STREIT 2/2017
S. 83-84
VGH Hessen, HHG § 63
Frauenförderung durch Berufung einer Professorin von Platz 2 zulässig
Die Präsidentin der Hochschule hat bei der von ihr gemäß § 63 HHG zu treffenden Entscheidung ein eigenes Auswahlermessen. Sie hat bei ihrer Auswahlentscheidung die in der vom Fachbereich erstellten Berufungsliste enthaltene Reihenfolge und die damit verbundene Einschätzung der fachlichen Qualifikation zu berücksichtigen. Sie ist aber nicht gehindert, daneben weitere wissenschafts- und hochschulpolitische Erwägungen in ihrer Auswahlentscheidung zu berücksichtigen.
VGH Hessen, Beschluss vom 11.04.2016 – 1 B 1604/15
Aus den Gründen:
Die Beschwerde des Antragstellers ist zulässig, jedoch unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht abgelehnt. Der Antragsteller wird durch die Art und Weise des Auswahlverfahrens und durch die Auswahl der Beigeladenen für die ausgeschriebene Professur nicht in seinem durch Art. 33 Abs. 2 GG gewährleisteten grundrechtsgleichen Rechts auf chancengleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt nach Maßgabe von Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung verletzt. […]
Die zu Gunsten der Beigeladenen getroffene Auswahlentscheidung erweist sich nicht deshalb als fehlerhaft, weil die Präsidentin der Universität M. die auf dem Listenvorschlag der Berufungskommission zweitplatzierte Beigeladene und nicht den erstplatzierten Antragsteller ausgewählt hat. Die Entscheidung der Präsidentin unterliegt im Hinblick auf das ihr eingeräumte Auswahlermessen keinen rechtlichen Zweifeln. Die Präsidentin durfte insbesondere gem. §  63 Abs. 3 Satz 5 HHG von der Reihenfolge der Berufungsliste abweichen. Auch in Ansehung der durch Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Einschätzungsprärogative des Fachbereichs ist diese Entscheidung nicht zu beanstanden.
§ 63 HHG regelt das Prinzip des Zusammenwirkens von Hochschule und staatlicher Hochschulverwaltung, in dem bei der Berufung der Professorinnen und Professoren das Vorschlagsrecht der Universitäten einerseits und das staatliche Berufungsrecht andererseits miteinander verbunden werden. […] Eine Änderung erfuhr diese Regelung durch § 72 Abs. 2 Satz 3 HHG in der Fassung des Gesetzes vom 20. Dezember 2004, wonach der Ruf nunmehr von der Präsidentin bzw. dem Präsident im Einvernehmen mit dem Ministerium zu erteilen war. […] Dass mit der Gesetzesänderung ein reines Kooptationsrecht der Fachbereiche geschaffen werden sollte und insbesondere die Berufungsentscheidung der Präsidentin nur noch auf den dienstrechtlichen Vollzug der Auswahlvorschlags der Berufungskommission bzw. Fachbereichs beschränkt sein sollte, ist der Gesetzesbegründung nicht zu entnehmen. […]
Die Berufungskommission hat im vorliegenden Verfahren ihre verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz im Hinblick auf die Qualifikation der Bewerber für die ausgeschriebene Hochschullehrerstelle dadurch betätigt, dass sie unter den zunächst insgesamt 48 Bewerbern eine Vorauswahl getroffen hat, wonach insgesamt elf Bewerber grundsätzlich für geeignet erachtet wurden. […] Nach Würdigung dieser Gutachten kam der Fachbereichsrat auf der Grundlage des Berichts der Berufungskommission in seiner Sitzung vom 4. Juni 2014 dann zu der vorgeschlagenen Reihung, die den Antragsteller auf Platz eins und die Beigeladene auf Platz zwei vorsah. […]
Soweit der Antragsteller Bezug nehmend auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Berufungsverfahren nach dem Hamburgischen Hochschulgesetz geltend macht, die Präsidentin habe bei verfassungskonformer Auslegung von § 63 Abs. 3 Satz 5 HHG nur im Ausnahmefall von der vom Fachbereich vorgenommenen Reihung abweichen dürfen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Juli 2010 – 1 BvR 748/06 –, juris Rdnr. 110), beachtet er zunächst nicht, dass die in der Entscheidung aufgestellten Grundsätze das Verhältnis zwischen dem Berufungsausschuss und dem Dekanat nach hamburgischen Recht betrafen, was im Hessischen Hochschulrecht dem Verhältnis zwischen Berufungskommission und Fachbereich entsprechen würde. […] Ebenso wenig lässt sich auf der Grundlage dieser Entscheidung begründen, dass § 63 Abs. 3 Satz 5 HHG verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden muss, dass die Präsidentin nur in besonders begründeten Ausnahmefällen von der Reihung abweichen darf. Vielmehr hat die Präsidentin die in der Berufungsliste vorgenommene Reihung als ein, wenn auch maßgebliches Kriterium bei ihrer Auswahlentscheidung zu berücksichtigen (vgl. BVerwG, Urteil vom 9. Mai 1985 – 2 C 16/83 –, juris Rdnr. 30). […]
Diesen Maßgaben wird die angegriffene Auswahlentscheidung gerecht. Die Präsidentin der Universität M. hat für die Auswahl der Beigeladenen Gründe angeführt, die sachgerecht erscheinen und damit innerhalb ihres Auswahlermessens liegen. Sie hat insbesondere den Antragsteller nicht wegen Zweifeln an seiner wissenschaftlichen Qualifikation abgelehnt und damit die verfassungsrechtlich geschützte Beurteilungskompetenz des Fachbereichs übergangen. Die Auswahlentscheidung der Präsidentin ist in einem Aktenvermerk vom 25. Juli 2014 niedergelegt, in dem ausgeführt wird, dass die Berufungskommission die Beigeladene und den Antragsteller als nahezu gleichwertig eingestuft hätten, dass das Abstimmungsergebnis im Senat auch nach ausführlicher Diskussion offen geblieben sei und dass für die Entscheidung der Präsidentin dann maßgeblich sei, dass der Antragsteller zwar Heisenberg-Stipendiat sei, die Beigeladene jedoch bereits Drittmittel in nicht unbeträchtlicher Höhe eingeworben habe, Projekte leite und über ein Zertifikat in Hochschuldidaktik verfüge. Der Gesichtspunkt der „Erfahrung in der Einwerbung von Drittmitteln“ betrifft nicht die wissenschaftliche Qualifikation, sondern die Eignung der Bewerber für die ausgeschriebene Professorenstelle und stellt damit auch nicht die diesbezügliche Bewertung des Fachbereichs in Frage. Ähnliches gilt im Hinblick auf das Anforderungsmerkmal „Projektleitung“. Beide Merkmale betreffen allgemeine hochschulpolitische Zielsetzungen, die die Präsidentin im Rahmen ihrer Auswahlentscheidung berücksichtigen durfte. Soweit die Präsidentin im Übrigen zugunsten der Beigeladenen berücksichtigt hat, dass diese ein Zertifikat in Hochschuldidaktik aufzuweisen hat, betrifft dies zwar den von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG geschützten Bereich von Wissenschaft und Lehre. In der Auswahlentscheidung wird jedoch dadurch, dass die Präsidentin die von der Beigeladenen nachgewiesene Kenntnis über theoretische Grundlagen der Hochschullehre besonders berücksichtigt hat, eine diesbezügliche Bewertung des Antragstellers durch die Berufungskommission bzw. den Fachbereich nicht in Frage gestellt.
Auch konnte die Präsidentin berücksichtigen, dass Frauen am Fachbereich Geschichte unterrepräsentiert sind. Der Belang, die aus dem Gleichstellungsgesetz sich ergebenden Verpflichtungen zu verwirklichen, betrifft den allgemeinen personalrechtlichen Bereich, den die Präsidentin als Dienstvorgesetze des Personals der Universität zu verantworten hat und nicht die Frage der fachlichen wissenschaftlichen Qualifikation eines Bewerbers. Dass die Präsidentin diesem Aspekt eine besondere Bedeutung beigemessen hat, ist nachvollziehbar und unterliegt keinen Bedenken, da ausweislich der Stellungnahme der Frauenbeauftragten der Universität M. vom 30. Juni 2014 der Frauenanteil in dem in Frage stehenden Fachbereich bei zehn Prozent lag und damit bei weitem unter dem Universitätsdurchschnitt von 23 %.[…]