STREIT 2/2018

S. 68-69

LAG Hessen, § 3 Abs. 1 MuSchG, § 362 Abs. 1 BGB, BUrlG

Erfüllung des Urlaubsanspruchs im individuellen mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot

Eine bloße Möglichkeit für den Arbeitgeber zur Umsetzung einer schwangeren Arbeitnehmerin reicht im Fall eines individuellen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG nicht aus, um den neben der Vornahme der Leistungshandlung zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs nach § 362 Abs. 1 BGB ebenfalls erforderlichen Leistungserfolg eintreten zu lassen.
Urteil des LAG Hessen vom 08.02.2017, 2 Sa 1278/16

Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten im Berufungsrechtszug um die Frage, ob die Beklagte zur Abgeltung weiterer 13 Urlaubstage aus dem Urlaubsjahr 2015 verpflichtet ist.
Die Beklagte betreibt Spielhallen und beschäftigt über 100 Arbeitnehmer. Die […] Klägerin […] wurde bei der Beklagten […] bis zum 17. September 2015 auf der Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrages […] als Serviceaufsichtskraft in einer Spielhalle der Beklagten in A beschäftigt. […] Unter dem Datum des 17. März 2015 legte die Klägerin der Beklagten ein „ärztliches Attest“ des Frauenarztes Dr. med. B aus A mit der Überschrift „vollständiges Beschäftigungsverbot“ vor, hinsichtlich dessen nähere Einzelheiten auf Bl. 27 d. A. verwiesen wird und das im Übrigen wie folgt lautet: Hiermit sprechen wir oben genannter Patientin zum Schutz von Mutter und Kind ein vollständiges Beschäftigungsverbot ab dem 17.03.2015 aus. Eine Weiterbeschäftigung bei der derzeitigen Arbeitsstätte (Nikotinexposition) gefährdet die Gesundheit der Patientin. Die sonstigen gesetzlichen Regelungen des Mutterschutzgesetzes sind ebenfalls zu beachten. ...
Die Beklagte teilte der Klägerin daraufhin mit, sie könne ihr auch einen rauchfreien Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, und forderte sie auf, ihre Tätigkeit in der Spielothek der Beklagten in C wieder aufzunehmen und dort die Passkontrolle im Eingangsbereich durchzuführen. Die Klägerin nahm die Arbeit bei der Beklagten in deren Spielothek in C aber nicht wieder auf, woraufhin die Beklagte der Klägerin ab dem Monat März 2015 keine Vergütung mehr zahlte.

Am … erhob die Klägerin gegen die Beklagte vor dem Arbeitsgericht Darmstadt unter dem Aktenzeichen 3 Ca 169/15 Klage auf Feststellung, dass sie nicht verpflichtet sei, Tätigkeiten als Servicekraft bzw. Aufsicht in der Spielothek [...] in C wahrzunehmen, und auf Zahlung von Vergütung […]. [Es] schlossen die Parteien in diesem Verfahren einen Vergleich, dessen Ziffer 1 wie folgt lautet:
„1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass die Klägerin nicht verpflichtet ist, Tätigkeiten als Servicekraft bzw. Aufsicht in der Spielothek der Beklagten in C wahrzunehmen, solange das ärztliche Beschäftigungsverbot vom 17. März 2015, ausgestellt vom Gynäkologen Dr. med. B, weiterbesteht.“
Bereits mit Schreiben vom … hatte sich die Beklagte zuvor wie folgt an die Klägerin gewandt:
„Sehr geehrte Frau E, eine Überprüfung hat ergeben, dass Sie noch Anspruch auf Jahresurlaub für das Jahr 2015 mit restlichen 16 Arbeitstagen haben. Der Jahresurlaub ist innerhalb des Bestehens des Arbeitsverhältnisses zu nehmen. Wir ordnen aus diesem Grunde an, dass Sie den Ihnen noch zustehenden restlichen Jahresurlaub in der Zeit vom 31.08.15 bis zum 17.09.2015, beginnend mit dem 31.08.2015, zu nehmen haben. Mit freundlichen Grüßen …“
Mit ihrer […] bei dem Arbeitsgericht Darmstadt erhobenen […] Klage hat die Klägerin von der Beklagten an Urlaubsabgeltung für insgesamt 16 Urlaubstage aus dem Jahr 2015 Zahlung eines Betrages in Höhe von € 1.041,97 brutto nebst Zinsen verlangt.
[…] Mit dem am 30. August 2016 verkündeten Urteil – Az. 3 Ca 13/16 […] – hat das Arbeitsgericht Darmstadt der Urlaubsabgeltungsklage der Klägerin nur im Umfang von 3 abzugeltenden Urlaubstagen entsprochen […].

Aus den Gründen:
II. In der Sache hat die Berufung auch Erfolg.
Die Klägerin kann von der Beklagten zur Abgel­tung weiterer 13 Urlaubstage aus dem Urlaubsjahr 2015 Zahlung eines Betrages in Höhe von € 846,60 brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Dezember 2015 verlangen. Auch in diesem Umfang ist die Beklagte zur Abgeltung verpflichtet, denn der Urlaubsanspruch von weiteren 13 Tagen aus dem Jahr 2015 war nicht durch Erfüllung untergegangen. Dem steht bereits entgegen, dass die Parteien in dem vor dem Arbeitsgericht Darmstadt im Vorverfahren geschlossenen Vergleich davon ausgingen, dass die nach Vorlage des ärztlichen Attests vom 17. März 2015 von der Beklagten zugewiesene Arbeitstätigkeit in C von der Klägerin nicht ausgeübt werden musste, solange das ärztliche Beschäftigungsverbot weiterbestand. Ohne Arbeitspflicht aufgrund des fortbestehenden Beschäftigungsverbots konnte der erforderliche Leistungserfolg aber nicht eintreten. Dieses Entscheidungsergebnis beruht im Wesentlichen auf folgenden Erwägungen (§ 313 Abs. 3 ZPO):
1. Die Beklagte ist nach § 7 Abs. 4 BUrlG verpflichtet, weitere 13 Urlaubstage aus dem Jahr 2015 mit € 846,60 brutto abzugelten. In diesem Umfang ist der Urlaubsanspruch nicht durch Erfüllung gemäß § 362 Abs. 1 BGB untergegangen. Der Erfüllung des Urlaubsanspruchs stand entgegen, dass für die Klägerin infolge des mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbots gemäß § 3 Abs. 1 MuSchG keine Arbeitspflicht bestand.
a) Zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs bedarf es einer Freistellungserklärung des Arbeitgebers. Diese ist nur geeignet, das Erlöschen des Urlaubsanspruchs zu bewirken, wenn der Arbeitnehmer erkennen muss, dass der Arbeitgeber ihn zur Erfüllung des Anspruchs auf Erholungsurlaub von der Arbeitspflicht freistellen will (st. Rspr., z.B. BAG, Urteile vom 10. Februar 2015 – 9 AZR 455/13 – Rn. 19 und 19. Mai 2009 – 9 AZR 433/08 – Rn. 16, beide zitiert nach Juris). Eine Freistellungserklärung des Arbeitgebers kann nach § 362 Abs. 1 BGB das Erlöschen des Urlaubsanspruchs allerdings nur dann bewirken, soweit für den Freistellungszeitraum überhaupt eine Arbeitspflicht des Arbeitnehmers besteht (st. Rspr., bspw. zuletzt BAG, Urteil vom 9. August 2016 – 9 AZR 575/15 – Rn. 11, zitiert nach Juris).
b) Für die Klägerin bestand in dem hier fraglichen Zeitraum vom 1. September 2015 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses am 17. September 2015 keine Arbeitspflicht. Die Klägerin musste aufgrund des ausgesprochenen individuellen Beschäftigungsverbots nach § 3 Abs. 1 MuSchG die zuletzt geschuldete Arbeitsleistung als Serviceaufsichtskraft in der Spielothek der Beklagten in C unstreitig nicht mehr erbringen. Dies wurde von den Parteien auch ausdrücklich […] klargestellt. Dass dieses ärztliche Attest vom 17. März 2015 bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses Bestand hatte, hat die Beklagte selbst nicht in Abrede gestellt. Eine (weitere) Ersatztätigkeit, zu deren Aufnahme die Klägerin verpflichtet gewesen wäre, hat die Beklagte unstreitig nicht zugewiesen. Damit war die Klägerin weder vertraglich verpflichtet noch tatsächlich in der Lage, andere, nicht vom mutterschutzrechtlichen Beschäftigungsverbot erfassten Tätigkeiten auszuüben. Der nach § 362 Abs. 1 BGB zur Erfüllung des Urlaubsanspruchs erforderliche Leistungserfolg konnte mithin nicht eintreten (vgl. BAG, Urteil vom 9. August 2016 – 9 AZR 575/15 – Rn. 12, zitiert nach Juris). Dies gilt nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, der die Berufungskammer folgt, ungeachtet dessen, dass unabhängig davon bei der Klägerin der Erholungszweck gleichwohl hätte eintreten können (vgl. BAG, Urteil vom 18. März 2014 – 9 AZR 669/12 – Rn. 26, zitiert nach Juris).
c) Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts reicht es hingegen nicht aus, dass die Beklagte, was die Klägerin bestritten hat, die Möglichkeit zur (weiteren) Umsetzung der Klägerin gehabt hätte. Damit die Verpflichtung zur Urlaubserteilung nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt, genügt nicht allein die Vornahme der erforderlichen Leistungshandlung, sondern es muss auch der Leistungserfolg eintreten (vgl. BAG, Urteil vom 9. August 2016 – 9 AZR 575/15 – Rn. 15, zitiert nach Juris). Dem stünde entgegen, wenn man, wie das Arbeitsgericht, die bloße Möglichkeit zur Umsetzung ausreichen ließe, ohne dass durch entsprechende Umsetzung eine für den Freistellungszeitraum zur Erfüllung nach § 362 Abs. 1 BGB erforderliche Arbeitspflicht der Klägerin überhaupt erst entstanden wäre. Daher folgt das Berufungsgericht der vom Arbeitsgericht zitierten Meinung aus dem Schrifttum unter Berücksichtigung der angezogenen aktuellen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG, Urteil vom 9. August 2016 – 9 AZR 575/15, zitiert nach Juris) ausdrücklich nicht. Maßgeblich für die Frage einer Arbeitspflicht und damit zusammenhängend einer Erfüllung von Urlaubsansprüchen bleibt allein die tatsächlich durch die Arbeitgeberin zugewiesene Arbeitstätigkeit, im Streitfall mithin die zuletzt von der Beklagten zugewiesene Tätigkeit der Klägerin als Servicekraft bzw. Aufsicht in der Spielothek der Beklagten in C.
[…] Für die Zulassung der Revision ist kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG ersichtlich.