STREIT 4/2024
S. 178-179
LAG Niedersachsen, § 17 BEEG, § 26 TVöD
Elternzeit – keine Kürzung des Urlaubsanspruchs durch Tarifklausel
1. Die Tarifnorm des § 26 Abs. 2c TVöD enthält oder ersetzt nicht die nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers, den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen. Dem stehen die auch durch Tarifvertrag nicht abdingbaren Regelungen gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG entgegen. 
2. Auch soweit der Urlaubsanspruch den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigt, enthält oder ersetzt § 26 Abs. 2c TVöD nicht die Kürzungserklärung des Arbeitgebers gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG. 
3. Im bestehenden Arbeitsverhältnis kann der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht vor, während und nach dem Ende der Elternzeit ausüben, nicht jedoch vor der Erklärung des Arbeitnehmers, Elternzeit in Anspruch zu nehmen. (Amtlicher Leitsatz)
Urteil des LAG Niedersachsen vom 27.02.2024, 10 Sa 586/23 (r.k.)
Anmerkung
Im Streit steht die Zahlung von Urlaubsabgeltung, nachdem das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der letzten Elternzeit einvernehmlich geruht und danach durch Auflösungsvereinbarung geendet hat. Eine explizite Kürzungserklärung gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG hat der Arbeitgeber nicht abgegeben. Auf das Arbeitsverhältnis der Klägerin fand allerdings aufgrund arbeitsvertraglicher Inbezugnahme der TVöD Anwendung. Dieser enthält in § 26 Abs. 2c TVöD die Regelung, dass sich die Dauer des Erholungsurlaubs einschließlich eines etwaigen Zusatzurlaubs für jeden vollen Kalendermonat um ein Zwölftel vermindert, während das Arbeitsverhältnis ruht. Der Arbeitgeber meinte nun, diese Tarifnorm enthalte oder ersetze die nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG erforderliche Erklärung des Arbeitgebers. Sowohl Arbeitsgericht als auch das Landesarbeitsgericht sahen das anders und sprachen der Klägerin den Urlaubsabgeltungsanspruch (ungekürzt) zu. Das Landesarbeitsgericht hat die Revision zugelassen, Revision ist nicht eingelegt.
Im Unterschied zu anderen Ruhenstatbeständen, die von vornherein zur Folge haben, dass Urlaubsansprüche nicht entstehen (vgl. zum unbezahlten Sonderurlaub nach § 28 TV-L, BAG Urteil vom 21.05.2019, 9 AZR 259/18 – Rn. 11 bis 15), entsteht Urlaub trotz der Suspendierung der beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis auch während der Elternzeit, doch kann der Arbeitgeber eine Kürzung des entstandenen Urlaubsanspruchs nach § 17 Abs. 1 S. 1 BEEG durch einseitige, empfangsbedürftige Erklärung um 1/12 für jeden vollen Monat der Elternzeit herbeiführen. Dabei kann die Kürzungserklärung rechtswirksam nicht vor dem konkreten Elternzeitverlangen abgegeben werden (BAG, Urteil vom 19.03.2019, 9 AZR 495/17, STREIT 4/2019, 165 mit Praxishinweis) und auch nicht mehr nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses (BAG, Urteil vom 19.05.2015, 9 AZR 725/13, STREIT 1/2016, S. 43).
Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hatte sich nun mit der Frage zu befassen, ob die tarifvertragliche Kürzungsregelung als eine nach § 17 BEEG erforderliche Kürzungserklärung angesehen werden kann und hat das im Ergebnis mit zutreffender Argumentation verneint. Zum einen kann in Bezug auf den gesetzlichen Mindesturlaub gemäß § 13 Abs. 1 S. 1 BUrlG von den zwingenden Vorschriften der §§ 1, 2 und 3 Abs. 1 BUrlG nicht durch tarifvertragliche Regelung abgewichen werden. Das wäre aber der Fall, wenn § 26 Abs. 2 TVöD dahingehend ausgelegt wird, dass die Norm auch das Ruhen des Arbeitsverhältnisses während der Elternzeit erfasste. Entfiele der Anspruch auf Erholungsurlaub für die Elternzeit schon kraft der Tarifnorm, so wäre dies für die Arbeitnehmerin ungünstiger als die gesetzliche Regelung, weil der Mindesturlaub nach § 3 Abs. 1 BUrlG unterschritten würde. Nichts anderes gilt für den Urlaubsanspruch oberhalb des gesetzlichen Mindesturlaubs, denn § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG unterscheidet nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und dem diesen übersteigenden Anspruch, sondern spricht einheitlich von „Erholungsurlaub“. Der Arbeitgeber hat es für alle Bestandteile des Erholungsurlaubs gleichermaßen in der Hand, eine wirksame Kürzungserklärung abzugeben.
Zum anderen ist zu § 17 BEEG entschieden, dass der Arbeitgeber das Kürzungsrecht nicht gleichsam auf Vorrat aussprechen kann, sondern erst, wenn er weiß, dass und für welchen Zeitraum Elternzeit in Anspruch genommen werden soll, mithin ein konkretes Elternzeitverlangen nach § 16 Abs. 1 Satz 1 BEEG vorliegt (BAG, Urteil vom 19.03.2019, 9 AZR 495/17, STREIT 4/2019, 165 mit Praxishinweis).
Fazit:
Möchte der Arbeitgeber den Anspruch auf Erholungsurlaub kürzen, muss er sein Kürzungsrecht ausüben, wozu eine hierauf gerichtete rechtsgeschäftliche Erklärung erforderlich ist, die ausdrücklich oder stillschweigend abgegeben werden kann und der Arbeitnehmerin zugehen muss. Dazu ist es ausreichend, dass dem Arbeitnehmer – abweichend vom Urlaubsverlangen – nur der gekürzte Urlaub gewährt wird oder für ihn aufgrund sonstiger Umstände erkennbar ist, dass der Arbeitgeber sein Kürzungsrecht ausüben will. Allein das Bestehen einer Tarifnorm, wonach Urlaub sich im Falle des Ruhens des Arbeitsverhältnisses automatisch kürzt, führt nicht zur Kürzung des Urlaubs bei Elternzeit.
Rechtsanwältin Susette Jörk, Leipzig
Susette Jörk