STREIT 1/2022
S. 38
OLG Dresden, § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB
(Konkludenter) Widerruf einer Sorgerechtsvollmacht
Äußerungen und Angriffe des Sorgerechts-Vollmachtgebers gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter zeigen den konkludenten Widerruf einer Sorgerechtsvollmacht.
Beschluss des OLG Dresden vom 16.07.2021, 21 WF 451/21
Aus den Gründen:
I. Die Antragstellerin hat mit beim Familiengericht am 27.04.2021 eingegangenem Antrag zur Übertragung des alleinigen Sorgerechts für zwei Kinder zugleich um Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe nachgesucht.
Die Antragstellerin hat in der Begründung darauf verwiesen, dass schon in der Vergangenheit ein Sorgerechtsverfahren und ein Umgangsverfahren geführt wurden. […] Im Termin vom 01.12.2020 im vorhergehenden Sorgerechtsverfahren habe der Vater ihr eine Vollmacht für alle Aufgaben der elterlichen Sorge erteilt. Das Verfahren sei daraufhin für erledigt erklärt worden. In der weiteren Folge nach dem 1.12.2020 habe der Antragsgegner gegenüber der Antragstellerin Drohungen ausgesprochen, die in einem Verfahren nach dem Gewaltschutzgesetz zu einem Kontakt- und Näherungsverbot gegen den Antragsgegner […] geführt hätten. Aufgrund der Drohungen und der Auswirkungen dieser Drohungen auf die Antragstellerin werde erneut ein Antrag auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gestellt. […]
Das Familiengericht hat […] die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgelehnt […]. Die Vollmacht sei nicht widerrufen, so dass das Bedürfnis für eine Übertragung des Sorgerechts entfalle.
Die Antragstellerin […] wendet sich mit ihrer […] sofortigen Beschwerde gegen die Entscheidung. Sie hat vertiefend begründet, wie der Antragsgegner sich nach Beendigung des früheren Verfahrens verhalten habe. Er habe nach Erteilung der Sorgerechtsvollmacht weiterhin deutlich gemacht, dass er das Wohl der Kinder bei der Mutter für gefährdet erachte und die Kinder unverzüglich aus dem Haushalt herauszuholen seien. Dies zeige, dass er von der Vollmachtserteilung Abstand nehme. […]
II. 1. Die […] Beschwerde hat Erfolg. […]
1.1 Dem Familiengericht ist darin zuzustimmen, dass die Erteilung einer Sorgerechtsvollmacht geeignet ist, die Übertragung der Alleinsorge gemäß § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB entbehrlich zu machen. Zutreffend zitiert das Familiengericht insoweit die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, Beschluss vom 29.04.2020, AZ. XII ZB 112/19, FamRZ 2020, 1171), die in Hinblick auf eine Sorgerechtsvollmacht Klarheit geschaffen hat.
1.2 Nach dem vorliegenden Sachverhalt hat sich jedoch zeitlich nach der Erteilung der Sorgerechtsvollmacht nach – bisher nicht bestrittenem Vortrag – ergeben, dass sich der Antragsgegner ersichtlich an die der Antragstellerin erteilte Sorgerechtsvollmacht nicht mehr gebunden fühlt. Nach dem Termin in der vormaligen Sorgerechtssache hat der Antragsgegner im Zuge des Umgangsverfahrens dem eingesetzten Umgangspfleger eine Mitteilung gesandt, nach der er verlangt hat, dass die Kinder innerhalb der nächsten 10 Tage aus dem Haushalt der Mutter herauskommen. Wenn dies nicht der Fall sei, werde er sein altes Leben in die Hand nehmen, sich eine Knarre kaufen und werde die Frau hinrichten. Irgendjemand müsse der Kindesmisshandlung nachgehen.
Diese und weitere Äußerungen und Angriffe gegen die Erziehungsfähigkeit der Mutter zeigen einen konkludenten Widerruf der Vollmacht. Wer dem anderen Elternteil kindeswohlgefährdendes Verhalten vorwirft, kann nicht mehr den Willen haben, dass dieser ’unfähige‘ Elternteil sich mit Befugnis zum alleinigen Handeln weiter um die Kinder kümmert. Der Vollmachtnehmer kann dann auch nicht mehr davon ausgehen, dass der Vollmachtgeber weiter mit seinem Handeln auch im Namen des Vertretenen agieren darf.
Die ‚Kritik‘ des Antragsgegners hat weiterhin eine Form angenommen, nach der die Antragstellerin nicht ohne Angst in einen persönlichen Kontakt mit dem Antragsgegner eintreten kann, der auch bei Erteilung einer Vollmacht in Belangen der Kinder erforderlich werden kann. Die weiteren massiven Drohungen des Antragsgegners, für die die Antragstellerin im Einzelnen näher Beweis angeboten hat, lassen bei summarischer Prüfung erkennen, dass der Antragsgegner keinerlei Vertrauen in das Verhalten der Antragstellerin betreffend die Behandlung, Betreuung und Versorgung der Kinder hat.
Des Weiteren zeigt sich nach dem Vortrag der Antragstellerin ein massiver Konflikt zwischen den ehemaligen Partnern bzw. Eltern der betroffenen Kinder, bei dem es nicht auszuschließen ist, dass die Voraussetzungen des Antrags der Mutter nach § 1671 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB erfüllt sind.
Mitgeteilt von RAin Nadine Maiwald, Leipzig