese Gestaltung inkorporiert hat, als sei es ein Naturgesetz, das jetzt seine Kraft verliert in Zeiten des schnellen Wechsels familialer Gestaltungen aller Art Patchworkfamilien, Regenbogenfamilien etc. 
Das Wechselmodell in der Patchwork-Familie
Und wie soll sich konkret das Wechselmodell in den Patchwork-Familien gestalten, gar in Regenbogenfamilien, die ggf. aus zwei lesbischen Müttern und einem schwulen leiblichen Vater bestehen, aus zwei schwulen Vätern und zwei lesbischen Müttern, aus zwei schwulen Vätern und einer Mutter, oder in noch anderen Konstellationen leben, in Wohn- oder Hausgemeinschaften, oder nur in der Nähe wohnend, in sogenannten Co-Parenting-Familien?39
Was ist, wenn mehrere Personen sich treffen und auch konkurrieren, weil sie alle Muster und Habitus dieser Gesellschaft in sich tragen und transportieren? Nun kollidieren die neuen Formen jedenfalls mit dem ein-fachen Paar-Modell, dem Familienmodell zweier Subjekte.
Das alte Paar hat sich gewandelt, selbst gewechselt, jede/r einzelne hat womöglich Kinder aus alter Beziehung. Welche Kinder wechseln jetzt in welcher Art und Weise zu welcher Zeit zum alten Elternteil oder zur alten Bezugsperson neuer Form? Wer übernimmt und übergibt zu welchem Zeitpunkt und auf welche Art und Weise die jeweiligen Kinder in fliegendem Wechsel? Welcher Charakter kommt nun diesem Modell zu? Nochmals: „Die Eltern wechseln die Kinder, die nötigsten Worte und die Autos.“40
 
Was bedeutet das für die Kinder? Eine Aussage einer 12-Jährigen in einem hochstreitigen Fall, – und die Fälle, die vor Gericht landen, sind a priori streitig und nicht einverständlich, sonst würden sie privat gelöst – in dem das Wechselmodell von der psychologischen Sachverständigen, Verfahrensbeiständin und Richterin als sinnvolle Lösung betrachtet wird (alle Kinder üben das Wechselmodell, weil das gerecht und gleich ist...): „Ich bin nur froh, wenn ich 18 bin; dann muss ich nicht mehr wechseln, sondern ziehe sofort aus von jedem ,Zuhause‘“. Insoweit gut mobilisiert und anpassungsfähig für die moderne Gesellschaft der sharing economy? 
Wer weiß? Vielleicht gelingt das Experiment doch nicht so wie gedacht? Das wird sich dann erst später, eine Generation später zeigen.
Und denke ich nun an die jetzige Einführung der Ehe für alle, als der Zementierung des bürgerlichen Eheinstituts als Modell für die ganze Gesellschaft, für alle Bürger und Bürgerinnen, in dem ein Modell festgelegt wird auf das Modell von zwei Menschen als einem Paar, in dem der/die Einzelne keinen entsprechend geschützten Platz und Raum hat, wobei für mich allerdings zweifelhaft ist, ob die Frau ihn – bis auf historische Sekunden in der Geschichte – je hatte und hat, finde ich in diesem wertkonservativen Leitkulturmodell noch nicht einmal eine Lösung für die Antwort auf die Fragen nach dem geforderten „Kindeswohl“, geschweige denn die Antwort auf die Fragen nach dem „Wohl“ der Frau, der einzelnen Gestalt des „Paares“. Und ich ahne schon die neuen Forderungen nach „Leihmutterschaft für alle“, womit dann nach kurzer Sichtbarkeit des Subjekts Frau diese/s wieder unsichtbar wird, nach nur einer historischen Sekunde, wie eine Sternschnuppe im All, verglommen.
Allein war sie und ist sie – immer noch – kein Subjekt. Das war und ist sie nur in einer legitimierten Beziehung eines Paares, das im gesellschaftlich anerkannten und gewollten dualen System lebt; jedoch nicht mal in einer nichtehelichen Paarbeziehung, selbst wenn sie Kinder hat, sich aber der bürgerlichen verfassten Form, dem Leitkultur Modell, verweigert, was erst jetzt kenntlich werden wird, wenn das Leitkultur Muster herrschend wird. 
Dass dies neue Ehe-Modell eine antidiskriminierende Bedeutung und Wirkung für Schwule und Lesben hat, ist sicherlich unbestreitbar. Dass es allen Menschen zusteht, auch „stinknormal“ sein zu wollen und sollen, ist es ebenso. Aber ist es wirklich diesen Preis wert?
Unsichtbar – sichtbar – unsichtbar – egalitär – neutralisiert
„Gleichstellungspolitik ist ebenso wie die Mobilität Schmierfett in der kapitalistischen Reproduktion“, schreibt Ulrike Baureithel im Freitag vom 06.07.17 unter dem Titel „Die 68er haben alles erreicht“. „Ehe für alle. Zeit abzutreten. Denn der Kapitalismus hat sich auch die Lesben und Schwulen einverleibt. Mit der Ehe für alle endet der Marsch durch die Institutionen.“ 
„Denn im Jubel geht unter, dass die Ehe erst mal nichts Fortschrittliches ist“.41
 Bourdieu schrieb dazu schon vor langem: „Es sieht in der Tat ganz so aus, als ob die Homosexuellen, die gegen ihren gesellschaftlichen Ausschluss und für das Heraustreten aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit kämpfen mussten, es sich zum Ziel setzten, wieder unsichtbar zu werden, gleichsam neutral und neutralisiert durch die Unterwerfung unter die herrschende Norm. Und so sieht denn auch ein Realismus, der diesem Ziel näher kommen will, im Ehevertrag den Preis, der für die „Rückkehr in geordnete Bahnen“ und die Erlangung des Anrechts auf die unsichtbare Sichtbarkeit des braven Soldaten, Bürgers oder Ehegatten und eines minimalen Teils der normalerweise jedem Vollmitglied der Gemeinschaft zustehenden Rechte (wie das Erbrecht) zu zahlen ist.“42
Die Frage Bourdieus bleibt, wie man ohne einen Partikularismus zu universalisieren, dem heuchlerischen Universalismus entgegenwirken kann?
Die moderne Gesellschaft lebt im alten dualen System von Subjekt – Objekt, auch Subjekt – Subjekt, aus Beziehung zu einem anderen Menschen, zur Förderung des Gemeinwesens, zur Förderung des Ablaufs der gesellschaftlichen Produktion, die harmonisch und geregelt ablaufen soll, unter Aufrechterhaltung von Eigentums- und Besitzständen, nicht etwa als förderliche Grundlage für Solidarität. Einzelne Menschen sind nicht vorgesehen, nicht als Frau, als erwachsene Person, nicht als Kind; nicht als „Selbst, das sich nie vollendet, auch in unzusammenhängenden Lebensgeschichten.“43
Die rechtliche Gleichstellung der Frau ist selbst in Mitteleuropa eine junge Errungenschaft – nur eine historische Sekunde alt – und kann womöglich schneller wieder rückgängig gemacht werden, als wir denken; denn sehen können wir es schon allemal: in osteuropäischen Ländern, in amerikanischen Bundesstaaten, die sich wohlfeil auf die Gesellschaftsvertragstheorien beziehen, aber eben auch auf: die göttliche Ordnung. Der neue Film „Die göttliche Ordnung“ über die Einführung des Frauenwahlrechts in der Schweiz zeigt, dass es nicht um Geschlecht geht, sondern um Macht, und pendelt zwischen Komödie und Tragödie; wie in der realen Welt.
Wir bleiben Grenzgängerinnen und Grenzfiguren, leben immer noch „mit beiden Beinen fest in der Luft“, aber unsere fortwährenden Rechtskämpfe können und sollen dazu beitragen, Boden unter den Füßen zu gewinnen, immer die Rolltreppe rauf und wieder runter.44
- Vgl. Jutta Bahr-Jendges: Männlichkeit und Moderne, Die scheinbare Gleichheit, Die Wende zum Vaterrecht, in: Weiblichkeit in der Moderne; edition diskord, Tübingen 1986; dieselbe: Gemeinsames Sorgerecht nach Trennung und Scheidung, STREIT 83, S.15-19; dies.: Was heißt hier Liebe?, STREIT 99, S. 155-160; Vgl. u.a., Sibylla Flügge: Von väterlicher Gewalt und elterlicher Sorge – eine Gesetzesdokumentation, STREIT, 83, S. 20 ff.; dies.: Kein gemeinsames Sorgerecht ohne Ehe, STREIT 83,24 ff. ↩
- Jutta Bahr-Jendges: Grenzgänge, Der feministische Blick in Rechtstheorie und -praxis in: Marlis Krüger (Hg.): Was heißt hier eigentlich feministisch. Zur theoretischen Diskussion in den Geistes- und Sozialwissenschaften, Donat Verlag, Bremen 1993, S.267 ff. ↩
- Jutta Bahr-Jendges: Grenzgänge, ebd. S 269, mit Hinweis auf G.W.F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, S. 149 ff, Felix Meiner Verlag Hamburg 1955. ↩
- Eine Auflistung der Rechtsprechung hierzu findet sich u.a. in dem Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.06.2015; 1 BvR 486/14, in : STREIT 2015, S. 127 ff., der hinzuzufügen wären z.B. OLG Sachsen-Anhalt v. 23.09.14, 8 UF 146/13 u. v. 08.08.14 UF 152/14; OLG Koblenz v. 21.01.12, 11 UF 251/09; OLG Hamm v. 16.01.12, 2 UF 211/11; OLG Saarbrücken v. 13.10.14, 6 UF 93/14. ↩
- BGH Beschluss vom 01.02.2017, XII ZB 601/15 zu OLG Nürnberg. ↩
- Council of Europe /Conseil de l´Europe vom 02.10.2015 Resolution Nr. 2079 (2015.), Download unter: http://assembly.coe.int/. ↩
- Martha C. Nussbaum, Die Grenzen der Gerechtigkeit, Suhrkamp 2010 ↩
- Martha C. Nussbaum, a.a.O. ↩
- Jutta Bahr-Jendges: Frau als Subjekt?- Frau als Objekt?- Frau?, in STREIT 2003, S. 63-65. ↩
- Paul Mason: Postkapitalismus, Grundrisse einer kommenden Ökonomie, Suhrkamp, Berlin 2016; René Scheu: Paul Mason: Postkapitalismus. Nach dem Kapitalismus ist vor dem Kapitalismus, in NZZ v. 27.04.2016. ↩
- Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft, suhrkamp taschenbuch wissenschaft, 3. Aufl. 2016. ↩
- Zit. nach SZ v. 4./5.6.16: Jens Bisky: sharing heisst nicht teilen ↩
- Zit. nach ebd. ↩
- Paul Mason ebd.; Jeremy Rifkin: Die Null-Grenzkosten-Gesellschaft, 2014. ↩
- Joseph Vogl: Das Gespenst des Kapitals, zitiert in SZ a.a.O. ↩
- A.a.O. (Fn. 10). ↩
- Jutta Bahr-Jendges: Elterliche Sorge – Phänomen einer Kopfgeburt – Privateigentum und Besitz im modernen Patriarchat, in STREIT 2012, S. 13-19, mit Verweis auf C. B. Macpherson: Die politische Theorie des Besitzindividualismus, Suhrkamp, Frankfurt a.M. 1990. ↩
- Ann-Kathrin Eckardt: Kinder auf Zeit – eine Zerreißprobe, in SZ vom 6./7.05.2017. ↩
- Jochen König: Alte Bilder von Männlichkeit. Rollen. Wie die neuen, coolen Väter die Mütter abwerten, in: der Freitag vom 27.10.2016. Wichtige Hinweise und Argumentationshilfen, insbesondere zu den widersprüchlichen Argumenten des Maskulismus sind zu finden in: Robert Claus: Maskulismus, Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und unverhohlenem Frauenhass, Friedrich Ebert Stiftung, Forum Politik und Gesellschaft, Juli 2014. Die Meinung der „Väterfront“ spiegelt sich am klarsten fortlaufend im Magazin „Spiegel“, dessen ehemaliger Autor Matthias Matussek die Debatte maßgeblich angeschoben und geprägt hat. ↩
- Gerhard Matzig: Beam mich nach Hause, Scotty, in: SZ vom 01.08.2017; Zum „Egoismus der Eltern“: Martin Löhnig: „Pendelkinder – Kindeswohl und gleichberechtigte, geteilte elterliche Verantwortung“, in NZF 2016, S. 817; und „Wo bleibt das Wohl der Pendelkinder?“, NJW- Editorial Heft 9/2016, sowie Martin Löhnig: „Kindeswohl statt Eltern-Egoismus“, in TAZ vom 10.05.16. Er rät, die Bibliothek des Europarats solle sich ein Exemplar von Brechts „Kaukasischem Kreidekreis“ anschaffen. ↩
- „Erwerbs- und Sorgearbeit gemeinsam neu gestalten“, Gutachten Sachverständigenkommission für den zweiten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung, 2017, BT-Drs. 18/12840 vom 21.06.2017, S. 38, Download unter www.bmfsfj.de, dazu: taz vom 22.06.17 ↩
- Ulrike Heidenreich/Pia Ratzesberger: Kinder, Kinder, in SZ vom 27.07.2017. ↩
- Zitiert nach „Wochenthema“, in: der Freitag vom 13.07.2017. ↩
- Carolin Würfel: Gegen die Ehe, in DIE ZEIT vom 20.07.2017. ↩
- Ebd. ↩
- Ulrike Unterhofer, Clara Welteke und Katharina Wrohlich: Elterngeld und soziale Normen, DIW Wochenbericht Nr. 34.2017. ↩
- Der Vater, ein Mutter-Imitat, Spiegel-Interview mit der Psychoanalytikerin Inge Seffke-Krenke, in Der Spiegel Nr. 27 vom 01.07.2017. ↩
- Richard Sennett: Der flexible Mensch – Die Kultur des neuen Kapitalismus, Siedler, Berlin 2000, S. 27 f., 38 ff.; ↩
- Gerhard Matzig, a.a.O. Fn. 20; Martin Scheele: Zweitjob: Pendeln, in: SZ vom 17-18.09.2017. ↩
- Peter Sloterdijk, Die hohe Kunst der Asozialität, Spiegel 26/17 , S. 119 f. ↩
- R. Sennett, a.a.O., (Fn. 26), S. 36 f.;79 f.,125. ↩
- Heribert Prantl: Zu Hause im Plural, in SZ v. 12./13.03.2017. ↩
- Joseph Goldstein/Anna Freud/Albert J. Solnit, mit e. Beitr. von Spiros Simitis: Diesseits des Kindeswohls, Suhrkamp 1982; dieselben: Jenseits des Kindeswohls, Suhrkamp 1986; dieselben: Das Wohl des Kindes, Suhrkamp 1988. ↩
- Hildegund Sünderhauf: Wechselmodell: Psychologie-Recht-Praxis. Abwechselnde Kinderbetreuung durch Eltern nach Trennung und Scheidung, Springer, 2013; Vgl. „Der Vater, ein Mutter-Imitat“, a.a.O. (Fn. 25). ↩
- Kerima Kostka, Das Wechselmodell als Leitmodell? Umgang und Kindeswohl im Spiegel aktueller internationaler Forschung, STREIT 2014, S. 147 ff. ↩
- Kinderrechtskommission des DFGT, Das Wechselmodell im deutschen Familienrecht, 01.08.2014, zit. nach Kostka, a.a.O. (Fn. 32). ↩
- Jutta Bahr-Jendges: Männlichkeit und Moderne – Die scheinbare Gleichheit, a.a.O. (Fn. 1). ↩
- Kostka, a.a.O. (Fn. 32). ↩
- Vgl. Johannes Heim: Echtes Wunschbaby, Mama, Mama, Papa – Homosexuell und ein eigenes Kind?, in der Freitag v. 10.08.2017. ↩
- S.o. Fn. 18. ↩
- Kersten Augustin: Wenn jetzt alle dafür sind, kann man auch wieder dagegen sein, in TAZ v. 1./2.07.2017; Johann Schloemann: „Die gemeinsame Veranlagung“, in SZ v.1./2.Juli 2017, S. 15. ↩
- Bourdieu, Die männliche Herrschaft, a.a.O. (Fn. 11), S. 206 f. ↩
- Sennett, a.a.O., (Fn. 26), S. 182. ↩
- Bahr-Jendges: Grenzgänge, a.aO. (Fn. 2), S.282. ↩