STREIT 2/2024
S. 73-74
OLG Bremen, § 1671 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 BGB
Keine gemeinsame Sorge mit christlich-fundamentalistischem Kindesvater
Der Kindesmutter ist unter Kindeswohlaspekten eine Kommunikation mit dem Kindesvater über Kinderbelange schlechterdings nicht zumutbar, wenn der Kindesvater aufgrund seiner religiös-weltanschaulichen Überzeugung von der Kindesmutter erwartet, dass sie sich aufgrund ihres weiblichen Geschlechts ihm als Mann uneingeschränkt unterordnet.
(Leitsatz der Redaktion)
Beschluss des OLG Bremen vom 06.05.2024 – 5 UF 133/23
I
Die seit Februar 2022 getrenntlebenden Kindeseltern streiten über das Sorgerecht für den aus ihrer 2018 geschlossenen Ehe hervorgegangenen Sohn. Das … 2020 geborene Kind lebt seit der elterlichen Trennung bei der Kindesmutter. Zwischen den Kindeseltern ist beim Familiengericht das Scheidungsverfahren anhängig.
Die Kindesmutter hat beim Familiengericht […] einen am 16.08.2023 erlassenen und bis zum 16.02.2024 befristeten Beschluss erwirkt, mit dem ein Näherungsverbot nach dem Gewaltschutzgesetz gegen den Kindesvater verhängt worden ist. In einem weiteren Verfahren hat das Familiengericht mit Beschluss vom 04.01.2024 den Umgang des Kindesvaters mit dem Kind bis zum 04.07.2024 ausgeschlossen, nachdem der Kindesvater keine Bereitschaft gezeigt hatte – von der Kindesmutter beantragte – […] begleitete Umgangskontakte wahrzunehmen.
Im vorliegenden Verfahren hat das Familiengericht der Kindesmutter auf ihren Antrag mit Beschluss vom 18.10.2023 die alleinige elterliche Sorge für S. übertragen. Gegen diese Entscheidung […]wendet sich – offenbar mit dem Ziel des Fortbestandes der gemeinsamen elterlichen Sorge – der Evangelische Theologie studierende Kindesvater mit seiner […] Beschwerde. Zu deren Begründung macht er im Wesentlichen Folgendes geltend: […]
Es möge sein, dass in der heutigen Zeit seine Äußerungen als intolerant betrachtet würden. […]Das Familiengericht gehe zwar nicht so weit, dass es ihm die Ausübung seines Glaubens versagen wolle, meine aber, dass er aufgrund seiner archaischen und zutiefst diskriminierenden Betrachtungsweise für die Entwicklung des Kindes schädlich wäre, wenn dem Kind ein derartiges Weltbild vorgelebt werden würde. […] Er finde seine Position im Paulus-Brief bestätigt, auch wenn von der evangelischen Kirche Deutschlands dieses Weltbild in der heutigen Zeit nicht 1:1 übernommen werde. Wenn sich der Jugendamtsmitarbeiter nur ein wenig Mühe gemacht hätte in die Bibel zu schauen, dann hätte er unter Galata 3,28 auch lesen können, dass Mann und Frau im Bild des Apostels Paulus ausdrücklich gleichwertig seien. […]
Die Kindesmutter verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und führt Folgendes aus: […]
Seine Vorstellung, wie eine Lösung aussehen könne, habe der Kindesvater ebenfalls am 21.08.2023 wie folgt mitgeteilt:
„Meine Frau verbürgt sich vertraglich dafür, dass sie anerkennt, dass ich als Ehemann das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht habe und alle Entscheidungsgewalt habe, sowie das Wechselmodell S. betreffend angewandt wird. Ich gestehe meiner Frau allerdings eine sogenannte Abigail-Klausel zu, die es meiner Frau erlaubt, nach Rücksprache mit einem geistlichen Mann auch gegen Anordnung meinerseits bezüglich S. zu verstoßen, sofern es dafür gute (christliche) Gewissensgründe gibt, denn ich bin nicht das ultimative Haupt, um dessen Ehre es letztlich geht, sondern der christliche Gott selbst ist es, wie ja auch unsere deutsche Verfassung (z.B. in der Präambel) korrekterweise eindeutig besagt.“ […]
Das heiße, der Kindesvater mache deutlich, dass die Kindesmutter als Frau eigentlich nicht in der Lage sei, eigene Entscheidungen bezüglich des Kindes zu treffen, sondern nur er oder ein geistlicher Mann. […]
Die Tatsache, dass S. zurzeit den Kindesvater in Gegenwart der Kindesmutter nicht erlebe, führe dazu, dass S. unbelastet aufwachse und die Kindesmutter als Entscheidungsperson anerkenne. […]
Der Verfahrensbeistand spricht sich für die Aufrechterhaltung der erstinstanzlichen Entscheidung aus. […] Gegenüber dem Verfahrensbeistand habe der Kindesvater Folgendes erklärt:
„Zum besseren Verständnis, weshalb ich mich jetzt bei Ihnen melde, sei erwähnt, dass ich als Christ und Masterstudent Theologie es nicht gutheiße, dass es in Deutschland mittlerweile legalisiert ist, dass Sie als Frau als Rechtsanwältin und Verfahrensbeiständin arbeiten. Ich möchte Sie dafür aber nicht verurteilen, denn das steht mir nicht zu. Ich kann mich jetzt aber dazu durchringen, anzuerkennen, dass es trotz Ihrer Anmaßung als Frau jetzt nicht meine Aufgabe ist, Sie als Verfahrensbeiständin nicht anzuerkennen.“
Diese Einstellung des Kindesvaters widerspreche massiv dem Kindeswohl. Auf dieser Basis könne keine gemeinsame elterliche Sorge ausgeübt werden. […]
II
Die gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde des Kindesvaters ist unbegründet. […]
Es fehlt den Kindeseltern an jeglicher Basis für eine gemeinsame Sorgerechtsausübung. Der Kindesvater hat nicht nur im Rahmen seiner aktenkundigen schriftlichen Äußerungen, sondern auch sehr eindrucksvoll durch seinen engagierten mündlichen Vortrag im Erörterungstermin vom 02.05.2024 deutlich gemacht, dass er aufgrund seiner religiös-weltanschaulichen Überzeugung von der Kindesmutter erwartet, dass sie sich aufgrund ihres weiblichen Geschlechts ihm als Mann uneingeschränkt unterordnet. Er hat dabei glaubhaft ausgeführt, dass – seines Erachtens – zwischen den Kindeseltern vor Eheschließung Konsens darüber erzielt worden sei, in ihrer Ehe ein Modell zu leben, wonach die Frau sich in allen Belangen dem Mann unterzuordnen hat. Unter Hinweis darauf hat er betont, dass er sich von der Kindesmutter, die nach seiner Meinung einer „toxischen Theologie“ unterliege, die „nicht biblisch begründbar“ sei, „gelinkt“ fühle, weil sie sich an diese Absprache nicht gehalten habe. Dem Hinweis des Vorsitzenden darauf, dass – selbst wenn ein solches Ehemodell einvernehmlich angestrebt worden wäre – die Kindesmutter, der es freistehe, ihre Meinung zu ändern, rechtlich nicht daran festgehalten werden könne, begegnete der Kindesvater mit Unverständnis und dem Insistieren darauf, dass die – angeblich – getroffene Absprache von der Kindesmutter einzuhalten sei. Angesichts dieser verfestigten Grundhaltung des Kindesvaters ist der Kindesmutter unter Kindeswohlaspekten eine Kommunikation mit dem Kindesvater über Kinderbelange schlechterdings nicht zumutbar. […]
Mit dem Verfahrensbeistand und dem Jugendamt geht der Senat vor diesem Hintergrund davon aus, dass die in religiöses Gewand gehüllten Äußerungen des Kindesvaters im Allgemeinen und seine Vorstellung von der Rolle der Frau, namentlich der Kindesmutter, im Besonderen die Pflicht zur Konsensfindung, die getrenntlebende Eltern im Rahmen der gemeinsamen Sorge grundsätzlich trifft, entfallen lässt. Es ist bei dieser Sachlage anzunehmen, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge dem Kindeswohl prognostisch am besten entspricht. […]
Mitgeteilt von RAin Döndü Burç, Bremen