STREIT 2/2025

S. 86-88

ArbG Siegburg, § 626 BGB, § 3 Abs. 4 AGG

Fristlose Kündigung wegen sexueller Belästigung auf Betriebsfeier

1. Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.
2. Einer vorherigen Abmahnung bedarf es angesichts der Schwere der Pflichtverletzung nicht (hier: Schlag auf den Po, Zurückziehen am Hals). Gerade aus einer Alkoholisierung des Täters, die enthemmtes Verhalten fördern kann, ergibt sich eine Wiederholungsgefahr.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des ArbG Siegburg vom 24.07.2024, 3 Ca 387/24

Aus dem Sachverhalt:
Die Parteien streiten über den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses zwischen ihnen nach Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung […].
Der verheiratete und zumindest einem Kind unterhaltspflichtige Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.03.2023 als Standortakquisiteur im Außendienst beschäftigt. Mit Schreiben vom 28.08.2023 wurde er abgemahnt, wobei ihm vorgeworfen wurde, auf einer Betriebsfeier alkoholisiert und durch verbal unangemessenes und körperlich aufdringliches Verhalten auffällig geworden zu sein. Am Abend des 02.03.2024 […] fand […] erneut eine Betriebsfeier statt, an der der Kläger teilnahm. Zwischen den Parteien ist streitig, ob der Kläger auf dieser Feier gegenüber einer Kollegin zudringlich aufgetreten ist und diese sexuell belästigt hat. Jedenfalls kündigte die Beklagte in der Folge das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger mit Schreiben vom 08.03.2024 fristlos, ohne diesen zuvor anzuhören. […]

Aus den Gründen:
[…] B. Die im Übrigen zulässige Klage ist unbegründet. […]
I. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die fristlose Kündigung der Beklagten mit Ablauf des 08.03.2024 aufgelöst worden.
1. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.
Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertrags­teile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 19.04.2012 – 2 AZR 258/11 – m. w. N.).
Ein wichtiger Grund zur Kündigung kann nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Da die ordentliche Kündigung die übliche und grundsätzlich ausreichende Reaktion auf die Verletzung einer Nebenpflicht ist, kommt eine außerordentliche Kündigung nur in Betracht, wenn das Gewicht dieser Pflichtverletzung durch erschwerende Umstände verstärkt wird (BAG, Urteil vom 12.05.2010 – 2 AZR 845/08 – juris, Rn. 19). Die erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers kann einen wichtigen Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB bilden. Der konkrete Inhalt dieser Pflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsverhältnis und seinen spezifischen Anforderungen. Einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG, Urteil vom 12.05.2010 – 2 AZR 845/08 – juris, Rn. 20).

Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG stellt nach § 7 Abs. 3 AGG eine Verletzung vertraglicher Pflichten dar. Sie ist „an sich“ als wichtiger Grund i. S. v. § 626 Abs. 1 BGB geeignet (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 –, Rn. 16, juris). Sie stellt einen erheblichen Verstoß gegen die dem Arbeitnehmer gegenüber der Arbeitnehmerin obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf deren Interessen gem. § 241 Abs. 2 BGB dar und ist „an sich“ geeignet, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB zur fristlosen Kündigung zu bilden (BAG, Urteil v. 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 14).
Eine sexuelle Belästigung i. S. v. § 3 Abs. 4 AGG liegt vor, wenn ein unerwünschtes, sexuell bestimmtes Verhalten, wozu auch sexuell bestimmte körperliche Berührungen und Bemerkungen sexuellen Inhalts gehören, bezweckt oder bewirkt, dass die Würde der betreffenden Person verletzt wird (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 16). Auch einmalige sexuell bestimmte Verhaltensweisen können den Tatbestand einer sexuellen Belästigung erfüllen (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 17). Schutzgut der § 7 Abs. 3, § 3 Abs. 4 AGG ist die sexuelle Selbstbestimmung als Konkretisierung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung wird als das Recht verstanden, selbst darüber zu entscheiden, unter den gegebenen Umständen von einem anderen in ein sexualbezogenes Geschehen involviert zu werden. Das schließt es ein, selbst über einen Eingriff in die Intimsphäre durch körperlichen Kontakt zu bestimmen. Die absichtliche Berührung primärer oder sekundärer Geschlechtsmerkmale eines anderen ist demnach bereits deshalb sexuell bestimmt i. S. d. § 3 Abs. 4 AGG, weil es sich um einen auf die körperliche Intimsphäre gerichteten Übergriff handelt. Bei anderen Handlungen, die nicht unmittelbar das Geschlechtliche im Menschen zum Gegenstand haben, wie bspw. Umarmungen, kann sich eine Sexualbezogenheit aufgrund einer mit ihnen verfolgten sexuellen Absicht ergeben (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 18). Relevant ist entweder das Ergebnis oder die Absicht. Für das „Bewirken“ genügt der bloße Eintritt der Belästigung. Gegenteilige Absichten oder Vorstellungen der für dieses Ergebnis aufgrund ihres Verhaltens objektiv verantwortlichen Person spielen keine Rolle. Ebenso kommt es auf vorsätzliches Verhalten nicht an (BAG, Urteil vom 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 –, BAGE 159, 267-277, Rn. 20).
Ob die sexuelle Belästigung im Einzelfall zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, ist abhängig von den Umständen des Einzelfalls, u. a. von ihrem Umfang und ihrer Intensität (BAG, Urteil vom 09.06.2011 – 2 AZR 323/10 –, Rn. 16, juris).
2. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze liegen Gründe für eine außerordentliche Kündigung des Klägers vor. Dieser hat zur Überzeugung des Gerichts die Zeugin dadurch sexuell belästigt, dass er ihr auf den Po geschlagen hat. Hinzu kommt, dass er zu einem späteren Zeitpunkt sie mehrfach zu sich zurückgezogen hat, als sie sich von ihm entfernen wollte, und später auf Russisch erklärt hat, er hoffe sie werde zu Hause geschlagen. Durch den Schlag auf den Po hat der Kläger ein Körperteil der Zeugin berührt, das sexuelle Reize ausstrahlen kann. Ein Schlag auf den Po einer Frau lässt sich, wenn keine andere Motivation erkennbar ist, nur durch eine sexuelle Bestimmung erklären. […]
Hinzu kommt, dass die Zeugin auf weitere Nachfrage bestätigt hat, der Kläger habe gesagt, sie solle dies als Kompliment nehmen. Auch hierdurch hat der Kläger den sexuellen Bezug seiner Handlung zum Ausdruck gebracht und zudem gezeigt, dass das Resultat aus der Reaktion der Zeugin keineswegs Einsicht ist, sondern ein Ausdruck der Stärke und einer Machtposition, die es ihm erlaubt, in die körperliche Integrität der Frau einzugreifen, wenn er es für angebracht hält. Gleiches gilt für das wiederholte Zurückhalten der Zeugin, als diese sich vom Kläger entfernen wollte. Hierbei hat der Kläger nicht davor zurückgeschreckt, die Zeugin am Hals und damit an einer besonders empfindlichen Stelle des Körpers anzufassen. Auch dies stellt ein übergriffiges und nötigendes Verhalten dar, das keineswegs akzeptiert werden kann und im Zusammenhang mit dem zuvor Geschehenen gesehen werden muss. Auch hier hat der Kläger seinen Wunsch bzw. sein Interesse, die Zeugin in seiner Nähe zu halten, über den freien Willen der Zeugin gestellt und seine Machtposition als Mann, der gemeinhin als das stärkere Geschlecht angesehen wird, über den Willen und die Freiheit der Zeugin gestellt und damit seine Machtposition zum Ausdruck gebracht. Hinzu kommt, dass er von Alter und Statur her der Zeugin weit überlegen ist. Im Hinblick auf das bereits zuvor Geschehene ist auch dies nach den Gesamtumständen als ein sexuell bestimmtes Verhalten und damit als sexuelle Belästigung anzusehen.
In die gleiche Richtung geht der von der Zeugin bestätigte Ausspruch des Klägers am Ende des Abends, er hoffe, sie werde zu Hause geschlagen. Auch hierin kommt die offenbar bestehende Ansicht, dass der Mann der Stärkere sei und die Frau sich zu fügen habe oder zu disziplinieren sei, zum Ausdruck und damit wiederum die geschlechtlich bestimmte Machtposition sowie ein Verständnis des Rollenverhaltens. Zudem handelt es sich auch um eine Beleidigung, da mit dem Ausspruch zum Ausdruck gebracht wird, die Zeugin habe eine entsprechende Behandlung verdient.
3. Diese der Kündigung zugrundeliegenden Sachverhalte stehen nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung der erkennenden Kammer fest. […]
Hat der Kläger mithin eine sexuelle Belästigung gegenüber der Zeugin begangen, liegt mithin ein Grund vor, der an sich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann, stellt das Verhalten des Klägers unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen auch im konkreten Fall einen Grund für eine fristlose Kündigung dar.
Hierbei ist das Interesse der Beklagten, ihre Mitarbeiterinnen wirksam vor sexuellen Belästigungen zu schützen, hoch zu bewerten, zumal sie nach § 2 Abs. 1 BeschSchG gesetzlich verpflichtet war, wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Mitarbeiter – auch vorbeugend – zu treffen. Hinzu kommt, dass der Kläger sich von seinem Verhalten auch durch die zurückweisende Haltung der Zeugin nicht hat abbringen lassen. Zwar mag er an dem Abend alkoholisiert gewesen sein, was ein enthemmtes Verhalten durchaus fördern kann, gerade daraus ergibt sich jedoch auch eine Wiederholungsgefahr.
Einer vorherigen Abmahnung, und sei es auch als milderes Mittel, bedurfte es nicht. Zwar setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Allerdings kann eine Abmahnung bei schweren Pflichtverletzungen entbehrlich sein. Bei einer schweren Pflichtverletzung ist nämlich regelmäßig dem Arbeitnehmer die Rechtswidrigkeit seines Handelns ohne Weiteres genauso erkennbar wie der Umstand, dass eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 23.06.2009 – 2 AZR 283/08 – juris, Rn. 18).
So ist es auch hier. Der Kläger konnte nicht damit rechnen, dass sein Verhalten, welches er gegenüber einer offenbar jüngeren und schwächeren Mitarbeiterin anderen Geschlechts an den Tag legte und mit dem er seine Machtposition zum Ausdruck brachte und sich dabei nicht auf Worte beschränkte, sondern auch durch Taten übergriffig wurde, dulden würde. Zudem würde eine bloße Abmahnung nicht die Gewähr bieten, dass der Kläger ein ähnliches Verhalten nicht bei einer anderen Gelegenheit zeigt. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass der Kläger bereits eine Abmahnung wegen enthemmten Verhaltens unter Alkohol erhalten hatte. Zwar ist diese Abmahnung nicht sonderlich konkret, sodass unter formalen Gesichtspunkten Bedenken gegen sie bestehen mögen, als Warnung musste sie dem Kläger dennoch dienen. Allerdings ist eine solche Wirkung ausgeblieben, sodass Zweifel an der Geeignetheit einer erneuten Abmahnung bei der Erfüllung der gesetzlichen Schutzpflichten der Beklagten bestehen, was eine Kündigung umso notwendiger erscheinen lässt. […]