STREIT 3/2025

S. 102-104

Laudatio für die Verleihung des Elisabeth Selbert-Preises an „STREIT“ durch die Hessische Landesregierung am 4. Juni 2025 in Wiesbaden

Ich freue mich sehr, heute die Laudatio auf den Verein „Frauen streiten für ihr Recht“, der die feministische Rechtszeitschrift „STREIT“ herausgibt, halten zu dürfen.
Um zu verstehen, weshalb die STREIT den Elisabeth Selbert-Preis verdient, lohnt es, sich in die Zeit ihrer Gründung, ins Jahr 1983, zurückzuversetzen. Das fällt mir persönlich besonders leicht, weil es die Zeit meines Studiums war. Zwar machten Frauen damals etwa 30% der Jurastudierenden aus, doch Professorinnen gab es kaum. In vielen Universitäten, wie beispielsweise Freiburg, wo ich studierte, gab es keine einzige. Auch in höchsten Gerichten waren Frauen kaum vertreten: im Bundesverfassungsgericht beispielsweise gab es genau eine Richterin (von 16). Und der – eigentlich als liberal geltende – damalige OLG-Präsident Wassermann forderte im Jahr 1985 in einem Interview im Spiegel, dass für die Einstellung von Richter*innen nicht länger die Examensnoten ausschlaggebend sein sollten. Grund seiner Forderung war nicht etwa Frauenförderung, wie die gleichzeitig stattfindende Quoten-Diskussion nahegelegt hätte, sondern das krasse Gegenteil, nämlich seine Sorge um eine zu starke Verweiblichung der Justiz: Bestenauslese im Patriarchat.
Dass es sich bei der Rechtswissenschaft um ein besonders schwieriges Umfeld für feministische Positionen handelte (und ich komme nicht umhin hinzuzufügen: handelt), hat viele Gründe. Drei möchte ich hervorheben.

1.
Die traditionelle Geschlechterordnung erkannte nur Männern Abstraktionsvermögen und die Fähigkeit zu logischem Denken zu. Frauen wurden demgegenüber als gefühlsgesteuert und damit als ungeeignet für juristisches Denken kategorisiert. Ich zitiere aus den Erörterungen des Deutschen Richtertags 1921, auf dem die Eignung von Frauen für die Zulassung zum Richteramt und damit auch für die anderen juristischen Berufe mit großer Mehrheit abgelehnt wurde (glücklicherweise folgte der Reichstag dem nicht, so dass Frauen in der Weimarer Republik als Juristinnen arbeiten konnten):
Ein „psychischer Umstand läßt die Frau als ungeeignet erscheinen: Dies ist ihre seelische Eigenart, nach welcher sie in weitestgehendem Maße Gefühlseinflüssen unterworfen ist, welche ihre sachliche Auffassung beeinträchtigen. […] Die Gefühls­einflüsse sind teils derart, daß die Frau sich ihrer gar nicht bewußt wird, teils aber sind sie derart, daß die Frau sich ihrer zwar bewußt wird, sich aber von ihnen nicht frei machen kann oder will. (…) [Diese] Gefahren erhalten noch eine erhebliche Steigerung in der Zeit der Monatsperiode, der Schwangerschaft und der Wechseljahre. In dieser Zeit befindet sich nämlich die Frau – und zwar die Mehrzahl der Frauen – in einem Zustand der Reizbarkeit.“1
Das Zitat stammt aus Weimarer Zeiten, doch in den 1980er Jahren war dies keineswegs überwunden. Mein Vertrauensdozent der Studienstiftung, ein renommierter Juraprofessor, erklärte mir, weshalb Frauen für das Jurastudium ungeeignet seien, beispielsweise folgendermaßen: „Wenn ich meiner Frau einen Fall schildere, etwa: der A habe einen Vertrag geschlossen, fragt sie mich, wie A aussieht und ob er Kinder hat.“ Untrüglicher Beweis dafür, dass Frauen nicht juristisch denken können.

2.
Auch der zweite Begründungsstrang, mit dem Frauen ein Platz in der juristischen Welt abgesprochen wurde, beruht auf der traditionellen Geschlechterordnung: der Trennung von öffentlicher und privater Sphäre. Ich erinnere nur an Schillers Gedicht „Lied von der Glocke“:
„Der Mann muß hinaus
Ins feindliche Leben,
Muss wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
(…)
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau (…)“
Dass Recht und zumal der Streit ums Recht der öffentlichen Sphäre zugeordnet ist und daher schon von vornherein Frauen verschlossen sein muss, ist aus der Perspektive der traditionellen Geschlechterordnung offensichtlich. Es wird noch gesteigert dadurch, dass juristische Berufe häufig mit der Ausübung von Macht verbunden sind: 1921 klang das so:
„Die Unterstellung des Mannes unter den Willen und den Urteilsspruch einer Frau widerspricht der Stellung, welche die Natur dem Manne gegenüber der Frau angewiesen hat und wie sie durch die Verschiedenheit des Geschlechts begründet ist.“2
Und wieder: das war in den 1980er Jahren noch lange nicht vorbei. Es gab beispielsweise eine Verfassungsbeschwerde in den 1990er Jahren, die eine Kammerbesetzung mit drei Frauen als Richterinnen als Verfassungsverstoß ansah. Oder in den Worten meines Großvaters, selbst Jurist: „Von einer Frau würde ich mich nie verurteilen lassen“. Sie können sich vorstellen, wie das Gespräch weiterging.

3.
Und schließlich geht es um den Vorwurf der Parteilichkeit. Recht wird als „objektiv und neutral“ imaginiert. Die Geschlechterfrage stellen, katapultiert frau daher von vornherein aus dem legitimen juristischen Diskurs hinaus, während die Geschlechterfrage zu ignorieren, der Objektivität und Neutralität keinen Abbruch tut. Auch dies wirkt noch lange fort. Als ich im Jahr 2000 meine Antrittsvorlesung zum Thema „Was ist feministische Rechtswissenschaft?“ hielt, wurden die Plakate beschmiert und heruntergerissen. Und noch vor wenigen Wochen erklärte mir ein Kollege, feministische Rechtswissenschaft sei „ideologisch“.

In diese Rahmenbedingungen also fällt die Gründung der feministischen Rechtszeitschrift „STREIT“. Die Gründerinnen wussten ganz genau, weshalb sie eine solche Zeitschrift brauchten. Ich zitiere aus dem Editorial des ersten Heftes:
„Die mageren Zeiten sind vorbei; endlich haben wir uns unser eigenes Forum geschaffen: STREIT! Feministische Rechtszeitschrift! Keine zermürbenden Auseinandersetzungen mehr bei dem Versuch, frauenorientierte Ansätze in kritischen und unkritischen juristischen Zeitschriften unterzubringen. Keine männliche Zensur unserer unjuristischen, unwissenschaftlichen und für die Allgemeinheit uninteressanten Minderheitenpositionen mehr. Jetzt kann die kontroverse Diskussion um Frauenpositionen aufblühen.“

Es geht also um mehrere Aspekte, weshalb die Gründung der Zeitschrift in der damaligen Zeit so wichtig war.
1.) Es war für feministische Positionen ausgesprochen schwierig, in den traditionellen juristischen Zeitschriften veröffentlicht zu werden. Auch dies kann ich aus eigener Erfahrung nur bestätigen.
2.) In Zeiten vor dem Internet war der Zugang zu Gerichtsentscheidungen fast ausschließlich über deren Veröffentlichung in juristischen Zeitschriften möglich. Die STREIT machte es sich zur Aufgabe, frauenpolitisch erfolgreiche Entscheidungen zu dokumentieren. So konnten alle frauenrechtlich Interessierten diese Entscheidungen zur Kenntnis nehmen und in ihrer weiteren juristischen Praxis nutzen.
3.) Vielleicht am wichtigsten war aber der Aspekt, dass es mit der STREIT ein Forum gab, in dem auch unterschiedliche feministische Positionen ausgetauscht werden konnten. Wenn es darum geht, neue Ideen in der Rechtspolitik – oder auch an anderen Stellen in der Praxis – zu entwickeln, bedarf es des Austauschs mit anderen, die das Grundanliegen der Herstellung tatsächlicher Gleichberechtigung teilen. Hierfür Gelegenheit zu finden, war für Feministinnen nicht einfach. Denn zumeist waren Feministinnen nur vereinzelt oder allenfalls in kleiner Zahl an einem Standort vertreten. Ein Forum des Austauschs, wie es die STREIT darstellte, war unerlässlich.

Nachdem ich geschildert habe, wie wichtig, aber auch wie mutig und innovativ es war, die feministische Zeitschrift STREIT im Jahr 1983 zu gründen, ist es Zeit, sich dem zuzuwenden, was der Verein „Frauen streiten für ihr Recht“ seither geleistet hat. Denn natürlich vergeben wir den Preis nicht allein für eine gute Idee in der lang zurückliegenden Vergangenheit. Sechs Aspekte möchte ich hervorheben.
1.) Kontinuität: Der Verein und die Zeitschrift ist ein autonomes feministisches Projekt. Viele solcher Projekte erledigen sich mit der Zeit oder finden keine Personen mehr, die es fortsetzen wollen. Bei der STREIT ist das anders. Die Zeitschrift erscheint seit vielen Jahrzehnten. Das bedeutet auch, dass es nicht einmal eine Phase gab, in der das Projekt vor sich hindümpelte und später wiederbelebt wurde, sondern es lief kontinuierlich. In jedem Jahr wurden vier Hefte produziert. Verlässlich!
2.) Ehrenamt: Die Mitglieder des Vereins sind ganz überwiegend an der Redaktionsarbeit beteiligt. Dies machen sie ehrenamtlich. Sie bringen Zeit und Energie ein, erhalten keine Vergütung, keine Aufwandsentschädigung, sondern bekommen nicht einmal die Reisekosten erstattet. Ehrenamt ernst genommen!
3.) Gestaltung: Die Zeitschrift STREIT ist liebevoll gestaltet. Sie ist werbefrei. Die in ihr enthaltenen Bilder stammen von Künstlerinnen. Das Logo und das äußere Erscheinungsbild – silberne Schrift auf blauem Grund – sind ansprechend. Es macht Spaß, die Zeitschrift aufzuschlagen.
4.) Verbindung von Theorie und Praxis: Die Richterin des Bundesverfassungsgerichts a. D. Susanne Baer formulierte zum vierzigjährigen Jubiläum, was die STREIT für sie bedeutet: „Recht ist Bewegung. Keine ändert die Welt allein. Praxis braucht Theorie und Theorie braucht Praxis.“3 Das ist kein kleines Verdienst. Denn häufig verliert Theorie ihre Fundierung in der Praxis und in der Praxis kann der Blick auf die großen Fragen verloren gehen. Gut, dass es in der STREIT zusammengeht.
5.) Vernetzung: Der Verein „Frauen streiten für ihr Recht“ ist seit vierzig Jahren auch Träger des Feministischen Juristinnentags. In diesen jährlich, jeweils am Muttertagswochenende stattfindenden Treffen versammeln sich feministische Juristinnen aller Altersgruppen, unterschiedlicher Berufe, aus verschiedenen Orten und diskutieren intensiv über eine weite Bandbreite von Themen. Der FJT zeigt auch, dass der STREIT der Generationenwechsel gelungen ist. Der FJT ist – gerade auch unter Jüngeren – so beliebt, dass er regelmäßig überbucht ist. Den Bruch zwischen den feministischen Generationen zu überwinden, war nicht leicht, warf erhebliche Konflikte auf, die aber – und das ist wahrhaft eine große Leistung – bearbeitet werden konnten.
6.) Schließlich sind in der STREIT und dem FJT zentrale rechtspolitische Reformen angestoßen, entwickelt und begleitet worden. Die gesamte Bandbreite feministischer Themen wurden hier bearbeitet; ich verzichte darauf, diese im Einzelnen Revue passieren zu lassen, denn dann säßen wir noch lange hier.
Nur einen Aspekt möchte ich noch hervorheben. Die STREIT hat sich nie auf eine der drei Säulen der Jurisprudenz – Zivilrecht, Strafrecht und Öffentliches Recht – reduzieren lassen. Sie hat diese juristisch-internen Trennungen nie für ausschlaggebend gehalten. Geht es um die Verbesserung der Situation von Frauen, müssen Lebensbereiche ganzheitlich in den Blick genommen werden. Die STREIT hat dies immer getan.

Ich komme zum Schluss. Der Elisabeth Selbert-Preis wird vergeben „in Anerkennung hervorragender Leistungen für die Verankerung und Weiterentwicklung von Chancengleichheit von Frauen und Männern“. Das Recht ist für die Schaffung von Chancengleichheit ein zentraler Faktor. Der Verein „Frauen streiten für ihr Recht“ und die feministische Rechtszeitschrift STREIT haben auf vielen verschiedenen Ebenen und in verschiedener Weise zur Verbesserung der Rechtssituation im Sinne der Gleichberechtigung zentral beigetragen. Sie haben den Elisabeth Selbert-Preis wahrlich verdient.

  1. Stadelmann, Der vierte Richtertag: Die Zulassung der Frau zum Richteramt, DRiZ 18, 1921, S. 195 (200).
  2. Stadelmann, Der vierte Richtertag: Die Zulassung der Frau zum Richteramt, DRiZ 18, 1921, S. 195 (201).
  3. Susanne Baer: Warum streiten wir? in: Wofür STREITen wir? Stimmen aus der Redaktion, STREIT Heft 1/2023, Seite 5.