STREIT 4/2023

S. 166-173

Feministische Kontroversen zur Regulierung von Live-in-care. Ein Debattenbeitrag zum Artikel von Marianne Weg in STREIT 1/2023

Live-in-care bedeutet ugs. "24-Stunden-Pflege"

In vielerlei Hinsicht ist die Lage rund um die Pflege und Betreuung älterer Personen verzwickt – auch oder vor allem aus feministischer Perspektive. In aller Regel sind es Frauen, die ältere pflege- und betreuungsbedürftige Menschen pflegen und betreuen, ob unbezahlt als Angehörige oder erwerbsförmig in Pflegeeinrichtungen oder ambulanten Pflegearrangements. Das deutsche Pflegesystem baut immer noch explizit auf eine Struktur, die man „familialistisch“1 oder auch einfach patriarchal nennen kann. Dieses System, das sich auf die (überwiegend unbezahlte) Sorgearbeit von Frauen verlässt, bildet den Hintergrund für ein Arrangement,2 in dem typischerweise mittel- und osteuropäische3 Frauen abwechselnd bzw. zeitweise4 in dem Privathaushalt der zu betreuenden Person arbeiten und wohnen.
Mit diesen Arrangements hat sich auch Marianne Weg in Heft 1 der STREIT 2023 beschäftigt.5 Mit ihrer Analyse über viele der zentralen Probleme dieser Pflege-, Betreuungs- und Arbeitsform stimmen wir grundsätzlich überein. Auch sind wir uns einig, dass dringender politischer Handlungsbedarf besteht. Wie diese Regulierung jedoch erfolgen sollte, bei dieser Frage gehen die Positionen auseinander. So endet der Artikel von Marianne Weg am Ende mit einer Forderung, die wir für nicht mehr akzeptabel halten: die Forderung nach einer Einschränkung des Arbeitnehmer:innenschutzes durch Aufweichen von arbeits(zeit)rechtlichen Schutzvorschriften. Der Vorschlag, § 18 Abs. 3 ArbZG auf die Arbeit der „live-in“-Betreuerinnen anzuwenden,6 würde eine Ausnahme von Arbeitszeitbegrenzungen und damit letztlich 24h-Arbeit ermöglichen. Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz, die aktuell rechtswidrig sind, würden damit scheinbar7 legalisiert.
Dieser Artikel stellt zunächst dar, wo die Problemanalyse von Marianne Weg in ihrem Artikel8 zu kurz greift, wo die Lösungsvorschläge auf rechtliche Grenzen stoßen, und wie Gestaltungsvorschläge aussehen könnten, die auch die gesellschaftlichen Fragen, welche das Problemfeld strukturieren, thematisieren.

Problemanalyse: dringender politischer Handlungsbedarf

Wie Marianne Weg richtig darstellt,9 wird übereinstimmend aus verschiedenen Perspektiven ein dringender Handlungsbedarf identifiziert.10

Drei Gruppen von Frauen
Insgesamt 84,0 % aller Pflegebedürftigen in Deutschland wurden 2021 zu Hause versorgt.11 Das hat auch viel damit zu tun, dass insbesondere Angebote der stationären Langzeitpflege oft höchst problematisch sind. Einerseits wird die stationäre Pflege stetig teurer,12 darüber hinaus sind vakante Plätze in Pflegeheimen zunehmend rar.13 Auch geraten die Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte (ca. 70 % weiblich) in Altenpflegeheimen und der ambulanten Pflege angesichts steigender Arbeitsverdichtung und des Fachkräftemangels massiv unter Druck. Das hat auch Auswirkungen auf die Qualität der Pflege, die in vielen Einrichtungen nicht mehr akzeptabel ist.14
In der Konsequenz übernehmen pflegende Angehörige oft einen Großteil der Pflege- und Betreuungsarbeit; dabei handelt es sich überwiegend um Frauen.15 Folge der Übernahme ist die Reduzierung oder sogar die vollständige Aufgabe der eigenen Erwerbstätigkeit und der Einsatz eines Großteils der Freizeit für die Pflege und Betreuung. Dies ist für die pflegenden Angehörigen nicht nur eine massive körperliche und psychische Belastung;16 es hat auch gravierende Auswirkungen auf ihre Erwerbsbiografien und die eigene (finanzielle) Absicherung.
Für diese Angehörigen ist es eine große Entlastung, wenn monatsweise Unterstützung durch eine „Frau aus Osteuropa“17 kommt, die im Haushalt lebt und dann im Zweifel für alle Fragen ansprechbar ist. Allerdings: Die Beschäftigung ist häufig rechtswidrig gestaltet, der Aufenthaltsstatus manchmal irregulär, Arbeitsbedingungen prekär, von der Entlohnung bis zu den Arbeitszeiten und dem Arbeits- und Gesundheitsschutz, ebenso die Lebensbedingungen vor Ort. Für die Live-in-Kräfte gibt es kaum individuelle Möglichkeiten, sich zu wehren.18 In einer aktuellen Studie wurden Ende 2022/Anfang 2023 609 dieser Beschäftigten zu ihren Perspektiven und Bedarfen befragt. Eine überwiegende Mehrheit möchte im Rahmen eines regulären Arbeitsvertrags tätig werden, hat ein Bedürfnis nach sozialer Absicherung und Rechtssicherheit beim Aufenthalt und in der Beschäftigung, nach einer klaren Trennung von Arbeits- und Freizeit sowie nach der Einhaltung von Höchstarbeits- und Ruhezeiten.19

Konkurrenz zwischen zwei Gruppen von Frauen als Hauptproblem?
Mit der Problemanalyse von Marianne Weg stimmen wir bis hierhin überein, sodann beginnt jedoch die Kontroverse. Unser Eindruck ist, dass die Lösungsansätze im Artikel von Marianne Weg20 einerseits die pflegepolitischen Rahmenbedingungen nicht in Frage stellen,21 andererseits aber die Wünsche der Betreuten fast absolut setzen; Zitat: „Das Selbstbestimmungsrecht pflegebedürftiger Menschen über ihre Wohn- und Betreuungssituation ist ein Grundrecht. Alle Umfragen und Analysen belegen, dass die meisten alten Menschen auch in ihren letzten Lebensjahren im vertrauten Zuhause leben wollen und Angehörige diesen Willen unterstützen, solange sie das ermöglichen können.“22 Es ist kein Zufall, dass der Artikel sowohl Grundrechte allgemein als auch den Begriff der „Selbstbestimmung“ ausschließlich in Bezug auf die pflegebedürftigen Menschen erwähnt, nicht aber in Bezug auf pflegebedürftige Angehörige oder Live-in-Beschäftigte.
Wenn dieses Grundrecht von pflegebedürftigen Personen schrankenlos absolut gesetzt wird, dann ist die Konsequenz des Artikels nachvollziehbar: Entweder eine Angehörige oder eine „Frau aus Osteuropa“ muss ran. Und dann verwundert es nicht, dass der Artikel beide Gruppen in ein klares Konkurrenzverhältnis setzt; Zitat: „Schutz vor zeitlicher, physischer und psychischer Überbeanspruchung braucht die Angehörige (…) genauso wie die abhängig beschäftigte Betreuerin. (…) Wenn sich die pflegende Tochter, Schwiegertochter oder Ehefrau rund um die Uhr kümmert – was wäre der Unterschied zu der mit Recht kritisierten Arbeitssituation der osteuropäischen Betreuerin: dass Erstere es schlussendlich doch ‚aus Liebe‘ tut, nicht des Erwerbs wegen?“23

Frauen unter sich?
Der Vorschlag stellt damit im Kern „gute Pflege“ in den Vordergrund und vernachlässigt dagegen „gute Arbeit“.24 Auch bei dem Vorhaben der Ampel-Koalition, eine Regelung für Live-in-Care zu schaffen, die für Rechtssicherheit sorgt,25 bleibt offen, ob die Rechtssicherheit den Live-in-Betreuerinnen oder den belasteten Angehörigen „zugute“ kommen soll. Die politische Debatte scheint darüber ins Stocken geraten zu sein. Selten ist aber diese Frage so klar formuliert worden wie nun in Marianne Wegs Artikel: Es soll danach darum gehen, dass die Gesellschaft bzw. die Gesetzgebung sich entscheidet, wessen Ausbeutung eher akzeptiert werden kann, Zitat: „Ob die pflegende Angehörige weniger abhängig und ausbeutbar ist als die osteuropäische Live-in-Betreuerin, ist noch die Frage.“26 Und er bezieht dann Position – für die Angehörigen und damit gegen die „Frau aus Osteuropa“.
Unserer Meinung nach müssten aber auch die gesellschaftlichen Machtverhältnisse entlang des Geschlechts in den Blick genommen werden, die dazu führen, dass in diesem Konflikt nur noch Frauen gegeneinanderstehen bzw. gegeneinander gestellt werden. Ist es nicht auch Aufgabe feministischer Politik, Verhältnisse zu analysieren und zu kritisieren, die Familien27 vor die menschliche, emotionale, bürokratische und finanzielle Mammutaufgabe stellen, eine Betreuung, Haushaltsunterstützung und/oder Pflege selbst zu organisieren oder selbst zu leisten? Uns ist es wichtig, dass das familialistische Pflegesystem als Ganzes betrachtet wird, die Verteilung gesellschaftlichen Reichtums zulasten von Care-Arbeit thematisiert und die Finanzierung des Pflegesektors skandalisiert wird. Schließlich entwerten die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen eines familialistischen Pflegesystems Care-Arbeit und erkennen diese nicht als solche an.
„Selbstbestimmung“ heißt für uns nicht, dass eine unter schwierigsten gesellschaftlichen Bedingungen zu treffende Entscheidung allein im privaten Kämmerchen erfolgen muss. „Selbstbestimmung“ in einem emanzipatorischen Sinn heißt doch auch, dass eine betreuungs-/pflegebedürftige Person die Chance bekommt, sich darüber auszutauschen, in welchem Maße Hilfe benötigt wird, und dass der Austausch darüber nicht nur mit den eigenen Kindern stattfindet, sondern auch mit Expert:innen, die eine objektivere Perspektive zur Einschätzung eines Unterstützungsbedarfes ins Spiel bringen können. Auch sollte die betreuungs-/pflegebedürftige Person Optionen und Betreuungskonstellationen kennenlernen können, die die Zumutbarkeit auch für andere Personen (pflegende Angehörige oder Live-in-Kräfte) berücksichtigen – um auf dieser Basis eine gute Entscheidung für sich selbst treffen zu können. Eben diesem Ziel dient – etwas technisch bezeichnet – das „Case Management“.28

Rechtlicher Rahmen für Gestaltungsvorschläge

Die Lebens- und Arbeitssituation der „Frau aus Osteuropa“: „Live-in“ oder „häusliche Betreuung“?
Bevor zunächst der (unions- und verfassungs-)rechtliche Rahmen für eine mögliche Gestaltung skizziert wird, muss auch auf die Bezeichnung dieser Arbeits- oder Betreuungsform eingegangen werden. Denn wie so oft, ist auch hier die Sprache der Ausdruck von Macht- und Problemanalysen.
Umgangssprachlich, aber auch manchmal von Vermittlungsagenturen, wird der Begriff der „24-Stunden-Pflege“ oder „24-Stunden-Betreuung“ genutzt. Dieser Begriff schürt und normalisiert die Erwartungshaltung, dass die Beschäftigte 24 Stunden am Tag zur Verfügung steht – eine Erwartung, die nicht nur gegen arbeitszeitrechtliche Schutzvorschriften verstößt, sondern auch meist durch die Verträge, die die Live-in-Kräfte abgeschlossen haben, keineswegs abgedeckt ist.29 Dementsprechend schlägt die Caritas vor, im Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) zu verdeutlichen, dass es sich bei der Bezeichnung „24-Stunden-Betreuung bzw. Pflege“ um irreführende und damit verbotene Werbung handelt.30
Marianne Weg folgt stattdessen einer anderen verbreiteten Terminologie, der auch die meisten Vermittlungsagenturen folgen; sie sprechen in der Regel von „(häuslicher) Betreuung“. Der Begriff legt durch die begriffliche Nähe zum gesetzlich geregelten (ambulanten) Betreuungsdienst31 nahe, dass es sich um unproblematische, nicht lebensnotwendige und letztlich vor allem hauswirtschaftliche Tätigkeit handelt, für die es eben keiner professionellen Pflegefachkraft bedarf.
Im wissenschaftlichen Kontext wird mittlerweile in der Regel von „Live-in-Arbeit“ (oder Live-in-Betreuer:innen) gesprochen. Dadurch wird das entscheidende wesentliche Problem dieser Arbeit hervorgehoben, nämlich die Tatsache, dass die Beschäftigten im Privathaushalt der zu betreuenden Person leben und arbeiten. Nun könnte man einwenden, dass dies schlicht und einfach den Notwendigkeiten vor Ort geschuldet sei. Um die Debatte zu versachlichen, sei hier nur kurz darauf hingewiesen, dass die Live-in-Kräfte keineswegs Geld einsparen, indem sie die „kostenfreie Wohnmöglichkeit“32 wahrnehmen. Denn sie alle haben eine Wohnung in ihrem Herkunftsland, die bezahlt werden muss, und sind für Angehörige zu Hause ggf. unterhaltspflichtig. Auch die Bezeichnung der Monate, in denen die Live-in-Betreuerin nicht in Deutschland, sondern im Herkunftsland ist, als „Pause“33 zeigt, wie sehr die Beschäftigten allein in ihrer Funktion für die deutschen Haushalte gesehen werden; so wird ignoriert, dass die Frauen in den Monaten im Herkunftsland ggf. andere Erwerbsarbeit34 oder unbezahlte Sorgearbeit für eigene Angehörige leisten.
Viel wichtiger ist aber: Bei der Frage des Wohnens im Haushalt geht es gar nicht in erster Linie um Kosten; es geht letztlich um Macht, um gegenseitige Erwartungen und Bedarfe sowie Bedürfnisse der Betreuten. Marianne Weg weist zu Recht darauf hin, dass die Woche von pflegenden Angehörigen nicht nur wöchentlich 20 oder 40 Stunden Betreuungsarbeit umfasst, sondern „weitere 148 oder 128 Stunden Lebenszeit der zu betreuenden Person“.35 Eine „Frau aus Osteuropa“, die im Haushalt wohnt, ist ebenfalls mit diesen Erwartungen konfrontiert, und zwar allein aufgrund der Tatsache, dass sie wie ein Familienmitglied im Haushalt lebt. Das zentrale Problem dieser Arbeitsform – die exzessiven Arbeits- und Bereitschaftszeiten – resultiert daraus, dass die Arbeitskräfte im Haushalt den Erwartungen der Betreuten ausgeliefert sind.
Das heißt übrigens nicht, dass immer und in jedem Fall auch 24 Stunden Arbeitszeit täglich abzurechnen sind, wie Marianne Weg anzunehmen scheint. Aber Konstellationen wie diejenige, über die das Bundesarbeitsgericht im Juni 2021 zu entscheiden hatte, sind geradezu exemplarisch:36 Die bulgarische Live-in-Kraft hatte einen Arbeitsvertrag über sechs Stunden pro Tag, lebte aber im Haushalt und war tatsächlich dauerhaft zuständig für Bedarfe der pflegebedürftigen Person. Das Bundesarbeitsgericht (bzw. nach der Zurückverweisung das Landesarbeitsgericht) entschied aus diesem Grunde zu Recht, dass darüber hinaus durchschnittlich 18 Stunden pro Tag jedenfalls Bereitschaftsdienst geleistet wurden (die mit dem Mindestlohn zu vergüten sind).37
Der Begriff „Betreuung“ spiegelt nicht wirklich wider, mit welchen Aufgaben die Live-in-Kräfte tatsächlich konfrontiert werden. Diese umfassen ein weites Spektrum an Sorgeaktivitäten, von körperbezogener und psychosozialer Unterstützung im Alltag über Beschäftigung und kognitive Aktivierung sowie Haushaltsführung und Beaufsichtigung (bei Demenz) bis hin zu Aufgaben der Grund- und (im Widerspruch zu gesetzlichen Bestimmungen) der Behandlungspflege.38
Viele Angehörige oder Pflegebedürftige, die betroffen sind und nicht selten selbst eine feministische Perspektive vertreten, haben meist – aus guten Gründen – ihre individuelle Situation und ihren eigenen respektvollen Umgang mit den Beschäftigten vor Augen. Dabei wird leicht übersehen, dass dies gesellschaftlich nicht die Norm ist: In Deutschland werden Pflegebedürftige überwiegend (84 %) zu Hause versorgt;39 fast 1/3 aller pflegebedürftigen Personen mit Pflegegrad 5 („schwerste Beeinträchtigungen ihrer Selbstständigkeit oder Fähigkeiten“40 ) wurden 2021 sogar ohne Unterstützung ambulanter Pflegedienste zu Hause betreut.41
Diese alarmierenden Zahlen spiegeln sich dann auch in Beschäftigungsverhältnissen von Live-in-Kräften wider: In einer neueren Befragung von 383 Live-in-Kräften gab knapp ein Drittel der Befragten an, Personen mit einem Pflegegrad von 4 („schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit“)42 oder sogar Pflegegrad 5 zu betreuen. Unabhängig vom Pflegegrad liegt bei 63,7 % der von den Live-In-Kräften betreuten Personen eine Demenzerkrankung vor. Diejenigen, die Personen mit höheren Pflegegraden pflegen, geben ein geringeres Maß an zusätzlicher externer oder Angehörigen-Unterstützung an als diejenigen, die Personen mit niedrigeren Pflegegraden betreuen.43
Alarmierend sind diese Zahlen – im Hinblick auf pflegende Angehörige und auf die Live-in-Kräfte. Denn Pflegeexpert:innen sind der Meinung, dass bei einem Pflegegrad 5 oder bei fortgeschrittener Demenz wegen der damit verbundenen besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung eine häusliche Betreuung für die Pflegenden (sei es durch Angehörige oder auch Live-in-Kräfte) nicht mehr sachgerecht zu bewältigen ist.44
Auch die Gefahr von Gewalt ist nicht zu unterschätzen. Immerhin verpflichtet künftig Art. 8 lit. b und c des Übereinkommens Nr. 190 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 21. Juni 2019 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt45 dazu zu ermitteln, in welchen Branchen, Berufen oder Arbeitssituationen Beschäftigte stärker Gewalt und Belästigung ausgesetzt sind, um diese entsprechend wirksam schützen zu können. Und es ist anerkannt, dass die Arbeit in Privathaushalten insofern ein besonders gefährdeter Arbeitsbereich ist (Nr. 9 der Empfehlung 206 zu diesem Übereinkommen).46
Angesichts dieser objektiven Gefährdungslagen sollten das Recht und die Gesellschaft allen Betroffenen und Beteiligten mehr anbieten können als den bloßen Aufruf „die Pflegebedürftigen, ihre Angehörigen sowie alle professionell Beteiligten (z.B. ambulanter Pflegedienst) müssen eine respektvolle, sachbezogene Haltung gegenüber der Betreuungskraft entwickeln“.47

Regulierungs- und Gestaltungsvorschläge
Dennoch: Was die Grundlinie der Kritik an diesen Beschäftigungsverhältnissen und ihrer Regulierung angeht, sind wir mit Marianne Weg ganz einig48 (wenn man von Detailfragen wie die nach der – rechtlich nicht durchführbaren49 – Forderung absieht, dass für Arbeitsverträge und Arbeitsbedingungen mit osteuropäischen Arbeitgebern deutsche Rechtsvorschriften gelten sollen). Die wichtigste Forderung ist dabei: „Ein geordneter Arbeitsmarkt für häusliche Betreuungskräfte braucht einen Strukturwandel dergestalt, dass mittel- bis langfristig vor allem in Deutschland ansässige privatwirtschaftliche oder sozialwirtschaftliche Unternehmen Arbeitgeber der Betreuungskräfte und Vertragspartner der Privathaushalte werden.“50 Mit dieser Forderung nach der Einbettung von Live-in-Care in Arbeitsverhältnisse sind wir uns u.a. auch mit Maria Sagmeister51 darin einig, dass das sog. österreichische Modell (Schein-Selbstständigkeit legalisieren) nicht als zielführend gelten kann.52
Einig sind wir uns auch darin, dass ein Betreuungs-Mix zwingend erforderlich ist. Dieser ist rechtlich bereits möglich, jedoch werden finanziell gegenteilige Anreize gesetzt.53 Allerdings fragt es sich, wie wirksam ein solcher Mix noch durchgesetzt und gestaltet werden kann, wenn der Gesetzgeber gleichzeitig durch Aufweichung des Arbeitszeitregimes eine (Schein-)Legalisierung der „24h-Pflege“ anbieten würde.

Völker-, unions- und verfassungsrechtlicher Rahmen
Der Begriff der Schein-Legalisierung soll verdeutlichen, dass die Aufweichung des Arbeitszeitregimes, d.h. die Nutzung des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG rechtswidrig wäre, also nicht wirksam umsetzbar ist.
Nach geltendem Recht ist die Ausnahmeregelung auf Live-in-Care jedenfalls nicht anwendbar.54 Eine Änderung dieser Rechtslage ist nach dem Unionsrecht unzulässig.55 Denn die Bereitschaftszeit von Live-in-Kräften ist in aller Regel als Arbeitszeit zu bewerten.56 Dies hat das Bundesarbeitsgericht im Juni 2021 auch für das deutsche Recht bestätigt.57 Es ist nicht ersichtlich, dass das Unionsrecht insoweit Abweichungen oder Ausnahmen zulässt. Auch aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts ist fraglich, ob der deutsche Gesetzgeber eine so vulnerable und gefährdete Gruppe in dieser Weise völlig schutzlos stellen darf, was die Gefahren für Gesundheit und Sicherheit sowie das Recht auf ein Mindestmaß an selbstbestimmter Freizeit angeht.58 Auch völkerrechtlich ist eine Änderung der Rechtslage aufgrund des Übereinkommens Nr. 189 der Internationalen Arbeitsorganisation vom 16. Juni 2011 über menschenwürdige Arbeit für Hausangestellte (BGBl. II 2013, S. 923 ff) nicht möglich.59
Ein weiteres Argument ergibt sich aus dem Antidiskriminierungsrecht. Der Europäische Gerichtshof hat bereits im Februar 2022 entschieden, dass Hausangestellte nicht gegenüber anderen Beschäftigten benachteiligt werden dürfen. Denn wenn Hausangestellte (wie im Fall der Live-in-Arbeit) überwiegend Frauen sind, stellt ihre schlechtere Behandlung eine mittelbare Diskriminierung aufgrund des Geschlechts dar.60
Das heißt nicht, dass 1:1-Betreuung in Live-in-Situationen nicht rechtskonform durchgeführt werden kann. Es müssten dann aber spezifische Bedingungen gegeben sein: In der Konstellation, dass eine pflege- und betreuungsbedürftige Person gar keinen Bedarf an Betreuung Rund-um-die-Uhr hat, lassen sich die Grenzen des ArbZG gewährleisten.
Hat die betreuungsbedürftige Person einen Rund-um-die-Uhr Betreuungsbedarf oder ist eine durchgehende Bereitschaft erforderlich, muss die Freizeit der Live-in noch expliziter durch die konkrete Verantwortungsübernahme anderer/externer Personen abgesichert sein (Pflege-Mix). Um dies rechtssicher für die Beschäftigte abzusichern, bedarf es aber einer Begleitung und Beratung durch Pflege-Expert:innen („Case Management“). Case Management sollte als staatlich unterstützte, bestenfalls kommunal agierende Beratungsinfrastruktur, personenzentriert bei der Bedarfsanalyse unterstützen, die notwendigen und zugänglichen Unterstützungsangebote ermitteln und verlässlich klären; auf dieser Basis ließe sich dann organisieren, wer die Betreuung oder Pflege in der Freizeit der Live-in übernimmt.61

Ein Blick auf das pflegepolitische und gesellschaftliche Ganze

Durchsetzung von vertretbarer Live-in-Care (oder besser: häusliche 1:1 Betreuung)
Auch wenn sich die Argumentation in dem Artikel von Marianne Weg stark auf das Gegeneinander unterschiedlicher weiblicher Perspektiven orientiert, so liegt ihr auch eine pflegepolitische Idee zugrunde: Live-in-care soll normalisiert und eine weitere „Säule des Pflegesystems“62 oder Teil eines Langzeitpflege-Systems“63 werden.
Der Artikel stellt zu Recht die Frage, welcher sozialstaatliche Rechtsrahmen hierfür „geeignet“ ist. Die Antwort darauf erscheint aus juristischer und feministischer Sicht aber eigentlich recht einfach: Geeignet ist der Arbeitsschutz, der für alle anderen Arbeitsverhältnisse gilt. Eine andere Bewertung von Arbeitszeiten oder Bereitschaftszeiten bei Live-in-Care führt zu einer weiteren gesellschaftlichen Abwertung und Geringschätzung von Care-Arbeit und leistet dadurch allen Personen, die sich Sorgearbeit widmen, auch Angehörigen, einen Bärendienst.
Es sollte nicht vergessen werden, dass allein die zunehmende Diskussion um eine angebliche Legitimität von Live-in-Care schon dazu führt, dass Betreuungskonstellationen in ganz anderen Bereichen, z.B. im Bereich der Unterstützung von Menschen mit Behinderung, sich verschlechtern, weil Sozialversicherungsträger hier eine Chance zum „Sparen“, d.h. zur Deregulierung sehen; es gibt bereits Beispiele, in denen Menschen mit Behinderung darauf verwiesen wurden, dass sie statt des herkömmlichen Betreuungsmodells (24-Stunden-Assistenz durch mehrere Personen als Eingliederungshilfe gemäß §§ 90 ff. SGB IX) doch auf 24/7 Live-in-Betreuung zurückgreifen könnten.64
Zudem ist die Strategie höchst riskant: Angesichts des sich zuspitzenden Fach- und Arbeitskraftmangels ist der Arbeitskräftebedarf in der Altenpflege immens. Marianne Weg weist darauf hin, dass Live-in-Kräfte ja entscheiden könnten, ob sie nach ihrer „Pause“65 in diesen Haushalt zurückkehren oder anderswo arbeiten wollten.66 Damit wird übersehen, dass es auf dem Live-in-Arbeitsmarkt selbst nur die Wahl zwischen äußerst prekären und etwas weniger prekären Beschäftigungsverhältnissen gibt67 (falls diese Wahl angesichts problematischer Vertragsstrafenklauseln in den Verträgen überhaupt realistisch wahrgenommen werden kann).68 Deshalb besteht bei qualifizierten Live-in-Kräften eher ein Anreiz, in anderen Bereichen des Pflegearbeitsmarkts tätig zu werden.69 Pflegepolitisch auf Live-in-Arbeit und damit auf höchst prekäre Beschäftigungsverhältnisse zu setzen, könnte nicht nur die gesellschaftliche Debatte um den Wert und die Anerkennung von Care-Arbeit schwächen,70 sondern auch die Belastungssituation von Angehörigen eher verschärfen als entschärfen.

Pflegepolitische Reduktion der Nachfrage nach rechtswidrigen Modellen
An anderer Stelle71 wurden Maßnahmen zur „Reduktion der Nachfrage“ nach Live-in-Care vorgeschlagen. Marianne Weg missversteht den Vorschlag offensichtlich als konkrete Handlungsanleitung für Behörden und kann sich zur Umsetzung nur Verbote und Sanktionen vorstellen.72 Davon war aber nie die Rede. In der Sache geht es um einen Diskussionsvorschlag für eine pflegepolitische Neuorientierung, um erste Schritte für einen Weg heraus aus der Sachgasse des familialistischen deutschen Pflegesystems, um Forderungen nach Schaffung und Finanzierung von qualitativ hochwertigen Angeboten für Betreuungsmodelle wie Wohncluster, Wohngruppen, Wohn-Pflege-Gemeinschaften, für den Ausbau qualitativ hochwertiger stationärer Versorgung, sowie bezahlbarer, professioneller Dienstleistungen zur Unterstützung der Angehörigenpflege.73 Denn eine Nachfrage reduziert man dadurch, dass man gute alternative Angebote schafft und diese mit einem finanziellen Anreiz- und Zertifizierungssystem unterfüttert; d.h. gute finanzielle Leistungen aus der Pflegeversicherung müssten bereit stehen, aber nur wenn Angebote genutzt werden, die auch die Mindeststandards guter Arbeit gewährleisten.74 Tatsächlich lässt sich sogar nachweisen, dass in den Staaten, in denen es flexible lokale und ambulante Betreuungsoptionen mit gutem Zugang zu Unterstützung gibt, Live-in-Betreuung kaum vorkommt.75
Zur Finanzierung ist es notwendig, die Einnahmebasis z.B. durch Steuerfinanzierung oder den Umbau zu einer Bürger:innen-Versicherung zu verbreitern.76 Pflege- bzw. Wirtschaftsexpert:innen haben sich schon mit konkreten Berechnungen hierzu beschäftigt.77

Fazit: „Eine Frau aus Osteuropa für die Pflege zu Hause“ sollte kein Programmsatz werden!

Der Artikel von Marianne Weg stellt die Frage: Für wen soll eigentlich welches Problem gelöst werden – für die Angehörigen von pflegebedürftigen Personen das Problem „guter Pflege“ oder für die ausländischen Live-in-Kräfte das Problem „guter Arbeit“? Diese Frage zu stellen, ist eine Falle. In einem Rechtssystem, in dem ausländische Arbeitnehmerinnen keine Stimme haben, werden sie am Ende nicht gehört werden. Angehörige, die ihren Eltern den Verbleib in ihrer Wohnung ermöglichen wollen, vergessen oft, dass die Betreuungskraft kein Familienmitglied ist, sondern eine außenstehende erwerbstätige Person, die gegenüber der zu betreuenden Person – wenn es gut läuft – vielleicht Sympathie empfindet, aber keine emotionale Bindung zu dieser haben muss; für sie geht es vornehmlich darum, ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das gilt erst recht, wenn sie aufgrund von wirtschaftlichen Zwängen ihren Lebensunterhalt im Ausland verdienen muss.
Gesellschaftliche Konstruktion von weiblicher Sorgearbeit, ökonomisch marginalisierter und rechtlich stereotypisierter Care-Arbeit in Privathaushalten zeigt sich nirgends so deutlich wie in Live-in-Arbeit.78 Eine Forderung, die Arbeitsschutz für Live-in-Kräfte aufweicht, blendet im Ergebnis intersektionale Perspektiven derjenigen Frauen aus, welche am „Ende“ der globalen bzw. transnationalen Betreuungskette von sorgenden Frauen stehen.79
Die Betreuung der eigenen Eltern ist ein hochemotionales Thema, und die Haltung zur Live-in-Arbeit hängt stark von der eigenen Betroffenheit ab. Dabei gerät der Skandal aus dem Blick: Die Politik schaut weg und lässt die Betroffenen – einschließlich der Beschäftigten – mit ihrem Dilemma allein. Die Forderung, Live-in-Arbeit als eigenständige „Säule des Pflegesystems“ anzuerkennen, legitimiert aber am Ende gesellschaftliche Rahmenbedingungen eines familialistischen Pflegesystems, das Care-Arbeit entwertet und nicht anerkennt.
Vielmehr muss dringend das Pflegesystem grundlegend und so reformiert werden, dass nicht gute Pflege gegen gute Arbeit weiter ausgespielt werden kann.

  1. Aulenbacher, Brigitte/Lutz, Helma/Schwiter, Karin: Gute Sorge ohne gute Arbeit? (2021) S. 8 f.
  2. Genaue Zahlen gibt es nicht. Schätzungen reichen von 163.000 deutschen Haushalten (Hielscher/Kirchen-Peters/Nock: Pflege in den eigenen vier Wänden (2017) S. 95) bis hin zu ca. 600.000 Personen, die in Deutschland zeitweilig tätig werden vgl. Leibl­finger/Prieler/Schwiter/Steiner/Benazha/Lutz, Journal of Long Term Care 2020, 144; Habel, Simone/Tschenker, Theresa: Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege, in: Study. edition Hans-Böckler-Stiftung, 471 (2022), S. 10.
  3. Aus der EU sowie aus Drittstaaten. Für Daten vgl. Habel/Tschenker: a.a.O. (Fn. 3), S. 10 ff.; Rossow, Verena/Leiber, Simone, „Mehr Fortschritt wagen“ auch im Feld der Live-in-Pflege? Deutsches Institut für Interdisziplinäre Sozialpolitikforschung (DIFIS)-Impuls 2022, 1, 2 ff. m.w.N.
  4. Nach einer aktuellen Umfrage unter Betreuer:innen in Polen betrug die durchschnittliche Dauer der Arbeit mit einer Pflegeperson 2-3 Monate. (Związkowa Alternatywa, Badanie o polskich pracownikach opieki w Niemczech – niepokojące dane 2021).
  5. Weg, Marianne: 24-Stunden-Pflege neu denken. STREITige Gedanken zu einer emotionalisierten Debatte, in STREIT 1/2023, S. 14-22; siehe auch schon Herweck, Rudolf/Weg, Marianne, „24-Stunden-Pflege“ Abschaffen oder neu gestalten? Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge (NDV) 2022, 399 und die Erwiderung hierauf von Kocher, Eva/Scheiwe, Kirsten, Welche Regelungen sind für eine sozial verantwortliche Absicherung der häuslichen Betreuung erforderlich?, (NDV) 2022, 494-498.
  6. Zu den Begrifflichkeiten siehe unten unter „Die Lebens- und Arbeitssituation der „Frau aus Osteuropa“: „Live-in“ oder „häusliche Betreuung“?“
  7. Zu den rechtlichen Grenzen siehe unten unter „Völker-, unions- und verfassungsrechtlicher Rahmen“.
  8. Weg, Marianne, a.a.O. (Fn. 6).
  9. Weg, Marianne, a.a.O. (Fn. 6).
  10. So beispielsweise policy paper von Emunds, Bernhard/Kocher, Eva/Habel, Simone/Tschenker, Theresa/von Deetzen, Verena, Gute Arbeit für Live-in-Care (2021); Diakonie, Live-in-Kräfte in Deutschland. Die „24-Stunden-Pflege“ – eine Herausforderung, der wir uns stellen müssen! (2022); Caritasverband e.V.: Position des Deutschen Caritasverbandes e.V.: Betreuung von Pflegebedürftigen im Privathaushalt. Legal und gerecht gestalten. (online 22.11.2022); Freitag, Nora, Arbeitsausbeutung beenden, Osteuropäische Arbeitskräfte in der häuslichen Betreuung in Deutschland, Deutsches Institut für Menschenrechte (2020); Hagedorn, Jonas/Hänselmann, Eva/Emunds, Bernhard/Heimbach-Steins, Marianne: Doppelte Personenzentrierung. Oswald von Nell-Breuning-Institut (2022); Schabram, Greta/Freitag, Nora: Harte Arbeit, wenig Schutz, Deutsches Institut für Menschenrechte (Oktober 2022); Herweck/Weg, a.a.O. (Fn. 6) 399; Weg, a.a.O. (Fn. 6).
  11. www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Gesundheit/Pflege/_inhalt.html, abgerufen am 6.9.2023.
  12. www.zdf.de/nachrichten/politik/pflege-kosten-heim-zuzahlungen-100.html abgerufen am 17.8.2023.
  13. Vgl. www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wie-schwierig-es-ist-einen-platz-im-pflegeheim-zu-finden-16466573.html vom 5.11.2019, abgerufen am 16.8.2023.
  14. Auffenberg, Jennie et al.: „Ich pflege wieder, wenn …“ (April 2022) S. 7 ff.
  15. Hierzu auch Rossow, Verena: Der Preis der Autonomie: Wie sorgende Angehörige Live-in-Arbeitsverhältnisse ausgestalten (2021) S. 41 ff.
  16. Emunds, Bernhard, Überforderte Angehörige – ausgebeutete Live-ins – Burnout-gefährdete Pflegekräfte, in: Fuchs, Michael/Greiling, Dorothea/Rosenberger, Michael (Hg.), Gut versorgt? Ökonomie und Ethik im Gesundheits- und Pflegebereich, (2019), S. 147-167.
  17. Siehe Zwischenüberschrift im Artikel von Marianne Weg, a.a.O. (Fn. 6).
  18. Schabram /Freitag, a.a.O. (Fn. 11); Emunds, Bernhard, Menschenunwürdige Pflegearbeit in deutschen Privathaushalten, Jahrbuch für christliche Sozialwissenschaften (JCSW) 57 (2016), 199–224; Emunds, Bernhard/Schacher, Uwe, Frankfurter Arbeitspapiere zur gesellschaftsethischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, (November 2012); Kretschmann, Andrea, Regulierung des Irregulären. Carework und die symbolische Qualität des Rechts (2016); Rossow, a.a.O. (Fn. 16).
  19. Becker, Paul/Komitowski, Doritt, Tragende Säule bröckelnder Versorgungssicherheit ohne regulären Untergrund, Working Paper 9/2022, Fachstelle Einwanderung und Integration. Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung gGmbH (2022).
  20. Weg, a.a.O. (Fn. 6).
  21. Abgesehen von der Anerkennung von live-in-care als weitere Säule im Pflegesystem.
  22. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 17.
  23. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 15.
  24. Zur Analyse siehe z.B . Aulenbacher/Lutz/Schwiter, a.a.O. (Fn. 2).
  25. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP, ‘Koalitionsvertrag 2021-2025: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit´ (2021) S. 81.
  26. Weg, a.a.O. (Fn. 6).
  27. Wir verwenden einen weiten Familienbegriff: Familie ist da, wo Menschen dauerhaft insbesondere über eine Generationsgrenze hinweg Verantwortung füreinander übernehmen.
  28. So bereits im policy paper von Emunds/Kocher/Habel/Tschenker/von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11)
  29. Zu den Vertragsgestaltungen vgl. Kocher, Eva/ Potocka-Sionek, Nastazja, Rechtsfragen beim Einsatz polnischer Betreuungskräfte (Live-ins) in Deutschland durch Vermittlung polnischer Agenturen (2022).
  30. Caritasverband e. V., a.a.O. (Fn. 11), (die Caritas ist selbst Anbieterin von (rechtskonformen) Live-in-Angeboten. Zu Best-Practice-Beispielen eine ausführliche Analyse: Habel, Simone/Tschenker, Theresa: Reduktion der Arbeitszeit in der Live-In-Pflege, in: Study. Edition Hans-Böckler-Stiftung (471) (2022).
  31. Betreuungsdienste sind demnach „ambulante Dienste, die Leistungen der häuslichen Betreuung und Hilfen bei der Haushaltsführung unter Leitung einer verantwortlichen Fachkraft erbringen, die keine Pflegefachkraft sein muss. Gleiches gilt auch für das einzusetzende Personal. Als verantwortliche Fachkräfte können qualifizierte, fachlich geeignete und zuverlässige Fachkräfte mit zweijähriger Berufserfahrung im erlernten Beruf, vorzugsweise aus dem Gesundheits- und Sozialbereich, eingesetzt werden“ https://www.bundesgesundheitsministerium.de/service/begriffe-von-a-z/b/betreuungsdienste.html abgerufen am 17.8.2023.
  32. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 20.
  33. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 15, 20.
  34. Denn diese Zeiten werden im Rahmen der Beschäftigung als Live-in eben nicht entlohnt.
  35. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 15.
  36. Kocher/Potocka-Sionek, a.a.O. (Fn. 30), S. 5 ff. mit weiteren Beispielen aus polnischen Gerichtsurteilen mit ähnlichen Fallgestaltungen.
  37. LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 5.9.2022 – 21 Sa 1900/19; BAG Urteil vom 24.6.2021 – 5 AZR 505/20; Vorinstanz: LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 17.8.2020 – 21 Sa 1900/19.
  38. Zum Spektrum der Sorgeaktivitäten, die von Live-In-Kräften übernommen werden, siehe Isfort, Michael/von der Malsburg Andrea (2017): Privat organisierte Pflege in NRW: Ausländische Haushalts- und Betreuungskräfte in Familien mit Pflegebedarf. Gutachten im Auftrag des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes NRWOnline abrufbar unter: www.dip.de/fileadmin/data/pdf/material/privatorganisierte Pflege_NRW_Gutachten_Endfassung_2.pdf (abgerufen am 12.9.2023); sowie Hagedorn, Jonas, Altenpflege im Spannungsfeld von formeller und informeller Arbeit – sozialethische Anmerkungen zur gesellschaftlichen Organisation der Pflegearbeit, in: Barbara Städtler-Mach, Helene Ignatzi (Hrsg.): Grauer Markt Pflege. 24-Stunden-Unterstützung durch osteuropäische Betreuungskräfte (2020), S. 129-155.
  39. www.destatis.de, a.a.O. (Fn. 12).
  40. § 15 Abs. 3 Nr. 5 SGB XI.
  41. 2021 wurden rund die Hälfte (51,4 %; 124.152 Personen) der Personen mit einem Pflegegrad 5 zu Hause betreut. Von diesen häuslich betreuten Personen mit Pflegegrad 5 (insgesamt 124.152 Personen) wurden 62,3 % ohne Unterstützung ambulanter Pflegedienste betreut. Vgl. Becker: Die vierte Säule der Pflege (2023) S. 9 f. (d.h. 77.347 Personen von insgesamt 241.541 Personen (eigene Berechnung).
  42. § 15 Abs. 3 Nr. 4 SGB XI.
  43. Becker/Komitowski, a.a.O. (Fn. 20).
  44. Emunds, Bernhard/Hagedorn, Jonas/Hänselmann, Eva/Heimbach-Steins, Marianne (Hg.): Pflegearbeit im Privathaushalt (2021), S. 248, 252, online unter: https://brill.com/view/titel/53564.
  45. Das Übereinkommen wurde am 14.6.2023 durch Deutschland ratifiziert (BGBl. II 2023 Nr. 238 S. 1 (siehe https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw16-de-belaestigung-arbeitswelt-941074 BT-Drs. 20/5652); siehe dazu auch Zimmer, Reingard, ILO-Übereinkommen Nr. 190 über die Beseitigung von Gewalt und Belästigung in der Arbeitswelt, STREIT 1/2021, 3 ff.
  46. abrufbar unter www.ilo.org/berlin/presseinformationen/WCMS _807442/lang--en/index.htm.
  47. So aber Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 20.
  48. Siehe hierzu ausführlich: Kocher/Scheiwe, a.a.O. (Fn. 6), S. 494.
  49. Siehe Rom I-VO und Entsende-Richtlinie: genauer zur entsenderechtlichen Gemengelage: Kocher/Potocka-Sionek, a.a.O. (Fn. 30), S. 11 ff.
  50. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 18.
  51. Sagmeister, Maria, Die rechtliche Regulierung der Personenbetreuung in Österreich: Das Hausbetreuungsgesetz, STREIT 3/2022, 97ff., 110.
  52. Live-In-Kräfte können in Österreich durch das Hausbetreuungsgesetz (HBeG) als Selbstständige ein Gewerbe anmelden, womit sie in Österreich zwar weitgehend durch die gesetzliche Sozialversicherung erfasst sind, aber stark eingeschränktem arbeitsrechtlichen Schutz unterliegen. Zur Folge hatte dies, dass zwar nun (vermeintliche) Rechtssicherheit besteht, die durchweg „selbstständigen“ Live-in-Kräfte aber nach wie vor besonders unter entgrenzter Arbeitszeit leiden, vgl. Sagmeister, a.a.O. (Fn. 52), S. 110; Tschenker, Theresa: Regulierungsperspektiven nach den Urteilen zur Vergütung in der Live-in-Pflege – dient Österreich als Vorbild?, Arbeit und Recht (AuR) 2022, 155; Kretschmann, a.a.O. (Fn. 19); Kretschmann, Andrea, „Die Legalisierung hat uns überhaupt keine Vorteile gebracht. Die Vorteile gibt es nur für Österreicher“, in: Appelt, Erna/Heidegger, Maria/Preglau, Max/Wolf, Maria (Hg.): Who cares? Betreuung und Pflege in Österreich. Eine geschlechterkritische Perspektive, 2010, S. 187-195; Aulenbacher, Brigitte/Leiblfinger, Michael/Prieler, Veronika in: Aulenbacher/Lutz/Schwiter, a.a.O. (Fn.2); Bachinger, Almut, 24-Stunden-Betreuung in Österreich – Die Nutzung migrantischer Arbeitskraft. Vorzeigemodelle oder Arbeitsausbeutung? Femina Politica 2016, 39. Eine erste Aufarbeitung des Rechtsrahmens in Deutschland findet sich z.B. in Bucher, Barbara, Rechtliche Ausgestaltung der 24-h-Betreuung durch ausländische Pflegekräfte in deutschen Privathaushalten. Eine kritische Analyse, 2018; Rezension von Sabine Rechmann, STREIT 1/2022, 28.
  53. Hierzu genauer in Emunds /Kocher /Habel /Tschenker /von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11), S. 11 m.w.N.
  54. Ausführlich zur Unanwendbarkeit im Falle von Live-in-care ­siehe Kocher/Scheiwe, a.a.O. (Fn. 6), S. 494, sowie Scheiwe, Kirsten, Arbeitszeitregelungen für Beschäftigte in Privathaushalten, in: Krawietz, Johanna/Scheiwe, Kirsten (Hg.): (K)Eine Arbeit wie jede andere? Die Regulierung von Arbeit im Privathaushalt, 2014, S. 16; Scheiwe, Kirsten, Das Arbeitszeitrecht für Hausangestellte nach Ratifizierung der ILO-Konvention 189, Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht (NZA) 2013, 1116.
  55. Hierzu bereits ausführlich: Kocher/Scheiwe, a.a.O. (Fn. 6), S. 494.
  56. Die Abgrenzung zwischen Ruf- und Bereitschaftsdienst (der in der Regel als Arbeitszeit gewertet und mindestlohnpflichtig ist) erfolgt u.a., aber nicht nur, anhand der Reaktionszeit, innerhalb derer von Arbeitnehmer:innen Einsatzbereitschaft erwartet wird. EuGH Urteil vom 9.3.2021 – C-344/19, (Radiotelevizija Slovenija) – Analyse in Kocher, Eva, Recht der Arbeit (RdA) 2022, 50. Siehe auch Pavlou, Vera (2016): Domestic work in EU law. The relevance of EU employment law in challenging domestic workers’ vulnerability. In: European Law Review 41 (3), S. 379-398 oder im Überblick. Scheiwe, Kirsten, Domestic Workers. EU Working Time Law and Implementation Deficits in National Law – Change in Sight?, Zeitschrift für ausländisches und internationales Arbeits- und Sozialrecht (ZIAS) 2021, 1-21.
  57. BAG Urteil vom 24.6.2021 – 5 AZR 505/20.
  58. Kocher, Eva, Die Ungleichbehandlung von Hausangestellten in der 24-Stunden-Pflege gegenüber anderen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern – eine Frage des Verfassungsrechts, in: Krawietz/Scheiwe, a.a.O. (FN 55), S. 85; Kocher, Eva, Care als Erwerbsarbeit in: Scheiwe, Kirsten/Cottier, Michelle/Voithofer, Caroline (Hg.), Handbuch Sorgearbeit, Sorgebeziehungen und das Recht, 2023/2024 (im Erscheinen).
  59. Dazu ausführlich LAG Berlin-Brandenburg Urteil vom 17.8.2020 – 21 Sa 1900/19 – Rn. 84 ff.
  60. EuGH Urteil vom 24.2.2022 – C389/20 (CJ ./. Tesorería General de la Seguridad Social (TGSS)), ECLI:EU:C:2022:120.
  61. Es gibt bereits einen Rechtsanspruch auf Pflegeberatung (sog. Pflegestützpunkte) gemäß § 7a SGB XI, jedoch besteht diesbezüglich ein „föderaler und kassenspezifischer Flickenteppich“: Klie, Thomas, Care- und Case-Management – Steuerung im Kontext von Pflegebedürftigkeit, in: Jacobs, Klaus/Kuhlmey, Adelheid/Greß, Stefan/Klauber, Jürgen/Schwinger, Antje (Hg.): Pflege-Report 2020 – Neuausrichtung und Finanzierung, S. 170.
  62. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 17, ebenso Bundesverband für häusliche Betreuung und Pflege e.V.: Qualifizierungsstandard für Betreuungspersonen in häuslicher Gemeinschaft (2021).
  63. Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) 2016.
  64. So in der Fallkonstellation des LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 17.5.2022 – L 23 SO 6/22 B ER0 – mit Anmerkung von Rosenow, Roland/Kocher, Eva, Kritische Justiz 2022, 503.
  65. Zu diesem Begriff s.o. Rn. 34.
  66. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 15.
  67. Habel/Tschenker, a.a.O. (Fn. 31), S. 156.
  68. Kocher / Potocka-Sionek, a.a.O. (Fn. 30), S. 63.
  69. So auch Becker, Paul: Die vierte Säule der Pflege, Studie hg. von: Fachstelle Einwanderung und Integration. Minor – Projektkontor für Bildung und Forschung gGmbH, (2023), S. 29 ff.
  70. BMFSFJ: 2. Gleichstellungsbericht (2017), u.a. S. 143 ff.
  71. Emunds/Kocher/Habel/Tschenker/von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11); Schabram/Freitag: a.a.O. (Fn. 11), S. 51.
  72. Weg, a.a.O. (Fn. 6), S. 17.
  73. Dies beinhaltet neben ambulanten Pflegediensten auch extern wohnende Betreuungspersonen, die stundenweise in die Haushalte kommen, einen Pool an „Springer“-Betreuungspersonen der Agenturen, gemeinsamer Bereitschaftsdienst für mehrere Betreuungshaushalte mit einem „Roten Knopf“, Sturzmelder, Personenortungssysteme oder komplexere Assistenzsysteme: Emunds/Kocher/Habel/Tschenker/von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11); Kocher/ Potocka-Sionek, a.a.O. (Fn. 30).
  74. Emunds/Kocher/Habel/Tschenker /von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11)
  75. Eurofound: Long-term care workforce, S. 58.
  76. Emunds/Kocher/Habel/Tschenker/von Deetzen, a.a.O. (Fn. 11)
  77. Vgl. Rothgang, Heinz/Domhoff, Dominik, Die Pflegebürgerversicherung als Vollversicherung, Beitragssatz- und Verteilungseffekte bei Umwandlung der Pflegeversicherung in eine Bürgerversicherung mit Vollversicherung, Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung. Nr. 150, September 2019, abrufbar unter: https://www.boeckler.de/de/faust-detail.htm?sync_id=HBS-007293.
  78. Kocher, a.a.O. (Fn. 59) (im Erscheinen).
  79. „Global bzw. transnational care chain“: vgl. Lutz, Helma/Palenga-Möllenbeck, Ewa, Metz-Göckel, Sigrid/Bauschke, Carola (Hg.): Das Care-Chain-Konzept auf dem Prüfstand. Eine Fallstudie des transnationalen Care-Arrangements polnischer und ukrainischer Migrantinnen, in: Transnationalisierung und Gender, Themenheft GENDER, Zeitschrift für Geschlecht, Kultur, Gesellschaft 2011, S. 9-27.