STREIT 3/2021

S. 128-129

KG Berlin, § 1684 BGB

Keine gerichtliche Anordnung eines Wechselmodells

Die Anordnung eines Umgangs im Wechselmodell scheidet aus, wenn die Eltern nicht in der Lage sind, sich bei ihrem Handeln allein von den Bedürfnissen des gemeinsamen Kindes leiten zu lassen, sondern egoistische Motive verfolgen.
(Leitsatz des Gerichts)

Beschluss des KG Berlin vom 26.11.2020 – 16 UF 138/19

Aus dem Sachverhalt:
Der Vater wendet sich gegen den am 16. Juli 2019 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem sein Umgang mit der gemeinsamen, im Haushalt der Mutter lebenden, heute knapp über sechs Jahre alten Tochter x geregelt wurde. Zur Begründung der Umgangsentscheidung hat das Familiengericht im Wesentlichen darauf verwiesen, die getroffene Regelung entspreche dem Wohl des Kindes am besten. Es sei eine klare, eindeutige Regelung erforderlich, um zu verhindern, dass es bei der Ausübung des Umgangs erneut – wie in der Vergangenheit bereits wiederholt geschehen – zu schweren Eskalationen oder gar Polizeieinsätzen komme. Die vom Vater begehrte Regelung des Umgangs in einem paritätischen Wechselmodell mit wöchentlichen Wechseln jeweils am Montag sei aufgrund des hohen zwischen den Eltern bestehenden Konfliktniveaus und ihrer fortwährenden, teilweise sogar vor dem Kind ausgetragenen heftigen Streitereien und wechselseitigen Beleidigungen von Rechts wegen ausgeschlossen.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde, mit der er eine Erweiterung bzw. Präzisierung der getroffenen Umgangsregelung insbesondere im Hinblick auf den Ferienumgang anstrebt sowie unter Vertiefung und Ergänzung seines erstinstanzlichen Vortrages sein ursprüngliches Ziel einer Regelung des Umgangs im paritätischen Wechselmodell weiterverfolgt.
Die Mutter verteidigt die familiengerichtliche Entscheidung als zutreffend und richtig, weil sie die Gewähr dafür biete, dass die Eltern sich bei den Übergaben des Kindes nicht persönlich begegnen müssten und x vor einer weiteren Verschärfung des Loyalitätskonfliktes, in den sie als Folge des Elternstreits geraten sei, bewahrt werde. Die Anordnung eines Wechselmodells komme nicht in Betracht, weil den Eltern die zwingend erforderliche Voraussetzung hierfür, nämlich eine bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit in den Angelegenheiten des Kindes, vollständig fehle. […]

Aus den Gründen:
1. Die Beschwerde des Vaters ist zulässig; insbesondere wurde das Rechtsmittel von ihm fristgerecht angebracht (§§ 58, 63 Abs. 1, 64, 65 FamFG).
2. In der Sache selbst ist über die Beschwerde wie aus dem Tenor ersichtlich zu entscheiden. […]
b) Mit dem Hauptziel seines Rechtsmittels, den Umgang zwischen ihm und x in Form eines Wechselmodells mit wöchentlichen Wechseln des Kindes zu regeln, vermag der Vater nicht durchzudringen, weil es an den Voraussetzungen dafür fehlt, dass ein Wechselmodell angeordnet werden kann:
(aa) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung setzt die Anordnung eines Wechselmodells eine tatsächlich bereits bestehende Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Eltern voraus (vgl. BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – XII ZB 601/15, BGHZ 214, 31 = FamRZ 2017, 532 [bei juris Rz. 25, 30]; BGH, Beschluss vom 27. November 2019 – XII ZB 512/18, FamRZ 2020, 255 [bei juris Rz. 20]). Das ist im Verhältnis der Eltern zueinander eindeutig zu verneinen: Zwar haben die Eltern den zwischen ihnen bestehenden Konflikt, ob x auf einer Privatschule oder einer öffentlichen Schule eingeschult wird, im Ergebnis lösen können; das Kind besucht – anders, als vom Vater gewünscht – mittlerweile eine öffentliche Schule. Aber die Verfahrensbeiständin hat bereits in ihrem ersten Bericht von Januar 2019 (I/39) darauf hingewiesen, dass die Eltern nicht fähig seien, miteinander in den Angelegenheiten ihrer Tochter zu kommunizieren oder zu kooperieren. Tatsächlich bestehen zwischen den Eltern massive Streitigkeiten über praktisch alle mit dem Umgang zusammenhängende Fragen: Der Vater beklagt heftig, die Mutter würde ihm das Kind vorenthalten; er hat sie wiederholt mit Strafanzeigen überzogen oder mit der Einleitung von Strafverfahren gedroht. Umgekehrt verweist die Mutter darauf, der Vater würde sich nicht an die vereinbarten Umgangszeiten halten, sondern das Kind nach Gutdünken bei ihr abholen oder zurückbringen. Anlässlich von Übergaben des Kindes im Rahmen von Umgängen ist es wiederholt zu heftigen Streitigkeiten auf offener Straße zwischen den Eltern gekommen; so beispielsweise am x x 2019 oder am x x 2019, wobei es am x x 2019 sogar zu einem Polizeieinsatz gekommen ist (Bericht der Verfahrensbeiständin vom x x 2019; I/126).
Weiter ist das Verhältnis des Vaters zur Mutter in hohem Maße von Aggressivität gekennzeichnet: Seine Mails an die Mutter sind seit Jahren durch üble Formalbeleidigungen und massive sprachliche Entgleisungen gekennzeichnet […]
Der Elternstreit erfasst auch die wirtschaftlichen Grundlagen für das Wohlergehen des Kindes: Der Vater zahlt keinen Unterhalt für x (Schriftsatz vom x x 2019; I/194) und setzt die Mutter massiv unter Druck mit der Forderung, sie solle ihm die Hälfte des von ihr für das Kind bezogenen staatlichen Kindergeldes erstatten, etwa in seinen Mails vom x x 2019 (I/83) oder vom x x 2017 (I/202). Er zeigt damit, dass er nicht bereit ist, für seine Tochter Verantwortung zu übernehmen. Umgekehrt wirft die Mutter ihm vor, er strebe ein Wechselmodell nur deshalb an, weil er sich einer (Bar-​) Unterhaltsleistung entziehen wolle.
Insgesamt ist das Verhältnis der Eltern so schlecht, dass das Jugendamt bereits eine Kindeswohlgefährdung sieht und erwogen hat, Maßnahmen nach §§ 1666, 1666a BGB zu ergreifen (Bericht vom 18. April 2019; I/106). Ähnlich hat sich auch die Verfahrensbeiständin geäußert; auch sie meint, eine Kindeswohlgefährdung könne nicht mehr ausgeschlossen werden. X spüre die zwischen den Eltern bestehenden Spannungen, gerate durch den Elternstreit in einen Loyalitätskonflikt und werde dadurch in ihrer Entwicklung belastet (Bericht vom 5. Mai 2019; I/114).
(bb) Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspricht bei einer hohen elterlichen Konfliktbelastung das Wechselmodell regelmäßig nicht dem Kindeswohl. […]
(dd) Deshalb ist die Anordnung eines Umgangs im Wechselmodell ausgeschlossen. […]