STREIT 1/2022

S. 39-41

LAG Rheinland-Pfalz, § 15 Abs. 2 AGG

Entschädigung nach AGG wegen zu geringen Mutterschaftslohns

1. Eine ungünstige Behandlung Schwangerer ist in allen Bereichen, auch bei der Entlohnung, als unmittelbar geschlechtsbedingte Benachteiligung unzulässig. Die während der schwangerschaftsbedingten Arbeitsunfähigkeit und während mutterschutzrechtlicher Beschäftigungsverbote – entgegen der klaren Rechtslage – zu geringe Entgeltzahlung löst einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG aus.
2. Bei Bemessung der angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG ist auch zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber alle Arbeitgeberaufwendungen für Mutterschaftsleistungen erstattet werden, die Klägerin hingegen gezwungen ist, ihre Ansprüche einzuklagen, so dass sie nach § 12a ArbGG in erster Instanz trotz Obsiegens mit Kosten belastet wird. Auch diese wirtschaftlichen Nachteile sind auf ihre Schwangerschaft zurückzuführen.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des LAG Rheinland-Pfalz vom 04.03.2021, 5 Sa 266/20

Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten zweitinstanzlich noch darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG wegen eines Verstoßes gegen das Verbot der Benachteiligung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft sowie wegen der Schwerbehinderung zu zahlen.
Die […] Klägerin ist […] bei der Beklagten […] als Immobilienberaterin in Vollzeit angestellt. Die Parteien haben im schriftlichen Arbeitsvertrag eine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden und erfolgsabhängige Provisionen für den Verkauf von Objekten vereinbart. Die monatliche Vergütung soll jedoch mindestens € 1.200,00 netto betragen. Die durchschnittliche Bruttomonatsvergütung der Klägerin betrug € 2.834,74.
Die Klägerin ist mit einem GdB von 50 als schwerbehinderter Mensch anerkannt. Sie ist Mutter von zwei Kindern, die am 02.08.2016 und am 07.02.2020 geboren sind. Wegen ihrer Behinderung lagen zwei Risikoschwangerschaften vor, weshalb ärztliche Beschäftigungsverbote i. S. d. § 3 Abs. 1 MuSchG aF, § 16 Abs. 1 MuSchG nF ausgesprochen wurden.
Die Klägerin nahm für das erste Kind zunächst Elternzeit bis zum 31.10.2018 in Anspruch. Einer gewünschten Verlängerung bis zum 31.01.2019 stimmte die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 18.12.2018 zu. Einen erneuten Antrag für die Zeit bis zum 31.03.2019 lehnte die Beklagte ab. […]
Mit Schreiben vom 28.02.2019 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin zum 31.03.2019. Mit Schreiben vom 21.07.2019 kündigte sie erneut zum 31.08.2019. Am 22.07.2019 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie erneut schwanger sei. Sie befand sich laut ärztlicher Schwangerschaftsbescheinigung vom 01.08.2019 in der 12. Schwangerschaftswoche. […] Die Klägerin erhob gegen beide Kündigungen Klage. Das Arbeitsgericht Mainz hat mit – rechtskräftigem – Urteil vom 05.09.2019 (9 Ca 367/19) festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigungen vom 28.02.2019 und vom 19.07.2019 nicht aufgelöst worden ist. Die erste Kündigung verstoße gegen das Kündigungsverbot des § 18 Abs. 1 BEEG, die zweite gegen das Kündigungsverbot des § 17 Abs. 1 MuSchG.
Während des laufenden Kündigungsschutzprozesses forderte die Beklagte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 20.08.2019 auf, ihre Arbeit am Montag, dem 26.08.2019, um 9:00 Uhr wieder aufzunehmen. Die Klägerin kam dem nach. Da sie bereits einen Termin beim Frauenarzt um 11:00 Uhr vereinbart hatte, nahm sie diesen wahr. Die Beklagte erteilte ihr wegen der Wahrnehmung des Arzttermins während der Arbeitszeit eine Abmahnung. Die Klägerin wurde vom Frauenarzt ab dem 26.08. bis zum 11.10.2019 arbeitsunfähig krankgeschrieben; seit dem 14.10.2019 bestand ein Beschäftigungsverbot nach § 16 Abs. 1 MuSchG. Nach der Geburt des zweiten Kindes am 07.02.2020 nahm die Klägerin erneut Elternzeit.
Die Beklagte übersandte der Klägerin Gehaltsabrechnungen für die Monate Juni bis August 2019. Sie rechnete nur das Grundgehalt von € 1.200,00 netto ab. Auch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ab 26.08.2019 und den Mutterschutzlohn ab 14.10.2019 rechnete sie auf der Basis des Grundgehalts von € 1.200,00 netto ab. Sie vertrat den Standpunkt, dass durch die Arbeitsaufnahme am 26.08.2019 eine Zäsur eingetreten sei, so dass sich die Provisionsansprüche nach den an diesem Tag verdienten Provisionen (und damit null) berechneten. Während der einstündigen Arbeitszeit am 26.08.2019 durfte die Klägerin keinen Kundenkontakt aufnehmen, Arbeit wurde ihr nicht zugewiesen.
Mit Klageschrift vom 21.01.2020 verlangte die Klägerin neben Differenzvergütung für die Monate von September bis Dezember 2019 (Entgeltfortzahlung und Mutterschutzlohn) die Zahlung einer Entschädigung gemäß § 15 Abs. 2 AGG, die sie außergerichtlich mit Schreiben vom 18.10.2019 und 20.11.2019 erfolglos geltend gemacht hatte. […]
Das Arbeitsgericht hat – insoweit rechtskräftig – dem Klageantrag zu 1) [Anm. d. Red.: Differenzvergütung] stattgegeben und die Beklagte auf den Klageantrag zu 2) verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i. H. v. € 1.000,00 zu zahlen. […]
Gegen das […] Urteil hat die Beklagte […] Berufung eingelegt […].

Aus den Gründen:
[…] Die Berufung ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung einer Entschädigung i. H. v. € 1.000,00 verurteilt. Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG. Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls hält auch die Berufungskammer eine Entschädigung i. H. v. € 1.000,00 für angemessen.
1. Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass die auf Zahlung einer Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG gerichtete Klage zulässig ist, insbesondere ist der Klageantrag hinreichend bestimmt i. S. v. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 AGG räumt dem Gericht bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung einen Ermessensspielraum ein, weshalb eine Bezifferung des Zahlungsantrags nicht notwendig ist (vgl. BAG 27.08.2020 – 8 AZR 45/19 – Rn. 15, 16 m. w. N.). Die Klägerin hat auch Tatsachen benannt, die das Gericht dabei heranziehen soll und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angegeben.
2. Die Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i. H. v. € 1.000,00.

a) Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass der persönliche Anwendungsbereich des AGG eröffnet ist. Für die Klägerin ergibt sich dies aus § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AGG; die Beklagte ist Arbeitgeber i. S. v. § 6 Abs. 2 AGG.
b) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch auch frist- und formgerecht geltend gemacht und eingeklagt (§ 15 Abs. 4 AGG, § 61b Abs. 1 ArbGG). Dagegen wendet sich die Berufung nicht.

c) Das Arbeitsgericht hat richtig erkannt, dass die Voraussetzungen des § 15 Abs. 2 AGG für einen Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung vorliegen. Die Beklagte hat die Klägerin entgegen den Vorgaben des AGG unmittelbar wegen ihres Geschlechts i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG benachteiligt. Eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts liegt in Bezug auf § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 AGG auch im Falle einer ungünstigeren Behandlung einer Frau wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft vor. Die Klägerin hat die Benachteiligung i. S. v. § 3 Abs. 1 AGG zusätzlich wegen ihrer Schwerbehinderung erfahren, weil die Risikoschwangerschaften und damit auch die ärztlichen Beschäftigungsverbote darauf zurückzuführen waren, dass sie (ausweislich des der Beklagten vorgelegten ärztlichen Attestes vom 14.10.2019) an insulinpflichtigem Diabetes mellitus Typ 1 leidet.
Wie bereits das Arbeitsgericht richtig zitiert hat, ist eine ungünstige Behandlung Schwangerer in allen Bereichen, auch bei der Entlohnung, als unmittelbar geschlechtsbedingte Benachteiligung unzulässig. An das Bestehen einer Schwangerschaft dürfen keine nachteiligen Wirkungen für die Entgelthöhe geknüpft werden (vgl. ErfK/Schlachter 21. Aufl. AGG § 3 Rn. 8 m. w. N.).
Die Beklagte hat die Klägerin benachteiligt, weil sie ihr während der schwangerschaftsbedingten Arbeitsunfähigkeit (ab 26.08.2019) und des ärztlichen Beschäftigungsverbots (ab 14.10.2019) – entgegen der klaren Rechtslage – nur das Grundgehalt von € 1.200,00 netto fortgezahlt hat. Sie wäre sowohl nach § 4 EFZG als auch nach §§ 21, 18 MuSchG verpflichtet gewesen, der Klägerin das durchschnittliche Arbeitsentgelt vor dem Eintritt der Schwangerschaft zu zahlen. Im Interesse eines effektiven Mutterschutzes fallen Zeiten aus der Berechnung heraus, in denen die Frau unverschuldet kein Arbeitsentgelt erzielt hat (vgl. ErfK/Schlachter 21. Aufl. MuSchG § 21 Rn. 2).

Anders als die Berufung meint, ist eine Benachteiligung der Klägerin nicht deshalb zu verneinen, weil man lediglich unterschiedlicher Rechtsauffassung über die Durchschnittsberechnung des Mutterschutzlohns gewesen sei. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt kein Verschulden oder gar eine Benachteiligungsabsicht voraus (st. Rspr., BAG 27.08.2020 – 8 AZR 62/19 – Rn. 88 ff. m. w. N.). Der Beklagten war die zweite Schwangerschaft der Klägerin seit dem 22.07.2019 bekannt. Entsprechend besteht ein Kausalzusammenhang zwischen der Schwangerschaft und der Falschabrechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (ab 26.08.2019) und des Mutterschaftslohns (ab 14.10.2019). Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und der Schwangerschaft ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund – die Schwangerschaft – das ausschließliche Motiv für das Handeln des Benachteiligenden ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das „verpönte Merkmal“ Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat (st. Rspr., BAG 18.09.2014 – 8 AZR 759/13 – Rn. 27 m. w. N.).
Das Argument der Beklagten, die Arbeitsaufnahme am 26.08.2019 (bis zum Besuch des Frauenarztes) habe für die Ermittlung des durchschnittlichen Arbeitsentgelts eine Zäsur dargestellt, ist erkennbar vorgeschoben. Die Beklagte hat der Klägerin auch für den Zeitraum vor dem 26.08.2019 Entgeltabrechnungen vorgelegt, nach denen sie ebenfalls nur das Grundgehalt von € 1.200,00 netto abgerechnet hat. Sie war auch vor der – von ihr behaupteten – Zäsur nicht gewillt, das durchschnittliche Arbeitsentgelt zu zahlen.

d) Die Bemessung der Entschädigung durch das Arbeitsgericht ist nicht zu beanstanden. Auch die Berufungskammer hält unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG von € 1.000,00 für angemessen.
aa) Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG muss einen tatsächlichen und wirksamen rechtlichen Schutz der aus den Antidiskriminierungsrichtlinien des Unionsrechts hergeleiteten Rechte gewährleisten. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt. Sie muss auf jeden Fall in einem angemessenen Verhältnis zum erlittenen Schaden stehen. Eine rein symbolische Entschädigung wird den Erfordernissen einer wirksamen Umsetzung der Richtlinien nicht gerecht (vgl. etwa BAG 27.08.2020 – 8 AZR 62/19 – Rn. 87 m. w. N.).

bb) Das Arbeitsgericht hat zutreffend die Art und Schwere des Verstoßes der Beklagten gegen mutterschutzrechtliche Vorschriften berücksichtigt. Während der Arbeitsunfähigkeit und des Beschäftigungsverbotes in der Schwangerschaft soll die werdende Mutter vor wirtschaftlichen Nachteilen bewahrt werden. Beschäftigungsverbote sollen zu keinerlei Verdienstminderung führen, damit jeder finanzielle Anreiz für die Arbeitnehmerin entfällt, entgegen den ihrem Schutz dienenden Verboten die Arbeit zu ihrem und des Kindes Nachteil fortzusetzen (st. Rspr., BAG 11.10.2000 – 5 AZR 240/99 – Rn. 36 m. w. N.). Mit den Umlageverfahren U1 und U2 zur Entgeltfortzahlung wird innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung dafür gesorgt, dass die finanziellen Belastungen eines Betriebes durch Krankheit oder durch Mutterschaftszeiten abgefedert werden. Während der Beklagten alle Arbeitgeberaufwendungen für Mutterschaftsleistungen erstattet werden, wird die Klägerin gezwungen, ihre Ansprüche einzuklagen, so dass sie nach § 12a ArbGG in erster Instanz trotz Obsiegens mit Kosten belastet wird. Auch diese wirtschaftlichen Nachteile sind auf ihre Schwangerschaft zurückzuführen, die wegen ihrer Schwerbehinderung überdies mit besonderen Risiken behaftet war. Das Arbeitsgericht hat auch zutreffend berücksichtigt, dass der Klägerin noch weitere Schäden, etwa bei der Höhe des Elterngelds oder der Lohnsteuer, entstehen können. Das Arbeitsgericht durfte ebenfalls auf die Beharrlichkeit abstellen, mit der die Beklagte mutterschutzrechtliche Bestimmungen missachtet. Dabei fällt auch ins Gewicht, dass die Beklagte die Klägerin wegen der Wahrnehmung eines schwangerschaftsbedingten Frauenarzttermins abgemahnt und an der offensichtlich rechtswidrigen Kündigung der schwangeren Klägerin festgehalten hat.
cc) Die Zuerkennung eines Betrags von € 1.000,00 ist auch nicht deshalb zu beanstanden, weil die Klägerin in ihrem unbezifferten Klageantrag einen Mindestbetrag von € 250,00 genannt hat. Das Arbeitsgericht durfte diesen Mindestbetrag ohne Verstoß gegen § 308 ZPO – auch um ein Vielfaches – überschreiten (vgl. Zöller/Feskorn 33. Aufl. ZPO § 308 Nr. 2 m. w. N.).
Der Eindruck der Beklagten, sie sei nur wegen gescheiterter Vergleichsverhandlungen vom Arbeitsgericht verurteilt worden, eine Entschädigung von € 1.000,00 zu zahlen, obwohl die Klägerin selbst „nur“ € 250,00 genannt habe, findet im Tatsächlichen keine Stütze. Die Klägerin hat einen Mindestbetrag von € 250,00, aber keine Obergrenze angegeben.