STREIT 3/2017

S. 110-111

Jutta Bahr-Jendges: Was heißt hier Liebe? Oder: Was aus der Eherechtsreform geworden ist? Oder: Wie wir uns über die Eherechtsreform geirrt haben?

Aus STREIT 4/1999, S. 155-160, (Auszug)

Die Eherechtsreform vom 14.7.1976, beraten seit 1973, ist in Kraft getreten am 1.7.77. Zwanzig Jahre nach der Bereinigung des Gleichberechtigungsgesetzes (von 1956) durch das BVerfG 1957 mit einer bedeutenden Reform für Frauen, wird 1977 das Eherecht weiter reformiert zur Durchsetzung von Gleichheit.
M.E. ist diese Reform 77 gescheitert. Nach wiederum 20 Jahren ist nach Herstellung formaler Gleichheit eine ungleiche Berechtigung erreicht. Die Kindschaftsrechtsreform 1998 hat dann abschließend für männliche Be-Rechtigung gesorgt. (…)
Hielten wir die Ehereform für eine postpatriarchale Novelle? Ein kohärentes Konzept einer „postpatriarchalen Familie“; ungeachtet dessen, daß Ehe und Familie an und für sich ein Konzept sind für Verhältnisse, die dem Muster von Ehe und Familie gleichen, aus dem sie „gestrickt“ sind, historisch sich begründen? Vergaßen wir, daß familia Haushalt bedeutet und von famulus kommt, was Diener heißt? Hielten wir es für möglich, daß sich patriarchale Strukturen in sich ändern können, gar sich schon geändert haben (…).
Dem Liebeszauber sitzen weiterhin die meisten auf, ob nun im heterosexuellen, lesbischen oder schwulen Ehekonzept. Die Ehe ist nunmehr romantizierte Tradition. Sie bringt allerdings weiterhin Status mit sich. Sie ist ein gesellschaftliches Zeichen des Erwachsenseins (…), das immer neue Autoritätssiegel mit jeder weiteren Ehefrau, und für die immer jüngeren 3., 4., 5. usw. Ehefrauen das Markenzeichen der autorisierten Liebe, die Verfestigung des Liebestraums, auch wenn die Ringe immer schneller wechseln und er immer der „Herr der Ringe“ bleibt. (…)
Nach der langen Vorbemerkung, die dazu anregen soll, daß wir weiterdenken, nach besseren Traditionen für Frauen suchen, nach anderen gesellschaftlichen Möglichkeiten des Erwachsenseins für Frauen, nach Wegen, den alten Mustern zu entkommen, nun zurück zum Thema, Bedeutung und Entwicklung der Eherechtsreform. (…)

Abschaffung des Schuldprinzips
Bis 1977 kamen untreue Männer nicht von der Ehe los, wenn die Frauen die Scheidung verwehrten, und wenn sie loskamen, nicht, ohne angemessen zu zahlen. (…) Ergebnis der Reform war die Gleichstellung der treuen mit den untreuen Ehemännern. (…) Unsere Illusion war zu meinen, mit der Gleichstellung der untreuen und treuen Ehemänner würden auch die untreuen und treuen Ehefrauen gleichgestellt. (…)
Die Illusion endete schon mit dem Unterhaltsrechtreformgesetz 1985, mit der ausdrücklichen Ungleichstellung der treuen mit den untreuen Ehefrauen. Die Reform 1977 beendete den lebenslangen Unterhaltsanspruch und begründete eine nacheheliche Verpflichtung mit Blick auf Eigenständigkeit und Selbstverantwortung (der Frauen) und Eingliederung der Frau in den Erwerbsarbeitsmarkt. Jedoch, das reichte den Männern nicht. (…) Es folgte:

  • Die Ausdehnung des § 1579 BGB auf eheliche Untreue (…)

  • Die zeitliche Befristung (…)

  • 3/7 Quote statt Halbteilung (…)

  • Unzureichende Berücksichtigung von Kinderbetreuungskosten (…)

  • (…)

Nach 20 Jahren „Reform“ stellt sich heraus:
Autonom sind nur die berufstätigen Frauen, insofern sie keinen Unterhalt brauchen, und – in anderer Weise – die Frauen der Arbeiterklasse und des Kleinbürgertums, die keinen Unterhalt erhalten, weil ohnehin nicht zu verteilen ist, und die nicht unterhaltsabhängig sind, wenn auch sozialhilfeabhängig. (Die geschlechtsspezifische Diskriminierung liegt dann versteckt im System des Selbstbehalts).
Eine Familienfrau ohne Erwerbstätigkeit hat keine Autonomie, weder in noch gar nach der Ehe, wenn ihr Unterhalt durch Untreue wie nach altem Recht ausgeschlossen ist (…).
Die Rechtsprechung, die den Ausschluß oder die Begrenzung nachehelicher Unterhaltsansprüche sanktioniert, ist die hohe Schule der kostenlosen Aneignung der Arbeitskraft der Frau. Den höchsten Preis zahlen die Hausfrauen; sie werden arm, insbesondere im Alter. Dies führt auf den Zweck der bürgerlichen Ehe zurück: Die kostenlose Aneignung der Arbeitskraft der Frau (einschließlich der Reproduktion selbst), ist beabsichtigt und geboten im kapitalistischen, patriarchalen System.
Fremd-Dienstleistung gegen Lohn ist teuer. Wird diese Dienstleistung von der geschiedenen Ehefrau erbracht, ist abzuwägen, ob diese Dienstleistung nicht immer noch zu teuer ist und nicht auf andere Art erbracht werden kann. So schnappen sich die Ehemänner zunehmend die Kinder und lassen sie von neuen Gefährtinnen und/oder alten Müttern kostenlos versorgen oder von billigen Fremdarbeiterinnen, anstelle des teureren Ehegattenunterhaltes – sofern sie ihn denn überhaupt zahlen müßten, wenn die Ehefrauen treuen waren als die Ehemänner selbst.
So verschaffen sich Väter großzügige Umgangsrechte, ohne Gegenwert leisten zu müssen, entsprechend ihrer eigenen Marktordnung.
So übernimmt der Mann das Sorgerecht, wenn die Kinder nicht mehr ganz klein und zeitaufwendig sind. Die Sorgerechtsfrage entscheidet sich in bürgerlichen Kreisen auch nach ökonomischem Kalkül; die zweite, jüngere Ehefrau wird im Zuge eigener Kinderproduktion auch die Kinder des Ehemannes versorgen können, ebenso kostenlos und mit viel Liebe. (…)

Fragen zum Nachdenken, zur Diskussion
(…) Zunehmend mehr jedoch werden Frauen sozialhilfebedürftig, die wegen der Billigkeitsklauseln (§ 1579 BGB) und der anderen benachteiligenden Methoden keinen Unterhalt bekommen. Sie sind ohnedies billig für den Ehemann; sie werden jedoch teuer für den Sozialstaat, der sich ohnehin in der Krise befindet.
Können vielleicht Staatskosten reduziert werden, wenn Väter wieder die elterliche Gewalt über ihre Kinder bekommen und sie zu sich holen (…), so daß weniger Sozialhilfe für Frauen/Mütter zu zahlen ist, die dann nämlich arbeiten müssen? Liegt hierin eine versteckte staatliche Verbindung von Unterhaltsrecht und Sorgerecht nach der Kindschaftsrechtsreform, außerhalb der nur ideologischen der Vaterrechtsbewegung?
Hat der Sozialstaat ein Interesse an der neuen Väterlichkeit, durch die ggf. dieser Sozialstaat Kosten spart, weil der weniger Sozialhilfe zahlt?
(…)
Frauen sind von altersher im Patriarchat Grenzgängerinnen, gewohnt, die Räume zu wechseln. Derzeit ist wohl nicht angesagt, Gesetze mit klarer Frauenrechtsposition durchzusetzen oder auch nur durchzuführen. Wenden wir uns nun zu realem Tun, ohne unsere Vorstellungen aufzugeben, versuchen wir nun, im formell gleichen Recht materiell Vertragsgestaltung. Ein Irrtum führt nicht in die Ausweglosigkeit, Versuch macht klug und Grenzgänge machen erfinderisch.