STREIT 4/2019
S. 181-184
VG Aachen, §§ 3 Abs1, 3a bis 3e AsylG, § 3 AsylVfG, Richtlinie 2011/95/EU
Flüchtlingseigenschaft für verwitwete Irakerin
Einer alleinstehenden, verwitweten Frau aus Bagdad, die an westlichen Werten orientiert ist, ist die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen.
(Leitsatz der Redaktion)
Urteil des VG Aachen vom 3.5.2019 – 4 K 3092/17.A
Zum Sachverhalt:
Die ihren Angaben zufolge am 24. Oktober 1974 in Arbil, Irak geborene Klägerin ist irakische Staatsangehörige, kurdischer Volks- und sunnitischer Religionszugehörigkeit. Sie ist verwitwet. Sie verließ den Irak eigenen Angaben zufolge am 6. Oktober 2015 über die Türkei. Zuletzt wohnhaft war sie im Irak in Bagdad, Stadtteil Al Ameriya.
Am 23. Oktober 2015 reiste sie in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 11. November 2015 bei der Bezirksregierung Arnsberg, Außenstelle Münster ein formloses Asylgesuch. […]
Aus den Gründen:
[…] Die Klägerin hat in dem für die verwaltungsgerichtliche Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (vgl. § 77 Abs. 1 S. 1 AsylG) einen Anspruch auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 60 Abs. 1 AufenthG wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (westlich-orientierte alleinstehende Frau). […]
Nach § 3 Abs. 1 AsylG ist ein Ausländer Flüchtling im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes (Herkunftsland) befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will oder in dem er als Staatenloser seinen vorherigen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und in das er nicht zurückkehren kann oder wegen dieser Furcht nicht zurückkehren will.
Die Prüfung der Verfolgung richtet sich im Einzelnen nach den §§ 3a bis 3e AsylG. Nach § 3c AsylG kann die Verfolgung ausgehen vom Staat (Nr. 1), von Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen (Nr. 2), oder von nichtstaatlichen Akteuren, sofern die vorgenannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor der Verfolgung i. S. d § 3d AsylG zu bieten, und dies unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht (Nr. 3).
Die Furcht vor Verfolgung ist begründet, wenn dem Ausländer die genannten Gefahren aufgrund der in seinem Herkunftsland gegebenen Umstände in Anbetracht seiner individuellen Lage tatsächlich, d. h. mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohen. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit in diesem Sinne liegt vor, wenn sich die Rückkehr in den Heimatstaat aus der Sicht eines besonnen und vernünftig denkenden Menschen als unzumutbar erweist, weil bei Abwägung aller in Betracht kommenden Umstände die für eine bevorstehende Verfolgung streitenden Tatsachen ein größeres Gewicht besitzen als die dagegen sprechenden Gesichtspunkte. (Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. Februar 2018 – 14 A 2390/16.A –, juris, Rn. 25 ff., m.w.N.; OVG NRW, Urteil vom 18. Mai 2018 – 1 A 2/18.A –, juris, Rn. 63 f., m.w.N.) […]
Ausgehend von diesen Grundsätzen und unter Würdigung der in das Verfahren eingeführten und der allgemein zugänglichen Erkenntnisse sowie des Vorbringens der Klägerin ist ihr die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen. Ihr droht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit in ihrer Herkunftsregion im Irak (Bagdad) Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG aus einem der dort normierten Verfolgungsgründe, namentlich wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (westlich-orientierte alleinstehende Frau).
1. Die Kammer stellt insoweit auf die Herkunftsregion der Klägerin, mithin auf Bagdad ab. Zum einen ergibt sich systematisch aus den §§ 3 ff. AsylG und den diesen Vorschriften zugrunde liegenden Artikeln der Richtlinie 2011/95/EU, dass die Voraussetzungen der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft mit Blick auf die Situation in der Heimatregion zu prüfen sind. Denn diesen Regelungen zu Folge wird auf die übrigen Regionen des Heimatlandes erst – in einem weiteren Schritt – bei der Prüfung des internen Schutzes eingegangen (vgl. § 3e AsylG und Art. 8 der Richtlinie 2011/95/EU). Zum anderen rechtfertigen es auch die besonderen Umstände im Irak, allein auf die konkrete Herkunftsregion des Asylklägers abzustellen, da sich die politische Herrschaftslage in den unterschiedlichen Regionen erheblich unterscheidet und sich somit die zu betrachtende Lage im Land nicht einheitlich darstellt. Bagdad war die letzte Region, in der die Klägerin im Irak offiziell als Einwohnerin lebte, sodass sie als ihre Heimatregion anzusehen ist.
2. Die Klägerin hat die Einzelrichterin in der mündlichen Verhandlung, in der sie ausreichend Gelegenheit hatte, ihre Fluchtgründe darzulegen, davon überzeugt, in ihrer Heimatregion Bagdad mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung in Anknüpfung an ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe (westlich-orientierte alleinstehende Frau) im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG ausgesetzt zu sein. Es steht zur Überzeugung der Einzelrichterin fest, dass ihr im Falle ihrer Rückkehr in den Irak dort mit Blick auf die Tatsache, dass sie eine verwitwete und damit alleinstehende, an westlichen Werten orientierte Frau ist, die diese Werte auch erkennbar nach außen trägt, eine Verfolgung durch einen nichtstaatlichen Akteur i.S.d. § 3c Nr. 3 AsylG, namentlich insbesondere durch schiitische Milizen ernstlich droht. (Vgl. so schon: VG Aachen, Urteil vom 6. März 2019 – 4 K 2386/17.A –; ebenso: VG Münster, Urteil vom 2. Oktober 2018 – 6a K 5132/16.A –, juris; VG Hannover, Urteil vom 26. Februar 2018 – 6 A 5751/16 –, juris; VG Stuttgart, Urteil vom 18. Januar 2011 – A 6 K 615/10 –, juris; ähnlich: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. Juni 2017 – 8a K 1971/16.A –, juris, STREIT 2017, 179-187.)
Die Klägerin hat zur Überzeugung der Einzelrichterin dargelegt, im Irak in Anknüpfung an die Tatsache, dass sie eine an westlichen Werten orientierte, tradierte irakische Rollenbilder ablehnende alleinstehende Frau ist, die diese Werte auch für Dritte erkennbar nach außen trägt, geschlechtsspezifischer Verfolgung i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 letzte Variante i.V.m. § 3b Abs. 1 Nr. 4 AsylG ausgesetzt zu sein.
Nach den der Kammer vorliegenden Erkenntnissen sind unverheiratete oder verwitwete Frauen einem besonders großen Risiko ausgesetzt sind, Opfer von sexuellen Schikanen und Gewalttaten zu werden. Das Irakische Gesetz sowie auch die irakischen Sitten respektieren das Recht auf Bewegungsfreiheit für Frauen grundsätzlich nicht. Auch in der Region Kurdistan, wo z.B. Gesetze gegen häusliche Gewalt existieren, werden gewalttätige Übergriffe – auch solche außerhalb des häuslichen Bereiches – vielfach nicht ausreichend angezeigt und verfolgt. Manche für das Gesundheitsministerium tätige Personen sind aufgrund kultureller Normen nicht bereit, Opfer von Sexualübergriffen zu behandeln. (Vgl. BFA Österreich, Länderinformationsblatt Irak vom 24. August 2017/18. Mai 2018, S. 136ff. BFA Österreich, Lage der Frauen, 31. Januar 2017, S. 2ff.)
Insgesamt werden unverheiratete, geschiedene oder verwitwete Frauen im Irak gesellschaftlich stigmatisiert; die vorherrschenden sozialen Normen hindern Frauen – wie die Klägerin – daran, ohne einen Mann zu leben. Insbesondere weiblich geführte Haushalte riskieren, Gewalt ausgesetzt zu sein. Zu den schutzbedürftigsten Gruppen im Irak zählen u.a. insbesondere schwangere und/oder stillende, ledige und verwitwete Frauen. Solche Frauen sehen sich großen sozialen Herausforderungen und diskriminierenden Traditionen ausgesetzt. Insbesondere geschiedene Frauen ohne Bildung und Arbeitserfahrung sind – vor allem in ländlichen Regionen – mit großen Schwierigkeiten konfrontiert. (Vgl. BFA Österreich, „Irak – Scheidung, Situation geschiedenen Frauen“, 1. Oktober 2018, S. 11 f.; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Frauenhäuser in Kirkuk & Situation für unverheiratete oder geschiedene Frauen, Witwen und alleinerziehende Mütter, 05.02.2018, S. 3.) Insbesondere konservative Regionen sind dafür bekannt, (alleinstehende) Frauen streng zu kontrollieren. (Vgl. Danish Immigration Service, Country of Origin Information, “Kurdistan Region of Iraq (KRI) – Women and men in honour-related conflicts”, November 2018, S. 13.) Außerhalb des Familienverbandes und insbesondere ohne einen schutzgebenden männlichen Familienangehörigen ist das Leben für eine alleinstehende Frau im Irak nach alledem nahezu unmöglich. (Vgl. Finnish Immigration Service, “Overview of the status of women living without a safety net in Iraq”, 22. Mai 2018, S. 41.)
Daran gemessen ist der Klägerin als einer alleinstehenden, verwitweten, an westlichen Werten orientierten und diese Werte für andere erkennbar nach außen tragenden Frau die Flüchtlingseigenschaft in Anknüpfung an eine ihr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit drohende geschlechtsspezifische Verfolgung zuzuerkennen. Sie machte während der gesamten Verhandlung auf die Einzelrichterin den Eindruck einer überzeugt am westlichen Lebensstil orientierten, selbstbewussten Frau, die gerne auf eigenen Füßen steht, nur auf dem Papier Sunnitin ist und die die im Irak vorherrschenden tradierten Rollenbilder verachtet. Ihre Einstellung, ihr Verhalten, aber auch ihr modernes Erscheinungsbild unterscheiden sich – aus Sicht der Einzelrichterin – nicht von demjenigen einer Deutschen gleichen Alters.
Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung auf die für sie sehr unerwarteten Fragen der Einzelrichterin glaubhaft, insbesondere spontan, überzeugt und hochemotional geschildert, sich bereits im Irak gänzlich von den dort vorherrschenden tradierten Rollenbildern und vorhandenen Wertvorstellungen gelöst zu haben und einen westlich-orientierten, modernen Lebensstil zu pflegen und diesen auch für andere erkennbar nach außen zu tragen. Sie hat zur Überzeugung der Einzelrichterin dargelegt, von den im Irak vorherrschenden tradierten Rollenbildern und Wertvorstellungen bereits zu einer Zeit, als sie dort noch lebte, nie überzeugt gewesen zu sein. So schilderte sie glaubhaft, ein Kopftuch allenfalls bei Verlassen ihres Hauses und einzig auf den gesellschaftlichen Druck hin und aus Angst vor Angriffen durch Dritte angelegt zu haben. Sie führte aus, dass ihr einige Frauen bekannt seien, denen ätzende Säure über den Kopf geschüttet worden sei, weil sie kein Kopftuch getragen hätten. Zugleich gab sie an, sich von derartigen religiösen Zwängen nicht unter Druck setzen lassen zu wollen. Sunnitin sei sie nur auf dem Papier, tatsächlich religiös sei sie nicht. Dafür, dass die Klägerin die im Irak vorherrschenden tradierten Rollenbilder und vorhandenen Wertvorstellungen abgelegt hat und westlich-orientiert ist, spricht auch die Tatsache, dass sie erfolgreich zwei Studiengänge absolviert hat, und zwar zum einen das Studium der Elektrotechnik sowie des Weiteren ein Studium der Literatur. Um Letzteres antreten zu können, hat sie sogar – ihren glaubhaften Aussagen in der mündlichen Verhandlung zufolge – ein weiteres Mal das Abitur mit einer anderen Fachrichtung abgelegt. Zudem hat sie – obgleich dies für die Familie finanziell nicht von Nöten gewesen wäre – bis kurz vor ihrer Ausreise als Kunstlehrerin an einer reinen Mädchenschule in Bagdad gearbeitet, sich also finanziell von ihrem Mann unabhängig gemacht. So hat sie in diesem Zusammenhang vollkommen überzeugt angegeben, „sie sei schließlich Akademikerin, weshalb solle sie nicht arbeiten und sich der Gesellschaft als nützlich erweisen?“. Für die so gewonnene Überzeugung spricht ferner, dass sich die Klägerin ihrem Ehemann, der – ihren glaubhaften Ausführungen zufolge – stets anderer Meinung gewesen sei als sie und der sie regelmäßig zur Vollziehung des Geschlechtsverkehrs gezwungen habe, massiv widersetzt hat. So hat sie überzeugend geschildert, dass sie ihm „selbstredend ihre Meinung gesagt habe, sie sei schließlich Akademikerin, weshalb solle sie alles hinnehmen?“.
An dem Umstand, dass die Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes verwitwet und damit alleinstehend ist, ändert auch die Tatsache nichts, dass in Bagdad noch ein Bruder der Klägerin lebt. Denn auch dieser kommt nicht als schutzbereite männliche Beistandsperson der Klägerin in Betracht. Zum einen steht nicht zur Überzeugung der Einzelrichterin fest, dass die Klägerin langfristig Unterkunft bei ihrem Bruder und Unterstützung durch diesen erhalten könnte; ihr Bruder hat selbst eine eigene Familie gegründet. Zudem könnte ihr Bruder sie zwar vielleicht bei alltäglichen Situationen unterstützen, nicht aber im allgemeinen Rechtsverkehr als schutzbereiter Beistand für sie auftreten, wie es im Irak etwa bei Ehemännern oder Vätern unverheirateter Frauen üblicherweise der Fall ist.
Aufgrund dieser Erkenntnislage sind die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 AsylG hier erfüllt. Die Gruppe der alleinstehenden Frauen ohne männliche schutzbereite Familienangehörige ist eine bestimmte soziale Gruppe im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3 b Abs. 1 Nr. 4 letzter Halbs. AsylG, weil die Verfolgung allein an das weibliche Geschlecht anknüpft.
Diese Handlungen sind aufgrund ihrer Art und Wiederholung so gravierend, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen (§ 3a Abs. 1 Nr. 1 AsylG). Diese Frauen werden in ihrer körperlichen und geistigen Integrität verletzt, sie werden gegenüber den Männern diskriminiert, sie werden in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit beschnitten und ihnen wird es sehr erschwert, allein zu überleben und ein selbstbestimmtes Leben zu führen, am öffentlichen Gesellschaftsleben teilzunehmen, sich zu bilden und entsprechend zu arbeiten. Für den Eintritt dieser Verletzungen besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit. Die erforderliche „Verfolgungsdichte“ ist anzunehmen, da die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen besteht, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt, sondern die Handlungen auf alle sich im Irak aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne Weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Wie oben zitiert drohen den alleinstehenden Frauen ohne männliche schutzbereite Familienangehörige jederzeit sexuelle oder andere gewalttätige Übergriffe, Obdachlosigkeit, wirtschaftliche Not, soziale Isolierung und Demütigung. Die genannten Verfolgungshandlungen drohen nicht nur selten, sondern sie sind üblich und drohen jederzeit. Da eine alleinstehende Frau ohne männliche schutzbereite Familienangehörige sich notgedrungen alleine in der Öffentlichkeit bewegen muss, um eine Wohnung zu mieten, zu arbeiten und sich zu versorgen, kann sie die bestehenden Gefahren auch nicht umgehen.
Die Verfolgung erfolgt auch im Sinne des § 3 Abs. 1 Nr. 1 AsylG „wegen“ der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Die geschilderten Verfolgungshandlungen knüpfen gezielt an das weibliche Geschlecht an.
Die Verfolgung geht von nichtstaatlichen Akteuren aus, ohne dass der Staat, Parteien, Organisationen oder internationale Organisationen bereit und in der Lage sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, §§ 3c und 3d AsylG. Die irakischen Streit- und Sicherheitskräfte sind nicht befähigt, landesweit den Schutz der Bürger zu gewährleisten. Die Anwendung bestehender Gesetze ist nicht gesichert. Personelle Unterbesetzung, mangelnde Ausbildung, mangelndes rechtsstaatliches Bewusstsein vor dem Hintergrund einer über Jahrzehnte gewachsenen Tradition von Unrecht und Korruption auf allen Ebenen sind hierfür die Hauptursachen. (Vgl. Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak vom 12. Januar 2019, S. 8 f., und vom 12. Februar 2018, S. 8, 9; BFA Österreich, Länderinformationsblatt Irak vom 24. August 2017/18. Mai 2018, S. 9 u. 158; Auskunft des Auswärtigen Amtes an das Bayerische Verwaltungsgericht Ansbach vom 12. Juni 2017 zu dem dortigen Verfahren AN 10 K 16.31410, S. 3.) Zudem lässt der irakische Staat dadurch, dass er die in der Verfassung garantierte Gleichstellung von Frauen und Männern nicht auf einfachgesetzlicher Ebene umgesetzt hat, (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 12. Februar 2018, S. 13), erkennen, dass er den Schutz der Frauen auch nicht beabsichtigt.
3. Der Klägerin steht im Irak auch kein interner Schutz (innerstaatliche Fluchtalternative) offen (§ 3e AsylG), und zwar weder in der Autonomen Region Kurdistan-Irak noch in anderen Landesteilen des Irak. […]
Unabhängig vom Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen kommt ein interner Schutz für die Klägerin in keinem anderen Landesteil des Irak in Betracht. Denn die geschilderte Problematik für alleinstehende Frauen mit westlicher Werteorientierung besteht den oben zitierten Erkenntnissen zufolge im gesamten Irak. (So auch: VG Münster, Urteil vom 2. Oktober 2018 – 6a K 5132/16.A –, juris, Rn. 79.) Ihren glaubhaften Schilderungen zufolge verfügt die Klägerin auch im gesamten Irak – d.h. sowohl im Zentralirak als auch in der Region Kurdistan-Irak – über keine schutzbereiten männlichen Familienangehörigen mehr. […]