STREIT 4/2020

S. 163-164

Gynäkologische und geburtshilfliche Gewalt

Debatte der Vollversammlung am 03.10.2019, 34. Sitzung (siehe Dok. 14965, Bericht des Ausschusses für Gleichberechtigung und Nichtdiskriminierung, Berichterstatterin: Frau Maryvonne Blondin), Text angenommen am 03.10.2019

(…)
3. Geburtshilfliche und gynäkologische Gewalt ist eine Form von Gewalt, die lange verborgen war und immer noch zu oft ignoriert wird. In der Privatsphäre einer ärztlichen Behandlung oder bei der Entbindung werden Frauen Opfer von Praktiken, die gewalttätig sind oder als solche wahrgenommen werden können. Dazu gehören unangemessene oder nicht einvernehmliche Handlungen wie Scheidendammschnitte und das Abtasten der Scheide ohne Zustimmung, Druck auf den Unterbauch oder schmerzhafte Eingriffe ohne Betäubung. Auch von sexistischem Verhalten im Rahmen ärztlicher Konsultationen wurde berichtet. (…)

5. In einigen Mitgliedstaaten des Europarats wurden in den letzten Jahren Sensibilisierungskampagnen in sozialen Netzwerken durchgeführt und zahlreiche Erfahrungsberichte gesammelt. Diese größere Bereitschaft über das Problem zu sprechen und der Austausch von Erfahrungen haben Frauen, die Opfer von gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt wurden, erkennen lassen, dass dies keine Einzelfälle gewesen waren. Diese Gewalt spiegelt eine patriarchale Kultur wider, die in der Gesellschaft immer noch vorherrschend ist, auch im medizinischen Bereich. (...)

7. (...) Fürsorgliche und mitfühlende Praktiken können gefördert werden. (...) Die Versammlung unterstützt voll und ganz die von der WHO ermittelten bewährten Praktiken und fördert ihre Verbreitung innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats.

8. Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen fordert die Versammlung die Mitgliedstaaten des Europarats dazu auf:
8.1 Diskriminierung aus welchen Gründen auch immer beim Zugang zur Gesundheitsversorgung im Allgemeinen zu verhindern und zu bekämpfen;
8.2 sicherzustellen, dass die Betreuung während ärztlicher Beratung, Behandlung und Entbindung in einer Weise erfolgt, die Menschenrechte und Menschenwürde achtet;
8.3 die für Gesundheit und Gleichberechtigung zuständigen Ministerien aufzufordern, Daten über medizinische Verfahren während der Entbindung und
Fälle von gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt zu sammeln, Studien zu diesem Thema durchzuführen und diese zu veröffentlichen;
8.4 die von der WHO geförderten guten Praktiken zu verbreiten und die nationalen Ärzteverbände aufzufordern, diese Frage zu erörtern und Empfehlungen zur Verhütung gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt zu erarbeiten, insbesondere durch eine Kommission zur Förderung eines fürsorglichen Ansatzes in der Gynäkologie;
8.5 Informations- und Sensibilisierungskampagnen über Patient_innenrechte durchzuführen sowie über Prävention und Bekämpfung von Sexismus und Gewalt gegen Frauen, einschließlich gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt;
8.6 Rechtsvorschriften über die informierte Einwilligung von Patient_innen und deren Recht auf Information in den verschiedenen Phasen der medizinischen Behandlung zu erlassen und umzusetzen, sofern dies noch nicht geschehen ist;
8.7 eine angemessene Finanzierung von Gesundheitseinrichtungen sicherzustellen, damit angemessene Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, respektvolle und fürsorgliche Aufnahme von Patientinnen und Patienten und von Frauen unter der Geburt sowie der Zugang zu Schmerzlinderung gewährleistet ist;
8.8 eine spezifische Ausbildung für Geburtshelferinnen und Gynäkologinnen anzubieten und im Rahmen dieser Ausbildung das Bewusstsein für gynäkologische und geburtshilfliche Gewalt zu schärfen;
8.9 sicherzustellen, dass bei der Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten, Hebammen und Krankenpflegekräften der Beziehung zwischen Beschäftigten und Patienten, dem Konzept der informierten Einwilligung, der Gleichstellung von Frauen und Männern, der Aufnahme von LGBTI-Personen, Menschen mit Behinderungen und schutzbedürftigen Personen, der Kommunikation, der Verhütung von Sexismus und Gewalt sowie der Förderung eines humanen Ansatzes in der Pflege eine besondere Bedeutung beigemessen wird;
8.10 klare und barrierefreie Melde- und Beschwerdewege für Opfer von gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt innerhalb und außerhalb von Krankenhäusern, auch bei Ombudspersonen, vorzuschlagen;
8.11 ein Verfahren zur Prüfung von Beschwerden über gynäkologische und geburtshilfliche Gewalt unter Ausschluss jeglicher Schlichtung vorzusehen und – falls das noch nicht der Fall sein sollte – Sanktionen gegen Angehörige der Gesundheitsberufe vorzusehen, wenn eine Beschwerde über derartige Gewalt für berechtigt erklärt ist;
8.12 den Opfern von gynäkologischer und geburtshilflicher Gewalt ein Unterstützungsangebot zu machen und sicherzustellen, dass eine Betreuung gewährleistet ist;
8.13 dass die Staaten, die dies noch nicht getan haben, die Istanbul-Konvention unterzeichnen, ratifizieren und umsetzen;
8.14 die Empfehlung CM/Rec (2019)1 des EU-Ministerrats zu Prävention und Bekämpfung von Sexismus umzusetzen.