STREIT 2/2022

S. 74-75

OLG Frankfurt Main, § 1684 BGB

Kein Wechselmodell bei mangelnder Kooperations- und Kommunikations­bereitschaft

Ein funktionierendes Umgangsmodell, das dem konstant geäußerten Willen der Kinder entspricht, ist nicht zugunsten eines Wechselmodells bei mangelnder Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft abzuändern.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des OLG Frankfurt Main vom 06.07.2021 – 3 UF 144/20

Aus dem Sachverhalt:
I. Die Beteiligten zu 4. und 5. (im Folgenden: Mutter, Vater, Eltern genannt) sind die verheirateten Eltern des am XX.XX.2008 geborenen Y und der am XX.XX.2011 geborenen Z.
Die Kindesmutter ist anlässlich der Trennung der Beteiligten aus der Ehewohnung ausgezogen und hat die Kinder mitgenommen. Seither haben die Kinder ihren Lebensmittelpunkt in ihrem Haushalt. Ein Scheidungsverfahren ist anhängig.
In einem Sorgerechtsverfahren vor dem Amtsgericht Stadt1 (AZ:.../19) haben die Kindeseltern am 04.12.2019 eine Vereinbarung getroffen, wonach sie sich unter anderem darüber einig waren, dass die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Haushalt der Mutter haben und regelmäßigen Umgang mit dem Vater ausüben. Über die Ausgestaltung des Umgangs waren und sind die Eltern sich nicht einig, weswegen das vorliegende Umgangsverfahren auf Anregung der Eltern vom Amtsgericht eingeleitet wurde. […]
Die Kindesmutter hatte ursprünglich die Vorstellung, dass die Kinder 14-tägig Umgang von freitags nach der Schule bis sonntags 19:00 Uhr und in den dazwischenliegenden Wochen an den Dienstagen mit dem Vater haben. Im Verlauf des Verfahrens hat sie sich einen Umgang in den ungeraden Wochen von samstags 10:00 Uhr bis dienstags zum Schulbeginn und in den geraden Wochen von sonntags 17:00 Uhr bis dienstags zum Schulbeginn vorgestellt, was dann auch so praktiziert wurde.
Der Kindesvater stellt sich demgegenüber ein wöchentliches Wechselmodell mit Wechseln jeweils montags vor. […]
Das Amtsgericht hat die Kinder am 19.03.2020 angehört. Diese haben sich für eine Beibehaltung des Umgangs ohne Änderungen ausgesprochen und dafür, dass Ruhe einkehren solle. […]
Mit Beschluss vom 26.05.2020 hat das Amtsgericht den Umgang dergestalt geregelt, dass die Kinder in den ungeraden Wochen Umgang von samstags 10:00 Uhr bis zum folgenden Dienstagmorgen mit Übergabe an der Schule und in den geraden Wochen von sonntags 17:00 Uhr bis zum folgenden Dienstagmorgen Schulbeginn haben. Weiter hat es eine jährlich wechselnde Ferienregelung mit hälftiger Aufteilung der Schulferien vorgenommen. Dabei wurde Beginn und Ende des Ferienumgangs jeweils auf samstags festgelegt. […]
Gegen diesen seiner Bevollmächtigten am 22.06.2020 zugestellten Beschluss hat der Kindesvater am 21.07.2020 Beschwerde eingelegt, […]
Der Kindesvater ist der Auffassung, dass ein Wechselmodell die optimalste Betreuungsform darstelle. […]
Die Kindesmutter, das Jugendamt und die Verfahrensbeiständin verteidigen die angefochtene Entscheidung. […]

Aus den Gründen:
Die Beschwerde ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig, sie wurde insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. In der Sache hat die Beschwerde jedoch keinen Erfolg.
Das Amtsgericht hat eine ausgewogene und dem Wohl der Kinder entsprechende Regelung zum Umgang getroffen, die im Beschwerdeverfahren nicht abzuändern war.
Die von dem Kindesvater erhobenen Einwendungen gegen die getroffene Regelung greifen nicht durch.
Der Senat hatte bereits mit dem Hinweis vom 19.10.2020 dargelegt, dass das Amtsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Interessen der beteiligten Eltern, die Empfehlungen der Verfahrensbeiständin und des Jugendamtes sowie den von den Kindern in der Anhörung geäußerten Willen berücksichtigt hat.
Weiter hat der Senat zur Begründung wie folgt ausgeführt:
„Können sich Eltern über die Regelung des Umgangs nicht untereinander einigen, ist das Gericht gehalten, eine Umgangsregelung zu treffen, die dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Es bestehen keine Zweifel daran, dass die vom Amtsgericht getroffene Regelung dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass die vom Kindesvater mit der Beschwerde angestrebte Regelung dem Wohl der Kinder besser entspricht, als die vom Amtsgericht getroffene Regelung.
Im Gegenteil ist der Senat davon überzeugt, dass eine Ausweitung der seit geraumer Zeit praktizierten, von den Kindern gut angenommenen und von ihnen weiterhin gewünschten Regelung gegen den Willen von Y und Z ihrem Wohl widerspricht.
Dem Kindeswillen kommt – abhängig vom Alter und von der individuellen Reife des Kindes – im Umgangsverfahren eine hohe Bedeutung zu. Langzeitstudien deuten darauf hin, dass ein den Kindern „aufgedrängter“ Umgang von diesen als Belastung empfunden wird und das Verhältnis zum umgangsberechtigten Elternteil negativ beeinflusst.
Der Kindeswille hat eine doppelte Funktion. Zum einen ist er Ausdruck der empfundenen Personenbindung, die auch nonverbal, z.B. durch ein freudiges zugehen auf den Umgangselternteil, zum Ausdruck gebracht werden kann und in dieser Funktion unabhängig vom Alter des Kindes ist. Zum anderen ist er Akt der Selbstbestimmung, wobei diese Funktion mit steigendem Alter an Bedeutung gewinnt. Damit korreliert die Bedeutung des Kindeswillens mit dem Alter des Kindes. Eine feste Altersgrenze für die Maßgeblichkeit des Kindeswillens in seiner Funktion als Ausdruck seiner Selbstbestimmung gibt es nicht. In der Regel wird bei Kindern ab dem 11.-13. Lebensjahr davon ausgegangen, dass sie zur Entwicklung eines selbstbestimmten Willens fähig sind. Beachtlich im rechtlichen Sinne ist der Kindeswille, wenn das Kind aufgrund seiner verstandesmäßigen Reife die Bedeutung des Umgangs versteht und es einen stabilen und autonomen Willen gebildet hat. Stabil ist der Wille, wenn er nachhaltig und gegenüber allen Verfahrensbeteiligten gleichen Inhalts geäußert wird. Von einem autonomen Willen kann ausgegangen werden, wenn er auf dem eigenen Erleben mit dem Elternteil beruht. Dann aber spielt es keine Rolle, ob er sich auch unter einer Beeinflussung des betreuenden Elternteils entwickelt hat. Die Nichtbeachtung des Kindeswillens ist nur dann gerechtfertigt, wenn er nicht die wirklichen Bindungsverhältnisse wiedergibt. […]
Z ist inzwischen 9 Jahre alt und ihr Bruder Y 12 Jahre alt. Beide Kinder haben auf alle Verfahrensbeteiligten einen reifen und sehr verständigen Eindruck gemacht. Beide Kinder wissen, was die Regelung des Umgangs für sie bedeutet und welche Positionen ihre Eltern vertreten. Sie haben sich mehrfach unterschiedlichen Beteiligten gegenüber dahingehend geäußert, dass die praktizierte Umgangsregelung, die das Amtsgericht letztendlich in der angefochtenen Entscheidung bestätigt hat, von ihnen gut annehmbar und umsetzbar ist. Sie haben ausdrücklich erklärt, dass sie eine Änderung dieser Regelung nicht wünschen.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Wille der Kinder nicht beachtlich wäre. […]
Auch haben die Kinder aus ihrer Sicht nachvollziehbare Begründungen dafür angegeben, warum sie keine Änderung wünschen. Dies gilt es im Rahmen der zunehmenden Autonomie der Kinder zu beachten. Bei derart reifen und reflektierten Kindern erachtet es der Senat für das Kindeswohl außerordentlich problematisch, wenn ihnen nun eine von ihren geäußerten Vorstellungen abweichende Umgangsregelung „gerichtlich verordnet“ werden würde. Der Senat ist der Überzeugung, dass er den Kindern, die unter dem Konflikt ihrer Eltern unzweifelhaft leiden, am ehesten gerecht wird, wenn er ihren Willen schlicht respektiert.“ […]
Maßgeblich bei der Umgangsregelung ist allein das Wohl des Kindes und nicht vermeintliche Gerechtigkeits- und Gleichberechtigungserwägungen eines Elternteils (vgl. Gottschalk in Heilmann, Praxiskommentar Kindschaftsrecht, 2. Aufl., § 1684, Rn 11).
Ungeachtet der streitigen Frage, ob ein Wechselmodell gegen den Willen eines Elternteils angeordnet werden kann (so jedenfalls BGH, zuletzt ZKJ 2020,140), liegen die Voraussetzungen zur Anordnung vorliegend nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Frage, ob die Anordnung des Wechselmodells geboten sein kann, unter Berücksichtigung anerkannter Kriterien des Kindeswohls zu entscheiden. Als gewichtige Gesichtspunkte des Kindeswohls wurden in Sorgerechtsfragen bislang die Erziehungseignung der Eltern, die Bindungen des Kindes, die Prinzipien der Förderung und der Kontinuität sowie die Beachtung des Kindeswillens angeführt. Gleiches gilt auch für Regelungen zum Umgangsrecht und mithin hier für die Anordnung des paritätischen Wechselmodells. Ähnlich wie bei der gemeinsamen Sorge als paritätischer Wahrnehmung des Elternrechts setzt die Kindeswohldienlichkeit des paritätischen Wechselmodells als hälftig geteilter Ausübung der gemeinsamen Sorge auch die Kooperations- und Kommunikationsfähigkeit der Eltern voraus (BGH a.a.O. und BGH, FamRZ 2017, 532). […]
Das Wechselmodell ist danach anzuordnen, wenn die geteilte Betreuung durch beide Eltern im Vergleich mit anderen Betreuungsmodellen dem Kindeswohl im konkreten Fall am besten entspricht.
Dies ist vorliegend nicht der Fall, da es einerseits an ausreichend guter Kommunikation und Kooperation mangelt und andererseits an einem entsprechenden Kindeswillen. […]
Zusammenfassend ist insofern festzuhalten, dass ein funktionierendes Umgangsmodell, das dem konstant geäußerten Willen der Kinder entspricht, nicht zugunsten eines Wechselmodells bei mangelnder Kommunikations- und Kooperationsbereitschaft abzuändern ist. […]