STREIT 3/2017

S. 98

Editorial STREIT 3/2017

Das Wechselmodell als neues Familienideal verweist auf die Notwendigkeit, Kinder unter heutigen ökonomischen Bedingungen schon frühzeitig an ständige Wechsel ihres Lebensmittelpunkts und ihrer Hauptbezugspersonen zu gewöhnen. Jutta Bahr-Jendges reflektiert diesen kulturellen Wandel auf dem Hintergrund ihrer jahrzehntelangen Erfahrungen als anwaltliche Vertreterin von Frauen vor den Familiengerichten. Sie analysiert, wie vermeintlich fortschrittliche und geschlechterparitätische Entwicklungen letztlich als Variationen auf alte patriarchale Muster und Ideale interpretiert werden können. Schon in einem Artikel aus dem Jahr 1999, dem Jahr der Einführung des „gemeinsamen Sorgerechts als Regelfall“, den wir „aus dem Archiv“ dokumentieren, resümierte Jutta Bahr-Jendges, dass Frauen sich angesichts der großen Familienrechtsreform von 1977 zu früh über die Realisierung der rechtlichen Gleichberechtigung in der Familie gefreut hatten.
Der neue Wirtschaftszweig der „medizinisch assistierten Reproduktion“ lässt sich u.a. auch als Ausdruck einer durch „just in time“-Lieferketten und global vernetzte „Sharing“-Angebote geprägten Ökonomie interpretieren, in deren Rahmen „Leihmütter“ als „Schwangerschaftsausträgerin ihre Gebärmutter zum Austragen von Embryonen für die Antragsteller zur Verfügung“ stellen – wie es im Urteil des OLG Braunschweig nachzulesen ist. Aus diesem Urteil wird deutlich, wie sehr der Kampf gegen Leihmutterschaft bereits in die Defensive geraten ist. Immerhin kann sich das OLG auf ein neues Urteil des EGMR beziehen, der unter vorsichtiger Abkehr von seiner bisherigen Rechtsprechung hervorhebt, dass es legitime menschenrechtliche Gründe für ein Verbot von Leihmutterschaften gibt und dass die Zuordnung des Kindes zu den Bestelleltern jedenfalls dann verweigert werden kann, wenn keine genetische Verwandtschaft besteht und dem Kind nicht unverhältnismäßig geschadet wird.

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