STREIT 3/2023

S. 112-113

KG Berlin, § 1 GewSchG

Gewalt gegen eine Sache kann eine Drohung im Sinne von § 1 GewSchG darstellen

1. Eine Drohung im Sinn von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GewSchG bezeichnet das In-Aussicht-Stellen eines Übels, dessen Verwirklichung davon abhängt, dass die bedrohte Person nicht nach dem Willen des Täters handelt. Dafür bedarf es nicht des ausdrücklichen In-Aussicht-Stellens eines Übels, sondern das kann auch durch Drohgebärden, Gesten oder eine „Drohkulisse“ erfolgen.
2. Ein Verhalten des Täters, das Anlass zum Erlass von Maßnahmen nach dem Gewaltschutzgesetz gibt, indiziert eine Wiederholungsgefahr und das rechtfertigt es zwanglos, eine zu Recht erlassene Schutzanordnung auch auf ein Rechtsmittel hin weiter aufrecht zu erhalten.
(Leitsätze des Gerichts)

Beschluss des KG vom 08.02.2023 – 16 UF 154/22

Aus dem Sachverhalt:
I. Der Antragsgegner wendet sich gegen den am 5. Oktober 2022 im Wege der einstweiligen Anordnung und nach mündlicher Erörterung der Sache erlassenen Gewaltschutzbeschluss des Familiengerichts. Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Familiengericht im Wege der einstweiligen Anordnung zugunsten der Antragstellerin eine Schutzanordnung nach § 1 GewSchG erlassen und dem Antragsgegner unter gleichzeitiger Androhung von Ordnungsmitteln untersagt, die beiden Beteiligten gemeinsam gehörende Doppelhaushälfte in der …straße – die Ehewohnung der Beteiligten – nochmals zu betreten, sich der Doppelhaushälfte auf eine Distanz von weniger als 50m zu nähern oder mit der Antragstellerin in irgendeiner Form Kontakt aufzunehmen oder diese auf elektronischem Wege zu orten, zu filmen oder zu überwachen. Das Familiengericht hat die Anordnung bis zum 2. April 2023 befristet. Der Beschluss erging, nachdem beide Beteiligte vom Familiengericht persönlich angehört wurden und die Antragstellerin durch eidesstattliche Versicherung und die Vorlage von Arzt- sowie Polizeiberichten glaubhaft gemacht hat, dass es in der Nacht vom 17./18. August 2022 in der Ehewohnung zu einer schweren Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten gekommen ist, bei der der Antragsgegner ihr Mobiltelefon zerstört und ihr körperliche Verletzungen zugefügt hat. […]
Die Auseinandersetzung hat mit einem Polizeieinsatz und einer durch die Polizei ausgesprochenen Wegweisung des Antragsgegners aus der Ehewohnung geendet.
Nachdem die Ehewohnung in einem gesonderten Verfahren inzwischen der Antragstellerin und den drei gemeinsamen Kindern für die Dauer des Getrenntlebens allein zugewiesen wurde (Amtsgericht Schöneberg, Beschluss vom 29. September 2022 – 86 F 93/22), wendet sich der Antragsgegner mit seiner Beschwerde gegen den Gewaltschutzbeschluss. […]

Aus den Gründen:
1. Die Beschwerde ist zwar fristgerecht und auch sonst ordnungsgemäß angebracht worden (§§ 63 Abs. 2 Nr. 1, 64 FamFG), aber sie erweist sich – worauf der Senat mit Schreiben vom 10. Januar 2023 bereits hingewiesen hat – in der Sache auch unter Berücksichtigung des weiteren Vortrags des Antragsgegners im Ergebnis als unbegründet:
a) Der Senat hat den Beteiligten unter dem 10. Januar 2023 den folgenden Hinweis erteilt: […]

2. Darüber hinaus erweist sich die Beschwerde des Ehemannes auch in der Sache selbst als unbegründet und offensichtlich ohne Aussicht auf Erfolg:
a) Die Ehefrau vermochte die Voraussetzungen für den Erlass einer Schutzanordnung nach § 1 Abs. 1 GewSchG glaubhaft zu machen (§ 51 Abs.1 Satz 2 FamFG):
(aa) Von ihr ist eine Körper- und Gesundheitsverletzung glaubhaft gemacht worden. […]
(bb) Der Vortrag des Ehemannes erschöpft sich in einem bloßen Bestreiten. Sein Vortrag beschränkt sich auf ein zwar umfangreiches, kommentierendes bzw. erläuterndes Bestreiten, aber es fehlt eine eigenständige Darstellung, wie sich die Vorgänge in der fraglichen Nacht (= 18. August 2022) aus seiner Sicht dargestellt haben. […]

b) Aus dem von der Ehefrau glaubhaft gemachten Sachverhalt ergibt sich aber auch eine Gewalttat nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GewSchG. Aus dem Gesamtkontext geht hervor, dass die Ehefrau glaubhaft gemacht hat, der Ehemann habe ihr – über die ihr tatsächlich zugefügten Verletzungen hinaus – auch mit einer (weiteren) Verletzung ihres Körpers und ihrer Gesundheit gedroht. Eine Drohung im Sinne von § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 GewSchG bezeichnet das In-Aussicht-Stellen eines Übels, dessen Verwirklichung davon abhängt, dass der Bedrohte nicht nach dem Willen des Täters handelt. Dafür bedarf es nicht der ausdrücklichen In-Aussicht-Stellung eines Übels, sondern das kann auch durch Drohgebärden oder Gesten oder durch eine „Drohkulisse“ erfolgen (vgl. nur Cirullies/Cirullies, Schutz bei Gewalt und Nachstellung [2. Aufl. 2019], Rn. 31). Genau das liegt hier vor: Mit der eidesstattlichen Versicherung vom 23. August 2022 hat die Ehefrau glaubhaft gemacht, sie hatte „… Angst, dass er gleich mit den Gewichten [gemeint: die Gewichte bzw. Hantelscheiben der Fitnessgeräte im Kellergeschoss des gemeinsamen Anwesens] ebenso auf mich schlägt wie vorher auf das Handy.“ Die Ehefrau hat die regelrechte „Gewaltorgie“ beschrieben, bei der der Ehemann ihr das Mobiltelefon, mit dem sie versucht haben soll, die Geschehnisse zu Beweiszwecken akustisch oder optisch zu dokumentieren, aus den Händen gerissen haben, sie durch mehrere Stockwerke des Hauses hinweg – unter Begleitung der gemeinsamen Kinder, die das Geschehen miterlebt haben – verfolgt und das Mobiltelefon (wohl) mit bloßen Händen, mit dem Saugstutzen eines Staubsaugers sowie mit den Gewichten der Fitnessgeräte zerschlagen haben soll. Dieser Vorgang ist als Drohung mit Gewalt gegen den Körper oder die Gesundheit zu werten. Das hat nicht nur die Ehefrau so empfunden, sondern deren Dafürhalten wird von E., dem 12-jährigen gemeinsamen Sohn, bestätigt; auch er hat diesen Teil des Vorgangs, den er beobachtet hat, ebenfalls als Bedrohung erachtet. Das hat er in der Kinderschutzambulanz, aus Anlass seiner Exploration vom 14. Oktober 2022, klar zum Ausdruck gebracht (II/16ff.). In seinem Bericht heißt es, „seine Mutter habe gedacht, sie sei die nächste, die er [= der Vater bzw. Ehemann] so schlage wie das Handy“ (Bericht Seite 2 unten; II/17). Besonders eindrucksvoll bestätigt wird das von A., die diese Szene zum Anlass genommen hat, zu schreien „Hilfe, mein Papa will uns alle umbringen“. Damit liegt aber nicht nur eine Körper- und Gesundheitsverletzung der Ehefrau vor, sondern auch eine von allen Beobachtern sehr ernst genommene Drohung des Ehemannes mit einer massiven Körper- bzw. Gesundheitsverletzung.“ […]
(ee) Der Antragsgegner verkennt, dass ein Verhalten des Täters, das Anlass zu einem Eingreifen nach dem Gewaltschutzgesetz gibt, eine Wiederholungsgefahr indiziert (vgl. nur Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1 GewSchG Rn. 6) und dieser Umstand rechtfertigt es zwanglos, die vom Familiengericht zu Recht erlassene Schutzanordnung weiter aufrecht zu erhalten. Hieran gibt es weder unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten etwas zu erinnern noch ist der Umstand, dass die Beteiligten nunmehr, nach Erlass der Schutzanordnung, in der Lage sind, die Übergaben der Kinder aus Anlass des Umgangs Vater/Kinder ohne Streit und konfliktfrei zu bewerkstelligen – indem sie sich, wie E. in der richterlichen Anhörung vom 11. Januar 2023 im Verfahren Amtsgericht Schöneberg 86 F 90/22 erklärt hat (II/116), „gegenseitig ignorieren“ – geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen. […]
2. Im Ergebnis ist die Beschwerde damit zurückzuweisen. […]
Mitgeteilt von Dr. Menne, Richter am KG Berlin