STREIT 4/2023

S. 161-165

VG Freiburg (Breisgau), §§ 15 Abs. 1, 22 AGG, Art. 157 AEUV, §§ 3, 5 EntgTranspG

Equal-Pay für eine Bürgermeisterin

1. Es stellt ein Indiz i. S. d. § 22 AGG dar, das eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten lässt, wenn eine Bürgermeisterin auf der Grundlage eines Gemeinderatsbeschlusses während ihrer Amtszeit niedriger besoldet wurde als ihr männlicher Vorgänger in seinem letzten Amtsjahr und ihr männlicher Nachfolger von Beginn seiner Amtszeit an, obwohl es in der Zwischenzeit weder Veränderungen bezüglich des Aufgabenumfangs des Amtes noch ausschlaggebende Änderungen in der Einwohnerzahl der Stadt gegeben hat.
2. Ein Gemeinderatsbeschluss und die zugehörige Vorlage, die keinerlei Erwägungen enthalten, wieso die Bürgermeisterinstelle nach der niedrigeren der beiden in Betracht kommenden Besoldungsstufen bewertet wurde, vermögen es nicht, die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts zu widerlegen, da hierdurch nicht nachgewiesen ist, dass das Geschlecht bei der Entscheidung keine Rolle gespielt hat.

Urteil des VG Freiburg vom 03.03.2023, 5 K 664/21 (r.k.)

Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) wegen einer von ihr geltend gemachten Benachteiligung aufgrund ihres Geschlechts bei der Besoldung während ihrer Zeit als Bürgermeisterin.
Die […] Klägerin bekleidete vom 11.01.2012 bis zum 10.01.2020 das Amt der Bürgermeisterin der Beklagten. […] Die maßgebliche Einwohnerzahl der Beklagten betrug zu diesem Zeitpunkt 18.151. […] Mit dem Inkrafttreten des neuen Landeskommunalbesoldungsgesetzes (LKomBesG) zum 01.01.2011 […] stehen bei Gemeinden mit einer Einwohnerzahl […] zwischen 15.000 und 20.000 die Besoldungsgruppen B3 und B4 zur Verfügung. […] Ab Januar 2011 erhielt der damalige Bürgermeister der Beklagten bis zum Ende seiner Amtszeit eine Besoldung nach B4.
Nach der Wahl der Klägerin beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 16.11.2011 nach geheimer Abstimmung in öffentlicher Sitzung die Bürgermeisterinstelle nach B3 auszuweisen. […] Nach der Wahl des heutigen Bürgermeisters beschloss der Gemeinderat am 18.12.2019 in öffentlicher Sitzung einstimmig, die Bürgermeisterstelle nach Besoldungsgruppe B4 zu bewerten. Die maßgebliche Einwohnerzahl betrug zu diesem Zeitpunkt 19.372 Einwohner. […]
Mit Schreiben vom 27.02.2020, welches der Beklagten am 28.02.2020 zuging, machte die Klägerin Schadensersatz wegen einer Diskriminierung nach dem AGG geltend. […] Am 09.03.2021 hat die Klägerin Klage erhoben. […] Der Schaden der Klägerin liege in der Vergütungsdifferenz während ihrer achtjährigen Amtszeit zwischen einer Besoldung nach B3 und einer Besoldung nach B4. Neben der Vergütungsdifferenz stehe ihr ebenfalls ein höheres Altersgeld zu. […]

Aus den Gründen:
Die Klage hat in vollem Umfang Erfolg. Sie ist zulässig (I.) und begründet (II.). […]
II. Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin steht ein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte gemäß § 15 Abs. 1 AGG zu.
1. Die Beteiligten unterfallen dem persönlichen Anwendungsbereich des AGG. Die Klägerin war als ehemalige Bürgermeisterin in einem Beamtenverhältnis auf Zeit gemäß § 97 LBG eine Beschäftigte nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 24 Nr. 1 AGG. Die beklagte Stadt ist als ehemalige Dienstherrin Arbeitgeberin nach § 6 Abs. 2 AGG.
2. Die Tatbestandvoraussetzungen des § 15 Abs. 1 AGG liegen vor. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 AGG ist der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot verpflichtet, den hierdurch entstandenen Schaden zu ersetzen. Nach Satz 2 gilt dies nicht, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung nicht zu vertreten hat. Das in § 7 AGG normierte Benachteiligungsverbot besagt in Absatz 1 Hs. 1 der Vorschrift, dass Beschäftigte nicht wegen eines in § 1 genannten Grundes benachteiligt werden dürfen. Zu den Gründen, aus denen nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG eine Benachteiligung verboten ist, gehört u.a. das Geschlecht. […]

a. Die Klägerin ist durch den Beschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 16.11.2011, der die Bürgermeisterinstelle in die Besoldungsstufe B3 und damit in die niedrigere der beiden zu diesem Zeitpunkt in Betracht kommenden Besoldungsstufen einwies, weniger günstig behandelt worden.
Der nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG erforderliche Vergleich zur Feststellung der weniger günstigen Behandlung erfolgt vorliegend mit dem männlichen Amtsvorgänger der Klägerin, den die Beklagte seit dem 01.01.2011 nach Inkrafttreten des neuen LKomBesG „per Gesetz“ in die höhere Besoldungsstufe B4 einstufte (VAS 261) und in seinem letzten Amtsjahr entsprechend besoldete. Diesem Umstand lag kein reiner Gesetzesvollzug zugrunde, da das neue LKomBesG keine zwingende Besoldung des damaligen Bürgermeisters nach B4 vorsah, sondern den Gemeinden mit einer Einwohnerzahl zwischen 15.000 und 20.000 lediglich die Möglichkeit eröffnete, ihre Bürgermeister nach B4 (oder B3) zu besolden, weshalb diese faktische Besoldung des damaligen Bürgermeisters auch eine Behandlung i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG durch die Beklagte darstellte. Die Klägerin hat durch ihre Einweisung in die niedrigere Stufe B3 eine weniger günstige Behandlung erfahren. Der Argumentation der Beklagten, die Einweisung einer konkreten Person in die betreffende Besoldungsgruppe stelle nur den zwingenden Vollzug einer zuvor personenunabhängig getroffenen Bewertungsentscheidung dar, sodass diese Einweisung schon gar keine Benachteiligung darstellen könne, weil auch jede andere Person infolge des Beschlusses in die Besoldungsgruppe B3 eingewiesen worden wäre, kann nicht gefolgt werden. Zwar ist es richtig, dass die Bewertung nach § 1 Abs. 2 Satz 1 LKomBesG amtsbezogen und damit objektiv erfolgen muss […]. Gerade dieser Umstand steht jedoch hier in Zweifel. Der Gemeinderatsbeschluss […] wurde zwar vor dem Amtsantritt der Klägerin, aber nach ihrer Wahl gefasst, sodass ein Personenbezug rein faktisch nicht ausgeschlossen werden kann.
Die Klägerin und ihr Amtsvorgänger befanden sich auch in einer vergleichbaren Situation i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG. Hierfür ist nicht erforderlich, dass die Situationen identisch sind, sie müssen nur vergleichbar sein. […] Die Feststellung einer vergleichbaren Situation hat anhand eines Gesamtvergleichs zu erfolgen (Serr in: Staudinger, AGG, Stand 2020, § 3 Rn. 10). Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Klägerin und ihr Amtsvorgänger haben unmittelbar hintereinander das gleiche Amt – das des Bürgermeisters bzw. der Bürgermeisterin der Beklagten – ausgeübt und sich dabei jeweils in ihrer ersten Amtszeit befunden. Eine Höherstufung der Besoldung während der Amtszeit sieht das Gesetz grundsätzlich nicht vor, die Einweisung ist vielmehr für die Amtszeit grundsätzlich bindend […], sodass der Umstand, dass sich der Amtsvorgänger bei seiner Besoldung nach B4 in seinem letzten Amtsjahr befand, die Vergleichbarkeit der Situation nicht ausschließt. Die Beklagte hat es auch nicht vermocht aufzuzeigen, dass sich der Umfang und die Schwierigkeiten des Amtes im Laufe des Jahres 2011 derartig geändert haben, dass zum Zeitpunkt des Amtsantritts der Klägerin eine Situation vorgelegen hat, die eine Vergleichbarkeit ausschließen würde. […] Das Handeln ihres Gemeinderats muss sich die Beklagte ebenso wie das Handeln ihrer Verwaltung im Zusammenhang mit der Höherstufung des Amtsvorgängers der Klägerin entsprechend der Grundsätze der §§ 89, 31 BGB zurechnen lassen. […]

b. Die weniger günstige Behandlung der Klägerin erfolgte auch wegen ihres Geschlechts.
aa. Verboten sind gemäß § 7 Abs. 1 AGG nur Benachteiligungen wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes. Der damit geforderte Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die Benachteiligung an eines (oder mehrere) der in § 1 AGG genannten Merkmale anknüpft oder dadurch motiviert ist. Dabei ist ausreichend, dass ein in § 1 AGG genannter Grund Bestandteil eines Motivbündels ist, das die Entscheidung beeinflusst hat (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.03.2011 – 5 C 16/10 –, juris Rn. 26; BAG, Urteil vom 18.03.2010 – 8 AZR 77/09 –, juris Rn. 24 m.w.N.).

Im Hinblick auf den Ursachenzusammenhang zwischen Benachteiligung und Merkmal i.S.d. § 1 AGG sieht § 22 AGG eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor (BAG, Urteil vom 11.08.2016 – 8 AZR 375/15 –, juris Rn. 23). Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt nach § 22 AGG die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat.
Danach genügt eine Person, die sich durch eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus objektiver Sicht und mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass die Benachteiligung zumindest auch wegen jenes Merkmals erfolgt ist. […] Erforderlich sind bei einer Beweisführung durch Indizien stets eine Gesamtschau und Gesamtwürdigung, die alle einzubeziehenden Indizien im Zusammenhang bewertet und darauf gründend fragt, ob der Schluss auf die Vermutung einer Diskriminierung zu ziehen ist (v. Roetteken in: v. Roetteken, AGG, § 22, VIII. Indizien mit Vermutungswirkung, Rn. 179 m.w.N.).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Verwaltungsprozess der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO) gilt. Die Pflicht zur Ermittlung des Sachverhalts von Amts wegen wird jedoch dahingehend von § 22 AGG modifiziert, dass der Mitwirkung der Beteiligten (§ 86 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO) ein größeres Gewicht zukommt, indem die Klägerin die besondere Obliegenheit trifft, das Gericht auf die ihrer Einschätzung nach diskriminierenden Umstände hinzuweisen. Unbeschadet dessen hat das Gericht parallel hierzu von Amts wegen sich aus dem Sachvortrag oder den Verwaltungsvorgängen ergebenden Anhaltspunkten für eine Benachteiligung aufgrund des Merkmals im Sinne von § 1 AGG nachzugehen (vgl. VG Trier, Urteil vom 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR -, juris Rn. 55).
Weiter ist zu berücksichtigen, dass es bei Gremienentscheidungen – wie hier die des Gemeinderats der Beklagten – umstritten ist, ob die benachteiligende Motivation bei der für die Beschlussfassung erforderlichen Mehrheit der Mitglieder (diese Ansicht vertretend: Serr in: Staudinger, AGG, Stand 2020, § 7 Rn. 11 m.w.N.) oder nur bei einem Mitglied vorhanden sein muss. Der Bundesgerichtshof hat es für die Vermutungswirkung des § 22 AGG genügen lassen, dass der Vorsitzende des Gremiums die Gründe, aus denen die Entscheidung getroffen wurde, unwidersprochen vor der Presse wiedergegeben hat, da dieser dabei das gesamte Gremium repräsentiert (Urteil vom 23.04.2012 – II ZR 163/10 -, juris Rn. 36).

bb. Daran gemessen hat die Klägerin vorliegend Indizien vorgetragen, die eine Benachteiligung wegen ihres Geschlechtes vermuten lassen. Als Indizien genügen der Kammer die Umstände, dass die Klägerin auf der Grundlage des Gemeinderatsbeschlusses vom 16.11.2011 während ihrer Amtszeit niedriger besoldet wurde als ihr männlicher Vorgänger in seinem letzten Amtsjahr und ihr männlicher Nachfolger von Beginn seiner Amtszeit an, obwohl es in der Zwischenzeit weder Veränderungen bezüglich des Aufgabenumfangs des Amtes noch ausschlaggebende Änderungen in der Einwohnerzahl der Beklagten gegeben hat.

(1). Der Umstand, dass der männliche Vorgänger der Klägerin im letzten Jahr seiner Amtszeit nach B4 besoldet war, stellt ein Indiz für eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihres Geschlechts dar. Dieser Schlussfolgerung der Kammer liegen die folgenden Erwägungen zugrunde:
(a). Nach der bundesarbeitsgerichtlichen Rechtsprechung zur Beweislast bei der Entgeltdiskriminierung aufgrund des Geschlechts begründet der Umstand, dass eine Person unmittelbar i.S.v. § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG benachteiligt wurde, die von dem beklagten Arbeitgeber widerlegbare Vermutung, dass diese Person die Entgeltbenachteiligung „wegen des Geschlechts“ erfahren hat (BAG, Urteil vom 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 –, juris Rn. 33). Nach § 3 Abs. 2 Satz 1 EntgTranspG liegt eine unmittelbare Entgeltbenachteiligung vor, wenn eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter wegen des Geschlechts bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit ein geringeres Entgelt erhält, als eine Beschäftigte oder ein Beschäftigter des jeweils anderen Geschlechts erhält, erhalten hat oder erhalten würde. Nach § 4 Abs. 1 EntgTranspG üben weibliche und männliche Beschäftigte eine gleiche Arbeit aus, wenn sie an verschiedenen Arbeitsplätzen oder nacheinander an demselben Arbeitsplatz eine identische oder gleichartige Tätigkeit ausführen.
Das Bundesarbeitsgericht bezog sich in seiner Entscheidung auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Darlegungs- und Beweislast in Rechtsstreiten um Entgeltdiskriminierung. Danach trifft die Beweislast für das Vorliegen einer Diskriminierung beim Entgelt aufgrund des Geschlechts grundsätzlich den Arbeitnehmer, der sich diskriminiert glaubt und deshalb gegen seinen Arbeitgeber Klage auf Beseitigung dieser Diskriminierung erhebt (vgl. etwa EuGH, Urteile vom 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny u.a.] Rn. 18; 26; vom 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 52 f., 57 – jeweils juris). Es ist folglich Sache dieses Arbeitnehmers, mit allen rechtlich vorgesehenen Mitteln zu beweisen, dass sein Arbeitgeber ihm ein niedrigeres Entgelt zahlt als seinen zum Vergleich herangezogenen Kollegen und dass er die gleiche oder eine gleichwertige, mit deren Arbeit vergleichbare Arbeit verrichtet, so dass er dem ersten Anschein nach Opfer einer nur mit dem unterschiedlichen Geschlecht erklärbaren Diskriminierung ist (vgl. Urteile vom 28.02.2013 – C-427/11 – [Kenny u.a.] Rn. 19; 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer] Rn. 58, a.a.O.). […] Legt man die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts an, läge daher ein Indiz für eine geschlechtsbezogene Diskriminierung vor.

(b). Aus Sicht der Kammer sind die im Rahmen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens entwickelten Grundsätze auch auf die vorliegende Konstellation zu übertragen. Zwar gilt das Entgelttransparenzgesetz nicht für Kommunal- und Landesbeamte, weshalb die Vorschriften – und damit auch die Rechtsprechung hierzu – jedenfalls nicht unmittelbar anwendbar bzw. übertragbar sind. Jedoch ist zu sehen, dass gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 2 EntgTranspG auch Beamtinnen und Beamte des Bundes sowie der sonstigen der Aufsicht des Bundes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts Beschäftigte im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes sind, weshalb eine Übertragung der Rechtsprechung zu diesem Gesetz auf Landes- und Kommunalbeamte jedenfalls schon nicht vor dem Hintergrund der Besonderheiten des Beamtenrechts ausgeschlossen ist.
Ausschlaggebend für die Annahme einer Übertragbarkeit sind die europarechtlichen Hintergründe der arbeitsgerichtlichen Entscheidung, die ebenso auf den vorliegenden Fall Anwendung finden. Das Bundesarbeitsgericht ist zu seinem Schluss letztlich durch eine unionsrechtskonforme Auslegung von § 22 AGG gelangt (BAG, Urteil vom 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 –, juris Rn. 27 ff.). Diese unionsrechtskonforme Auslegung ist im vorliegenden Fall ebenso geboten. Denn der vom Bundesarbeitsgericht herangezogenen Rechtsprechung des EuGH zur Entgeltdiskriminierung liegt letztlich das Gebot der Entgeltgleichheit aus Art. 157 Abs. 1, 2 AEUV zugrunde. Danach stellt jeder Mitgliedstaat die Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit sicher. Dieses Gebot verlangt, dass Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit das gleiche Entgelt erhalten. Da unter den Arbeitnehmerbegriff des Art. 157 AEUV auch Beamte fallen (Franzen in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Auflage 2022, Art. 157 AEUV, Rn. 13; Krebber in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 6. Auflage 2022, Art. 157 AEUV Rn. 14), ist diese Vorschrift auch bei Kommunalbeamtinnen und -beamten unmittelbar anwendbar und nationale Vorschriften sind im Lichte dieser Norm auszulegen. Um dem Grundsatz der Entgeltgleichheit zur praktischen Wirksamkeit zu verhelfen, muss dessen Einhaltung vor den nationalen Gerichten durchsetzbar sein (vgl. etwa EuGH, Urteil vom 17.10.1989 – 109/88 – [Danfoss] -, juris Rn. 13). Vor diesem Hintergrund der „praktischen Wirksamkeit des Unionsrechts“ ist die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung von § 22 AGG geboten, da höhere Anforderungen einer Durchsetzung des Gebots der Entgeltgleichheit zuwiderlaufen würden. […]

(2). Ob allein dieses Indiz genügt, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG zu begründen, kann hier offenbleiben. Denn im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass auch die Stelle des männlichen Amtsnachfolgers der Klägerin vom Gemeinderat unmittelbar in B4 eingewiesen wurde. […] Entgegen dem Vorbringen der Beklagten vermag auch der Umstand, dass es hier aufgrund des Vorhandenseins von lediglich drei Personen an einer aussagekräftigen Statistik fehlt, nichts an diesem Ergebnis zu ändern. […] Jedoch ist in Anwendung der oben dargestellten Grundsätze bei der Entgeltdiskriminierung keine statistische Betrachtung erforderlich, da nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits eine Betrachtung von lediglich zwei Personen ausreicht (EuGH, Urteil vom 26.06.2001 – C-381/99 – [Brunnhofer], a.a.O., Rn. 58; Franzen in: Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum europäischen Arbeitsrecht, 4. Auflage 2022, Art. 157 AEUV, Rn. 54). […]

cc. Die Beklagte hat es nicht vermocht, die Vermutung einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung zu widerlegen.
(1). Besteht die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung wegen des Geschlechts, trägt die andere Partei nach § 22 AGG die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Hierfür gilt das Beweismaß des sog. Vollbeweises (vgl. etwa BAG, Urteil vom 18.09.2014 – 8 AZR 753/13 -, juris Rn. 33). […] Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers (bzw. Dienstherrn) genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, dieser muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht. […] Eine mangelnde Durchschaubarkeit macht jede Nachprüfung seitens der nationalen Gerichte und auch seitens der durch diskriminierende Maßnahmen beschwerten Personen unmöglich (vgl. BAG, Urteil vom 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 –, juris Rn. 61 ff.). Wird ein Entgeltsystem verwendet, müssen nach § 4 Abs. 4 EntgTranspG und Art. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/54/EG dieses Entgeltsystem als Ganzes und auch die einzelnen Entgeltbestandteile so ausgestaltet sein, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist. Damit eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausgeschlossen ist, muss das Entgeltsystem nach § 4 Abs. 4 EntgTranspG die Art der zu verrichtenden Tätigkeit objektiv berücksichtigen und auf für weibliche und männliche Beschäftigte gemeinsamen Kriterien beruhen (vgl. auch Art. 4 Satz 2 der Richtlinie 2006/54/EG; vgl. näher auch BT-Drs. 18/11133 S. 53). Erforderlich ist zudem eine konsequent geschlechtsneutrale Auslegung und Anwendung der Kriterien der Entgeltdifferenzierung. Auch dies ist vom Arbeitgeber substantiiert darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen (vgl. BAG, Urteil vom 21.01.2021 – 8 AZR 488/19 –, juris Rn. 66 ff.).

(2). Vorliegend bedient sich die Beklagte mit den §§ 1 ff. LKomBesG faktisch eines „Entgeltsystems“, dessen Ausgestaltung auf den ersten Blick eine Benachteiligung wegen des Geschlechts ausschließt, da danach subjektive Erwägungen keine Rolle spielen dürfen, sondern die Besoldungsentscheidung ausschließlich amtsbezogen erfolgt. Allerdings vermag dieser bloße Umstand die Vermutungswirkung nicht zu widerlegen, da auch die geschlechtsneutrale Auslegung der Kriterien dargelegt und bewiesen werden muss.
Dieser Beweis gelingt der Beklagten vorliegend nicht. Aus dem maßgeblichen Beschluss des Gemeinderats der Beklagten vom 16.11.2011 ergibt sich, dass dem Gemeinderat vor der Abstimmung die Verwaltungsvorlage „auf die hiermit verwiesen wird“ „sehr ausführlich“ erläutert wurde. In der Verwaltungsvorlage findet sich ein Absatz, der wie folgt lautet: „Subjektive, das heißt auf die Person des Amtsinhabers bezogene Gesichtspunkte (z.B. besonderes Engagement, Leistung, Ausbildung etc.) dürfen in die Einweisungsentscheidung nicht einfließen. Vielmehr ist die Stelle an sich zu bewerten.“ […] Denn wie oben dargestellt verlangt die Darlegungs- und Beweislast an dieser Stelle den Nachweis, dass ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu der ungünstigeren Behandlung geführt haben. Jedoch vermag es der Beschluss und die zugehörige Vorlage nicht, zu erklären, welche anderen Gründe zu der ungünstigeren Behandlung der Klägerin geführt haben. Die Vorlage enthält schon keinerlei Erwägungen, wieso die Stelle nach B3 bewertet werden sollte, sondern stellt lediglich abstrakt die rechtlichen Grundlagen dar. Auch der Beschluss des Gemeinderats selbst enthält keinerlei Erwägungen. Im Ergebnis vermag die Beklagte es aus Sicht der Kammer daher nicht, nachzuweisen, dass das Geschlecht bei der Entscheidung keine Rolle gespielt hat. […] Soweit der Beklagtenvertreter vorträgt, dass alle Motive in Bezug auf den Gemeinderatsbeschluss spekulativ seien, verkennt er, dass vorliegend eine Vermutung für die Klägerin streitet und die Beklagte daher die Beweislast trägt, dass der ungünstigeren Behandlung andere Gründe zugrunde lagen.
[…] Es ist schon äußerst fraglich, ob die Äußerungen einzelner Gemeinderatsmitglieder […] überhaupt dem Gremium „Gemeinderat“ zugerechnet werden können und damit geeignet sind, die Diskriminierungsfreiheit des Beschlusses zu belegen. Denn beschließendes Organ ist allein der Gemeinderat als Kollegium und nicht die einzelnen Mitglieder. […] Die Rechtswidrigkeit der durch derartige Organe getroffenen Entscheidungen kann deshalb allenfalls durch Heranziehung objektiver, dem Entscheidungsgremium oder beschließenden Ausschüssen zurechenbarer Indizien (Entwürfe, Sitzungsprotokolle und ähnliches) erfolgen (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 19.08.1993 – 5 K 892/92 -, n.v.). Gleiches muss gelten, wenn es um den Nachweis der Diskriminierungsfreiheit eines Beschlusses geht und eine Vermutung – wie vorliegend – für eine Diskriminierung streitet. Letztlich erzwingen die oben angeführten Grundsätze zur Widerlegung der Vermutung faktisch eine Dokumentation der Entscheidung, die vorliegend jedoch nur in ungenügendem Maße erfolgt ist. Aufgrund des nicht aussagekräftigen Beschlusses und der zugehörigen Vorlage vom 16.11.2011 ist im Ergebnis keine wirksame Kontrolle der Diskriminierungsfreiheit der Gemeinderatsentscheidung möglich. Dies geht hier zu Lasten der Beklagten.
c. Den Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot hat die Beklagte auch zu vertreten (§ 15 Abs. 1 Satz 2 AGG).

3. Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht aufgrund der Frist des § 15 Abs. 4 AGG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift muss der Anspruch nach Abs. 1 oder 2 innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden […] Danach erfolgte die schriftliche Geltendmachung des Schadenersatzanspruchs am 28.02.2020 fristgerecht. […]

4. Auch § 839 Abs. 3 BGB steht einem Anspruch der Klägerin nicht entgegen. Zwar beansprucht der darin enthaltene Rechtsgedanke, wonach eine Ersatzpflicht für rechtswidriges staatliches Handeln nicht eintritt, wenn der oder die Verletzte es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels gegen das beanstandete Verhalten abzuwenden, auch im Rahmen von Schadensersatz­ansprüchen nach dem AGG Geltung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 16.04.2013 – 2 B 145/11 – juris Rn. 11; VG Mainz, Urteil vom 21.01.2009 – 7 K 484/08.MZ – juris Rn. 26). Für die Kammer liegen aber vor dem Hintergrund des weiten Beurteilungsspielraums (Organisationsermessen), der Gemeinden bei der Einweisung des hauptamtlichen Bürgermeisters in eine von zwei in Frage kommenden Besoldungsgruppen zugebilligt wird (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 10.07.2012 – 3 K 2321/10 -, juris Rn. 22 m.w.N), und der Unergiebigkeit des Gemeinderatsbeschlusses vom 16.11.2011 keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Nichteinlegen eines Rechtsbehelfs hiergegen durch die Klägerin schuldhaft erfolgte bzw. dass die Einlegung des gebotenen Rechtsmittels den Eintritt des Schadens tatsächlich verhindert hätte (vgl. zu diesem Erfordernis: Dörr in: BeckOGK, Stand 01.12.2022, BGB § 839 Rn. 709).

5. § 15 Abs. 1 AGG begründet einen Anspruch auf Ersatz des durch die verbotene Benachteiligung entstandenen materiellen Schadens. Der Umfang des Schadensersatzanspruchs richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB (BAG, Urteil vom 19.08.2010 – 8 AZR 530/09 –, juris Rn. 75). Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Danach sind alle von der Klägerin geltend gemachten Schadensposten ersatzfähig. Die Differenz zwischen den monatlichen Bezügen nach B3 und B4 (einschließlich der Dienstaufwandsentschädigung i.H.v. 13,5% des festgelegten Grundgehalts) während ihrer Amtszeit […] fällt ebenso darunter wie die Differenz ihres Übergangsgeldes […], das sich hinsichtlich der Höhe nach den Dienstbezügen richtet, § 64 Abs. 1 LBeamtVG. Weiter sind auch ihre vorgerichtlichen Anwaltskosten […] als Schadens­posten ersatzfähig (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 10.01.2012 – 5 LB 9/10 –, juris Rn. 73).
Auch die Zahlung der Differenz hinsichtlich des künftigen Altersgeldes ist von dem Schadensersatzanspruch umfasst, da sich auch dieses (u.a.) nach dem Grundgehalt bemisst, §§ 89, 19 LBeamtVG. […]