STREIT 1/2022

S. 42-43

LG Memmingen, § 18 AGG, §§ 21, 35, 280 BGB

Kein Ausschluss der Frauen bei „Brauchtums-Fischen“ im Allgäu

Obwohl nach der Satzung des Fischertagsvereins M. e.V. nur Männer Mitglied in der Untergruppe der Stadtbachfischer werden können, ist der Verein wegen eines Verstoßes gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung verpflichtet, bei gegebener Eignung auch Frauen aufzunehmen und mitfischen zu lassen.
Urteil des Landgerichts Memmingen vom 28.07.2021 – 13 S 1372/20

Aus den Gründen:
A. Die Parteien streiten darüber, ob der Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin in die Vereinsuntergruppe der „Stadtbachfischer“ aufzunehmen und ob er sie aufgrund ihres weiblichen Geschlechts von der Teilnahme am Ausfischen des Memminger Stadtbaches am sogenannten „Fischertag“ ausschließen kann.

1. Der Beklagte ist ein gemeinnütziger Verein. In § 2 der Satzung ist festgehalten:

„Der Verein dient der Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und dem Umweltschutz. Der Zweck wird insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und festliche Gestaltung des alljährlich stattfindenden Fischertages und der periodisch stattfindenden Festspiele, die Pflege des Stadtbaches und des heimischen Brauchtums sowie die Pflege von Begegnungen, insbesondere mit historischen Bezügen auf nationaler und internationaler Ebene.“

Die Klägerin ist seit 1987 Mitglied beim Beklagten. Dieser hat rund 5.000 Mitglieder, darunter 1.500 Frauen. Innerhalb des Vereins existieren verschiedene Gruppierungen. Diese gliedern sich in die Gruppe der Stadtbachfischer, die Fischertagsgruppen und die Festspielgruppen. Insgesamt existieren rund 37 Untergruppierungen. Die Klägerin gehört der Untergruppe der „Bediensteten“ an. Mit Ausnahme der Untergruppe der Stadtbachfischer haben die weiblichen Vereinsmitglieder die Möglichkeit, in sämtlichen Untergruppen Mitglied zu sein. Dabei nehmen die Frauen weibliche wie männliche Rollenbilder wahr, treten beispielsweise auch als Soldaten auf und tragen dann entsprechend männliche mittelalterliche Kostüme.
Hinsichtlich der Untergruppe der Stadtbachfischer heißt es in § 8 Abs. 3 der Vereinssatzung:

„Zur Wahrung der jahrhundertealten Tradition haben nur männliche Mitglieder des Vereins, die mindestens seit 5 Jahren ihren 1. Wohnsitz in M. haben, unter Beachtung von § 1 Abs. 1 der Ordnung für das Ausfischen des Stadtbaches und die Erlangung der Königswürde das Recht zum Ausfischen des Stadtbaches. Dieses Recht behalten die Mitglieder auch nach Aufgabe des 1. Wohnsitzes in Memmingen. Sie müssen Mitglieder der Gruppe der Stadtbachfischer sein. Ausnahmen können durch den Vorstand genehmigt werden und bedürfen der Schriftform.“ […]

Die Satzungsregelung, welche Frauen von der Teilnahme in der Untergruppe der Stadtbachfischer ausschließt, wurde nachträglich im Jahr 1931 eingeführt. Seither wurde die Satzung mehrfach geändert hinsichtlich der Teilnahme am Fischertag. […] Faktisch haben Frauen seit Gründung des Vereins im Jahr 1900 nie als Fischerinnen am Fischertag teilgenommen.

Jährlich im Juli wird durch den Verein der sogenannte „Fischertag“ ausgerichtet. […] Am Morgen des Fischertages findet ein festlicher Umzug zum Stadtbach statt. Nach einem Böllerschuss beginnt das Ausfischen des Baches, welches maximal 45 Minuten dauert. Dabei wird der Bach mit einem Kescher, dem sogenannten „Bären“, leergefischt. Die Fischer tragen dabei jeweils einen Fischerhut, an welchem die Teilnahmeberechtigungskarte befestigt ist. Die restliche Kleidung ist freigestellt. Teilweise wird altertümliche Kleidung, teilweise werden aber auch Jeans und T-Shirt getragen.
Im Anschluss werden die gefangenen Forellen gewogen und die Person, welche die schwerste Forelle gefangen hat, wird im Rahmen des sogenannten Krönungsfrühschoppens zum Fischerkönig gekrönt. Nachmittags findet ein Lagerleben statt. Anschließend zieht der Fischerkönig nebst Gefolge aus und es findet noch eine Bewirtung der Gäste mit Einlagen der verschiedenen Festspielgruppen statt. Die Festivitäten enden am Sonntagvormittag mit der sogenannten Heimatstunde.
Bemühungen der Klägerin in den letzten Jahren, eine Satzungsänderung herbeizuführen, scheiterten. Ihr Antrag, das Wort „männlich“ in § 8 Abs. 3 der Satzung zu streichen, scheiterte zweimal und ihr Antrag zur Teilnahme am sogenannten „Fischerkurs“ wurde mit der Begründung zurückgewiesen, dass dies nur männlichen Mitgliedern erlaubt sei.

2. Die Klägerin hat ihre Klage im Wesentlichen damit begründet, dass die Nichtaufnahme in die Untergruppe der Stadtbachfischer gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG sowie gegen § 18 AGG verstoße sowie nicht mit dem Vereinszweck und der beanspruchten Gemeinnützigkeit vereinbar sei. […] Da das Ausfischen das Hauptereignis des Fischertages sei, stelle die Nichtzulassung der Klägerin eine wesentliche Beschränkung ihrer Mitgliedsrechte dar, weil sie nicht die Möglichkeit habe, Fischerkönigin zu werden. […]
3. Das Amtsgericht Memmingen hat der Klage stattgegeben. […]
4. Mit der Berufung macht der Beklagte geltend, dass das Erstgericht rechtsfehlerhaft einen Aufnahmeanspruch aus § 826 BGB und § 18 AGG angenommen habe. […]

B. Die Berufung ist zulässig […]. Die Berufung erweist sich jedoch als unbegründet.
Entgegen der Ansicht des Erstgerichts ergibt sich der Aufnahmeanspruch der bereits langjährig im Verein aufgenommenen Klägerin in die Untergruppe der Stadtbachfischer (Ziffer 1 des Antrags der Klägerin vor dem Amtsgericht Memmingen) weder aus §§ 826 und 249 BGB, Art. 3 Abs. 2 GG wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung noch aus § 18 Abs. 2 AGG wegen Verstoßes gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz. Der Aufnahmeanspruch der Klägerin ergibt sich jedoch nach Auffassung der Kammer aus § 280 Abs. 1 BGB wegen eines Verstoßes des Beklagten gegen das Recht der Vereinsmitglieder auf Gleichbehandlung.

Der Feststellungsantrag ist begründet. Es fehlt ein sachlicher Grund, warum die Klägerin anders als männliche Vereinsmitglieder nicht am Ausfischen des Stadtbachs beim Fischertag teilnehmen darf. […] Ein benachteiligtes Vereinsmitglied hat nach § 280 Abs. 1 BGB einen Schadensersatzanspruch gegen den Verein. Dieser richtet sich nach dem Grundsatz der Naturalrestitution (§ 249 BGB) zunächst auf Beseitigung der Ungleichbehandlung (Schöpflin, in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 5, 5. Aufl. 2021, § 34 Rn. 35).
a) Auch innerhalb von Vereinen gilt unstreitig der Gleichbehandlungsgrundsatz als allgemeiner Grundsatz des Verbandsrechts und Ausfluss des Wesens der Korporation im Sinne des Willkürverbots (vgl. Könen, in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online.GROSSKOMMENTAR BGB, Stand 01.06.2021, § 38 Rn. 115 ff.; Ellenberger, in: Palandt, BGB, 80. Aufl. 2021, § 35 Rn. 3; Schwennicke, in: Staudinger, BGB, Neubearb. 2019, § 35 Rn. 25 ff.; Leuschner, in: Münchner Kommentar BGB, 8. Aufl. 2018, § 38 Rn. 17; Schöpflin, a.a.O., Rn. 28; jeweils m.w.N.). Eine unterschiedliche Behandlung erfordert zwar keinen wichtigen Grund. Für eine Ungleichbehandlung der Vereinsmitglieder muss allerdings, was auch der Beklagte nicht bestreitet, ein sachlicher Grund vorliegen. […]
Vorliegend wurde mit der Satzungsänderung im Jahr 1931 (nachträglich) Männern das Sonderrecht des Ausfischens im Stadtbach eingeräumt, ohne dass dies ersichtlich auf einer Entscheidung aller, auch der nicht privilegierten Mitglieder, beruht hat.

b) Gemessen am Vereinszweck der Traditionspflege und des Erinnerns an das traditionelle Bachausfischen ist die streitgegenständliche Nichtzulassung der Klägerin beim eigentlichen Ausfischen nach Ansicht der Kammer und unter Gesamtwürdigung aller Umstände sachlich nicht gerechtfertigt.
Nach § 2 der Satzung ist Zweck des Vereins der Dienst für Heimatpflege, Heimatkunde, Kultur und Umweltschutz. Dieser Zweck wird insbesondere verwirklicht durch die Durchführung und Gestaltung des Fischertages und die Pflege des Stadtbaches sowie des heimischen Brauchtums. Im Kern geht es somit insbesondere um das Erinnern an die jahrhundertealte Tradition des Stadtbachausfischens, nicht aber darum, an eine althergebrachte Rollenverteilung der Geschlechter zu erinnern. Dieser festgeschriebene Vereinszweck erfordert es nicht, Frauen vom eigentlichen Ausfischen auszuschließen und lediglich als „Kübelfrauen“ neben dem Bach zuzulassen.
Ziel und Zweck des Fischertages in Gestalt des Erinnerns an das historische Ausfischen und Säubern des Baches werden durch die Zulassung von Frauen in der Untergruppe der Stadtbachfischer nicht berührt, denn hierfür ist nicht wesentlich, ob allein Männer oder auch Frauen den Bach ausfischen. […]
Wie das Erstgericht zu Recht ausgeführt hat, ist deshalb nicht nachvollziehbar, warum eine Teilnahme von Frauen nicht auch bei der Untergruppe der Stadtbachfischer möglich sein sollte und warum die Erinnerung an die historische Tradition nicht auch durch Fischerinnen, gegebenenfalls auch in Männerkleidung, aufrechterhalten werden könnte. Ein sachlicher Grund, zwischen männlichen und weiblichen Vereinsmitgliedern zu differenzieren, liegt nach Ansicht der Kammer nicht vor. […]

Der Feststellungsantrag (Ziffer 2 des Antrags der Klägerin vor dem Amtsgericht Memmingen) ist in Übereinstimmung mit der Begründung des Amtsgerichts zulässig. Allein mit der Aufnahme der Klägerin in die Untergruppe der Stadtbachfischer entsprechend dem Antrag Ziffer 1 ist noch nicht sichergestellt, dass die Klägerin nicht doch vom Ausfischen ausgeschlossen wird, weil sie eine Frau ist. Die Vereinssatzung bestimmt in § 8 Abs. 3 ausdrücklich, dass nur männliche Mitglieder der Untergruppe der Stadtbachfischer beim Ausfischen teilnehmen dürfen. Die Begründetheit des Feststellungsantrags ergibt sich aus den obigen Erwägungen […]. Wie ausgeführt fehlt ein sachlicher Grund, warum die Klägerin anders als männliche Vereinsmitglieder beim Fischertag nicht am Ausfischen des Stadtbachs teilnehmen darf. […]

Hinweis der Redaktion:
Das LG Memmingen hat die Revision gegen dieses Urteil zugelassen. Der Beklagte hat davon keinen Gebrauch gemacht. Die Entscheidung ist rechtskräftig