STREIT 3/2024
S. 112-115
BSG, §§ 56, 57 SGB VI, Art. 3 Abs. 2 und 3 GG
Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung
1. Die Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 SGB VI, wonach die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zugeordnet wird, verletzt nicht die gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 GG.
2. Mit der Auffangregelung werden Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer. Die mit der Ausgestaltung der Auffangregelung verbundene Bevorzugung von Frauen ist ein legitimer Ausgleich für die Versorgungsnachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung, die für sie typischerweise infolge der Mutterschaft immer noch eintreten. Bei den Vätern hat die Geburt eines Kindes hingegen nach wie vor kaum Einfluss auf das Erwerbsverhalten.
(Leitsätze der Redaktion)
Urteil des BSG vom 18.04.2024, B 5 R 10/23 R
Aus dem Sachverhalt:
Der Kläger begehrt die Vormerkung von Kindererziehungszeiten und weiteren Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung.
Der […] Kläger und die […] Kindsmutter lebten zunächst in häuslicher Gemeinschaft mit ihrer 2001 geborenen Tochter. Eine übereinstimmende Erklärung zur Zuordnung der Erziehungszeit gaben sie nicht ab. Bei einer 2002 durchgeführten Kontenklärung machte der Kläger keine Kindererziehungszeiten geltend. Er war nach der Geburt der Tochter weiterhin in Vollzeit beschäftigt. Die Kindsmutter, die bis knapp fünf Wochen vor der Geburt der Tochter geringfügig beschäftigt gewesen war, nahm kurz vor deren sechsten Geburtstag wieder eine geringfügige Beschäftigung auf. Am 10.11.2008 zog sie aus der gemeinsamen Wohnung aus und lebt seitdem vom Kläger und der Tochter dauerhaft getrennt. […]
Auf Antrag des Klägers vom 28.4.2017 merkte die sein Versichertenkonto führende Beklagte die Zeit vom 10.11.2008 bis zum 18.7.2011 als Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung vor. Die Vormerkung von Kindererziehungszeiten für die Zeit vom 1.8.2001 bis zum 31.7.2004 lehnte sie ab, ebenso die Vormerkung von Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung für die Zeit vom 19.7.2001 bis zum 9.11.2008 […]. Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen […]. Die Berufung des Klägers hat das LSG […] zurückgewiesen. […] Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner vom LSG zugelassenen Revision. […]
Aus den Gründen:
A. Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG). […]
III. Zu Recht hat das LSG die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Der angefochtene Bescheid ist rechtmäßig und beschwert ihn daher nicht i.S. des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.
1. […] Die Beklagte lehnte es […] in Übereinstimmung mit den rechtlichen Vorgaben ab, die Zeit vom 1.8.2001 bis zum 31.7.2004 als Kindererziehungszeit und die Zeit vom 19.7.2001 bis zum 9.11.2008 als weitere Berücksichtigungszeit wegen Kindererziehung für den Kläger vorzumerken. […]
b) § 56 Abs. 1 SGB VI […] definiert Kindererziehungszeiten als Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren […]. Nach § 57 Satz 1 SGB VI […] ist die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen. […]
aa) Zur Zuordnung der Erziehungszeit bestimmt § 56 Abs. 2 SGB VI […], dass, wenn mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen haben, die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet wird (Satz 2). Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist (Satz 3); die Sätze 4 bis 7 enthalten Regelungen zur Abgabe, zum Inhalt und zu den Rechtsfolgen einer solchen Erklärung. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, wird die Erziehungszeit dem Elternteil zugeordnet, der das Kind überwiegend erzogen hat (Satz 8). Liegt eine überwiegende Erziehung durch einen Elternteil nicht vor, erfolgt die Zuordnung zur Mutter, bei gleichgeschlechtlichen Elternteilen zum Elternteil nach den §§ 1591 oder 1592 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, oder, wenn es einen solchen nicht gibt, zu demjenigen Elternteil, der seine Elternstellung zuerst erlangt hat (Satz 9). Ist eine Zuordnung nach den Sätzen 8 und 9 nicht möglich, werden die Erziehungszeiten zu gleichen Teilen im kalendermonatlichen Wechsel zwischen den Elternteilen aufgeteilt, wobei der erste Kalendermonat dem älteren Elternteil zuzuordnen ist (Satz 10). […]
2. Der Senat ist nicht davon überzeugt, dass die hier zur Anwendung kommende Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI den Kläger in seinen Grundrechten verletzt. Der 13. Senat des BSG hat bezogen auf Kindererziehungszeiten bis 1992 bereits entschieden, dass die seinerzeit in Satz 8 enthaltene Regelung, wonach eine Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zugeordnet wird, nicht gegen Verfassungsrecht verstößt (BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr. 5 RdNr. 17 ff.; vgl. auch BSG Beschluss vom 25.2.2020 – B 13 R 284/18 B – juris RdNr. 7; BSG Beschluss vom 22.12.2021 – B 5 R 163/21 B – juris RdNr. 11). Der Senat schließt sich dem, bezogen auf den hier betroffenen Zeitraum bis 2011 und darüber hinaus, an und überträgt die Erwägungen auf die seit dem 1.1.2019 geltende Rechtslage.
a) Die Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI verletzt nicht die gleichheitsrechtlichen Anforderungen aus Art. 3 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. mit Abs. 2 Satz 1 GG, indem sie Mütter begünstigt.
aa) Nach Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Damit sollen Diskriminierungen wegen des Geschlechts ausgeschlossen werden, die auch Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG verbietet (vgl., auch zum Folgenden, BVerfG Urteil vom 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82 ua – BVerfGE 85, 191, juris RdNr. 53; BVerfG Beschluss vom 16.11.1993 – 1 BvR 258/86 – BVerfGE 89, 276, juris RdNr. 37; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 1.6.2022 – 1 BvR 75/20 – juris RdNr. 21 m.w.N.). Gleichzeitig stellt Art. 3 Abs. 2 GG ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstreckt dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Der Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ will nicht nur Rechtsnormen beseitigen, die Vor- oder Nachteile an Geschlechtsmerkmale anknüpfen, sondern für die Zukunft Gleichberechtigung der Geschlechter durchsetzen. Er zielt auf eine Angleichung der Lebensverhältnisse. Durch die Anfügung von Satz 2 in Art. 3 Abs. 2 GG ist ausdrücklich klargestellt worden, dass sich das Gleichberechtigungsgebot auf die gesellschaftliche Wirklichkeit erstreckt (vgl. BVerfG Beschluss vom 14.4.2010 – 1 BvL 8/08 – BVerfGE 126, 29, juris RdNr. 65 m.w.N.). Aus Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG wird auch das allgemeinere Verbot abgeleitet, tradierte Rollenzuweisungen zulasten von Frauen durch mittelbare rechtliche Einwirkungen zu verfestigen (vgl. hierzu Nußberger in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 3 RdNr. 255 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung des BVerfG).
Vor diesem Hintergrund darf das Geschlecht grundsätzlich nicht als Anknüpfungspunkt für eine rechtliche Ungleichbehandlung herangezogen werden. An das Geschlecht anknüpfende differenzierende Regelungen sind nur ausnahmsweise mit Art. 3 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 GG vereinbar, soweit sie zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können, zwingend erforderlich sind, oder wenn sie sich im Wege einer Abwägung mit kollidierendem Verfassungsrecht ausnahmsweise legitimieren lassen (vgl. BVerfG Urteil vom 28.1.1992 – 1 BvR 1025/82 u.a. – BVerfGE 85, 191, juris RdNr. 55, 61; BVerfG Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93 u.a. – BVerfGE 92, 91, juris RdNr. 68; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 7.10.2003 – 2 BvR 2118/01 – BVerfGK 2, 36; juris RdNr. 27; BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr. 25; BVerfG <Kammer> Beschluss vom 7.11.2008 – 2 BvR 1870/07 – BVerfGK 14, 381, juris RdNr. 26).
Aus dem durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Elternrecht der Väter ergibt sich hier kein strengerer Maßstab. Leitbild des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG ist eine Gleichberechtigung beider Elternteile (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr. 39 m.w.N.). Der Gesetzgeber ist aber befugt, bei der Ausgestaltung der konkreten Rechte beider Elternteile die unterschiedlichen tatsächlichen Verhältnisse zu berücksichtigen (a.a.O. juris RdNr. 41).
bb) Ausgehend von diesem Maßstab verstößt die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI jedenfalls derzeit nicht gegen gleichheitsrechtliche Anforderungen. Zwar bewirkt die Regelung in ihrem Anwendungsbereich eine unmittelbare Benachteiligung aller anderen im konkreten Einzelfall erziehenden Elternteile, die nicht Mutter (§ 1591 BGB) des erzogenen Kinds sind, und damit auch eine unmittelbare Benachteiligung des Kindsvaters. Die Regelung dient auch nicht zur Lösung von Problemen, die ihrer Natur nach nur entweder bei Männern oder bei Frauen auftreten können. Die Frage, wem die Kindererziehung zwecks Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung im Zweifel zuzuordnen ist, betrifft Elternteile jedweden Geschlechts. Die durch die Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI bewirkte unmittelbare Benachteiligung von Männern ist jedoch durch das ebenfalls aus Art. 3 Abs. 2 GG abgeleitete Gleichstellungsgebot noch gerechtfertigt. Dieses berechtigt den Gesetzgeber, faktische Nachteile, die typischerweise Frauen treffen, durch begünstigende Regelungen auszugleichen (vgl. BVerfG Beschluss vom 28.1.1987 – 1 BvR 455/82 – BVerfGE 74, 163, juris RdNr. 46; BVerfG Beschluss vom 24.1.1995 – 1 BvL 18/93 u.a. – BVerfGE 92, 91, juris RdNr. 68). Indem die Auffangregelung die Erziehungszeit im Zweifel der Mutter zuordnet, werden Nachteile ausgeglichen, die infolge der Erziehungsleistung beim Erwerb von Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung bestehen und die Frauen weiterhin deutlich häufiger betreffen als Männer.
(1) Die Anerkennung von Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung bezweckte von Anfang an auch eine Schließung der Versorgungslücken, die aufgrund der Kindererziehung entstehen können (vgl. hierzu bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr. 5 RdNr. 17). Bereits bei Einführung der Vorgängerregelungen zu § 56 SGB VI durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11.7.1985 (BGBl I 1450) m.W.v. 1.1.1986 wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass in Familien mit kleinen Kindern vielfach ein Ehegatte keine oder nur eingeschränkte eigene Rentenansprüche aufbauen kann (vgl. die Entwurfsbegründung zum HEZG in BT-Drucks 10/2677 S 28 zu B.I). Der damalige Gesetzgeber ging davon aus, dass dies häufig Frauen betrifft. Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten wurde daher von Anfang an als Beitrag zur Verbesserung der eigenständigen sozialen Sicherung von Frauen konzipiert (a.a.O.). Das ist ein legitimer Zweck.
[…] Die individuellen finanziellen Nachteile im Altersvorsorgesystem, deren Ausgleich die Anrechnung von Kindererziehungszeiten bezweckt, treffen weiterhin mehr Frauen als Männer. Die tatsächlichen Lebensverhältnisse von Familien sind zwar häufiger als früher von einer vorrangigen oder ausschließlichen Betreuung des Kindes durch den Vater geprägt (vgl. BVerfG Beschluss vom 25.10.2005 – 2 BvR 524/01 – BVerfGE 114, 357, juris RdNr. 40 m.w.N. in Bezug auf aufenthaltsrechtliche Regelungen). Auch sind die Erwerbstätigenquote und teilweise der zeitliche Umfang der Erwerbstätigkeit von Müttern gestiegen. Sie bleiben aber immer noch deutlich hinter denjenigen der Väter zurück.
So waren im Jahr 2012, dem Jahr unmittelbar nach Ende des streitbefangenen Zeitraums, 31,7 Prozent der Mütter mit einem im Haushalt lebenden Kind unter drei Jahren erwerbstätig, wobei 29,6 Prozent dieser erwerbstätigen Mütter in Vollzeit tätig waren. Demgegenüber betrug die Erwerbstätigenquote der entsprechenden Väter 82,2 Prozent bei einem Anteil an Vollzeittätigkeit von 93,7 Prozent (Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Dezember 2013, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ergebnisse des Mikrozensus 2012, S. 865 Tabelle 1). Innerhalb von Partnerschaften schränkten Mütter den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit häufiger ein als ihre männlichen Partner: Von den gemischtgeschlechtlichen verheirateten oder unverheirateten Paaren, die 2012 mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt lebten und in denen beide Partner einer Erwerbstätigkeit nachgingen, waren bei 69,9 Prozent der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit tätig (Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik, Dezember 2013, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – Ergebnisse des Mikrozensus 2012, S. 871 Tabelle 4). 67,6 Prozent der Frauen des Jahrgangs 1974 in den alten Bundesländern, zu denen die Kindsmutter im hier zu entscheidenden Fall gehört, bzw. 74,3 Prozent der Frauen dieses Jahrgangs in den neuen Bundesländern haben in ihrer Versichertenbiografie Zeiten der Nichterwerbstätigkeit von zwölf Monaten und mehr wegen Kindererziehung einschließlich Schwangerschafts- und Mutterschutzzeiten. Dies trifft nur auf 2,3 bzw. 1,0 Prozent der Männer desselben Jahrgangs zu und auf 2,8 bzw. 1,6 Prozent der Männer des Jahrgangs 1958, dem der Kläger angehört (Lebensverläufe und Altersvorsorge der Personen der Geburtsjahrgänge 1957 bis 1976 und ihrer Partner, München, November 2018, DRV-Schriftenreihe Bd. 115, S. 27 f. Tabellen 4-1 und 4-2; die Werte beziehen sich auf das Jahr 2016).
Zwar erhöhte sich in den Folgejahren die Erwerbsbeteiligung von Frauen. Bis zum Jahr 2019 stieg die Erwerbstätigenquote von Müttern mit einem Kind von unter drei Jahren im Haushalt gegenüber derjenigen des Jahres 2012 aber um lediglich 5,3 Prozentpunkte auf 37 Prozent (Statistisches Bundesamt <Destatis>, Datenreport 2021, S 62 Abb. 13). Bei den Vätern lag sie im Jahr 2019 bei 90 Prozent (a.a.O.). Die Aufteilung von Erwerbsarbeit und Kindererziehung in gemischtgeschlechtlichen Partnerschaften blieb nahezu unverändert gegenüber 2012. Bei Ehepaaren, die mit mindestens einem Kind unter 15 Jahren in einem Haushalt lebten, waren in 71 Prozent der Fälle der Vater in Vollzeit und die Mutter in Teilzeit erwerbstätig, bei den entsprechenden eheähnlichen Lebensgemeinschaften waren es 55 Prozent (a.a.O., S. 63 f.).
Diese Aufteilung veränderte sich infolge der Einführung des Elterngeldes nur in sehr geringem Umfang, obwohl mit der Leistung auch eine Überwindung der Rollenteilung zwischen Männern und Frauen bezweckt war (vgl. die Entwurfsbegründung zum Gesetz zur Einführung des Elterngeldes in BT-Drucks 16/1889, S. 14). Im Zeitraum von 2007 bis 2022, d.h. in den ersten 15 Jahren nach Einführung der neuen Leistung, sank der Anteil an gemischtgeschlechtlichen Paaren mit einem Kind unter drei Jahren im Haushalt, bei denen der Mann in Vollzeit und die Frau in Teilzeit arbeitet, lediglich um 4 Prozentpunkte von 69 Prozent auf 65 Prozent (Statistisches Bundesamt, WISTA 4, 2023, S. 96 f). Erhöht hat sich allerdings der Umfang der Teilzeitarbeit der Mütter (a.a.O., S. 94, 97).
(2) Frauen bei der Anerkennung von kinderbezogenen Versicherungszeiten zu bevorzugen, ist eine grundsätzlich geeignete Maßnahme zur Verbesserung ihrer sozialen Absicherung. Datenauswertungen zeigen, dass die Unterschiede in der durchschnittlichen Höhe der Rentenanwartschaften von Männern und Frauen in der gesetzlichen Rentenversicherung („gender pension gap“) im Zeitverlauf geringer werden. Der soziale Ausgleich innerhalb des Versicherungssystems, der nicht auf einer eigenen Beitragsleistung beruht, z.B. durch die Anerkennung von Kindererziehungszeiten, trägt hierzu maßgeblich bei (vgl. Czaplicki/Frommert/Zanker, Deutsche Rentenversicherung 2019, S. 25, 37 f). Der Effekt würde weniger stark ausfallen, wenn die kinderbezogenen Zeiten in Zweifelsfällen bei beiden Elternteilen hälftig anerkannt würden, wie es der Kläger befürwortet (vgl. zu diesem Gesichtspunkt bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr. 5 RdNr. 17).
(3) Die Mütter bevorzugende Auffangregelung in § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI ist auch verhältnismäßig im engeren Sinn (vgl. dazu, dass nur eine verhältnismäßige Fördermaßnahme eine an das Geschlecht anknüpfende Ungleichbehandlung ausnahmsweise rechtfertigen kann, Nußberger in Sachs, GG, 9. Aufl. 2021, Art. 3 RdNr. 261). Sie ist zwar durchaus geeignet, tradierte Rollenzuweisungen an Männer und Frauen gleichermaßen zu verfestigen (vgl. allgemein zur Vermittlung von Rollenstereotypen durch sozialrechtliche Regelungen Felix, SGB 2024, 1, 3 f). Diesem Gesichtspunkt kommt in den von § 56 Abs. 2 Satz 9 Teilsatz 1 SGB VI erfassten Fallgestaltungen jedoch kein so großes Gewicht zu, dass der Gesetzgeber von Verfassungswegen zu einer geschlechtsneutralen Ausgestaltung selbst der Auffangregelung gehalten wäre. Die differenzierende Ausgestaltung der Zuordnungsregelungen in § 56 Abs. 2 SGB VI in der Auslegung, die sie inzwischen durch das BSG erfahren haben, lässt in weiten Bereichen Raum für eine Zuordnung der Erziehungszeit an einen männlichen Elternteil (so bereits BSG Urteil vom 17.4.2008 – B 13 R 131/07 R – SozR 4-2600 § 56 Nr. 5 RdNr. 18). Die Zuordnung erfolgt grundsätzlich anhand der tatsächlichen Lebensverhältnisse im Einzelfall (Satz 8) und berücksichtigt, soweit vorhanden, vorrangig den übereinstimmenden Zuordnungswillen der gemeinsam erziehenden Elternteile (Satz 3). Übernimmt ein Vater die Erziehung überwiegend, wird ihm auch die Erziehungszeit zugeordnet. Gleiches gilt im Fall gemeinsamer Erziehung, wenn die Eltern dies durch eine übereinstimmende Willenserklärung bestimmen. Erst wenn eine Zuordnung über diese geschlechtsneutralen Regelungen nicht möglich ist, gibt Satz 9 Teilsatz 1 eine Zuordnung der Erziehungszeit zur Mutter vor. Dies ist durch das überwiegende Gleichberechtigungsgebot gerechtfertigt. Die mit der Ausgestaltung der Auffangregelung verbundene Bevorzugung von Frauen ist ein legitimer Ausgleich für die Versorgungsnachteile in der gesetzlichen Rentenversicherung, die für sie typischerweise infolge der Mutterschaft immer noch eintreten. Bei den Vätern hat die Geburt eines Kindes hingegen nach wie vor kaum Einfluss auf das Erwerbsverhalten (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Väterreport. Update 2021, S. 31). […]