STREIT 4/2023
S. 154-160
BAG, §§ 15, 22 AGG; 3, 4, 7 EntgTranspG; Art. 157 AEUV; Art. 2 Abs. 1 RiLi 2006/54/EG
Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts
1. Eine Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts wird nach § 22 AGG vermutet, wenn eine Partei darlegt und beweist, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen/Kolleginnen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet.
2. Der Umstand, dass sich die Parteien eines Arbeitsvertrags im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nach § 22 AGG zu widerlegen.
Urteil des BAG v. 16.02.2023, 8 AZR 450/21
Aus dem Sachverhalt:
(Rn. 1) Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der geschlechtsbezogenen Diskriminierung beim Entgelt verpflichtet ist, an die Klägerin ein höheres monatliches Grundentgelt sowie eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu zahlen. […]
(Rn. 4) Die Beklagte […] bot dem Bewerber P eine Tätigkeit als „Mitarbeiter Vertrieb/Außendienst“ zu einem monatlichen Grundgehalt i.H.v. 3.500,00 Euro brutto und einer – allerdings erst ab dem 1. November 2017 geschuldeten – umsatzabhängigen Provision an. […]. Mit diesem Vorschlag war der Bewerber P nicht […] einverstanden, vielmehr verlangte er für die Zeit bis zum 31. Oktober 2017, in der er noch keine Provisionen verdienen konnte, ein monatliches Grundentgelt i.H.v. 4.500,00 Euro brutto. Dem stimmte die Beklagte zu und stellte […] P zum 1. Januar 2017 […] ein.
(Rn. 5) […] Am 2./3. Juli 2018 einigten sich die Beklagte und der Mitarbeiter P für die Zeit ab dem 1. Juli 2018 auf eine Erhöhung des monatlichen Grundgehalts von 3.500,00 Euro brutto auf 4.000,00 Euro brutto, seine Weiterbeschäftigung als „Leiter Vertrieb Bahntechnik/Sprechtechnik/GSM (- R)“ sowie auf eine Halbierung der erfolgsabhängigen Provision.
(Rn. 6) […] Die Beklagte bot auch der Klägerin eine Tätigkeit als „Mitarbeiterin Vertrieb/Außendienst“ gegen ein monatliches Grundgehalt i.H.v. 3.500,00 Euro brutto an, zudem ab dem 1. November 2017 umsatzabhängige Provisionen in gleicher Höhe wie ursprünglich mit dem Mitarbeiter P vereinbart. Die Klägerin akzeptierte den Vergütungsvorschlag der Beklagten, verlangte aber eine jährliche unbezahlte Freistellung im Umfang von 20 Tagen. Dem stimmte die Beklagte zu und stellte die Klägerin mit Wirkung zum 1. März 2017 als „Mitarbeiterin Vertrieb/Außendienst“ ein. […]
(Rn. 7) Am 29. Juli 2018 schlossen die Beklagte und die IG Metall […] einen Haustarifvertrag, der am 1. August 2018 in Kraft trat […].
(Rn. 8) Nach dem Inkrafttreten des Haustarifvertrags wurden der Mitarbeiter P und die Klägerin ab dem 1. August 2018 in die Entgeltgruppe 11, Zusatzstufe 11 (fortan Entgeltgruppe Z11) eingruppiert, wobei dies bei der Klägerin, die zunächst niedriger eingruppiert worden war, auf deren Widerspruch hin rückwirkend erfolgte. […]
(Rn. 9) In Anwendung der Deckelungsregelung in § 18 des Haustarifvertrags zahlte die Beklagte an die Klägerin – ausgehend von einem mit dieser arbeitsvertraglich vereinbarten Monatsgrundentgelt i.H.v. 3.500,00 Euro brutto – ab dem 1. August 2018 ein Monatsgrundgehalt i.H.v. 3.620,00 Euro brutto. Demgegenüber erhöhte sie in Anwendung der tariflichen Deckelungsregelung – ausgehend von einem mit dem Mitarbeiter P arbeitsvertraglich vereinbarten Monatsgrundentgelt i.H.v. 4.000,00 Euro – dessen Monatsgrundgehalt auf 4.120,00 Euro brutto. […]
(Rn. 10) Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Mitarbeiter P und die Klägerin im Vertriebsaußendienst eingesetzt sind und bei ihrer Tätigkeit die gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnisse haben. […] Als der Mitarbeiter P und die Klägerin zwischen September 2019 und März 2020 nacheinander arbeitsunfähig erkrankt waren, vertraten sie sich gegenseitig, ohne dass es einer gesonderten Einweisung bedurft hätte.
(Rn. 11) Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, sie habe […] infolge geschlechtsbezogener Ungleichbehandlung aus Art. 157 AEUV sowie aus § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG Anspruch auf die Vergütungsdifferenz, die sich aus dem Vergleich zwischen ihrem und dem an den Mitarbeiter P gezahlten monatlichen Grundgehalt ergebe. […] (Rn. 13) Darüber hinaus habe sie wegen geschlechtsbezogener Diskriminierung Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. mindestens 6.000,00 Euro. […]
(Rn. 19) Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. […]
Aus den Gründen:
(Rn. 20) Die zulässige Revision der Klägerin ist ganz überwiegend begründet. […]
(Rn. 21) I. Die Beklagte schuldet der Klägerin rückständige Vergütung für die Zeit vom 1. März 2017 bis zum 31. Oktober 2017 i.H.v. insgesamt 8.000,00 Euro brutto. Der Anspruch folgt aus Art. 157 AEUV und für den Zeitraum ab Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes am 6. Juli 2017 auch aus § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG.
(Rn. 22) 1. Als Anspruchsgrundlage für gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kommen sowohl der direkt anwendbare Art. 157 AEUV als auch – für die Zeit ab dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes – § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG in Betracht (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 17, BAGE 173, 331).
(Rn. 23) a) Nach Art. 157 Abs. 1 AEUV, der zwingenden Charakter hat und von den nationalen Gerichten direkt anwendbar ist (st. Rspr., EuGH 3. Juni 2021 – C-624/19 – [Tesco Stores] Rn. 22 ff.; zur Vorgängerregelung in Art. 119 EWG-Vertrag EuGH 8. April 1976 – 43/75 – [Defrenne] Rn. 38 f.), gilt bei Beschäftigungsverhältnissen der Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Art. 157 Abs. 1 AEUV verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Die entsprechenden Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt, darunter insbesondere deren Art. 2 Abs. 1 Buchst. e und Art. 4, werden von der unmittelbaren Anwendbarkeit von Art. 157 AEUV miterfasst (vgl. EuGH 8. April 1976 – 43/75 – [Defrenne] Rn. 53 ff. zu Vorgängerbestimmungen; BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 18, BAGE 173, 331).
(Rn. 24) b) Nach § 3 Abs. 1 EntgTranspG ist bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts im Hinblick auf sämtliche Entgeltbestandteile und Entgeltbedingungen verboten. Zudem ist dieses Verbot in § 7 EntgTranspG niedergelegt, wonach für gleiche oder für gleichwertige Arbeit nicht wegen des Geschlechts der oder des Beschäftigten ein geringeres Entgelt vereinbart oder gezahlt werden darf als bei einer oder einem Beschäftigten des anderen Geschlechts (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 19, BAGE 173, 331; 25. Juni 2020 – 8 AZR 145/19 – Rn. 64, 98, BAGE 171, 195). § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sind auf die Umsetzung der Bestimmungen der Richtlinie 2006/54/EG zum Verbot der Diskriminierung beim Entgelt und zur entgeltbezogenen Gleichbehandlung männlicher und weiblicher Arbeitnehmer bei gleicher oder als gleichwertig anerkannter Arbeit in das nationale Recht in Deutschland gerichtet (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – a.a.O.; vgl. näher BAG 25. Juni 2020 – 8 AZR 145/19 – Rn. 63 ff., a.a.O.). § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sind entsprechend den Vorgaben der Richtlinie 2006/54/EG und im Einklang mit Art. 157 AEUV unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union unionsrechtskonform auszulegen (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – a.a.O.).
(Rn. 25) 2. Die Klägerin hat im Zeitraum vom 1. März 2017 bis zum 31. Oktober 2017 eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG bzw. Art. 157 Abs. 2 AEUV sowie Art. 2 Abs. 1 Buchst. a und Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG erfahren.
(Rn. 26) Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG liegt eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde. Diese Bestimmung steht im Einklang mit Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG, wonach eine Situation, in der eine Person aufgrund ihres Geschlechts eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation erfährt, erfahren hat oder erfahren würde, eine unmittelbare Diskriminierung darstellt (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 35, BAGE 173, 331).
(Rn. 27) a) Die Klägerin hat in der Zeit vom 1. März 2017 bis zum 31. Oktober 2017 ein um 1.000,00 Euro brutto geringeres monatliches Entgelt i.S.v. § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG bzw. i.S.v. Art. 157 Abs. 2 AEUV und Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG erhalten als der bei der Beklagten beschäftigte männliche Arbeitnehmer P.
(Rn. 28) aa) Das monatliche Grundgehalt ist „Entgelt“ i.S.v. § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG sowie i.S.v. Art. 157 Abs. 2 AEUV und Art. 2 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/54/EG. […]
(Rn. 29) bb) Der Vergleich der Entgelthöhe ist auf das Grundgehalt zu beschränken, während andere Entgeltbestandteile nicht in den Vergleich einzubeziehen sind. Der Grundsatz der Entgeltgleichheit gilt für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts und wird nicht nur im Wege einer Gesamtbewertung der diesen gewährten Vergütungen angewandt. Nur auf diese Weise werden echte Transparenz und eine wirksame Kontrolle erreicht (BAG 28. Oktober 2021 – 8 AZR 370/20 (A) – Rn. 23; zu Art. 119 EG-Vertrag EuGH 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 35). […]
(Rn. 30) cc) Die Beklagte hat der Klägerin ein niedrigeres Grundgehalt gezahlt als dem […] Mitarbeiter P. […]. Hieraus ergibt sich für einen Zeitraum von acht Monaten eine Entgeltdifferenz i.H.v. insgesamt 8.000,00 Euro brutto.
(Rn. 31) b) Die Klägerin übte die gleiche Arbeit i.S.v. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch i.S.v. § 4 Abs. 1 EntgTranspG aus wie der Mitarbeiter P. Soweit das Landesarbeitsgericht davon ausgegangen ist, die Klägerin und der Mitarbeiter P hätten gleichwertige Arbeit geleistet, hat es den Unterschied zwischen gleicher und gleichwertiger Arbeit nicht beachtet.[…]
(Rn. 33) bb) Nach § 4 Abs. 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen.
(Rn. 34) Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleichwertige Arbeit i.S.d. EntgTranspG aus, wenn sie unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können. Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehören unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen, § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG. Es ist von den tatsächlichen, für die jeweilige Tätigkeit wesentlichen Anforderungen auszugehen, die von den ausübenden Beschäftigten und deren Leistungen unabhängig sind, § 4 Abs. 2 Satz 3 EntgTranspG.
(Rn. 35) Mit dem Begriff der „gleichwertigen Arbeit“ werden verschiedenartige Arbeiten unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren daraufhin verglichen, ob sie von gleichem Wert sind. Dies kann insbesondere mit den Methoden der Arbeitsbewertung erfolgen, soweit diese selbst diskriminierungsfrei sind (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 37, BAGE 173, 331). […]
(Rn. 36) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist nicht nur zur Feststellung, ob die Arbeitnehmer eine „gleichwertige Arbeit“ i.S.v. Art. 157 AEUV, sondern auch zur Feststellung, ob Arbeitnehmer „gleiche Arbeit“ i.S.v. Art. 157 AEUV verrichten, zu prüfen, ob diese Arbeitnehmer unter Zugrundelegung einer Gesamtheit von Faktoren, wie der Art der Arbeit, der Ausbildungsanforderungen und Arbeitsbedingungen, als in einer vergleichbaren Situation befindlich angesehen werden können (vgl. etwa – teilweise zu den Vorgängerbestimmungen Art. 119 EG-Vertrag bzw. Art. 141 EG und Richtlinie 75/117/EWG -: EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny u.a.] Rn. 27, 52; 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 43, 48; 11. Mai 1999 – C-309/97 – [Angestelltenbetriebsrat der Wiener Gebietskrankenkasse] Rn. 17). § 4 Abs. 1 EntgTranspG ist daher unionsrechtskonform dahin auszulegen, dass die Kriterien des § 4 Abs. 2 Satz 2 EntgTranspG auch für die Feststellung gleicher Arbeit maßgeblich sind.
(Rn. 37) cc) Ausgehend von diesen Vorgaben haben die Klägerin und der Mitarbeiter P[…] die gleiche Arbeit i.S.v. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch i.S.v. § 4 Abs. 1 EntgTranspG verrichtet. Sie haben an verschiedenen Arbeitsplätzen eine gleichartige Tätigkeit ausgeführt. (Rn. 38) (1) Sowohl die Klägerin als auch der Mitarbeiter P waren im maßgeblichen Zeitraum im Vertriebsaußendienst eingesetzt und hatten bei ihrer Tätigkeit die gleichen Verantwortlichkeiten und Befugnisse. […] Der Mitarbeiter P und die Klägerin haben sich zudem gegenseitig vertreten, ohne dass es einer gesonderten Einweisung bedurft hätte.
(Rn. 39) (2) Der Umstand, dass die Klägerin und der Mitarbeiter P für unterschiedliche Kunden zuständig waren, führt –[…] nicht zu einer anderen Bewertung. Die Beklagte hat schon nicht substantiiert dazu vorgetragen, dass zwischen den Kunden Unterschiede bestanden, die sich auf die Art der zu verrichtenden Vertriebstätigkeiten bzw. die Anforderungen an die jeweiligen Stelleninhaber ausgewirkt hätten. Auch der Umstand, dass die Klägerin und der Mitarbeiter P für unterschiedliche Produkte zuständig waren, steht der Annahme, dass beide Beschäftigte die gleiche Arbeit ausgeübt haben, nicht entgegen. […]
(Rn. 40) (3) Eine andere Bewertung ist auch nicht deshalb veranlasst, weil die Klägerin über eine Ausbildung als Diplom-Kauffrau verfügte, während der Mitarbeiter P staatlich geprüfter Techniker war. Zwar können Anforderungen an die Ausbildung für die Frage relevant sein, ob verschiedene Arbeitnehmer die gleiche Arbeit verrichtet haben. Vorliegend war für die Tätigkeit im Vertriebsaußendienst jedoch schon keine bestimmte Berufsausbildung gefordert.
(Rn. 41) c) Der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin in der Zeit vom 1. März 2017 bis zum 31. Oktober 2017 ein um 1.000,00 Euro brutto geringeres monatliches Grundentgelt gezahlt hat als dem männlichen Kollegen P, begründet vorliegend die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sowie i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG „wegen des Geschlechts“ erfahren hat. […]
(Rn. 42) aa) § 22 AGG, der auch im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht maßgebend ist (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 25 f., BAGE 173, 331; kritisch Höpfner/Frank Anm. AP EntgTranspG § 3 Nr. 1), sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor. Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 24, a.a.O.; 25. Oktober 2018 – 8 AZR 501/14 – Rn. 51, BAGE 164, 117).
(Rn. 43) bb) Eine Partei muss in einem Rechtsstreit wie dem vorliegenden nach den unionsrechtlichen Vorgaben zur Begründung der Kausalitätsvermutung i.S.v. § 22 AGG nur darlegen und im Bestreitensfall beweisen, dass ihr Arbeitgeber ihr ein niedrigeres Entgelt zahlt als ihren zum Vergleich herangezogenen Kollegen des anderen Geschlechts und dass sie die gleiche oder eine gleichwertige Arbeit verrichtet. Ist der Partei dies gelungen, reicht dies – auch unter Berücksichtigung des Gebots der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ – aus, um die Vermutung i.S.v. § 22 AGG zu begründen, dass die Entgeltungleichbehandlung „wegen des Geschlechts“ erfolgt und eine Umkehr der Beweislast herbeizuführen. Nach den unionsrechtlichen Vorgaben ist sie nämlich bereits dann dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 51, BAGE 173, 331; vgl. EuGH 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 58). […]
(Rn. 45) d) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte die Vermutung, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sowie i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG aufgrund des Geschlechts erfahren hat, nicht den Vorgaben von § 22 AGG in unionsrechtskonformer Auslegung entsprechend widerlegt.
(Rn. 46) aa) Besteht die Vermutung einer Benachteiligung aufgrund des Geschlechts, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist (EuGH 28. Februar 2013 – C-427/11 – [Kenny u.a.] Rn. 20; 3. Oktober 2006 – C-17/05 – [Cadman] Rn. 31; BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 31, BAGE 173, 331). Dabei ist es Sache der für die Würdigung des Sachverhalts allein zuständigen nationalen Gerichte zu beurteilen, ob objektive Faktoren vorliegen, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben (EuGH 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 65). Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises. Der Arbeitgeber muss Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – a.a.O.; vgl. 23. Januar 2020 – 8 AZR 484/18 – Rn. 36, BAGE 169, 302). Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 63, a.a.O.). […]
(Rn. 48) cc) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, der Beklagten sei es gelungen, die Vermutung zu widerlegen, dass die Klägerin die unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sowie i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG aufgrund des Geschlechts erfahren hat. Diese Annahme hält der – eingeschränkten – revisionsgerichtlichen Kontrolle nicht stand. […]
(Rn. 51) Zwar ist dem Landesarbeitsgericht zuzugeben, dass die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung im Einzelfall widerlegt sein kann, wenn der Arbeitgeber darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass das höhere Entgelt wegen der Lage auf dem Arbeitsmarkt erforderlich war, um die offene Stelle mit einer geeigneten Arbeitskraft zu besetzen. […] (Rn. 52) Derartige Gründe hat die Beklagte jedoch nicht vorgetragen. […]
(Rn. 54) (1) Die Beklagte kann sich […] nicht mit Erfolg […] darauf berufen, sich mit dem Bewerber P in Ausübung der beiderseitigen Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt geeinigt zu haben.
(Rn. 55) (a) Im Schrifttum wird insoweit teilweise vertreten, es sei zulässig, für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine höhere Vergütung zu zahlen, wenn sich ein Bewerber im Vorstellungsgespräch besonders gut verkaufe (Bauer/Krieger/Günther AGG und EntgTranspG 5. Aufl. § 3 EntgTranspG Rn. 22; Bauer/Romero NZA 2017, 409, 412). Demgegenüber weisen andere Stimmen in der Literatur darauf hin, dass das Verbot der Entgeltdiskriminierung eine legitime Einschränkung der Vertragsfreiheit darstelle (Däubler/Beck/Zimmer 5. Aufl. § 3 EntgTranspG Rn. 1) und sich der Arbeitgeber gerade nicht darauf berufen könne, er zahle einem anderen Bewerber mehr, weil dieser mehr gefordert habe (Colneric FS Dieterich 1999 S. 45, 54).
(Rn. 56) (b) Der Umstand, dass sich Arbeitsvertragsparteien im Rahmen ihrer Vertragsfreiheit auf ein höheres Entgelt verständigen als der Arbeitgeber mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbart, ist für sich allein betrachtet nicht geeignet, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung zu widerlegen. In einem solchen Fall wird nämlich gerade nicht ausgeschlossen, dass das Geschlecht mitursächlich für die Vereinbarung der höheren Vergütung war. Würde dennoch allein der Umstand der Einigung auf eine höhere Vergütung genügen, könnte der Grundsatz des gleichen Entgelts für Frauen und Männer i.S.v. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG sowie i.S.v. § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG auch nicht effektiv umgesetzt werden. Art. 1 Satz 2 Buchst. b der Richtlinie 2006/54/EG würde seine praktische Wirksamkeit genommen (vgl. zu Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78/EG EuGH 12. Januar 2023 – C-356/21 – [Monteur audiovisuel pour la télévision publique] Rn. 77). […]
(Rn. 57) Haben sich die Parteien eines Arbeitsvertrags auf ein höheres Entgelt verständigt als der Arbeitgeber einer Arbeitskraft des anderen Geschlechts mit gleicher oder gleichwertiger Arbeit vereinbarungsgemäß zahlt, begründet dies die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Arbeitskraft des anderen Geschlechts die Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat. Es liegt auf der Hand, dass mit demselben Umstand die Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung nicht widerlegt werden kann, zumal auch hier nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Geschlecht mitursächlich für das Nachgeben des Arbeitgebers war. Würde man den Umstand, dass ein/e Mitarbeiter/in besser verhandelt hat als ein/e Beschäftigte/r des anderen Geschlechts, für sich betrachtet gleichwohl zur Widerlegung der Vermutung der geschlechtsbezogenen Entgeltdiskriminierung ausreichen lassen, könnte sich der Arbeitgeber nur allzu leicht der Beachtung des Grundsatzes der geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheit entziehen. Das wäre aber mit den unionsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar, wonach Mechanismen, die geeignet sind, sich der Beachtung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für gleiche oder gleichwertige Arbeit zu entziehen, zur Widerlegung der Vermutung nicht herangezogen werden können (vgl. EuGH 27. Oktober 1993 – C-127/92 – [Enderby] Rn. 22). […]
(Rn. 58) (2) Soweit die Beklagte ferner geltend macht, das Geschlecht habe bei ihrer Entscheidung, an den Mitarbeiter P eine höhere Grundvergütung zu zahlen, keine Rolle gespielt, weil sie nicht nur dessen Wunsch – nach einer befristeten höheren Grundvergütung -, sondern auch dem Wunsch der Klägerin – nach einer unentgeltlichen Sonderurlaubsvereinbarung – Rechnung getragen habe, so kann sie auch hieraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. Dies folgt bereits daraus, dass die Klägerin bei den Vertragsverhandlungen mit der Beklagten von der mit dem Mitarbeiter P getroffenen Vereinbarung […] keine Kenntnis hatte und deshalb etwaige Wünsche nicht sachgerecht artikulieren konnte. […]
(Rn. 59) (3) Die Beklagte kann sich zur Widerlegung der Vermutung auch nicht mit Erfolg darauf berufen, mit dem Mitarbeiter P ein höheres Grundentgelt vereinbart zu haben, weil dieser der besser vergüteten Mitarbeiterin U nachfolgen sollte, während die Klägerin den schlechter vergüteten Mitarbeiter E ersetzen sollte. Allein der Umstand, dass die Einstellungen als Ersatz für unterschiedlich vergütete ausscheidende bzw. ausgeschiedene Arbeitskräfte erfolgten, ist zur Widerlegung der Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin nicht geeignet. Die unterschiedliche Höhe der Grundvergütung der Mitarbeiterin U und des Mitarbeiters E kann unterschiedlichste, insbesondere in deren Person liegende Gründe haben, wie beispielsweise deren Betriebszugehörigkeit oder besondere Verdienste. […] Da die Klägerin und der Mitarbeiter P die gleiche Arbeit ausübten, erschließt sich nicht, aus welchen Gründen sie wegen der Nachfolge für eine bestimmte Arbeitskraft eine unterschiedliche Grundvergütung erhalten sollten.
(Rn. 60) (4) Soweit die Beklagte geltend macht, dem Mitarbeiter P das höhere Grundentgelt deshalb zugestanden zu haben, weil er besser qualifiziert gewesen sei, da er über eine fachspezifische Ausbildung zum staatlich geprüften Techniker verfügte und bereits seit 2004 im branchenspezifischen Vertrieb gearbeitet habe, kann sie auch hiermit die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts nicht widerlegen.
(Rn. 61) (a) Zwar kann eine bessere Qualifikation eines Bewerbers/einer Bewerberin im Einzelfall zur Widerlegung der Vermutung geeignet sein […].
(Rn. 62) (b) Dass die von der Beklagten behauptete bessere Qualifikation des Mitarbeiters P […] eine Rolle gespielt hat, hat die Beklagte jedoch erstmals in der Revision vorgetragen.
(Rn. 63) (5) Soweit die Beklagte sich darauf berufen hat, der Mitarbeiter P erbringe bessere Leistungen als die Klägerin, kann sie auch hieraus nichts zu ihren Gunsten ableiten. […] Zum anderen können Umstände, die sich bei der Einstellung nicht objektiv bestimmen lassen, sondern sich erst während der konkreten Ausübung einer Tätigkeit herausstellen, wie die persönliche Leistungsfähigkeit oder die Qualität der tatsächlich erbrachten Leistungen des Arbeitnehmers, ohnehin nicht zur Widerlegung der Vermutung einer von Anfang an bestehenden Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts herangezogen werden (vgl. EuGH 26. Juni 2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 76 bis 78).
(Rn. 64) (6) Die Beklagte kann sich zur Widerlegung der Vermutung ferner nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die mit dem Mitarbeiter P vereinbarte erfolgsabhängige Vergütung erst nach einer Betriebszugehörigkeit von zehn Monaten verdient werden konnte, während dies im Fall der Klägerin bereits nach einer Betriebszugehörigkeit von lediglich acht Monaten möglich war. Ebenso ist der Umstand, dass die Beklagte mit der Klägerin eine Sonderurlaubsvereinbarung getroffen hatte, nicht geeignet, die Vermutung der Entgeltbenachteiligung der Klägerin aufgrund des Geschlechts zu widerlegen.
(Rn. 65) Eine Widerlegung der Vermutung aus diesen Gründen scheidet bereits deshalb aus, weil – wie unter Rn. 29 ausgeführt – eine echte Transparenz, die eine wirksame Kontrolle der Einhaltung des geschlechtsbezogenen Entgeltgleichheitsgebots bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ermöglicht, nur gewährleistet ist, wenn der Grundsatz des gleichen Entgelts für jeden einzelnen Bestandteil des den Arbeitnehmern und Arbeitnehmerinnen gezahlten Entgelts gilt. Da bereits verschiedene Entgeltbestandteile nicht „gegeneinander aufgewogen“ werden können, können erst recht nicht andere, nicht das Entgelt ausmachende Vertragsbedingungen – wie die von der Klägerin getroffene Sonderurlaubsvereinbarung – zur Widerlegung der Vermutung einer geschlechtsbezogenen Entgeltbenachteiligung herangezogen werden.
(Rn. 66) 3. Der Anspruch der Klägerin auf rückständige Vergütung für die Zeit vom 1. März 2017 bis zum 31. Oktober 2017 i.H.v. insgesamt 8.000,00 Euro brutto ist nicht […] verfallen. (wird ausgeführt)
(Rn. 72) II. Die Beklagte schuldet der Klägerin auch rückständige Vergütung für den Monat Juli 2018 i.H.v. 500,00 Euro brutto. Auch dieser Anspruch folgt aus Art. 157 AEUV sowie aus § 3 Abs. 1, § 7 EntgTranspG.
(Rn. 73) 1. Die Klägerin hat im Juli 2018 eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG sowie i.S.v. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/54/EG erfahren.
(Rn. 74) Die Klägerin hat im Juli 2018 ein um 500,00 Euro brutto geringeres monatliches Grundgehalt erhalten als der bei der Beklagten beschäftigte männliche Arbeitnehmer P. Die Klägerin übte auch im Juli 2018 die gleiche Arbeit i.S.v. Art. 157 Abs. 1 AEUV, Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2006/54/EG und damit auch i.S.v. § 4 Abs. 1 EntgTranspG wie der Mitarbeiter P aus. Etwas anderes ergibt sich nicht aus der Vereinbarung der Beklagten mit dem Mitarbeiter P vom 2./3. Juli 2018, wonach dieser ab dem 1. Juli 2018 als „Leiter Vertrieb Bahntechnik/Sprechtechnik/GSM (- R)“ weiterbeschäftigt wurde. Die andere Bezeichnung der Tätigkeit des Mitarbeiters P ändert nichts daran, dass dieser und die Klägerin weiterhin die gleiche Arbeit ausgeübt haben. […]
(Rn. 82) b) Die Beklagte hat die Vermutung, dass die Klägerin im Juli 2018 eine Entgeltbenachteiligung aufgrund des Geschlechts erfahren hat, auch nicht anderweitig widerlegt. Soweit sie geltend macht, die Leistungen der Klägerin seien vor Einführung des ERA durch den Haustarifvertrag der Beklagten deutlich hinter denen des Mitarbeiters P zurückgeblieben, hat sie ihre Zusage, diesem ab dem 1. Juli 2018 überhaupt ein höheres Grundentgelt zu zahlen, nicht auf diesen Aspekt, sondern nur darauf gestützt, der Mitarbeiter P habe der besser vergüteten Mitarbeiterin U nachfolgen sollen. […]
(Rn. 84) III. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Klägerin auch Anspruch auf rückständige Vergütung für den Zeitraum vom 1. August 2018 bis zum 31. Juli 2019 i.H.v. insgesamt 6.000,00 Euro brutto. Dieser Anspruch folgt aus § 611a Abs. 1 BGB i.V.m. den Bestimmungen des Haustarifvertrags. […]
(Rn. 97) I IV. Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts schuldet die Beklagte der Klägerin nach § 15 Abs. 2 AGG die Zahlung einer angemessenen Entschädigung. Der Senat hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung i.H.v. 2.000,00 Euro für angemessen.
(Rn. 98) 1. Der unbezifferte Klageantrag ist zulässig, insbesondere ist er hinreichend bestimmt i.S.v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Höhe der Entschädigung einen Ermessensspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist. Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrags heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung […] angegeben (vgl. BAG 2. Juni 2022 – 8 AZR 191/21 – Rn. 17 m.w.N.).
(Rn. 99) 2. Der Antrag ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. 2.000,00 Euro.
(Rn. 100) a) Die Klägerin kann neben dem Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit aus Art. 157 AEUV bzw. aus § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG einen Anspruch auf Entschädigung aus § 15 Abs. 2 AGG geltend machen. Dieser Anspruch ist nicht deswegen ausgeschlossen, weil das EntgTranspG dem AGG in Fragen der Entgeltgleichheit insgesamt vorginge. Das EntgTranspG geht dem AGG für entgeltbezogene Benachteiligungen wegen des Geschlechts als lex specialis (nur) dann vor, wenn es eine abschließende Regelung trifft (BAG 21. Januar 2021 – 8 AZR 488/19 – Rn. 26, BAGE 173, 331; vgl. bereits BT-Drs. 18/11133 S. 48). Dies ist im Hinblick auf den Ersatz sowohl eines materiellen als auch immateriellen Schadens – wie er in § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG vorgesehen ist – nicht der Fall. […]
(Rn. 102) c) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch auch rechtzeitig i.S.v. § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten ab Kenntnis von der Benachteiligung schriftlich geltend gemacht. […]
(Rn. 106) bb) Die Beklagte hat die Klägerin mehrfach wegen ihres Geschlechts benachteiligt.
(Rn. 107) (1) Sie hat sowohl in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Oktober 2017 als auch im Juli 2018 zum Nachteil der Klägerin gegen das Gebot des gleichen Entgelts für Männer und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit verstoßen.
(Rn. 108) (2) Darüber hinaus stellt auch die von der Beklagten vorgenommene Deckelung der tariflichen Vergütung der Klägerin in der Zeit vom 1. August 2018 bis zum 31. Juli 2019 einen Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot aus § 7 Abs. 1 AGG dar. Dies gilt ungeachtet des Umstands, dass die Deckelung auf einer unrichtigen Anwendung von § 18 des Haustarifvertrags beruhte. Durch die Anwendung der Deckelungsregelung wurde nämlich die Entgeltbenachteiligung, die die Klägerin im Monat Juli 2018 erfahren hat, teilweise perpetuiert.
(Rn. 109) cc) Soweit es um die von der Beklagten in Anwendung von § 18 des Haustarifvertrags vorgenommene Deckelung der tariflichen Vergütung geht, ist der Entschädigungsanspruch auch nicht nach § 15 Abs. 3 AGG ausgeschlossen. Nach dieser Bestimmung ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher Vereinbarungen zwar nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat. Unabhängig von der Frage, ob § 15 Abs. 3 AGG unionsrechtskonform ist (offengelassen BAG 22. Januar 2009 – 8 AZR 906/07 – Rn. 68, BAGE 129, 181), kommt eine Anwendung der Bestimmung nach Sinn und Zweck nicht in Betracht, wenn die Benachteiligung durch die falsche Anwendung einer nicht diskriminierenden kollektivrechtlichen Regelung eingetreten ist (BAG 16. Februar 2012 – 8 AZR 697/10 – Rn. 64). Vorliegend ist die Entgeltbenachteiligung eingetreten, weil die Beklagte die Deckelungsregelung zu Unrecht auf die Klägerin angewendet hat.
(Rn. 110) e) Der Senat, der abschließend über die Höhe der Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG entscheiden kann, hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung i.H.v. 2.000,00 Euro für angemessen.
(Rn. 111) aa) Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist.
(Rn. 112) bb) Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (EuGH 25. April 2013 – C-81/12 – [Asociaţia Accept] Rn. 63 m.w.N. zur Richtlinie 2000/78/EG; 10. April 1984 – 14/83 – [von Colson] Rn. 23 f. zur Richtlinie 76/207/EWG; BAG 27. August 2020 – 8 AZR 62/19 – Rn. 87, BAGE 172, 99). Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinien nicht gerecht. Vielmehr sind die tatsächlich entstandenen Nachteile gemäß den anwendbaren staatlichen Regeln in vollem Umfang auszugleichen (BAG 27. August 2020 – 8 AZR 62/19 – a.a.O.; 28. Mai 2020 – 8 AZR 170/19 – Rn. 18 f., BAGE 170, 340).
(Rn. 113) cc) Durch eine Entschädigung i.H.v. 2.000,00 Euro wird die Klägerin angemessen für den durch die unzulässige Entgeltdiskriminierung erlittenen immateriellen Schaden entschädigt; dieser Betrag ist zudem erforderlich, aber auch ausreichend, um die notwendige abschreckende Wirkung zu erzielen.