STREIT 4/2023
S. 147
Frau! Leben! Freiheit! Narges Mohammadi erhält den Friedensnobelpreis 2023 – auch für die Bewegung „Frau – Leben – Freiheit“
Nobelstiftung
„Frau – Leben – Freiheit“
Das norwegische Nobelkomitee hat beschlossen, Narges Mohammadi den Friedensnobelpreis 2023 zu verleihen für ihren Kampf gegen die Unterdrückung der Frauen im Iran und ihren Kampf für die Förderung der Menschenrechte und der Freiheit für alle.
Der diesjährige Friedenspreis würdigt zugleich die Hunderttausende von Menschen, die im vergangenen Jahr gegen die Diskriminierung und Unterdrückung von Frauen durch das theokratische Regime im Iran demonstriert haben. Das von den Demonstrierenden gewählte Motto „Frau – Leben – Freiheit“ kennzeichnet treffend das Engagement und die Arbeit von Narges Mohammadi.
Narges Mohammadi ist eine Frau, eine Verteidigerin der Menschenrechte und eine Freiheitskämpferin. Ihr mutiger Kampf für freie Meinungsäußerung und das Recht auf Unabhängigkeit war für sie mit enormen persönlichen Kosten verbunden. Insgesamt hat das iranische Regime sie dreizehn Mal verhaftet, fünf Mal verurteilt und zu insgesamt 31 Jahren Gefängnis und 154 Peitschenhieben verurteilt.
Narges Mohammadi befindet sich noch immer im Gefängnis.
Quelle: www.nobelprize.org/prizes/peace/
Die 51-jährige Physikerin Narges Mohammadi ist eine bekannte Frauenrechtlerin. Sie engagiert sich seit den 1990er Jahren für Menschenrechte und zahlt dafür einen hohen Preis: Nach wiederholten kürzeren Haftstrafen, in denen sie der „weißen Folter“ durch Isolationshaft, Drohungen und Gewalt ausgesetzt war, verbringt sie seit 2015 ihr Leben überwiegend im berüchtigten Evin-Gefängnis, in dem insbesondere politische Häftlinge gefangen gehalten werden. Ihre beiden im Jahr 2007 geborenen Kinder Kiana und Ali konnte sie seit acht Jahren, ihren Ehemann Taghi Rahmani, der nach langer Haftstrafe 2012 nach Paris geflohen ist, seit 11 Jahren nicht mehr sehen. Während der Gefängnisaufenthalte entwickelte sie aufgrund der unmenschlichen Haftbedingungen schwere Krankheiten des Nervensystems, der Lunge und des Herzens.
Narges Mohammadi war Mitbegründerin und Aktivistin in zahlreichen Menschenrechtsorganisationen, unter anderem war sie Vizepräsidentin des „Nationalen Friedensrats“ und des „Zentrums für die Verteidigung der Menschenrechte“, das unter anderem von der im Jahr 2003 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Iranerin Shirin Ebadi gegründet worden war. Sie gehörte zum „Zentrum für Bürgerrechte von Frauen“ und war Erstunterzeichnerin der Kampagne „Eine Million Unterschriften gegen Frauen diskriminierende Gesetze“. 2015 wurde sie für die Führung der „Kampagne gegen die Todesstrafe“ verurteilt.
Im Oktober 2020 wurde sie wegen schwerer Erkrankungen vorzeitig aus der Haft entlassen. In dieser Zeit arbeitete sie mit anderen Frauen an ihrem Buch, durch das sie die Misshandlungen und psychischen Foltermethoden im Evin-Gefängnis skandalisiert und insbesondere gegen die Isolationshaft kämpft. Es beruht auf Gesprächsprotokollen mit Mitgefangenen, die sie aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. Es erschien 2022 unter dem Titel „White Torture“ und 2023 unter dem Titel „Frauen! Leben! Freiheit!: Wie wir unsere Stimmen erheben. Frauen in iranischen Gefängnissen erzählen“. Vahid Zarezadeh drehte auf dieser Grundlage den Dokumentarfilm „White Torture“.
Eine weitere langjährige Haftstrafe, die Narges Mohammadi im November 2021 antrat, wurde für eine kurze Zeit ausgesetzt, um eine Herz-OP zu ermöglichen. An ihrem 50. Geburtstag wurde sie am 21. April 2022 erneut verhaftet.
Narges Mohammadi stellte im März 2022 ihrem Buch die Worte voran: „Man wird mich erneut einsperren. Aber ich werde nicht aufhören zu kämpfen, bis in meinem Heimatland die Menschenrechte geachtet werden und Gerechtigkeit herrscht.“ Und Natalie Amiri schreibt in ihrem Vorwort: „Fast wöchentlich gibt sie aus dem Gefängnis heraus Statements, die heimlich auf Toilettenpapier oder Kaffeefiltern herausgeschmuggelt werden, in denen sie zum Regime Change aufruft, die Demokratie beschwört, Folter und Vergewaltigung im Gefängnis anprangert. Sie hört nicht auf.“
„Der Nobelpreis ist eine Auszeichnung für Narges und eine Motivation für die Kämpfer:innen im Iran“, sagte die Aktivistin Mariam Claren im Interview in den Tagesthemen vom 06.Oktober 2023. „Wir leben alle von der Hoffnung.“