STREIT 3/2017

S. 134-139

ArbG Düsseldorf, Art. 33 Abs. 2 GG, § 38 Abs. 4 Satz 1 HochschulG NRW

Diskriminierende Auswahl im Berufungsverfahren

Während des laufenden Auswahlverfahrens bleibt das mit einer Stellenausschreibung verbundene Anforderungsprofil verbindlich.
Eine Verengung des Bewerberkreises nach den Probevorlesungen und vor Einholung der Gutachten kann nur dann mit der Ungeeignetheit eines Kandidaten begründet werden, wenn im Laufe des Verfahrens Tatsachen bekannt werden, die eine positive Begutachtung ausschließen. Ansonsten würde die eigentliche Auswahl­entscheidung vorweggenommen, ohne dass alle Bewertungsgrundlagen, insbesondere die einzuholenden Gutachten, zur Verfügung stünden.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des ArbG Düsseldorf vom 16.12.2016, 14 Ga 77/16

Tenor:
Der Verfügungsbeklagten wird aufgegeben, die Besetzung der im Institut für Rechtsmedizin aus dem Gender­Programm des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung finanzierte W2-Professur für Gendersensible Gewaltpräventionsforschung unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000 für jeden Fall der Zuwiderhandlung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.

Aus dem Tatbestand:
Die Parteien streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes über einen Anspruch der Verfügungsklägerin darauf, die Besetzung einer Stelle, auf die sie sich beworben hat, durch die Verfügungsbeklagte mit einem anderen Bewerber zu unterlassen.
Die Verfügungsklägerin (i.F.: Klägerin) bewarb sich mit Schreiben vom 24.01.2016 auf eine von der Verfügungsbeklagten (i.F.: Beklagte) am 11.12.2015 ausgeschriebene Stelle einer „W2-Professur für Gendersensible Gewaltpräventionsforschung“. Nach Maßgabe der Stellenausschreibung verlangte die Beklagte von eventuellen Bewerbern insbesondere folgendes:
„An der Medizinischen Fakultät der U. ist im Institut für Rechtsmedizin (Direktorin Z.) zum nächstmöglichen Zeitpunkt eine aus dem Genderprogramm des Ministeriums für Innovation, Wissenschaft und Forschung finanzierte W2-Professur für Gender­sensible Gewaltpräventionsforschung […] zu besetzen. Die Ausschreibung richtet sich an Persönlichkeiten, die in der Gender- und Gewaltforschung international ausgewiesen sind. Die Bewerberin/der Bewerber soll zudem auch mit der Theorie- und Methodenbildung in der Präventions- und Versorgungsforschung vertraut sein. Die Professur gehört zum Netzwerk N – eine Mitarbeit ist erwünscht. […] Voraussetzungen für eine Bewerbung sind Publikationen in international anerkannten Fachzeitschriften sowie die erfolgreiche Einwerbung kompetitiver Drittmittel. […] Eine Zusammenarbeit mit Kliniken, klinisch-theoretischen Instituten, dem Centre for Health and Society (chs) und dem „Netzwerk Versorgungsforschung“ der Medizinischen Fakultät sowie den weiteren Forschungsverbünden der Medizinischen Fakultät und der Universität […] wird erwartet, ebenso eine Beteiligung an kooperativen Projekten mit dem Leibniz-Institut für umweltmedizinische Forschung (IUF), dem Deutschen Diabetes Zentrum Düsseldorf (DDZ) und dem Forschungszentrum Jülich. Ein hohes Engagement in der Lehre sowie in der Weiterentwicklung des Modellstudiengangs Humanmedizin wird vorausgesetzt. Darüber hinaus sind Erfahrungen im Management von wissenschaftlichen Organisationseinheiten sowie in der Personalführung erforderlich. […]“
Die Stellenausschreibung beruht auf dem Kriterienkatalog der Sitzung der Strukturkommission „W2-Professur für Gendersensible Gewaltpräventionsforschung“ vom 12.10.2015, wonach – auch ausweislich des diesbezüglichen Sitzungsprotokolls (BI. 173 ff. d.A.) – die Bewerber u.a. folgende Kriterien obligatorisch oder wünschenswert erfüllen sollten:

  • „Internationale Ausgewiesenheit in der Gender- und Gewaltforschung (obligat) […]

  • Publikationen in international anerkannten Fachzeitschriften (obligat) […]

  • Entwicklungspotential des eigenen Forschungsgebietes am Standort, Anknüpfungsmöglichkeiten insbesondere zum Netzwerk Versorgungsforschung (obligat) […]“

Gemäß § 38 Abs. 4 Satz 1 Hochschulgesetz Nordrhein-Westfalen (HG NRW) regelt die jeweilige Hochschule das Berufungsverfahren für die Besetzung der Stellen für Hochschullehrer und -lehrerinnen. Die Beklagte hat sich hierzu die Berufungsordnung vom 09.11.2011 (BI. 66 ff. d.A.) (i.F.: BO) gegeben, die sich zu dem Auswahlverfahren für die Berufung zum Hochschullehrer insbesondere wie folgt verhält:
„§ 19: Auswahlverfahren
[...] (2) Gegenstand des Auswahlverfahrens sind: ein öffentlicher Probevortrag, ein nicht-öffentliches Kommissionsgespräch, ein den Aufgaben der zu besetzenden Stelle in der Lehre angemessener Nachweis der pädagogischen Befähigung gem. § 36 Abs. 1 Nr. 2 HG. [...]
§ 20: Auswahl zur Begutachtung
Die Berufungskommission erstellt einen Vorschlag zur Begutachtung. Die Berufungskommission kann dabei als Ergebnis der Vorstellungen eine weitere Einengung des Kreises der Bewerber/innen vornehmen. […]
§ 22: Berufungsvorschlag und Bericht
(1) Als Ergebnis des Auswahlverfahrens erstellt die Berufungskommission unter Berücksichtigung der Gutachten einen begründeten Berufungsvorschlag, der drei Einzelvorschläge in bestimmter Reihenfolge enthalten soll. In begründeten Fällen kann der Berufungsvorschlag weniger als drei oder bis zu fünf Einzelvorschläge enthalten. […]“

Auf die Ausschreibung hin meldeten sich sechs Bewerber. […] Die Klägerin sowie die weiteren Bewerber X und Y wurden für das weitere Auswahlverfahren zugelassen. […] Am 14.04.2016 fanden Bewerbungsgespräche mit den Bewerbern statt. […] Am gleichen Tag hielten die Bewerber einen Vortrag und eine Probevorlesung. Die Vorlesung der Klägerin wurde durch die Professorenschaft mit „gut“ und durch die Studentenvertreter mit „sehr gut“ bewertet. Die Leistungen des X beurteilten die Professoren als „gut“, die Studenten als „gut bis befriedigend“.
In einer Beratung am 29.06.2016 entschied die Berufungskommission, auch ausweislich des diesbezüglichen Berichts vom gleichen Tag, dass nur der Bewerber X für die ausgeschriebene Stelle geeignet sei. Die Gleichstellungsbeauftragte schloss sich dieser Entscheidung unter dem 06.06.2016 an. Auch die Studentenschaft votierte unter dem 10.06.2016 für diesen Vorschlag. Für den danach einzig verbliebenen Bewerber X wurden sodann unter dem 18.05.2016 und 24.05.2016 Gutachten erstellt, die seine Eignung für die ausgeschriebene Stelle bestätigten.
Mit Schreiben vom 16.11.2016 (BI. 56 dA) teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass ihre Bewerbung nicht berücksichtigt worden sei. Hierauf beantragte die Klägerin mit E-Mail vom 25.11.2016 Einsicht in die Akten des Bewerbungsverfahrens, die ihr bislang nicht gewährt wurde.

Mit ihrem am 28.11.2016 bei dem Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen Antrag begehrt die Klägerin, dass die Stelle einer W2-Professur für Gendersensible Gewaltpräventionsforschung bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren nicht besetzt wird.
Die Klägerin behauptet, dass sie für die ausgeschriebene Stelle besser geeignet sei als der ausgewählte Bewerber X. Im Gegensatz zu ihr sei er keine in der Gender-und Gewaltforschung international ausgewiesene Persönlichkeit, habe im Gegensatz zu ihr keine oder eine allenfalls geringe Erfahrung im Management von wissenschaftlichen Organisationseinheiten und der Personalführung, habe keine oder kaum Erfahrungen in der universitären Lehre und könne keine habilitationsadäquaten Leistungen vorweisen. Er habe anders als sie nicht eigenständig Drittmittel in Millionenhöhe eingeworben und sei nicht in der Genderforschung vernetzt. Soweit er Publikationen in international anerkannten Fachzeitschriften vorweisen könne, bezögen sich diese weitgehend nicht auf den Themenbereich der ausgeschriebenen Professur.
Die Klägerin meint, die von der Beklagten aufgestellte Einer-Liste mit nur einem zu begutachtenden Kandidaten widerspreche den Vorgaben des HG NRW sowie der BO. […]

Die Beklagte meint, dem Erfolg des Antrags stehe es schon entgegen, dass die Klägerin noch keine Hauptsache anhängig gemacht habe. Die Beklagte trägt des Weiteren vor, die maßgeblichen Kriterien zur Auswahl der Bewerber sowie die Gewichtung der Kriterien seien verbindlich durch die Berufungskommission festgelegt worden. Die Stellenausschreibung gebe demgegenüber nur ein allgemeines Anforderungsprofil wieder, um das Interesse möglichst vieler Bewerber zu wecken. Die Klägerin sei trotz wissenschaftlich schwacher Leistungen zunächst zur Probevorlesung bzw. zum Bewerbungsgespräch eingeladen worden, da sie im Thema Gender- und Gewaltforschung international sichtbar sei.
Die Beklagte behauptet, im Gegensatz zum Vortrag des X habe der Vortrag der Klägerin weniger überzeugt. X habe sowohl im Rahmen des gehaltenen Vortrags als auch im Rahmen des Bewerbungsgesprächs vor allem durch seine Bezüge zum Düsseldorfer Forschungsumfeld und konkrete Vorstellungen zu Lehrveranstaltungen überzeugt. […] Insbesondere verfüge er über eine umfangreichere wissenschaftliche Publikationsleistung und habe einen hohen sogenannten „h-Index“ von 15, weil seine Publikationen häufig in anderen Veröffentlichungen zitiert worden seien. Er könne eine erhebliche Anzahl von nationalen und internationalen Publikationen nachweisen. Zudem sei er mit einem Wissenschaftspreis ausgezeichnet worden. […]
Gegen die Klägerin habe auch gesprochen, dass sie das Forschungskonzept in Düsseldorf im Bewerbungsgespräch nicht klar dargestellt habe. […] Die Kommission habe auch eine fundierte wissenschaftliche Expertise als Grundvoraussetzung der Professur vermisst. Die von der Kommission aufgestellten Kriterien habe die Klägerin nicht zu deren Überzeugung erfüllt. Die Klägerin sei daher objektiv für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet gewesen. […] Die Erstellung einer Einer-Liste sei in §§ 20, 22 BO vorgesehen. Eine Begutachtung der anderen Kandidaten wäre nicht zielführend gewesen, da bereits die Grundvoraussetzungen nicht mit dem Anforderungsprofil übereingestimmt hätten. […]
Letztlich meint die Beklagte, es liege kein Verfügungsgrund vor. Der Ruf sei noch nicht erteilt worden, die Ernennung des X stehe nicht unmittelbar bevor.

Aus den Entscheidungsgründen:
I. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zulässig.
1.) Der Zulässigkeit des Antrags steht nicht entgegen, dass ein Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig gemacht worden ist. […] Die Beklagte hat die Möglichkeit, die Klägerin gemäß § 926 Abs. 1 ZPO dazu zu zwingen, ein entsprechendes Hauptsacheverfahren binnen einer bestimmten Frist anhängig zu machen, so dass sie Rechtssicherheit über den Zeitpunkt erlangte, bis zu dem die einstweilige Verfügung Wirkung hat (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 24.09.2009 – 10 SaGa 9/09). Von dieser Möglichkeit hat die Beklagte bislang nicht Gebrauch gemacht.

II. Der Antrag ist nach Maßgabe der §§ 935, 940 ZPO i.V.m. § 62 Abs. 2 ArbGG begründet.
1.) Die Klägerin hat gemäß Art. 33 Abs. 2 GG Anspruch auf Teilnahme an dem Bewerbungsverfahren für die noch zu besetzende Stelle einer W2- Professur für Gendersensible Gewaltpräventionsforschung; der Beklagten war daher aufzugeben, die Besetzung der Stelle bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren zu unterlassen.
a) Art. 33 Abs. 2 GG ist auf das streitgegenständliche Auswahlverfahren anwendbar. Gemäß Art. 33 Abs. 2 GG hat jeder Deutsche nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt. Jede Bewerbung muss nach diesen Kriterien beurteilt werden. […]
b.) Die von der Beklagten getroffene Entscheidung, die Klägerin gemäß § 38 Abs. 4 Satz 1 HG NRW i.V.m. § 20 Satz 2 BO vom Auswahlverfahren auszuschließen, widerspricht dem Leistungsgrundsatz des Art. 33 Abs. 2 GG.
aa) Der sich aus Art. 33 Abs. 2 GG ergebende Anspruch eines Bewerbers auf ermessens- und beurteilungsfehlerfreie Entscheidung über seine Bewerbung beinhaltet auch das Recht des Bewerbers auf eine faire, chancengleiche Behandlung seiner Bewerbung (OVG Sachsen-Anhalt 19.12.1996 – 8 3 S 193/96). Etwaige Fehler im Bewerbungsverfahren – wie etwa ein fehlerhaftes Anforderungsprofil – führen zur Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens, weil die Auswahlerwägungen dann auf sachfremden, nicht am Leistungsgrundsatz orientierten Gesichtspunkten beruhen (vgl. BVerfG 25.11.2011 – 2 BvR 2305/11, aaO.; BVerwG 20.06.2013 – 2 VR 1.13, BVerwGE 147, 20; SAG 06.05.2014 – 9 AZR 724/12, aaO.).

bb) Gemäß § 38 Abs. 4 Satz 1 HG NRW bestimmt sich das Berufungsverfahren nach einer von der jeweiligen Hochschule zu erlassenden Berufungsordnung. Nach § 20 Satz 1 80 erstellt die Berufungskommission, nachdem die Bewerber gemäß § 19 Abs. 2 BO einen öffentlichen Probevortrag gehalten und mit der Berufungskommission ein nicht-öffentliches Gespräch geführt haben, einen Vorschlag zur Begutachtung. […] Die Entscheidung über die Auswahl unter mehreren Bewerbern steht insoweit im pflichtgemäßen Ermessen des Dienstherrn (vgl. Sächsisches OVG 16.09.2011 – 2 B 147/11, LKV2011, 561; OVG Sachsen-Anhalt 26.10.2010 – 1 M 125/10).
cc) Die Entscheidung der Beklagten, den Bewerberkreis gemäß § 20 auf einen Bewerber zu verengen und die Klägerin aus ihm auszuschließen, ist ermessensfehlerhaft und führt zur Fehlerhaftigkeit des Bewerbungsverfahrens. […]
(1) Die im Rahmen der Ermessensentscheidung ebenfalls vorzunehmende Beurteilung von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung ist allerdings ein Akt wertender Erkenntnis, bei dem der Ernennungsbehörde durch Art. 33 Abs. 2 GG ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist (OVG Sachsen-Anhalt 26.10.2010 – 1 M 125/10). Auf die von der Beklagten in Anspruch genommene Wissenschaftsfreiheit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) kommt es im Rahmen des Auswahlverfahrens dagegen nicht an. Die Auswahl­entscheidung und das Auswahlverfahren nach Art. 33 Abs. 2 GG sind kein Ausdruck der Wissenschaftsfreiheit. Daher kommt der Beklagten – über den ihr schon durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährten Beurteilungsspielraum hinaus – kein weiteres Ermessen oder weiterer Beurteilungsspielraum zu, weil die Auswahl­entscheidung von Hochschullehrern getroffen wird.
Die Gerichte sind bei der Überprüfung der Besetzungsentscheidung jedoch darauf beschränkt, die Einhaltung der Grenzen des Beurteilungsspielraums zu kontrollieren, nämlich ob der Dienstherr den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen der Beurteilungsermächtigung verkannt hat, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, allgemein gültige Bewertungsmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt hat (vgl. OVG Sachsen-Anhalt 26.10.2010 – 1 M 125/10).
Wird das subjektive Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG durch eine fehlerhafte Auswahlentscheidung des Dienstherrn verletzt, kann der unterlegene Bewerber eine erneute Entscheidung über seine Bewerbung zumindest dann beanspruchen, wenn seine Aussichten, beim zweiten Mal ausgewählt zu werden, offen sind, d.h. wenn seine Auswahl möglich erscheint (­BVerfG 24.09.2002 – 2 BvR 857/02, NVwZ 2003, 200; OVG Sachsen-Anhalt 26.10.2010-1 M 125/10).

(2) Für eine Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO kann nur in engen Grenzen auf die Ungeeignetheit eines Kandidaten abgestellt werden. […]
b) Tatsächlich geht es bei der Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO um eine Vorauswahl. Diese Vorauswahl, die nach § 20 Satz 2 BO grundsätzlich zulässig ist, kann nur in engen Grenzen auf den Ausschlussgrund der Ungeeignetheit zurückgeführt werden. Ansonsten würden die Grenzen zwischen der eigentlichen Auswahlentscheidung nach Begutachtung und der nach § 20 Satz 2 BO möglichen und zulässigen Verengung des Bewerberkreises verwischt. Denn grundsätzlich kann der Dienstherr erst wenn alle Beurteilungskriterien vorhanden sind – also sowohl Vortrag und Probevorlesung, Gespräch wie auch Begutachtung – unter den grundsätzlich geeigneten, weil zum Bewerbungsverfahren zugelassenen, Kandidaten eine aussagekräftige Entscheidung treffen, die alle Aspekte der jeweiligen Person an sich sowie im Vergleich zu den Mitbewerbern berücksichtigt und das Recht auf eine chancengleiche Bewerbung wahrt.
Die Beklagte übt daher ihr pflichtgemäßes Ermessen im Rahmen der Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO nur zutreffend aus, wenn sich bereits im Verlauf des Bewerbungsverfahrens herausstellt, dass der ausgeschiedene Bewerber für die offene Stelle ungeeignet ist und eine Begutachtung kein anderes Ergebnis versprechen würde. Dagegen können bloße Zweifel an der Geeignetheit die Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO nicht rechtfertigen.
(aa) Die Ungeeignetheit eines Bewerbers kann sich zunächst aus dem jeweiligen Bewerber heraus selbst ergeben. […] Es muss sich um einen bisher nicht erkannten Umstand handeln, weil der Bewerber mit den bekannten Qualifikationen zum Bewerbungsverfahren zugelassen wurde und daher aus Sicht des Dienstherrn grundsätzlich geeignet ist. Die Begutachtung darf von vornherein keinen Erfolg versprechen, weil andernfalls einer der Beurteilungsgrundlagen – hier: dem Bewerbungsgespräch bzw. der Qualifikation – ein Vorrang eingeräumt würde. Dies ist aber weder vom Gesetz noch von der BO gewollt. Die Berufungsentscheidung soll grundsätzlich nach Maßgabe aller Beurteilungsgrundlagen – Bewerbung/Qualifikation, Gespräch, Vortrag, Vorlesung und Begutachtung – erfolgen. […]

(bb) Aus einem Vergleich mit einem anderen Bewerber oder dem ausgewählten Bewerber kann sich die Ungeeignetheit des Bewerbers nur ausnahmsweise ergeben, denn der Vergleich ist Grundlage der letztlich zu treffenden Auswahlentscheidung und deshalb grundsätzlich nicht des Vorausschlusses. Ansonsten würde die eigentliche Auswahlentscheidung vorweggenommen, ohne dass alle Bewertungsgrundlagen, insbesondere die einzuholenden Gutachten, zur Verfügung stünden. […]
Da die BO wie in § 38 Abs. 3 Satz 1 HG NRW – grundsätzlich von einer Dreier-Liste ausgeht, muss die Einer-Liste der begründete Ausnahmefall bleiben. Von einem solchen Ausnahmefall kann nicht schon dann ausgegangen werden, wenn die Bewerber nicht die gleiche Qualifikation vorweisen können oder keine vergleichbare Leistung im persönlichen Gespräch erbracht haben. Dies dürfte vielmehr der Regelfall sein, da Bewerber selten die gleichen Qualifikationen mitbringen oder in einem individuellen Gespräch ähnliche Leistungen erbringen. Dass die Bewerber nicht die gleiche Qualifikation mitbringen, ist im Übrigen sogar von der Stellenausschreibung der Beklagten intendiert. Diese gibt auch nach dem Vortrag der Beklagten nur ein allgemeines Anforderungsprofil wieder, um das Interesse möglichst vieler Bewerber zu wecken.

(3) Die Beklagte hat nicht nachgewiesen, dass die Klägerin für die ausgeschriebene Stelle nicht geeignet ist. Die Beklagte ist von sachfremden Erwägungen ausgegangen und hat den gesetzlichen Rahmen der Beurteilungsermächtigung verkannt. Ihre Vorauswahl nach § 20 Satz 2 BO entsprach nicht pflichtgemäßem Ermessen.
Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass die Klägerin einen niedrigen h­-Wert habe, während der h-Wert des Herrn X hoch sei, bzw. dass die Klägerin nur eine äußerst limitierte wissenschaftliche Leistung in Form von Publikationen oder „fundierter wissenschaftlicher Expertise als Grundvoraussetzung der Professur“ vorweise, kann dies die Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO nicht begründen.
(aa) Hierbei handelt es sich um Aspekte, die bereits bei Zulassung der Klägerin zum Bewerberkreis bekannt waren. Die Beklagte hat die Klägerin dennoch zum Bewerbungsverfahren zugelassen und damit als grundsätzlich geeignet eingestuft. Der Ausschluss der Klägerin vom Bewerbungsverfahren kann daher nach Maßgabe der obigen Grundsätze unter II. 1. b. cc. (2) (b) (aa) der Gründe nicht mit diesem Umstand begründet werden.
(bb) Im Übrigen sind diese Aspekte nach Maßgabe der Ausführungen unter II. 1. b. cc. (2) (b) (bb) der Gründe auch deshalb nicht zum Ausschluss der Klägerin aus dem Bewerberkreis geeignet, weil ein Vergleich nur im Ausnahmefall Grundlage der Verengung des Bewerberkreises nach § 20 Satz 2 BO sein kann. Dieser Ausnahmefall ist nicht erkennbar. Für die Einhaltung des ihr überlassenen pflichtgemäßen Ermessens ist die Beklagte darlegungs- und beweispflichtig.
Dass die Klägerin […] weniger zitiert wurde als Herr X, macht sie für die ausgeschriebene Stelle nicht in einem solch hohen Maße ungeeignet, dass dies ihren Ausschluss aus dem Bewerberkreis ohne Begutachtung rechtfertigte. […] Letztlich ist X nicht der offensichtlich einzig geeignete Kandidat. Eine Ermessensreduzierung auf Null (vgl. insoweit BAG 12.10.2010 – 9 AZR 554/09, NZA-RR 2011, 216) hat nicht stattgefunden. Nach dem von der Beklagten vorgelegten Gutachten vom 24.05.2016, wonach er die Kriterien nicht „vollumfänglich erfüllt“, und nach ihrem eigenen Vortrag, erfüllt X nicht alle Kriterien des Anforderungsprofils. […] Dies hat aber nicht zu seinem Ausschluss aus dem Bewerbungsverfahren geführt.
(b) Aus dem gleichen Grund kann die Beklagte die Verengung des Bewerberkreises nicht damit begründen, der Vortrag der Klägerin habe im Gegensatz zum Vortrag des X weniger überzeugt. Nur eine offensichtliche Ungeeignetheit kann die Verengung des Bewerberkreises rechtfertigen. Diese ergibt sich nicht aus einem nur weniger überzeugenden Vortrag.
(c) Auch der Vergleich zwischen den Ergebnissen der Bewerbungsgespräche führt nicht dazu, dass die Beklagte mit dem Ausschluss der Klägerin aus dem Bewerberkreis pflichtgemäßes Ermessen eingehalten hätte. […]
(bb) Dass die Klägerin aus Sicht der Bewerbungskommission hier keine zufriedenstellenden Antworten gegeben hat, macht sie für die Stelle angesichts der weiteren geforderten Kriterien, auch im Vergleich zu X nicht von vornherein ungeeignet. Vielmehr handelt es sich um einen Gesichtspunkt, der gemeinsam mit der Bewertung des Bewerbungsgesprächs insgesamt, der Probevorlesung und der Begutachtung in die letztendliche Auswahlentscheidung einfließen kann.

(cc) Insbesondere lassen sich die Kriterien „Bezüge zum Düsseldorfer Forschungsumfeld“, „zum Düsseldorfer Curriculum“, „konkrete Vorstellungen zu Lehrveranstaltungen und Ausgestaltungen mit potentiellen Kooperationspartnern“ dem Anforderungsprofil nicht entnehmen.
Während des laufenden Auswahlverfahrens bleibt das mit einer Stellenausschreibung verbundene Anforderungsprofil aber verbindlich (BVerwG 16.08.2001 – 2 A 3.00, BVerwGE 115, 58; OVG Sachsen-Anhalt 26.10.2010 – 1 M 125/10). Mit der Bestimmung eines Anforderungsprofils für die zu vergebende Stelle legt der Dienstherr die Kriterien für die Auswahl der Bewerber fest, an ihm werden die Eigenschaften und Fähigkeiten der Bewerber gemessen (vgl. BVerfG 08.10.2007 – 2 BvR 1846/07; LAG Rheinland-Pfalz 10.02.2015 – 6 Sa 465/14). Eine nachträgliche Ergänzung oder Verschärfung ist ebenso unzulässig wie der spätere Verzicht auf einzelne Merkmale (BAG 07.04.2011 – 8 AZR 679/09, NZA-RR 2011, 494). Die genannten Kriterien lassen sich nicht mit den im Kriterienkatalog vom 12.10.2015 enthaltenen Aspekten „Entwicklungspotential des eigenen Forschungsgebietes am Standort, Anknüpfungsmöglichkeiten insbesondere zum Netzwerk Versorgungsforschung“ und „Entwicklungsmöglichkeiten des Forschungsgebietes am Standort, Anknüpfungsmöglichkeiten insbesondere zum >Netzwerk Versorgungsforschung<“ gleichsetzen und stellen eine nachträgliche Änderung des Anforderungsprofils dar. Die Beklagte durfte daher für ihre Verengungsentscheidung nach§ 20 Satz 2 BO nicht auf diese Kriterien abstellen.

(d) Die Auswahl der Klägerin im Rahmen einer neuen Ermessensentscheidung erscheint auch zumindest möglich. […] Die Beklagte trägt selbst vor, dass die synoptische Bewertung aus Probevortrag, Lehrprobe und Bewerbungsunterlagen zum Ergebnis hatte, dass die Klägerin langjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Gender- und Gewaltforschung besitzt und entsprechende Drittmittel eingeworben hat. Ihre Probevorlesung wurde insgesamt sogar besser bewertet als die des X, lediglich die Antworten im Bewerbungsgespräch waren aus Sicht der Beklagten in einzelnen Aspekten nicht zufriedenstellend und der Vortrag weniger überzeugend als der des X. Dies schließt aber nicht aus, dass die Klägerin im Rahmen einer neuen Auswahlentscheidung unter Berücksichtigung aller Beurteilungsgrundlagen für die ausgeschriebene Stelle ausgewählt würde.

2.) Ein Verfügungsgrund ist gegeben. Die Verfügung ist zur Abwendung eines endgültigen Rechtsverlustes der Klägerin erforderlich.
a.) Ist eine mit dem Amt verbundene Stelle rechtlich verbindlich anderweitig vergeben, kann das Amt nicht mehr besetzt werden. Dann ist der subjektive Anspruch des Bewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG erschöpft (BAG 18.09.2007 – 9 AZR 672/06, BAGE 124, 80; 28.05.2002 – 9 AZR 751/00, BAGE 101, 153). […] Der Eingriff in das Recht des unterlegenen Bewerbers auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt lässt sich nicht mehr korrigieren (BVerfG 09.07.2002 – 2 BvQ 25/02, ZBR 2002, 395). Dem verfahrensfehlerhaft zurückgewiesenen Bewerber stehen allenfalls Schadensersatzansprüche zu, wenn ihm die Stelle hätte übertragen werden müssen (BAG 18.09.2007 – 9 AZR 672/06, aaO.). […]
c.) Die Beurteilung ändert sich auch nicht, weil der Ruf an X noch nicht erteilt wurde. Dies kann jederzeit geschehen, nachdem die maßgeblichen Gremien der Vergabe der Stelle an X zugestimmt haben. […]

Anmerkung:
Frauen- und Genderforschungen können zu einem Umdenken in allen Feldern der Wissenschaft und Politik im Sinne von Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Emanzipation beitragen. Entsprechend groß sind die Widerstände gegen diese Forschungsrichtung. Im Rahmen von Programmen zur Frauenförderung an Hochschulen werden immer wieder Sondermittel des Bundes und der Länder zur Verfügung gestellt, damit Hochschulen durch die Besetzung zusätzlicher, befristeter Stellen erste Erfahrungen mit Frauen- und Genderforschung machen können.
Im vorliegenden Fall sollte eine solche Stelle – unter Ausschluss einer im Bereich Frauen- und Genderforschung international renommierten Bewerberin – mit einem Wissenschaftler besetzt werden, der sich vor allem durch seine Integration in ein bereits bestehendes Forschungsnetzwerk hervorgetan hatte. Die nach Hochschulrecht einzuholenden vergleichenden Gutachten wurden vermieden, indem einzig die Unterlagen des favorisierten Bewerbers den externen Gutachtern zur Begutachtung vorgelegt wurden.
Statt sich mit der inhaltlichen Passung dieses Bewerbers auf die Anforderungen des Ausschreibungstextes zu befassen, fokussierte sich die Berufungskommission auf den sogenannten h-Index, durch den indiziert wird, mit wie vielen Werken jemand wie oft zitiert wird. Es handelt sich um ein Verfahren, dass voraussetzt, dass das Werk in Publikationen zitiert wird, die elektronisch ausgewertet werden, das sind in erster Linie naturwissenschaftliche Zeitschriften. Die besten Ergebnisse kann erzielen, wer viele kurze Beiträge veröffentlicht und gut in ein „Zitierkartell“ eingebunden ist. Derartige bibliometrische Verfahren zur Leistungsbemessung im Wissenschaftsbetrieb benachteiligen systematisch Frauen. Der Wissenschaftsrat beurteilt sie in seinen „Empfehlungen zur Bewertung und Steuerung von Forschungsleistung vom 11.11.2011“ (S. 39 f.) wegen der Gefahr einer qualitativen Fehlsteuerung grundsätzlich kritisch.
Wenn ein Wunschkandidat nicht den Anforderungen der Ausschreibung entspricht, wird nicht selten – so auch im vorliegenden Fall – das Anforderungsprofil durch die Berufungskommission passend gemacht. Um das zu erschweren, verlangt der Wissenschaftsrat schon lange Standards für Berufungsverfahren, die die Chancengleichheit für Frauen erhöhen („Fünf Jahre Offensive für Chancengleichheit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – Bestandsaufnahme und Empfehlungen“, Beschluss des Wissenschaftsrats vom 25.5.2012, S. 25-28).
Das Arbeitsgericht Düsseldorf stellt klar, dass derartige Tricks dazu führen können, dass das Verfahren korrigiert oder wiederholt werden muss. Darauf wollte sich die beklagte Universität allerdings nicht einlassen. Die Hochschule stellte das Verfahren ein und verzichtete damit nicht nur auf viel Geld, sondern auf die Möglichkeit, sich mit Genderforschung im Allgemeinen, mit gendersensibler Gewaltprävention im Besonderen auseinanderzusetzen.
Sibylla Flügge, Frankfurt a.M.