STREIT 1/2025
S. 24
Frankreich ergreift Maßnahmen zum besseren Schutz von Opfern häuslicher Gewalt
Seit mehreren Jahren fordern feministische Verbände in Frankreich die Einrichtung von spezialisierten Gerichten für Fälle von Gewalt an Frauen nach spanischem Vorbild.
Diese Forderung wurde in einem parlamentarischen Bericht aus dem Jahr 2023 über die Verbesserung der gerichtlichen Behandlung von häuslicher Gewalt aufgegriffen.1 Allerdings wurde keine besondere Gerichtsbarkeit, sondern lediglich auf häusliche Gewalt spezialisierte Abteilungen bei allen Gerichten eingeführt, die seit dem 01.01.2024 in Frankreich obligatorisch sind. Diese Abteilungen bestehen aus Gerichtsdirektorinnen, Gerichtsschreiberinnen, Jugend-, Familien- und Strafrichterinnen sowie Staatsanwältinnen. Zusätzliche finanzielle Mittel wurden nicht bereitgestellt.
Durch die Spezialisierung und bessere Koordinierung der Akteur*innen sowohl in Familien- als auch in Strafsachen soll ein umfassender und interdisziplinärer Ansatz bei häuslicher Gewalt oder Gewalt gegen Minderjährige ermöglicht werden.
Ziel ist es beispielsweise zu verhindern, dass im familiengerichtlichen Verfahren Vätern, die strafrechtlich wegen häuslicher Gewalt verurteilt wurden, das Sorge- bzw. Umgangsrecht zugesprochen wird, ohne dass die Auswirkungen ihres gewalttätigen Verhaltens auf die Kinder geprüft werden. Zudem sollen die mit den Fällen befassten Richter*innen mit Hilfe von Fortbildungen zu den Themen psychologische Profile von Tätern, Risikobewertung, medizinische Untersuchungen von Opfern und Auswirkungen häuslicher Gewalt auf Kinder sensibilisiert werden. Überdies werden bestimmte Informationen zum Thema häuslicher Gewalt leichter zugänglich gemacht und u. a. umfassende Rechtsprechungssammlungen erstellt und ausgewertet.
Die Koordinierungsstelle wird von einem Richter/einer Richterin und einem Staatsanwalt/einer Staatsanwältin angeleitet, die bei ihrer Arbeit von einem juristischen Team unterstützt werden, das je nach Größe des Gerichts aus einem oder mehreren juristischen Mitarbeiterinnen oder Projektmanagerinnen besteht. Die Hauptaufgaben der Koordinator*innen, bestehen darin, die ständige Fortbildung der Mitglieder des Zentrums zu organisieren, für die Weitergabe der Informationen zu sorgen, die sie für die Erfüllung ihrer Aufgaben benötigen, einen geeigneten Maßnahmenkatalog für von häuslicher Gewalt Betroffene einzurichten, die vereinbarten Schutzmaßnahmen wie Schutzanordnungen, Telefone für akute Gefahren und „Anti-Näherungs-Armbänder“2 zu überwachen und zur Umsetzung und Evaluation der Maßnahmen beizutragen, auch durch die Formulierung konkreter Verbesserungsvorschläge.
Im Rahmen der Gesetzesänderung wurde auch eine Applikation namens „Informatorisches System zur Überwachung der vorrangigen strafrechtlichen Maßnahmen“3 zur Verfügung gestellt, die den jeweiligen Richterinnen den Zugang zu Informationen über alle zivil- und strafrechtlichen Verfahren in Bezug auf häusliche Gewalt verschafft. Dies soll den Informationsaustausch und damit die Risikoeinschätzung gegenüber dem Opfer verbessern mit dem Ziel, dass die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt besser und schneller geschützt werden können. Die Richterinnen können allerdings frei entscheiden, wann sie es für angebracht halten, die Akten einzusehen.
Die spezialisierten Abteilungen sind ein begrüßenswerter Schritt, um Frauen bei häuslicher Gewalt zu schützen. Ob die Maßnahmen tatsächlich wirksam sind und auch zu einer Änderung in der Rechtsprechung führen, wird sich in der Praxis zeigen.
- https://www.vie-publique.fr/files/rapport/pdf/289498.pdf ↩
- Bei den Armbändern handelt es sich um eine Art Handfessel für Gefährder/ Täter, die Alarm schlägt, wenn sich diese der gefährdeten Person nähern. Die Betroffenen haben einen Sender, auf dem sie erkennen können, ob sich die Täter an das Annäherungsverbot halten. Voraussetzung ist ein Beschluss eines Familien- bzw. Strafgerichts. ↩
- Système informatisé de suivi de politiques pénales prioritaires: https://www.legifrance.gouv.fr/download/pdf?id=N7w3T2LegbQuhA4LkNeL0ZSuLPD8fbUscXQ6jPafklM= ↩