STREIT 1/2025
S. 25-27
Zum Diskussionsentwurf für eine Reform des Kindschaftsrechts
Die Regierung hat die geplante Reform des Kindschaftsrechts in der 20. Legislatur nicht abgeschlossen und das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat im Nachgang den Referentenentwurf als Diskussionsentwurf veröffentlicht.1
Der vorgelegte Entwurf zur Modernisierung von Sorgerecht, Umgangsrecht und Adoptionsrecht hat u.a. das Ziel, den Schutz vor häuslicher Gewalt durch ausdrückliche Regelungen zur Berücksichtigung im Sorge- und Umgangsrecht zu verbessern. Dies ist erforderlich, um die in Deutschland bereits 2018 in Kraft getretene Istanbul-Konvention endlich umzusetzen. Der Entwurf enthält mit Blick auf den Gewaltschutz auf der einen Seite gute Regelungen:
So soll die gemeinsame elterliche Sorge bei Partnerschaftsgewalt in der Regel nicht in Betracht kommen. Des Weiteren sind in Fällen häuslicher Ge- walt bei einer gerichtlichen Umgangsentscheidung bestimmte Gesichtspunkte zu berücksichtigen, zu denen auch die Häufigkeit, Dauer und Intensität der gewalttätigen Konflikte, die Wiederholungsgefahr und das Miterleben der Gewalt durch das Kind zählen. Ebenso sind die zu erwartenden Auswirkungen des Umgangs auf den gewaltbetroffenen Elternteil und das Kind sowie das nach dem Gewaltereignis gezeigte Verhalten des gewaltausübenden Elternteils zu berücksichtigen. Auch ist nach dem Entwurf eine Beschränkung des Umgangs zur Abwehr einer Gefährdung des gewaltbetroffenen Elternteils möglich. Dies sind wichtige Regelungen, die erforderlich sind, um den Gewaltschutz in Sorge- und Umgangsverfahren nachhaltig zu verbessern und die Istanbul-Konvention umzusetzen.
Auf der anderen Seite sieht der Entwurf jedoch Regelungen vor, die diesen Fortschritt konterkarieren. Hierzu zählen die weitere Automatisierung der gemeinsamen Sorge qua Vaterschaftsanerkennung und die Möglichkeit der Übertragung des Sorgerechts durch Vereinbarung zwischen den Eltern. Diese Re- gelungen führen bei asymmetrischen Machtverhältnissen zwischen den Eltern wie in Fällen häuslicher Gewalt zu einem Recht des Stärkeren.
Die meisten Gefährdungen durch Nachtrennungsgewalt finden im Kontext von Umgangskontakten statt. Hier enthält der Entwurf zwar auch gute Regelungen, an entscheidenden Stellen sieht er jedoch eklatant falsche Weichenstellungen vor:
Zum einen ist hier die für den Umgang gesetzlich konkretisierte Wohlverhaltenspflicht zu nennen. Diese umfasst nach dem Entwurf insbesondere die Pflicht, das Kind zum Umgang mit dem anderen Elternteil zu ermuntern. Nach der Begründung bedeutet dies, dass der betreuende Elternteil im Rahmen seiner Erziehungsaufgabe auf das Kind mit dem Ziel einwirkt, innere Widerstände gegen den Umgang mit dem anderen Elternteil abzubauen und eine positive Einstellung zu gewinnen. Damit wird die Verantwortung für das Zustandekommen des Umgangskontakts grundsätzlich auf der Seite des betreuenden Elternteils verortet. Eine solche Konkretisierung der Wohlverhaltenspflicht bedeutet in der Konsequenz, das pseudowissenschaftlichen Entfremdungstheorien zugrundeliegende gedankliche Konstrukt der einseitigen Verantwortung betreuender Elternteile für ein Gelingen von Umgangskontakten mit dem anderen Elternteil gesetzlich zu verankern. Ein Blick auf das gesamte Familiensystem findet dann grundsätzlich nicht statt. Weder das Verhalten des anderen Eltern- teils noch der Wille des Kindes werden bei dieser Ausgestaltung der Wohlverhaltenspflicht in den Blick genommen. Dabei haben sowohl deutsche Untersuchungen als auch internationale Befunde belegt, dass eine Umgangsverweigerung von Kindern vielfältige und unterschiedliche Gründe haben kann, die im Verhalten beider Eltern und auch des Kindes liegen können.2
Zwar kann für den betreuenden Elternteil ein Einwirken auf das Kind auch unzumutbar sein. So wird in der Begründung festgestellt, dass es nach gravierenden Gewaltereignissen objektiv nachvollziehbar sein kann, dass der gewaltbetroffene Elternteil eine gewisse Zurückhaltung zeigt. Unterhalb dieser Schwelle der „gravierenden Gewalt“ wird jedoch nach wie vor für das Gelingen des Umgangs allein der betreuende Elternteil in der Verantwortung stehen. Dies ist gefährlich, denn damit droht häusliche Gewalt unterhalb dieser Schwelle aus dem Blick zu geraten. Auch GREVIO, das Expertengremium zur Umsetzung der Istanbul-Konvention, hat in seinem Deutschlandbericht 2022 festgestellt, dass die Anwendung pseudowissenschaftlicher Entfremdungstheorien zur Aushebelung des Gewaltschutzes führt.3
Eine weitere falsche Weichenstellung betrifft die Rolle der Umgangspflegschaft. Diese kann nach dem Entwurf vom Gericht angeordnet werden, wenn es diese zur Abwendung einer konkreten Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit des gewaltbetroffenen Elternteils für erforderlich hält. Die Umgangspflegschaft ist aber von ihrer Gestaltung her nicht dazu konzipiert, in Fällen häuslicher Gewalt einen nachhaltigen Schutz zu garantieren. Umgangspfleger*innen sind hierzu in der Regel nicht ausgebildet.4 Sie können das Kind in diesen Situationen nicht angemessen begleiten und auch nicht den Schutz des gewaltbetroffenen Elternteils garantieren. Im Rahmen einer Umgangspflegschaft werden nur die Übergaben begleitet, nicht jedoch der Umgangskontakt selbst. Durch eine Umgangspflegschaft wird zudem das Sorgerecht des gewaltbetroffenen Elternteils eingeschränkt. Der Elternteil, dessen körperliche Unversehrtheit durch das Verhalten des anderen Elternteils gefährdet ist, muss also eine Sorgerechtseinschränkung hinnehmen, damit das Umgangsrecht des Elternteils, von dem die Gefahr ausgeht, nicht eingeschränkt werden muss. Dies führt im Ergebnis zu einer Umkehr der Verantwortlichkeiten für die Gewalt.
Zuletzt ist kritisch zu sehen, dass im Entwurf weiterhin an einer Änderung des § 17 SGB VIII festgehalten wird, wonach in der Trennungsberatung eine Betreuung der Eltern zu wesentlichen oder gleichen Teilen angesprochen werden soll. Faktisch führt dies zu einer Rechtfertigungspflicht von Trennungseltern für eine Entscheidung gegen das Wechselmodell. Auch hier wird, besonders wenn Gewalt nicht offen- sichtlich ist, der Druck auf gewaltbetroffene Eltern- teile steigen, weitgehenden Umgängen zuzustimmen. Für den ökonomisch schwächeren Elternteil – in der Regel die Mutter – erhöht sich ebenso der Druck, Wechselmodellen mit einhergehenden geringeren Unterhaltsansprüchen zuzustimmen – allerdings ohne finanzielle Folgen bei der Entscheidung in den Blick zu nehmen. Denn dass im Rahmen der Beratung zwingend auch unterhaltsrechtliche Folgen mit den Eltern besprochen werden müssen, sieht der Entwurf nicht vor.
Kritisch zu sehen ist in diesem Zusammenhang auch die im Entwurf vorgesehene Stärkung der Verbindlichkeit von schriftlichen Umgangsvereinbarungen. Wurde eine solche Vereinbarung geschlossen, so behält sie in einem späteren Umgangsverfahren sogar ihre Verbindlichkeit für eine gerichtliche Umgangsregelung, wenn ein Elternteil die Vereinbarung aufgelöst hat. Im Rahmen der Trennungsberatung geschlossene Umgangsvereinbarungen bekommen so eine Rechtsverbindlichkeit, die ein kooperatives Miteinander und ein Ausprobieren von Umgangsmodellen verhindert.
Insgesamt enthält der Entwurf gute und wichtige Re- gelungen, um den Gewaltschutz im Sorge- und Umgangsrecht zu verbessern. Allerdings setzt er an entscheidenden Stellen Weichen, die diese Verbesserungen konterkarieren und sogar eine Verschlechterung des Gewaltschutzes sowie des Schutzes ökonomisch schwächerer Elternteile befürchten lassen. Ist die Gewalt offensichtlich und hat sie eine erhebliche Schwel- le erreicht, kann der Entwurf zu einer Verbesserung des Schutzes gewaltbetroffener Elternteile und ihrer Kinder beitragen. Jedoch würde Gewalt, die nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist und deren erkennbare Auswirkungen unterhalb einer bestimmten Schwelle bleiben, vom Radar verschwinden. In diesen Fällen würde sich der Druck auf gewaltbetroffene Elternteile noch mehr als gegenwärtig erhöhen. Grund dafür ist insbesondere die vorgesehene einseitige Ausgestaltung der Wohlverhaltenspflicht und eine Trennungsberatung hin zum Wechselmodell. Mehr als bedauerlich für einen verbesserten Gewaltschutz ist auch, dass die geplanten Verbesserungen im familiengerichtlichen Verfahren aufgrund des vorzeitigen Endes der Legislaturperiode nicht verabschiedet worden sind. Die gravierenden Lücken zwischen Umgang und Gewaltschutz bleiben. Diesen muss sich die neue Regierung mit einer schlüssigen und widerspruchsfreien Reform annehmen, um die Istanbul-Konvention vollständig umzusetzen.5
- Diskussionsentwurf des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts: https://www.bmj.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/DiskE/DiskE_Kindschaftsrecht.pdf?__blob=publicationFile&v=2. ↩
- Dr. Josef Salzgeber: Zum aktuellen Stand der PAS-Diskussion, FF 2003, S. 233; Menno Baumann, Tjis Bolz: Loyalitätskonflikte, Eltern-Kind-Entfremdung und Umgangsstreitigkeiten als juristische, gutachterliche und beraterische Krise – eine bindungsdynamische Perspektive, ZKJ 2021, S. 212. ↩
- GREVIO Deutschlandbericht (S. 75/76 zu PA(S): https://www.bmfsfj.de/resource/blob/202386/3699c9bad150e4c4ff78ef54665a85c2/grevio-evaluierungsbericht-istanbul-konvention-2022-data.pdf. ↩
- In der Regel haben Umgangspflegerinnen keinen sozialpädagogischen oder psychologischen Hintergrund. Für die Übernahme einer Umgangspflegschaft gibt es keine Qualifikationsvoraussetzungen. Ausbildungen zur Umgangspflegerin können in 10–15 Stunden online absolviert werden. Es gibt problematische Ausbildungen, die Entfremdungstheorien vermitteln: http://umgangspfleger.de/fortbildung.html. ↩
- Ausführliche Stellungnahme des VAMV zum Diskussionsentwurf des BMJ für eine Reform des Kindschaftsrechts: https://vamv.de/de/aktuelles/diskussionsentwurf-fur-ein-gesetz-zur-reform-des-kindschaftsrechts/ ↩