STREIT 2/2021

S. 79-83

KG Berlin, § 1684 BGB, Art. 9 UN-Kinderrechtskonvention

Mehrjähriger Ausschluss des Umgangsrechts wegen Gefährdung der Mutter

1. Eine Gefährdung des kindlichen Wohls, die einen mehrjährigen Ausschluss des Umgangs zwischen Kind und familienfernem Elternteil rechtfertigt, liegt auch vor, wenn Anhaltspunkte für eine konkrete Gefährdung der körperlichen und/oder psychischen Unversehrtheit des betreuenden Elternteils gegeben sind, weil davon das Wohl eines siebenjährigen, von Geburt an in der Obhut des gefährdeten Elternteils lebenden Kindes abhängt. […]
(Amtlicher Leitsatz, auszugsweise)

Beschluss des KG v. 23.12.2020 – 16 UF 10/20

Zum Sachverhalt:
Der Vater wendet sich gegen den am 16.12.2019 erlassenen Beschluss des Familiengerichts, mit dem sein Umgang mit dem gemeinsamen Sohn, dem heute etwa sieben Jahre alten … … bis zum 12. Geburtstag des Jungen am […] 2025 ausgeschlossen wurde.
… … ist der im […] 2013 in Afghanistan geborene, aus der im Verlauf des Jahres 2016 rechtskräftig geschiedenen Ehe der Beteiligten hervorgegangene Sohn.
Beide Beteiligten kommen aus Afghanistan: […]
Der Vater, der damals etwa 33 Jahre alt war, soll die Mutter, die seinerzeit 18 Jahre alt war, durch Vermittlung einer seiner Schwestern Anfang 2012 in K. kennengelernt haben. Nach einem einmaligen persönlichen Treffen und gegen Zahlung eines Brautgeldes von 6.000 US$ sollen sich Mutter und Vater verlobt haben. Die von den beiderseitigen Familien arrangierte Ehe soll im Juni 2012 geschlossen worden sein. Bereits in K. soll die Ehe weder konfliktfrei noch glücklich verlaufen sein; Mutter und Vater sollen sich kaum gekannt haben. Im Januar 2013, nach etwa sechs Monaten Ehe, soll der Vater die Gelegenheit, dass das Unternehmen, für das er in K. tätig war, ihn zu einer Messe in B. entsandte, genutzt haben, um in Deutschland politisches Asyl zu beantragen. Der Mutter, die seinerzeit bereits mit … … schwanger war, soll er von seinen Plänen nichts berichtet haben. Im Mai 2015 wurde ihm politisches Asyl gewährt und er als Flüchtling anerkannt. Bereits im November 2014 war es dem Vater gelungen, die Mutter und seinen mittlerweile etwa 1½-jährigen Sohn, den er bei dieser Gelegenheit erstmals kennenlernte, in das Inland nachzuholen.
Die Streitigkeiten, die bereits für das Eheleben in K. kennzeichnend gewesen sein sollen, setzten sich im Inland fort. Sie wurden sowohl verbal als auch körperlich ausgetragen. Sie kreisten im Wesentlichen um finanzielle Dinge wie u. a. das Familienleben oder unterschiedliche Lebensentwürfe und -vorstellungen von Mutter und Vater. Der Vater war psychisch zunehmend angegriffen und litt an diversen psychosomatischen Erkrankungen. Anlässlich eines stationären Aufenthaltes in der psychiatrischen Abteilung eines Krankenhauses wurde bei ihm eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert, die wahrscheinlich auf seine Erlebnisse in Afghanistan und die von ihm dort erlittene Verfolgung zurückgeht.
Im März 2015 eskalierte ein Streit zwischen Mutter und Vater über die Telefonate der Mutter mit ihrer Familie in Afghanistan und es kam zu wechselseitigen Gewalttätigkeiten. […]
Am 2. Oktober 2015 kam es zwischen Mutter und Vater erneut zu einem zunächst verbal ausgetragenen Streit, der im weiteren Verlauf eskalierte und in einen regelrechten Gewaltexzess mündete: Der Vater nahm im Schlafzimmer der beteiligten Eltern von einem dort stehenden Schreibtisch eine etwa 0,25 m x 1,20 m große, massive Holzplatte aus Pressspan, mit der er auf die verhältnismäßig zierliche Mutter mindestens fünfmal so massiv einschlug, dass die Holzplatte schließlich zerbrach. Die Mutter wurde schwer verletzt: Ein Schlag gegen den Kopf der Mutter führte zu einer blutenden Wunde. Als die Mutter zu Boden ging, schlug der Vater mit dem Brett weiter mehrfach auf sie ein. Durch die Schläge erlitt die Mutter u. a. den Bruch eines Armes, den sie schützend vor ihr Gesicht gehalten hatte, einen offenen Mittelgesichtsbruch sowie zahlreiche Platz- und Risswunden im Gesicht. Im Oberkiefer schlug der Vater mit dem Brett vier, im Unterkiefer zwei Schneidezähne aus. Die Hälfte des rechten Ohres der Mutter wurde nahezu abgerissen. Der Vater erlitt im Zuge der Auseinandersetzung eine Bissverletzung sowie kleinere Kratzer am Hals, die ihm die Mutter zugefügt haben könnte, sowie eine Verletzung am Finger, die er sich selbst bei den Schlägen mit dem Brett zugezogen hat.
Der Vater alarmierte den Rettungsdienst, der die Mutter, die in konkreter Lebensgefahr schwebte, in die C. brachte, wo sie vier Tage lang auf der Intensivstation versorgt und wiederholt operiert wurde. […] Im Zuge der weiteren Behandlung musste sie sich bis Juni 2018 etwa 13 bis 14 Folgeoperationen unterziehen, bei denen u. a. die in den Gesichtsschädel eingebrachten Platten teilweise wieder entfernt oder Knochenmaterial an anderen Körperstellen entnommen wurden, um ihren Kiefer wieder aufbauen zu können. Die Mutter leidet an multiplen Traumata und befindet sich aufgrund von Angstzuständen in psychologischer Behandlung.
Das Landgericht B. hat die beiden Taten des Vaters als vorsätzliche Körperverletzung sowie als gefährliche Körperverletzung gewürdigt und ihn am 6. Dezember 2016 deshalb zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und acht Monaten verurteilt. Der Vater stellte sich am 11. Juli 2017 zum Strafantritt; die Strafe hat er überwiegend im offenen Vollzug verbüßt. Am 30. September 2019 wurde er vorzeitig aus der Strafhaft entlassen und der Strafrest zur Bewährung ausgesetzt. […]

Den Umgang des Vaters mit … … hat das Familiengericht (Amtsgericht Pankow/Weißensee 19 F 7792/15) in einem ersten Umgangsverfahren bis zum 31. März 2018 ausgeschlossen.
Das vorliegende Verfahren wurde vom Vater im Mai 2018 eingeleitet mit der Anregung, den Umgang im 14-tägigen Turnus in betreuter Form zu regeln. Im Zuge des Verfahrens hat das Familiengericht dem Kind eine Verfahrensbeiständin bestellt und ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten bei der Psychologin … … , B., eingeholt. Ihren Feststellungen zufolge soll … … über eine positive Beziehung zur Mutter verfügen; sie sei seine Hauptbezugs- und primäre Bindungsperson. Eine Bindung oder Beziehung zum Vater bestehe nicht mehr; ob Bindungsstrukturen zum Vater jemals bestanden hätten, sei im Zeitpunkt der Gutachtenerstellung nicht mehr feststellbar gewesen. […]
Das Familiengericht hat … … persönlich angehört. Der Junge hat erklärt, da der Vater ihm bislang noch keinen Brief geschrieben habe, habe er gedacht, der Vater wolle ihn nicht sehen sowie weiter, dass er nicht traurig sei, wenn er den Vater zunächst nicht sehen könne; das sei nicht so wichtig. […]
Mutter und Vater wurden im Beisein ihrer jeweiligen Verfahrensbevollmächtigten, des Jugendamtes sowie der Verfahrensbeiständin des Jungen in getrennten Terminen persönlich angehört.
Mit dem angegriffenen Beschluss hat das Familiengericht den Umgang zwischen Vater und Sohn bis zum 12. Geburtstag des Jungen am […] 2025 ausgeschlossen. Zur Begründung der Entscheidung hat das Familiengericht dargelegt, ohne Umgangsausschluss sei das Wohl des Kindes konkret gefährdet, weil das Kind bei einem Umgang mit dem Vater destabilisiert werde und mit seiner seelischen Schädigung zu rechnen sei. Hinzukomme, dass bei einem Umgang Vater/Sohn auch die Mutter als die primäre Bindungs- und Bezugsperson des Kindes destabilisiert werde, was sich wiederum negativ auf das Wohl des Jungen auswirke. Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Vater, sachverständigem Urteil zufolge, nicht umgangsfähig sei, da er nicht in der Lage sei, sich die kindliche Perspektive zu eigen zu machen. Ihm fehle der notwendige Realitätsbezug; dies auch im Hinblick auf die von ihm verübte Tat und deren Auswirkungen auf Mutter und Kind, die von ihm bagatellisiert und deren Tragweite insgesamt verkannt würden.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde, […]
Die Mutter tritt der Beschwerde entgegen und verteidigt die familiengerichtliche Entscheidung unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens als zutreffend und richtig. Ergänzend verweist sie darauf, dass sie nach wie vor unter massiven Angst- und Panikattacken als einer Folge der Tat leide. Sie befürchte, der Vater könne, wenn ihr Wohnort ihm bekannt würde, jederzeit erneut eine ähnliche Tat begehen. […]
Das Jugendamt verweist darauf, dass die Mutter unverändert unter dem Schutz des Landeskriminalamtes stehe. Bei einem Kind im Alter von … … sei es praktisch unmöglich, im Rahmen von Kontakten nicht über den Alltag wie etwa Freunde, Schulbesuch etc. zu sprechen und das ermögliche stets Rückschlüsse auf den Aufenthalt von Mutter und Kind. Ein Umgang müsse daher ausscheiden. […]
Der Senat hat zu Informationszwecken den Vollstreckungsband der Staatsanwaltschaft aus dem gegen den Vater geführten Strafverfahren (Staatsanwaltschaft B. 231 Js 3451/15 (29104) V), das dort enthaltene Strafurteil sowie das für die Entscheidung über eine vorzeitige Haftentlassung angefertigte kriminalprognostisch-psychologische Gutachten sowie weitere (straf- bzw. vollstreckungs-) rechtliche Gerichtsentscheidungen beigezogen. […]
Schließlich wurde das Landeskriminalamt/Zentralstelle für Individualgefährdung, B., um die Erstellung einer konkreten, mit Tatsachen unterlegten Einschätzung eventueller, der Mutter von Seiten des Vaters möglicherweise weiterhin drohender Gefahren gebeten. […]

Aus den Gründen:
1. Die Beschwerde des Vaters ist zulässig […].
2. In der Sache selbst ist die Beschwerde des Vaters indessen nicht begründet:
a) Trotz der afghanischen Staatsangehörigkeit des betroffenen Kindes gilt für das Umgangsbegehren des Vaters deutsches Sachrecht. […]
b) Der Senat hat den Vater im Schreiben vom 11. November 2020 darauf aufmerksam gemacht, dass sein Rechtsmittel keinen Erfolg haben kann. In diesem Schreiben heißt es:
„In dieser Sache weist der Senat nach Beratung daraufhin, dass die Beschwerde des Vaters gegen den am 16. Dezember 2019 erlassenen Beschluss des Familiengerichts Schöneberg, mit dem dessen Umgang mit seinem heute siebenjährigen Sohn … … bis zum […] 2025 – dem 12. Geburtstag des Sohnes – ausgeschlossen wurde, auch unter Berücksichtigung des Beschwerdevortrags keine Aussicht auf Erfolg aufweist. […] Folgende Erwägungen sind hierfür maßgeblich:
1. Ausgangspunkt in rechtlicher Hinsicht ist § 1684 Abs. 4, S.1, 2 BGB. Danach kann das Familiengericht den Umgang eines Elternteils mit dem Kind ausschließen, soweit dies zum Wohl des Kindes erforderlich ist. […] Das ist hier in zweierlei Hinsicht zu bejahen:
a) Das Wohl von … … ist gefährdet, weil konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die körperliche und/oder die seelische Unversehrtheit der Mutter des Jungen nachhaltig gefährdet ist. Das Wohl des heute siebenjährigen, in der alleinigen Obhut seiner Mutter aufwachsenden Jungen ist ganz entscheidend von der körperlichen und seelischen Unversehrtheit der Mutter abhängig und hinter deren Schutz muss das Umgangsrecht des Vaters in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise zurücktreten (vgl. BVerfG FamRZ 2013, 433 Rn. 24, 34 = BeckRS 2013, 46031 sowie Rake in Johannsen/Henrich/Althammer BGB § 1684 Rn. 59). Dabei ist daran zu erinnern, dass für ein familiengerichtliches Eingreifen bereits die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts genügt, wobei an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind je schwerer der drohende Schaden wiegt (vgl. BGH FamRZ 2019, 598 Rn. 18 = NZFam 2019, 342 m. Anm. Rohmann).

(aa) Dafür, dass das körperliche Wohl der Mutter gefährdet ist, liegen zahlreiche, hinreichend konkrete Verdachtsmomente vor:
(i) Polizeiliche Gefährdungseinschätzung: Die – sachverständig beratene – Polizei geht von einem unverändert hohen Aggressions- und Gefährdungspotential des Vaters aus. Aufgrund der bestehenden Gefährdung wohnen Mutter und Kind an einem unbekannten Ort; aus Sicherheitsgründen mussten sie bislang dreimal umziehen. Die Mutter wird seit etwa fünf Jahren von einer spezialisierten Stelle des Landeskriminalamtes B. – LKA 13: Zentralstelle Individualgefährdung – betreut; sie wurde aufgrund ihrer Gefährdung von der Polizei mit einem speziellen Notruftelefon ausgestattet, das die Mutter seit der Entlassung des Vaters aus der Strafhaft am 30. September 2019 bislang bereits zweimal – im Oktober 2019 und erneut im Februar 2020 – benutzen musste, weil sie dem Vater auf der Straße begegnet war und dabei den Eindruck gewonnen hat, dass es sich in beiden Fällen nicht um zufällige Begegnungen gehandelt hätte. […]
Der vom LKA 13 hinzugezogene Psychologe weist in seiner Einschätzung auf die folgenden, beim Vater vorliegenden Risikofaktoren hin: […]
Der Psychologe gelangt deshalb zu der Einschätzung, es bestehe nach wie vor ein erhöhtes Rückfallrisiko, dass der Vater eine ähnlich gelagerte Tat nochmals begehen und er der Mutter psychisch und physisch erneut einen erheblichen Schaden zufügen könnte, „um das Machtverhältnis klar wiederherzustellen“. […] Geradezu handgreiflich wird das Maß der der Mutter drohenden Gefahr, wenn das LKA 13 darum bittet, von einem eventuellen Anhörungstermin in dieser Sache benachrichtigt zu werden, um die Mutter zum Termin zu begleiten und zu verhindern, dass sie bei der An-/Abfahrt verfolgt bzw. beobachtet wird (Schreiben LKA 13 vom 26. August 2020; IV/120) oder wenn die Familienhelferin der Mutter davon berichtet, dass der Vater der Mutter über soziale Medien immer wieder Nachrichten habe zukommen lassen; beispielsweise, dass er sie töten werde, wenn er sie finde (vom Familiengericht eingeholtes familienpsychologisches Sachverständigengutachten zur Frage der Regelung des Umgangs der Psychologin … … vom 30. Dezember 2018, dort S. 53; II/140).
Die Einschätzung der Fachdienststelle des Landeskriminalamtes deckt sich im Kern mit den Feststellungen, die im Strafverfahren gegen den Vater getroffen wurden. Dort hat die Leiterin der Gewaltschutzambulanz der C., die Ärztin … …, als Zeugin glaubhaft bekundet, die Mutter habe ihr im November 2015 berichtet, der Vater habe ihr gedroht, sie und den gemeinsamen Sohn zu töten (Urteil des Landgerichts B. vom 6. Dezember 2016 – (521 KLs) 231 Js 3451/15 (4/16), dort S. 21; Sonderband Bl. 12). Ähnliches hat die Mutter auch der familienpsychologischen Sachverständigen berichtet; sie sagte ihr, im Verlauf der Ehe habe der Vater ihr, wenn sie von Scheidungsplänen gesprochen hätte, wiederholt damit gedroht, dass er „ihr Gesicht zerstören und ihre Zähne herausschlagen werde, damit sie zu hässlich für einen anderen Mann sein werde“ (Gutachten …, dort S. 18; II/105). Tatsächlich hat der Vater die Mutter bei seinem Angriff vom 2. Oktober 2015 im Gesicht/am Kopf lebensgefährlich verletzt und ihr insgesamt sechs Zähne im sichtbaren Frontbereich ausgeschlagen […]
Die vom Familiengericht beauftragte familienpsychologische Sachverständige … … gelangt aufgrund ihrer eigenen Untersuchungen ebenfalls zu der Einschätzung, dass der Vater zu Impulsdurchbrüchen neige und deshalb die Gefahr bestehe, dass sich solche Taten wiederholten; dies selbst im Beisein des Kindes (Gutachten …, dort S. 81; II/168).
Die Beurteilung der familienpsychologischen Sachverständigen deckt sich mit den Feststellungen, die die Ausländerbehörde im Ausweisungsverfahren getroffen hat. […]
Weitere Bekräftigung erfährt die polizeiliche Gefährdungseinschätzung durch das im Strafvollstreckungsverfahren eingeholte kriminalprognostisch-­psychologische Gutachten … von August 2019: Die Sachverständige stellt in ihrer Beurteilung des postdeliktischen Verlaufs fest, dass „wenngleich somit keine physischen Übergriffe gegenüber seiner Exfrau [= die Mutter] dokumentiert sind, [spreche] das postdeliktische Verhalten [des Vaters] zunächst dennoch sehr deutlich für eine anhaltende Problematik, die mutmaßlich mit starken Emotionen unterlegt ist. Hauptgegenstand scheint dabei der Umgang mit … zu sein“ (Gutachten …, dort S. 102; Sonderband Bl. 129R). Die Sachverständige hebt hervor, dass „somit [sei] zu konstatieren, dass die personellen Risikofaktoren [des Vaters] bisher nur unzureichend bearbeitet wurden. In der aktuellen Untersuchung präsentierte er kaum Delikteinsicht und nur mangelhafte Risikomanagementstrategien“ (Gutachten …, dort S. 104; Sonderband Bl. 130R) sowie weiter, dass „in Zusammenschau muss damit konstatiert werden, dass sowohl die personellen als auch die situativen Risikofaktoren weiterer Delinquenz beim [Vater] im postdeliktischen Verlauf kaum einen Wandel erfahren haben“ und dass „in Zukunft [seien] weitere Kontakte mit seinem ehemaligen Opfer zu erwarten, da er sich mit ihr im Umgangsrechtsstreit befindet, erneute Konfliktsituationen sind daher absehbar“ (Gutachten …, dort S. 106, 107; Sonderband Bl. 131R, 132). […]
Die Sachverständige hat daher empfohlen, „Kontakte des Kindes mit dem Kindesvater […] dauerhaft auszuschließen, bis das Kind einen Entwicklungsstand erreicht habe, in dem eine Beschäftigung mit seiner auf die Gewalttat des Kindesvaters bezogene Familiengeschichte […] ohne negative Folgen für das eigene Selbstbild erfolgen“ könne (Gutachten …, dort S. 84; II/171). […]

(bb) Weiter ist auch das seelische Wohl der Mutter gefährdet:
(i) Psychische Tatfolgen bei der Mutter: Das gilt einmal in Bezug auf die psychischen Folgen, die der Vater mit seiner Tat bei der Mutter ausgelöst hat:
Die Psychotherapeutin der Mutter, Frau …, die diese von November 2015 bis November 2017 – etwa zwei Jahre lang – aufgrund von massiven Ängsten behandelt hat, hat bei der Mutter eine mittelgradige, depressive Episode mit massiven Schlafstörungen und durch innere Anspannung verursachte Herz- und Kopfschmerzen diagnostiziert. Die Mutter lebe in ständiger Angst vor dem Vater; sie habe sogar Angst davor gehabt, neue Freundschaften einzugehen, weil der Vater dadurch möglicherweise Kenntnis von ihrem Aufenthaltsort oder ihrem Umfeld erlangen könnte. Der Vater habe gegen sie Morddrohungen ausgesprochen und er soll dafür gesorgt haben, dass zwei jüngere Brüder der Mutter in Afghanistan vor der Schule abgefangen und zusammengeschlagen worden seien; die Familie der Mutter in Afghanistan sei mittlerweile umgezogen und verstecke sich vor der Familie des Vaters. Ihrer Einschätzung zufolge wäre es für die Mutter „eine Katastrophe“, wenn der Vater das Kind sehen dürfte. Von einem Kontakt Vater/Kind rate sie „dringend“ ab, weil die Mutter wahnsinnige Angst davor habe, dass der Vater ihr oder dem Sohn etwas antun werde (Gutachten …, dort S. 51 f.; II/138 f.). […]
Im Ergebnis gelangt die familienpsychologische Sachverständige daher zu der Einschätzung, dass die Mutter trotz Therapie noch immer durch traumatische Erlebnisse psychisch stark belastet sei. Ihre Ängste seien nachvollziehbar und berechtigt; bei einem Zusammentreffen mit dem Vater sei mit einem Wiederaufleben der hoch ausgeprägten Angstsymptomatik zu rechnen (Gutachten …, dort S. 63 f.; II/150 f., S. 78 f.; II/165 f.).
(ii) Erneute psychische Destabilisierung der Mutter bei Zulassung eines Umgangs Vater/Sohn: Eine Gefahr für das seelische Wohl der Mutter besteht weiter im Hinblick auf das Risiko, dass der Vater bei der Zulassung eines Umgangs den Jungen missbrauchen und über ihn auf die Mutter einwirken könnte, was eine erneute Destabilisierung der Mutter zur Folge hätte und damit zugleich eine Gefahr für das Wohl von … … entstünde. […]
b) Darüber hinaus würde ein Umgang zwischen Vater und Sohn aber auch das Wohl des Jungen selbst gefährden:
(aa) Der Vater hat wiederholt damit gedroht, den Sohn zu töten. Entsprechende Drohungen des Vaters, die dieser gegenüber der Mutter ausgesprochen haben soll, wurden im Strafverfahren gegen den Vater von der Ärztin … …, der Leiterin der Gewaltschutzambulanz der C., bestätigt (Urteil des Landgerichts B. vom 6. Dezember 2016 – (521 KLs) 231 Js 3451/15 (4/16), dort S. 21; Sonderband Bl. 12) und auch das LKA 13 hält in seiner aktuellen Gefährdungseinschätzung eine Schädigung des Kindes durch den Vater, um sich auf diese Weise „Genugtuung für von ihm empfundene Ungerechtigkeit zu verschaffen“ und „gegenüber der Mutter das Machtverhältnis wiederherzustellen“, nach wie vor für möglich (Gefährdungsbeurteilung LKA 13 vom 20. August 2020, dort S. 3; IV/125). […]
(bb) Hinzukommt das Risiko, dass … … durch den Kontakt zu seinem Vater – den er in seinem Leben bislang wenig bewusst erlebt hat, an den er sich heute praktisch nicht mehr erinnern kann und zu dem heute keine Bindungen mehr bestehen sollen (Gutachten …, dort S. 43; II/130; S. 75; II/162) – geschädigt werden könnte, weil damit zu rechnen ist, dass der Vater ihn gegen die Mutter beeinflussen wird. […]
Da dem Vater das Einfühlungsvermögen und der Realitätsbezug in Bezug auf seinen Sohn fehle, würde der Sohn durch den Kontakt mit dem Vater stark verunsichert werden und es sei zu befürchten, dass der Junge bei Kontakten zum Vater in einen starken Loyalitätskonflikt käme, da nicht auszuschließen sei, dass der Vater die Mutter als gefährlich hinstelle. Zudem sei die Bindungstoleranz des Vaters maßgeblich eingeschränkt (Gutachten …, dort S. 80; II/167, S. 82; II/169). Im Ergebnis empfiehlt sie, den Kontakt des Vaters mit dem Kind auszuschließen, bis der Junge einen Entwicklungsstand erreicht habe, in dem er sich mit der Gewalttat des Vaters und der Familiengeschichte beschäftigen kann, ohne dass negative Folgen für sein Selbstbild oder der Beziehung zur Mutter zu befürchten sind (Gutachten …, dort S. 84; II/171). […]
2. Die vom Vater in seiner Beschwerdebegründung erhobenen Rügen greifen nicht durch:
a) Die vom Vater gerügte Verletzung von Art. 7 UN-KRK, der UN-Kinderrechtskonvention vom 20. November 1989, (Beschwerdebegründung vom 5. März 2020, dort S. 2; IV/46) liegt nicht vor, da die Bestimmung von der spezielleren Gewährleistung des Art. 9 Abs. 3 UN-KRK verdrängt wird: Danach achten die Vertragsstaaten das Recht des Kindes, das von einem oder beiden Elternteilen getrennt ist, regelmäßige persönliche Beziehungen und unmittelbare Kontakte zu beiden Elternteilen zu pflegen, soweit dies nicht dem Wohl des Kindes widerspricht. Schon nach dem Wortlaut der Konvention stehen dessen Gewährleistungen unter dem Vorbehalt des Kindeswohls, dem vorrangig zu berücksichtigenden Gesichtspunkt (Art. 3 Abs. 1 UN-KRK). […]
b) Auch die weitere Rüge, die Dauer des Umgangsausschlusses sei unverhältnismäßig, geht fehl. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich entschieden, dass das von Verfassungs wegen gewährleistete Elternrecht noch nicht einmal durch einen unbefristeten Umgangsausschluss verletzt ist, wenn die Kindeswohlgefährdung weiter fortdauert und mildere Mittel fehlen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 17. September 2016 1 BvR 1547/16, FamRZ 2016, 1917). […]“ […]

c) Gesichtspunkte, die geeignet wären, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich […].
Mitgeteilt von Dr. Martin Menne,
Richter am Kammergericht Berlin