STREIT 3/2022

S. 99-101

Gewalt unter der Geburt – Bietet ein Arzthaftungsprozess Schutz? Erfahrungsbericht aus Sicht einer Patientenanwältin

Der Sachverhalt

Seit Stunden liegt eine Frau in den Wehen. Sie hat starke Schmerzen, sorgt sich um ihr Ungeborenes. An ihr vorbei huschen hektische Schritte. „Ich halte das nicht mehr aus!“, wimmert sie. Harsch geht ein Arzt sie an: „Jetzt reißen Sie sich zusammen! So wird das nichts.“ Es fühlt sich an wie Elektroschocks, als der Assistenzarzt ohne vorherige Erklärung mit seinen Fingern die Öffnung des Muttermunds prüft, obwohl bereits wenige Minuten zuvor diese Untersuchung von einer erfahrenen Hebamme gemacht wurde. Der Ton der Mitarbeiter*innen ist harsch und ruppig, die Patientin fühlt sich alleingelassen.
Wenig später wird die ärztliche Entscheidung zur Sectio (Kaiserschnittentbindung) getroffen. Die Anästhesie wirkt jedoch nicht vollständig. Die Patientin schreit vor Schmerz und hat Todesängste, während die Geburt fortgeführt und weitere Schnitte gesetzt werden. Sie spürt, wie Muskeln auseinandergerissen werden, das Kind aus dem Körper geholt und die Verletzungen vernäht werden. Vom Schmerz betäubt und von Scham erfasst, verfällt sie in Schockstarre. Sie kann nur noch denken „Halte durch! Eine Geburt ist nun mal schmerzhaft. Der Arzt weiß sicher, was das Richtige ist.“ Sie ist nicht mehr in der Lage sich zu wehren. Auch der anwesende Kindsvater ist geschockt und versucht, seine Ehefrau zu trösten. Zwei Stunden später wiegt sie ihr Baby in den Armen. Obwohl sie sich so auf diesen Moment gefreut hatte, kann sie ihn nicht genießen – sie ist traumatisiert und in den nächsten Monaten leidet sie unter Panikattacken, Schlafstörungen und Depression, worunter das gesamte Familienleben und ihr soziales Leben leidet.

Ein Einzelfall?

Das Schicksal dieser Patientin ist bedauerlicherweise kein Einzelfall. Von derartigen und ähnlichen Erlebnissen, insbesondere einer unzureichenden Wirkung der Lokalanästhesie im Zusammenhang mit einer Kaiserschnittentbindung, höre ich regelmäßig. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Erfahrungen aus über 20 Zivilverfahren, in denen ich als Fachanwältin für Medizinrecht bundesweit über 20 Frauen zu dieser Thematik vertreten habe.
In der Regel dauert es Monate, manchmal Jahre, bis Frauen anwaltlichen Rat suchen und den Rechtsweg beschreiten. Häufig sind betroffene Frauen traumatisiert, fühlen sich „vergewaltigt“. Sie klagen über physische und/oder psychische Gewalt unter der Geburt. Die Geburt ist ein intimer Ausnahmezustand verbunden mit sehr großen Schmerzen und der Sorge um das ungeborene Kind. Leider fehlt es dem ein oder anderen Fachpersonal an Empathie und der Fähigkeit, Schwangeren und Gebärenden Ängste zu nehmen und sie gleichzeitig optimal medizinisch zu versorgen. Mitunter unterlaufen ihnen auch Behandlungsfehler, die zu körperlichen Schäden bei Mutter und/oder Kind führen können. Die Auseinandersetzung mit den Erlebnissen erfolgt häufig erst Monate später, da in der Anfangszeit der Fokus zunächst auf der Versorgung des neugeborenen Kindes liegt und der Alltag neu organisiert wird. Wenn die Betroffene sich an die Anwältin wendet, ist die recht kurze Strafantragsfrist von 3 Monaten für fahrlässige Körperverletzung häufig bereits abgelaufen, während zivilrechtliche Ansprüche einklagbar sind, weil sie frühestens nach drei Jahren verjähren, beginnend mit dem Schluss des Jahres, in dem der Verdacht einer fehlerhaften Behandlung aufkommt.

Ein Mandat mit Feingefühl

Diese zivilrechtlichen Mandatsgespräche sind besonders und die Schwierigkeit liegt insbesondere in der gemeinsamen Aufarbeitung des Sachverhaltes. Es handelt sich um ein hoch emotionales und sensibles Thema. Die Betroffenen müssen den Sachverhalt nochmals detailliert darstellen und durchleben somit die Ereignisse erneut. Die Schwierigkeit der Beratung besteht in der Abgrenzung zwischen haftungsrechtlich relevantem Fehlverhalten einerseits und rechtlich nicht verfolgbarem, empathielosen Verhalten von ärztlichem und nichtärztlichem Personal andererseits. Bereits hier werden Betroffene zunächst auf den juristischen Boden der Tatsachen geholt, welcher mit ihrem Rechtsempfinden oft nur schwer in Einklang zu bringen ist. Der anwaltliche Hinweis „Die Rechtsordnung schützt uns nicht davor, Idioten über den Weg zu laufen.“ ist da kein Trost.
Bei der anschließenden juristischen Aufarbeitung des Sachverhalts besteht die Schwierigkeit darin, dem Bedürfnis der Betroffenen nach umfassender Aufklärung des Erlebten auf der einen Seite gerecht zu werden, während es für die Prozessführung um die Fokussierung auf den relevanten Streitstand auf der anderen Seite gehen muss. Wird der Sachvortrag mit zwar emotional bedeutungsvollem, jedoch juristisch irrelevantem Sachvortrag überfrachtet, geht schnell der Blick für das Wesentliche verloren. Von daher ist auch hier sehr viel Aufklärungsarbeit für ein besseres Verständnis der juristischen Arbeit zu leisten.

Der Arzthaftungsprozess

Können mögliche Ansätze für den Vorwurf eines Behandlungsfehlers herausgearbeitet werden, müssen sich Betroffene darüber im Klaren sein, dass die Rechtsverfolgung in Form einer Arzthaftungsklage nicht nur mit einem hohen wirtschaftlichen Risiko für nicht rechtsschutzversicherte Mandantinnen, sondern auch mit nicht unerheblichen emotionalen Strapazen verbunden ist, da sie in einem Prozess den Sachverhalt immer und immer wieder durchspielen müssen. Gerade dann, wenn die Erlebnisse vonseiten der Klinik bestritten oder gar Mitverschulden der Betroffenen eingewandt wird, trifft sie das erneut sehr emotional. Zu einer juristisch vernünftigen außergerichtlichen Lösung war in einem derartig gelagerten Fall in meiner Praxis bislang nur ein einziger Haftpflichtversicherer bereit. Neben einem angemessenen Schmerzensgeld zahlte die Haftpflichtversicherung auch die Kosten für eine Traumatherapie.
Viele Frauen brauchen die juristische Aufarbeitung, um das Erlebte verarbeiten zu können, so dass sie auch deswegen den Klageweg beschreiten. Für den Arzthaftungsprozess geradezu typisch ist es, dass der Ausgang wesentlich von dem Ergebnis eines Sachverständigengutachtens abhängig ist. Gutachter kommen jedoch in ähnlich gelagerten Fällen immer wieder zu völlig unterschiedlichen Ergebnissen. Das ist auch der Grund, wieso diese Verfahren völlig unterschiedlich ausgehen, so dass zuvor keinerlei sichere rechtliche Prognose abgegeben werden kann; insbesondere dann nicht, wenn in der Patient*innenakte keinerlei Hinweise auf besondere Vorkommnisse zu finden sind.
So wird zum Beispiel auf der einen Seite eine unzureichende Anästhesie als Risiko eingestuft, welches trotz größter Sorgfalt nicht stets zu vermeiden sei. Auf der anderen Seite werden hohe Anforderungen an die Überprüfung der Anästhesie vor dem ersten Hautschnitt gestellt sowie eine engmaschige Kontrolle mit etwaiger Anpassung der Medikation gefordert, sollte die Patientin während der Sectio Schmerzen verspüren. Gerade zum häufigen Thema unzureichende Anästhesie im Zusammenhang mit der Sectio gibt es keine veröffentlichten Referenzentscheidungen, die als Stütze herangezogen und Sachverständigen vorgehalten werden können. Erfolgreiche Verfahren werden in der Regel per Vergleich erledigt, so dass sich Betroffene nicht einer weiteren Instanz unterziehen müssen und ihnen ggf. auch eine langwierige psychologische Begutachtung erspart bleibt. Der Nachteil ist, dass es kaum veröffentlichte Entscheidungen gibt.
Der Ausgang der Verfahren wird nach meinem Eindruck auch wesentlich von der Einstellung der zuständigen Richterinnen beeinflusst. Die Art der Befragung der Betroffenen, der Klinikangestellten sowie die Würdigung der Parteianhörung kann bereits das Verfahren in eine bestimmte Richtung lenken. So gab es zum Beispiel auf der einen Seite Richterinnen, die die Meinung äußerten: „Wer so große Schmerzen hat, bleibt doch nicht ruhig liegen,“ und auf der anderen Seite die richterliche Würdigung: „So detailliert, wie Sie es beschreiben, kann ich mir nur schwer vorstellen, dass Sie sich das alles ausdenken“. Entsprechend unterschiedlich fällt auch die Würdigung der Zeugenaussagen von Klinikpersonal und Partnern aus.
Wenn neben der Thematik unzureichende Wirkung der Anästhesie auch weitere Vorwürfe – wie nicht indizierte vaginale Untersuchungen – streitgegenständlich sind, die nicht zu einem deutlich sichtbaren körperlichen Schaden geführt haben, scheint deren Bedeutung den Kammermitgliedern teilweise nicht klar zu sein.

In dem eingangs geschilderten Fallbeispiel begehrt die Betroffene u.a. ein angemessenes Schmerzensgeld für die kurzfristigen Schmerzen, die Persönlichkeitsrechtsverletzung sowie die Scham, die sie durch eine medizinisch nicht notwendige vaginale Untersuchung seitens eines Assistenzarztes erleiden musste, unter deren Folgen sie noch heute leidet. Der Arzt hatte sich weder namentlich vorgestellt noch die Gebärende darauf vorbereitet, dass und warum er eine Untersuchung vornahm. Es konnte aufgearbeitet werden, dass der Assistenzarzt lediglich zu Ausbildungszwecken die Untersuchung vorgenommen hatte. Da die Patientin jedoch bereits sehr lange in den Wehen lag und bereits zahlreiche Untersuchungen über sich hatte ergehen lassen müssen, hätte sie dieser Untersuchung zu Übungszwecken nicht zugestimmt. Die Kammer, besetzt von drei Frauen, stellte im Gütetermin eher abweisend die Frage an die Klägervertreterin, was diese nicht indizierte Untersuchung wert sein solle. Die Klägervertreterin antwortete mit einer Gegenfrage: „Naja, was wäre es Ihnen wert, wenn ihnen ein Mann ungefragt und ohne ihre Einwilligung zwei Finger in die Vagina schiebt?“. Die Entscheidung in dieser Sache steht noch aus. Da der Kern der Sache allerdings deutlich beim Namen genannt wurde, besteht die Hoffnung, dass die eigentliche rechtliche Problematik bei den Kammermitgliedern angekommen ist.

Fazit

Die Probleme beim Thema Gewalt unter der Geburt sind vielfältig. Handelt sich um ärztliche Behandlungsfehler – darunter fallen u.a. die unzureichende Schmerzbekämpfung/Anästhesie wie auch Vernachlässigung, soweit unter oder nach der Geburt eine medizinisch gebotene Handlung unterlassen wurde, oder Aufklärungsfehler, die die Wirksamkeit oder das Erfordernis der Zustimmung der Gebärenden betreffen, – können diese nach den typischen Regeln des Arzthaftungsrechts beurteilt und bewertet werde. Hingegen erweist es sich als schwierig, die vielfältigen Formen von Gewalt unter der Geburt, von denen Frauen berichten, unter diese beiden Kategorien des Arzthaftungsrechts zu subsumieren, so dass rechtliche Möglichkeiten für diese Gewalterlebnisse bisher kaum gegeben sind.
Kliniken und Hebammen sind aufgrund des geschlossenen Behandlungsvertrages verpflichtet, die werdende Mutter und das Kind unter Einhaltung des Facharztstandards durch die Geburt zu bringen. Hierbei haben Gebärende – allerdings im eingeschränkten Rahmen – wegen des Vorbehalts der Einwilligung ein gewisses Mitspracherecht. Es gelten die durch das PatientenRG vom 20.02.2013 in das BGB aufgenommenen Regelungen der §§ 630 a-h BGB.
Eine Erfolgsgarantie enthält der Behandlungsvertrag bedauerlicherweise nicht. Auch bei Einhaltung der größtmöglichen Sorgfalt können Kinder und Mütter unter der Geburt gesundheitliche Schäden erleiden. Dieses gilt es abzugrenzen.
Der ärztliche Heileingriff erfüllt nach jahrzehntelanger höchstrichterlicher Rechtsprechung den Tatbestand der Körperverletzung. Solange die Behandlung jedoch lege artis durchgeführt und /oder durch eine wirksame Einwilligung (§§ 630 d, 630 e BGB) der Betroffenen gerechtfertigt ist, erfolgen keine straf- oder berufsrechtlichen Sanktionen. Die Grenzen, für welche Behandlungsschritte im Geburtsvorgang es der Zustimmung bedarf und über welche Maßnahmen Ärzt*innen oder Hebammen selbst entscheiden dürfen – insbesondere, wenn dies zur Rettung des Lebens oder der Gesundheit des Kindes notwendig erscheint oder die Gebärende nicht einwilligungsfähig ist, – sind gesetzlich nicht geregelt und auch höchstrichterlich nicht geklärt. Es handelt sich um Einzelfallentscheidungen.

Besondere Probleme bereiten Situationen, die die Betroffenen als Gewalt unter der Geburt erleben, die aber die strafrechtlichen Kriterien einer Körperverletzung, Beleidigung oder Nötigung nicht erfüllen. Teilweise wird von Betroffenen bereits mangelnde Empathie als Gewalterfahrung angesehen. Der Druck auf Klinikmitarbeiterinnen steigt durch Personalmangel und wirtschaftlichen Druck, wodurch die Zeit für die Betreuung der Schwangeren und Gebärenden immer knapper und das Nervenkostüm der Mitarbeiterinnen immer dünner wird. Die Folge sind ein ruppiger Ton, eine knappe Kommunikation sowie fehlendes Einfühlungsvermögen. Mangelnde Empathie stellt jedoch weder eine strafbare Körperverletzung noch eine Vertragspflichtverletzung dar.
Auch enttäuschte Erwartungen lösen keine zivilrechtlichen Schadensersatzansprüche aus. Es scheint auf der einen Seite eine Entwicklung dahin zu geben, dass die Geburt von Schwangeren und ihren Angehörigen als eine Art Happening verstanden wird und sie erwarten, dass die Entbindung problemlos und glücklich verlaufen wird und hinterher als Film geteilt werden kann. In den Vorabgesprächen bei Klinikbesuchen wird diese Erwartungshaltung teilweise sogar von Seiten der Kliniken verstärkt, indem mit Sonderleistungen wie liebevoll eingerichteten Zimmern und Geburtswannen geworben wird. Stehen diese jedoch am Tag der Geburt nicht zur Verfügung und stellen Frauen unter der Geburt fest, dass diese nicht blumenhaft, stattdessen extrem schmerzhaft und ein Kraftakt ist, ist die Enttäuschung groß.
Somit scheint ein Kernproblem – wie in so vielen Lebenslagen – in der mangelhaften Kommunikation zu liegen. Je realistischer die Erwartungen sind und je eingebundener die Schwangeren und Gebärenden sich fühlen, umso größer ist die Zufriedenheit und etwaige Komplikationen können besser verarbeitet und akzeptiert werden. Es gibt durchaus viele Kliniken, in denen Empathie und gute medizinische Versorgung zugleich angestrebt werden. Dies sollte das Ziel aller Kliniken sein.
Auf der anderen Seite müssen Schwangere eine realistische Vorstellung davon haben, was für Strapazen eine Geburt bedeutet und dass mitunter schnelle medizinische Entscheidungen getroffen werden müssen, bei denen sie nur bedingt eingebunden werden können. Hierzu sollten Aufklärungs- und sonstige Vorgespräche von beiden Seiten genutzt werden.

Wichtig bleibt aber: äußern Schwangere bzw. Gebärende Sorgen, Unsicherheiten oder gar Schmerzen, müssen diese ärztlicherseits ernst genommen und abgeklärt werden. Andernfalls kann die Nichtreaktion einen Schadensersatzprozess auslösen, der für beide Seiten risikobehaftet ist. Schwangere und Mütter, die Opfer einer fehlerhaften Behandlung und/oder Opfer von Gewalt wurden, sind nicht rechtlos und viele von ihnen bringen ungeahnte Kräfte auf, über ihre Rechte trotz aller Belastungen durch die Instanzen entscheiden zu lassen.