STREIT 1/2025

S. 40

LAG Baden-Württemberg, Art. 157 AEUV, §§ 3, 7 EntgTranspG, § 22 AGG

Entgeltgleichheit – Nachweis von Differenzierungsgründen

1. Wird eine Arbeitnehmerin für gleiche oder gleich- wertige Arbeit geringer vergütet als die männlichen Kol- legen der Vergleichsgruppe, besteht die Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts und der Arbeitgeber trägt die Beweislast dafür, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz nicht verletzt worden ist.
2. Der Arbeitgeber muss einen konkreten Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht. Dafür muss er darstellen, wie er die Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ im Einzelnen bewertet und wie die Gewichtung dieser Kriterien zueinander erfolgt.
(Leitsätze der Redaktion)

Teilurteil des LAG Baden-Württemberg vom 19.06.2024, 4 Sa 26/23

Anmerkung:

Die Klägerin hatte u. a. Ansprüche auf Entgeltgleichbehandlung bei zwei Entgeltbestandteilen (Monatsgehalt und Dividendenäquivalente) geltend gemacht und darauf gestützte Vergütungsdifferenz zur männlichen Vergleichsgruppe eingeklagt und war damit erfolgreich.
Das LAG Baden-Württemberg hat dabei die Rechtsprechung des EuGH und des BAG konsequent angewendet und weiterentwickelt:
Als Anspruchsgrundlage für gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts kommen sowohl der direkt anwendbare Art. 157 AEUV als auch – für die Zeit ab dem Inkrafttreten des Entgelttransparenzgesetzes – § 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG in Betracht. Im Rechtsstreit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit nach den speziellen Regelungen in § 3 Abs. 1 bzw. § 7 EntgTranspG findet auch § 22 AGG Anwendung, der für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang („wegen des Geschlechts“) eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vorsieht: Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes, hier des Geschlechts ver- muten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat (vgl. BAG, Urteil vom 16.02.2023, 8 AZR 450/21; dazu Feldhoff, STREIT 4/2023, S. 148 ff.; BAG, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19; dazu Feldhoff, STREIT 4/2022, S. 147 ff.).
Zur Widerlegung der Vermutung muss der Arbeitgeber also Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass kein Verstoß gegen das Entgeltgleichheitsgebot vorliegt, sondern ausschließlich andere Gründe als das Geschlecht zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19; Feldhoff, STREIT 4/2022, S. 147 ff.).
Die vorgebrachte Erklärung muss auf einem legitimen Ziel beruhen. Die zu dessen Erreichung gewählten Mittel müssen hierzu geeignet und erforderlich sein. Auf Kriterien und Faktoren, die im Ergebnis Frauen stärker nachteilig betreffen als Männer, kann eine Entgeltdifferenzierung nur gestützt werden, wenn sie der Art der Arbeit geschuldet sind und zu den (legitimen) Bedürfnissen und Zielen des Unternehmens in Beziehung stehen. Bloße allgemeine Behauptungen des Arbeitgebers genügen zur Widerlegung der Vermutung nicht, der Arbeitgeber muss vielmehr einen Vortrag leisten, der eine wirksame Kontrolle und Nachprüfung durch die Gerichte ermöglicht. Gelingt ihm dies nicht, so geht dies zu seinen Lasten (BAG, Urteil vom 21.01.2021, 8 AZR 488/19).

Zulässig wären z. B. geschlechtsunabhängige Differenzierungen nach der Berufserfahrung (EuGH 3. Oktober 2006, C-17/05, Cadman; EuGH 17. Oktober 1989, C-109/88, Danfoss; BAG 21. Januar 2021, 8 AZR 488/19), nach dem Dienstalter (EuGH 3. Oktober 2006, C-17/05, Cadman) oder nach der Qualität der Arbeit (BAG 21. Januar 2021, 8 AZR 488/19).
Es genügt dabei nicht, dass grundsätzlich objektive Faktoren wie z. B. eine längere Betriebszugehörigkeit oder eine höhere Arbeitsqualität vorliegen, sondern der Arbeitgeber muss auch darlegen, dass die Ungleichbehandlung auch tatsächlich ausschließlich auf diesen geschlechtsunabhängigen Unterschieden beruht. Der Arbeitgeber muss, will er sich auf nicht geschlechtsspezifische Differenzierungskriterien berufen, deren Anwendung auch hinreichend konkret darstellen. Wie die Kriterien „Berufserfahrung“, „Betriebszugehörigkeit“ und „Arbeitsqualität“ im Einzelnen bewertet wurden, hat der beklagte Arbeitgeber ebensowenig dargestellt wie die Gewichtung dieser Kriterien zueinander. Allein der Umstand, dass die männlichen Kollegen durchschnittlich etwas länger beschäftigt waren als die Klägerin und der Arbeitgebervortrag, dass die Klägerin unterdurchschnittlich performed hätte, hat dem Landesarbeitsgericht Württemberg zu Recht nicht genügt, um das Indiz geschlechtsbedingter Entgeltbenachteiligung widerlegt zu sehen.

Susette Jörk