STREIT 3/2018

S. 121-124

SG Kiel, § 1 OEG, § 15 KOVVfG

Opferentschädigung bei nicht nachgewiesenem sexuellem Kindesmissbrauch und Möglichkeit von Scheinerinnerungen

1. Kann der Nachweis des schädigenden Ereignisses nicht geführt werden, weil Zeugen nicht vorhanden sind und der mutmaßliche Täter verstorben ist, greift die Beweiserleichterung entsprechend der Vorschrift des § 15 Satz 1 des KOVVfG, wonach Glaubhaftmachung genügt.
2. Für den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon am relativ wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für die Möglichkeit spricht, wobei durchaus Zweifel verbleiben können. Es muss insbesondere nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können, dass es sich bei den sexuellen Übergriffen in der Kindheit um Scheinerinnerungen handelt.
3. Ein Glaubhaftigkeitsgutachten ist nicht geeignet, festzustellen, ob ein geschildertes Ereignis auf eigenem Erleben beruht oder ob es sich um die Wiedergabe von Pseudoerinnerungen handelt.
4. Das vorliegende Störungsbild ist – wie mittlerweile Studien belegen – typisch für einen stattgehabten sexuellen Missbrauch in der Kindheit. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass Traumatisierungen in der Kindheit erst im Erwachsenenalter erinnerbar werden. Es gibt im vorliegenden Fall keinen Hinweis auf ein anderes adäquates Trauma, welches geeignet sein könnte, die festgestellte posttraumatische Belastungsstörung auszulösen.
(Leitsätze der Redaktion)

Urteil des SG Kiel vom 13.01.2017, S 15 VG 25/13, n.rk., die Berufung ist anhängig beim LSG Schleswig unter dem Aktenzeichen L 2 VG 43/17

Aus dem Sachverhalt:
Die Klägerin begehrt die Gewährung von Entschädigungsleistungen nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG).
Die … 1979 geborene Klägerin wurde am Abend des 17. Januar 2011 während eines Spaziergangs Opfer eines sexuellen Übergriffs. […] Die Klägerin befand sich zum Tatzeitpunkt in stationärer Behandlung im Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZIP). Am 02. März 2011 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Gewährung von Beschädigtenversorgung nach dem OEG. Die Beklagte leitete daraufhin ein Feststellungsverfahren ein. […] In der beigezogenen Anklageschrift der Staatsanwaltschaft […] wird ausgeführt, die Klägerin sei im Alter von zwölf Jahren sexuell missbraucht worden. Dies habe u.a. zu einer schweren Essstörung geführt. Aus diesem Grund sei die Klägerin zum Tatzeitpunkt im ZIP stationär therapiert worden. Im Rahmen der Traumatherapie sei sie mit den Kindheitserlebnissen konfrontiert worden. Dies führe zu gelegentlichen dissoziativen Störungen durch Flashbacks, bei denen sämtliche Sinnesleistungen stark reduziert würden. Eine schockierende Konfrontation mit früheren Ereignissen oder ein sonstiges schockierendes Ereignis könnten bei der Klägerin durch eine Art „Totstellreflex“ zu einer kompletten Erstarrung bis hin zur Reaktionslosigkeit, Unbeweglichkeit und Sprachlosigkeit führen. Das Amtsgericht N. verurteilte den Täter mit Urteil vom 08. September 2011 wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person unter Vollziehung des Beischlafs und ähnlicher sexueller Handlungen in Tateinheit mit Diebstahl und mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten.
Die Beklagte zog Befundberichte bezüglich der vorausgegangenen stationären psychiatrischen Behandlungen bei. […] Anlässlich einer […] stationären Behandlung im ZIP vom 02. Mai 2011 bis zum 09. Mai 2011 wird […] erneut eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung, eine dissoziative Störung und eine Bulimia nervosa nach einem mehrjährigen schweren sexuellen und körperlichen Missbrauch durch den Vater einer Spielkameradin im Alter von acht bis zwölf Jahren berichtet. Am … stellte die Klägerin einen weiteren Antrag nach dem OEG wegen sexuellen Missbrauchs im Kindesalter durch den Vater ihrer Schulfreundin in dessen Wohnung in W.. Die Missbrauchshandlungen hätten sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren erstreckt, sie hätten begonnen, als sie sieben oder acht Jahre alt gewesen sei und im Herbst 1992 nach ihrem Schulwechsel geendet. Es sei zu zahlreichen körperlichen und sexuellen Übergriffen gekommen. Im Antrag werden beispielhaft drei Situationen geschildert: […] Sie habe erst im Rahmen einer Therapie im ZIP über die Vorfälle sprechen können. Zeugen seien nicht vorhanden. Auch habe es kein Strafverfahren gegeben. Der Täter sei mittlerweile verstorben. […]
Der Beklagte holte daraufhin […] ein Gutachten nach Aktenlage der Fachpsychologin für Rechtspsychologie Dr. phil. Wo. zu der Frage ein, ob ein aussagepsychologisches Gutachten erstellbar sei, das den Anforderungen des BGH aus dem Urteil vom 30. Juli 1999 genüge. Dr. Wo. vertritt in ihrem Gutachten […] die Auffassung, die bei der Klägerin vorliegenden psychischen Störungen seien nicht missbrauchsspezifisch. […]
Mit Bescheid vom 14. August 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung aufgrund sexuellen Missbrauchs im Kindesalter ab. Zur Begründung führte er aus, die eingeleiteten Ermittlungen hätten nicht zum Nachweis von Gewalttaten geführt. […] Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin […] Widerspruch. […] Mit Widerspruchsbescheid vom … wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Daraufhin hat die Klägerin […] Klage erhoben […].
Mit Bescheid vom 03. April 2013 stellte der Beklagte fest, dass die Klägerin am 17. Januar 2011 Opfer einer Gewalttat im Sinne des § 1 OEG geworden ist. Für den vorübergehenden Zeitraum vom 17. Januar 2011 bis weniger als sechs Monate habe eine leichtgradige Verschlimmerung der bestehenden schweren psychischen Störung […] vorgelegen, die innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten folgenlos abgeheilt seien. Für diese Gesundheitsstörungen habe sie Anspruch auf Heilbehandlung gehabt. Weitere Ansprüche stünden der Klägerin nicht zu. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin […] Widerspruch. […] Nach Einholung einer ergänzenden Stellungnahme Dr. B´s änderte der Beklagte den Bescheid vom 03. April 2013 mit Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid […] insoweit ab, als dass nunmehr festgestellt wurde, dass […] ein GdS von 10 bedingt wurde. […] Daraufhin hat die Klägerin am … Klage erhoben. […] Mit Beschluss vom … hat das Sozialgericht Kiel die Verfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden. […]

Die Kammer hat zu der Frage, ob die vorliegenden gynäkologischen Befunde gegen die im Kindesalter angegebenen Taten sprechen bzw. diese ausschließen oder unwahrscheinlich machen, ein Gutachten der Ärztin für Gynäkologie Priv.doz. Dr. B. nach Lage der Akten eingeholt. Zur Frage, ob die Angaben der Klägerin zu den Taten in ihrer Kindheit mit relativ überwiegender Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert zu klassifizieren sind, welche Gesundheitsstörungen mit Wahrscheinlichkeit durch die streitgegenständlichen Taten in der Kindheit der Klägerin und am 17. Januar 2011 verursacht wurden und zur Höhe des GdS hat die Kammer Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Ärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Psychiatrie und Psychotherapie, Psychoonkologie und Spezielle Psychotraumatherapie Dr. Wa. […]

Aus den Gründen:
Die Klage ist zulässig und begründet. […] Die Klägerin hat Anspruch auf Anerkennung der Ereignisse im Zeitraum 1988 bis 1992 als Gewalttaten im Sinne des § 1 OEG. Nach dieser Vorschrift erhält derjenige, der durch einen vorsätzlichen, rechtswidrigen, tätlichen Angriff gegen seine Person eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).
Gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG genügt zur Anerkennung von Gesundheitsstörungen als Folge einer Schädigung die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs. Die Wahrscheinlichkeit ist gegeben, wenn nach der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht, wobei lediglich die Möglichkeit eines Zusammenhanges nicht genügt (s. BSG, Urteil vom 08. August 2001, B 9 V 3/12 R). Nach der im Versorgungsrecht geltenden Theorie der wesentlichen Bedingung ist ferner zu beachten, dass nicht jeder Umstand, der irgendwie zum Erfolg beigetragen hat, rechtlich beachtlich ist, sondern nur solche, die unter Abwägung ihres verschiedenen Wertes wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg diesen wesentlich herbeigeführt haben.
Der schädigende Vorgang, die (Primär-)schädigung und die Schädigungsfolgen müssen hingegen nachgewiesen sein. Erforderlich ist insoweit eine an Sicherheit grenzende, vernünftige Zweifel ausschließende Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteile vom 17. April 2013, B 9 V 1/12 R und B 9 V 3/12 R).

Im hier zu entscheidenden Fall kann der Nachweis der schädigenden Ereignisse nicht geführt werden. Zeugen sind nicht vorhanden, der mutmaßliche Täter ist verstorben. Hinzu kommt, dass die Klägerin sich erst viele Jahre nach den Vorfällen im Rahmen einer Therapie an die sexuellen Übergriffe erinnert hat und nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass es sich um Scheinerinnerungen handelt. Eine vom Beklagten in der mündlichen Verhandlung angeregte zeugenschaftliche Vernehmung der ehemaligen Schulfreundin der Klägerin hält die Kammer nicht für zielführend, da diese bei den sexuellen Übergriffen nicht anwesend war. Auch die vom Beklagten angeregte Beiziehung von Aufzeichnungen, die im Rahmen der Therapie und der gutachterlichen Befragung durch die Sachverständige gefertigt wurden und die Befragung der Klägerin sind nicht geeignet, den Beweis zu erbringen, dass die sexuellen Übergriffe tatsächlich stattgefunden haben. Letztlich dienen solche Beweismittel der Überprüfung der Aussagekonsistenz im Rahmen eines Glaubhaftigkeitsgutachtens.
Der BGH führt in seiner Entscheidung vom 30. Juli 1999 (1 StR 618/98) in diesem Zusammenhang zwar aus, dass es in aller Regel erforderlich ist, die Entstehung und Entwicklung einer Aussage aufzuklären, wenn fremdsuggestive Einflüsse in Erwägung zu ziehen sind. In derselben Entscheidung weist der BGH jedoch darauf hin, dass es keine empirischen Belege dafür gibt, dass sich erlebnisbasierte und suggerierte Aussagen in ihrer Qualität unterscheiden. Ein Glaubhaftigkeitsgutachten ist somit nicht geeignet, festzustellen, ob ein geschildertes Ereignis auf eigenem Erleben beruht oder ob es sich um die Wiedergabe von Pseudoerinnerungen handelt. Mit dieser Begründung hat Dr. Wo. in ihrem im Verwaltungsverfahren erstellten Gutachten eine aussagepsychologische Begutachtung der Klägerin nicht als zielführend angesehen.

Zugunsten der Klägerin greift jedoch die Beweiserleichterung entsprechend der Vorschrift des § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren in der Kriegsopferversorgung (KOVVfG). Danach sind die Angaben des Antragstellers zugrunde zu legen, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Taten beziehen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen sind, soweit sie nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen. Diese Beweiserleichterung findet nach der Rechtsprechung des BSG auch dann Anwendung, wenn sich die Aussagen des Opfers und des vermeintlichen Täters gegenüberstehen und Tatzeugen nicht vorhanden sind (s. Urteil vom 17. April 2013, B 9 V 3/12 R; Urteil vom 15. Dezember 2016, B 9 V 3/15). Erst recht ist vom Eingreifen der Beweiserleichterung auszugehen, wenn eine Aussage des mutmaßlichen Täters nicht vorliegt und auch nicht mehr beschafft werden kann.
Für den Beweismaßstab der Glaubhaftmachung reicht dabei die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht, wobei durchaus Zweifel verbleiben können. Anderes als beim Beweismaßstab der Wahrscheinlichkeit muss nicht absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Das Gericht ist im Einzelfall im Rahmen der richterlichen Beweiswürdigung grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht. Wird ein Glaubhaftigkeitsgutachten eingeholt, ist darauf abzustellen, ob die Angaben mit relativer Wahrscheinlichkeit als erlebnisfundiert angesehen werden können (BSG ebd.).

Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens (§ 128 Abs. 1 SGG) ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass mehr dafür spricht, dass die von der Klägerin geschilderten Misshandlungen tatsächlich erfolgt sind, als dafür, dass es sich durch Fremdsuggestion erzeugte Pseudoerinnerungen handelt.
Zunächst weist die Kammer darauf hin, dass die erstmals in der A. Klinik gestellte Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung vom Beklagten zu keinem Zeitpunkt in Frage gestellt wurde. Im Zusammenhang mit dem Vorfall am 17. Januar 2011 hat der Beklagte das Vorliegen eines solchen Krankheitsbildes vielmehr vorausgesetzt und im Bescheid vom 03. April 2013 und im Widerspruchsbescheid vom … eine leichtgradige Verschlimmerung dieser Störung anerkannt. Die Sachverständige Dr. Wa. hat die Diagnose einer Posttraumatischen Belastungsstörung bestätigt. Es gibt jedoch keinen Hinweis auf ein anderes adäquates Trauma, welches geeignet sein könnte, eine posttraumatische Belastungsstörung auszulösen, als die hier im Streit stehenden Gewalttaten.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ist das bei der Klägerin vorliegende Störungsbild typisch für einen stattgehabten sexuellen Missbrauch in der Kindheit. So liegen mittlerweile Studien vor, die den Zusammenhang zwischen Kindheitstraumatisierungen und Dissoziation empirisch belegen. Eine Meta-Analyse von über 38 Studien zeigt einen positiven Zusammenhang zwischen sexuellen Gewalterfahrungen in der Kindheit und späteren Symptomen in den Bereichen Angst, Wut, Depression, Retraumatisierung, Selbstverletzungen, sexuelle Probleme, Zwanghaftigkeit, Dissoziativität, posttraumatische Reaktionen und Somatisierung. Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass – wie im Fall der Klägerin – Traumatisierungen in der Kindheit erst im Erwachsenenalter erinnerbar werden. Die aktenkundige körperliche Symptomatik nach Beendigung der angeschuldigten Taten spricht ebenfalls dafür, dass diese tatsächlich stattgefunden haben.
Auch ist die Auffassung Dr. Wo. nicht nachvollziehbar, im Rahmen der Traumabehandlungen seien psychotherapeutische Techniken mit hoher suggestiver Potenz zur Anwendung gekommen. Im Entlassungsbericht der A.Klinik wird beschrieben, dass die Klägerin ab der vierten Woche an einer Spezialgruppe für traumatisierte Frauen teilgenommen hat, in der der Behandlungsfokus auf Ressourcenarbeit und Stabilisierungsübungen nach L. Reddemann gelegen habe. Hierbei handelt es sich um Übungen, die ausschließlich den Betroffenen helfen sollen, sich zu stabilisieren bzw. skills zur Unterbrechung von Flashbacks zu benutzen. Im Bericht werden auch einzeltherapeutische Maßnahmen beschrieben, die ausschließlich dazu dienten, die sehr häufig auftretenden Dissoziationszustände zu unterbrechen. Eine inhaltliche Arbeit mit den auftauchenden Bildern wird in diesem Bericht nicht beschrieben. Die Klägerin hat auf gezielte Nachfrage der Sachverständigen Dr. Wa. bestätigt, dass sie ausschließlich an Behandlungsmaßnahmen teilgenommen hat, die der Stabilisierung und nicht der Aufdeckung und Bearbeitung der auftauchenden Bilder dienten. Zwar kann nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden, dass im hier zu entscheidenden Fall eine Suggestion stattgefunden hat, konkrete Hinweise hierauf gibt es jedoch nicht. Im ZIP wurde mit Hilfe einer Narrativen Expositionstherapie (NET) eine spezielle Traumatherapie durchgeführt. Hierbei handelt es sich um eine verhaltenstherapeutische Methode der Traumatherapie, bei der die Gefahr der Suggestion als gering einzustufen ist.

Nach alledem spricht mehr dafür, dass die sexuellen Übergriffe in der Kindheit tatsächlich stattgefunden haben als dafür, dass es sich um Pseudoerinnerungen handelt, die durch suggestive Einflüsse im Rahmen der Therapie entstanden sind. Die Kammer folgt bei dieser Beurteilung den Ausführungen der Sachverständigen Dr. Wa., die sie für schlüssig und überzeugend hält. Zwar erfüllt das Gutachten nicht die Anforderungen, die an ein aussagepsychologisches Glaubhaftigkeitsgutachten zu stellen sind, aus den oben dargelegten Gründen ist im hier zu entscheidenden Fall jedoch die Erstellung des Glaubhaftigkeitsgutachtens ohnehin nicht sachdienlich. Die Ausführungen der Sachverständigen sind jedoch für eine Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 KOVVfG geeignet.
Die Angaben der Klägerin stehen auch nicht im Widerspruch zu den aktenkundigen gynäkologischen Untersuchungsbefunden. Die Sachverständige Dr. B. hat in ihrem Gutachten schlüssig dargelegt, dass auffällige Genitalbefunde nach stattgehabter sexueller Gewalt im Kindesalter selten sind, da einerseits häufig akut keine Verletzungen entstehen und andererseits im seltenen Fall des Auftretens von Verletzungen diese in der Regel spurlos innerhalb kurzer Zeit abheilen. Dies gilt auch für Verletzungen des Jungfernhäutchens. Weiterhin weist die Sachverständige in ihrem Gutachten darauf hin, dass chronische Unterbauchbeschwerden ein häufiges Symptom bei Frauen mit sexueller Gewalterfahrung in der Kindheit seien. Im Falle der Klägerin findet sich für die Beschwerden kein somatisches Korrelat. Das Vorliegen einer beginnenden Blinddarmentzündung ist unwahrscheinlich, da im Verlauf der Blinddarm makroskopisch als völlig reizlos beschrieben wird.
Aufgrund der Gewalttaten in der Kindheit und dem Ereignis am 17. Januar 2011 hat die Klägerin Anspruch auf Heil- und Krankenbehandlung gemäß §§ 10 ff. BVG und Anspruch auf eine Beschädigtenrente gemäß § 31 BVG nach einem Grad der Schädigungsfolgen (GdS) in Höhe von 50. […] Die Kammer folgt diesbezüglich der Einschätzung Dr. B.`s.
Mitgeteilt von RAin i.R. Charlotte Spieler, Kiel