STREIT 2/2021
S. 76-78
OLG Celle, § 19 Abs. 3 VersAusglG
Versorgungsausgleich nach Scheidung in Serbien – (keine) Unbilligkeit trotz Nichtaufklärbarkeit ausländischer Anwartschaften
1. Keine Ausgleichssperre, wenn die ausländischen Anrechte nur einen geringen Ausgleichswert haben.
2. Die Geringwertigkeit in der Ehezeit erworbener ausländischer Anwartschaften lässt sich auch mit Hilfe eines Vergleichs der aus- und inländischen Durchschnittsgehälter ermitteln.
(Leitsätze der Redaktion)
Beschluss des OLG Celle vom 30.01.2020, 19 UF 32/17
Aus dem Sachverhalt:
Die Beteiligten streiten um die Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihre geschiedene Ehe. Sie haben am xx. Mai 2010 geheiratet. Seit Juni 2014 leben sie getrennt. Auf Antrag des Antragsgegners, welcher der Antragstellerin am 19. März 2015 zugestellt wurde, hat das Grundgericht in Novi Sad (Serbien) die Ehe der Beteiligten mit Urteil vom 24. September 2015 geschieden. Mit Entscheidung vom 18. Juli 2018 hat die Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung Berlin festgestellt, dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Urteils vom 24. September 2015, soweit die Ehe geschieden worden ist, vorliegen. […]
Die Ehefrau hatte zunächst ihrerseits vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Rotenburg (Wümme) ein Scheidungsverfahren anhängig gemacht. Da der parallel anhängig gemachte Scheidungsantrag des Ehemanns in Serbien jedoch vor dem Scheidungsantrag der Ehefrau zugestellt wurde, nahm die Ehefrau ihren Scheidungsantrag vor dem Amtsgericht – Familiengericht – Rotenburg (Wümme) zurück und erklärte gleichzeitig, die Folgesachen Versorgungsausgleich und Zugewinnausgleich fortführen zu wollen (§ 141 S. 2 FamFG).
Der Antragsgegner hat beantragt, den Antrag auf Durchführung des Versorgungsausgleichs zurückzuweisen, hilfsweise, die von der Antragstellerin in Serbien erworbenen Anwartschaften aufzuklären. Zur Begründung hat er geltend gemacht, dass die Durchführung des Versorgungsausgleichs unbillig i.S.v. Art. 17 Abs. 3 S. 2 EGBGB a.F. und § 19 Abs. 3 VersAusglG sei.
Mit Beschluss vom 23. Januar 2017 hat das Amtsgericht unter Zurückweisung der Anträge des Antragsgegners den Versorgungsausgleich nach deutschem Recht durchgeführt und dabei die Anwartschaften wie folgt ausgeglichen:
[…] – Hinsichtlich der Anrechte der Antragstellerin bei den Versorgungsträgern DDOR-Garant und GENERALI findet kein Wertausgleich bei der Scheidung statt. […]
Aus den Gründen:
Die gemäß §§ 58, 63 FamFG zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
1. Die trotz § 65 Abs. 4 FamFG auch im Beschwerdeverfahren zu prüfende internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte (vgl. BGH, Beschluss vom 26. Juni 2019 – XII ZB 299/18 -, Rn. 10, juris) ist nach § 102 Nr. 2 FamFG gegeben.
Zwar hat der Antragsgegner in seiner Beschwerdebegründung zutreffend beanstandet, dass die Voraussetzungen für eine Durchführung des Versorgungsausgleichs im Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung nicht vorlagen, weil die erforderliche förmliche Anerkennung des ausländischen Scheidungsurteils nach § 107 Abs. 1 S. 1 FamFG nicht vorlag. Nach Aussetzung des Beschwerdeverfahrens gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 FamFG durch Beschluss des Senats vom 02. März 2018 ist die erforderliche Anerkennung des serbischen Scheidungsurteils durch die Senatsverwaltung Berlin am 18. Juli 2018 nachgeholt worden. Sodann hat der Senat das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 22. November wieder aufgenommen.
2. Die Antragstellerin kann die Durchführung des begehrten öffentlich-rechtlichen und schuldrechtlichen Versorgungsausgleichs verlangen. Nach den im Beschwerdeverfahren durchgeführten Ermittlungen liegt keiner der Fälle vor, in denen die beantragte Durchführung des Versorgungsausgleichs ausnahmsweise unbillig wäre.
Dazu im Einzelnen:
a) Gemäß Art. 17 Abs. 4 S. 2 EG BGB ist der Versorgungsausgleich auf Antrag eines Ehegatten nach deutschem Recht durchzuführen, wenn – wie hier – einer oder beide Ehegatten auch inländische Anrechte erworben haben, soweit die Durchführung des Versorgungsausgleichs insbesondere in Hinblick auf die beiderseitigen wirtschaftlichen Verhältnisse während der gesamten Ehezeit nicht unbillig erscheint. […]
Bei der Billigkeitsabwägung nach Art. 17 Abs. 4 S. 2 EG BGB ist ein umfassender Vergleich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Ehegatten vorzunehmen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ehefrau über so erhebliches Vermögen verfügen könnte, dass sie nicht auf die anteiligen Versorgungsanrechte angewiesen wäre, sind hier nicht ersichtlich. Auch die internationalen Elemente des Eheverlaufs stehen der Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht entgegen (vgl. BGH, Beschluss vom 23. Februar 1994 – XII ZB 39/93 – Rn. 13 f., zit. n. juris). Zwar leben heute beide Eheleute in Serbien. Einen erheblichen Teil der Ehezeit haben sie jedoch in Deutschland zusammengelebt. Hier war auch der letzte gemeinsame Aufenthalt. Es liegt daher ein hinreichender Inhaltsbezug vor, so dass es im vorliegenden Fall nach den Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 4 S. 2 EG BGB grundsätzlich gerechtfertigt ist, den Versorgungsausgleich durchzuführen, da das serbische Recht die Durchführung des Versorgungsausgleichs nicht vorsieht.
b) Der Ausgleich ist auch nicht unbillig i.S.v. § 19 Abs. 3 VersAusglG. Nach dieser sog. Ausgleichssperre findet, wenn ein Ehegatte nicht ausgleichsreife Anrechte nach § 19 Abs. 2 S. 4 VersAusglG (ausländische Anrechte) erworben hat, ein Wertausgleich bei der Scheidung auch in Bezug auf die sonstigen Anrechte der Ehegatten nicht statt, soweit dies für den anderen Ehegatten unbillig wäre.
Kein Fall einer solchen Unbilligkeit liegt vor, wenn – wie hier – die ausländischen Anrechte nur einen geringen Ausgleichswert haben und deshalb für die Versorgungsgemeinschaft beider Ehegatten von untergeordneter Bedeutung sind (vgl. Wick, Der Versorgungsausgleich, 4. Aufl. Rn 402). Hintergrund der Regelung des § 19 Abs. 3 VersAusglG ist die deutlich schwächere Rechtsposition, die ein Ausgleichsberechtigter durch schuldrechtliche Ausgleichsansprüche erwirbt, weil deren Realisierung erst nach Eintritt des Versorgungsfalls möglich und zudem nicht hinreichend gesichert ist (vgl. Wick, a.a.O.; Borth, Versorgungsausgleich, 8. Aufl., Kap. 3, Rn. 155). Nur in Fällen, wo die ausländischen Anrechte wesentlich höher sind als die inländischen oder sich die Ausgleichswerte der in- und ausländischen Anrechte wenigstens in etwa entsprechen, soll verhindert werden, dass ein Ehegatte die Hälfte seiner in der Ehezeit erworbenen Anrechte mit dem Wertausgleich bei der Scheidung endgültig verliert, im Gegenzug aber nur schuldrechtliche Ausgleichsansprüche bezüglich der vom anderen Ehegatten erworbenen ausländischen Anrechte erhält.
Vorliegend sind bei den inländischen Anwartschaften die in der Ehezeit angefallenen Anrechte des Antragsgegners in der gesetzlichen Rentenversicherung, der betrieblichen Altersversorgung und aus privater Altersversorgung zu teilen. Im Gegenzug werden ihm ebenfalls Anwartschaften der Antragstellerin in der gesetzlichen Rentenversicherung aufgrund der während der Ehe zurückgelegten Kindererziehungszeiten für die beiden gemeinsamen Kinder übertragen.
Nach den nunmehr vorliegenden Auskünften zu den ausländischen Anwartschaften der Antragstellerin und dem Eheverlauf ist davon auszugehen, dass diese allesamt geringfügig sind. So erfolgten während der Ehezeit keine Einzahlungen in den freiwilligen Rentenfonds DDOR-GARANT. Bei dem Versorgungsträger GENERALI sind während der Ehezeit Anrechte in Höhe von 67.767,15 RSD angefallen. Dies entspricht einem Wert in Höhe von 576,02 € (1 RSD = 0,0085 €).
Eine Berechnung der von der Antragstellerin in der serbischen gesetzlichen Rentenversicherung während der Ehezeit erworbenen Anwartschaften liegt nicht vor und wird von dem Versicherungsträger in Serbien nach der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd vom 24. Juli 2019 auch nicht vorgenommen. Der serbische Versicherungsverlauf ist bei der Auskunft der Deutschen Rentenversicherung Bayern Süd jedoch berücksichtigt worden. Auch nach nochmaligem Abgleich mit dem von der Antragstellerin vorgelegten Arbeitsbuch hat sich daraufhin keine Veränderung des Ehezeitanteils ergeben.
Im Ergebnis ist nicht davon auszugehen, dass sich bei weiteren Ermittlungen serbische Anwartschaften der Antragstellerin in erheblicher Höhe ergeben würden. Nach Angaben der Antragstellerin (Bl. 37 d. A.) sind die Eheleute nach der Eheschließung nach Deutschland gezogen. 2011 und 2013 wurden ein Sohn und eine Tochter geboren. Sie sei von Deutschland aus nur noch in geringem Umfang für ihren serbischen Arbeitgeber tätig gewesen. Nach der Trennung im Juni 2014 sei sie nach Serbien zurückgekehrt und arbeite seither (wieder) bei […].
Nach Angaben des Antragsgegners soll die Antragstellerin während der gesamten Ehezeit mit Ausnahme der Mutterschutz- und Elternzeiten gearbeitet haben. […]
Selbst wenn man die Angaben des Antragsgegners zugrunde legt, hat die Antragstellerin jedoch während der Ehezeit vom 1. Mai 2010 bis 28. Februar 2015 nur 28–29 Monate gearbeitet, und zwar in Serbien. Gleichzeitig hat sie auch noch die beiden 2011 und 2013 geborenen gemeinsamen Kinder der Beteiligten betreut und versorgt. Das monatliche Durchschnittseinkommen beträgt derzeit in Serbien 451 €, in Deutschland 3.329 € (Quelle: www.laenderdaten.info/durchschnittseinkommen.php). In den Jahren 2010 – 2014 dürften die Einkommensbeträge noch etwas niedriger gewesen sein. Durchschnittliche Einkommen in Deutschland sind also mehr als sieben Mal so hoch wie die in Serbien. Die Antragstellerin hat in ihrem VA-Bogen als Beruf Diplomkauffrau angegeben, als derzeit ausgeübte Tätigkeit „Expert Coordin.“. Selbst bei einem für serbische Verhältnisse überdurchschnittlichen Einkommen der Antragstellerin ist aufgrund des bestehenden Einkommensgefälles zwischen Deutschland und Serbien nicht zu erwarten, dass sie in den in die Ehezeit fallenden Zeiten der Erwerbstätigkeit Anwartschaften in der serbischen gesetzlichen Rentenversicherung oberhalb der Bagatellgrenze des § 18 VersAusglG erworben hat.
Insgesamt ist daher aufgrund der Dauer und des Umfangs der Auslandsbeschäftigung davon auszugehen, dass die Anrechte der Antragstellerin nach § 19 Abs. 2 Nr. 4 VersAusglG nur einen geringen Ausgleichswert haben, so dass es dem Antragsgegner gegenüber nicht als unbillig erscheint, die inländischen Anwartschaften auszugleichen und ihn hinsichtlich der geringwertigen ausländischen Anwartschaften auf einen späteren schuldrechtlichen Versorgungsausgleich zu verweisen, zumal er bei der Durchführung des Versorgungsausgleichs am inländischen Anrecht der Antragstellerin in der gesetzlichen Rentenversicherung partizipiert. […]