STREIT 2/2023
S. 82-84
OLG Celle, §§ 95, 96 FamFG, §§ 890, 891 ZPO
Originäre Verhängung von Ordnungshaft gegen Intensivstalker
Lässt das bisherige (unstreitige) und wiederholte Verhalten des Antragsgegners erkennen, dass ihn die Festsetzung und Vollstreckung eines Ordnungsgeldes von weiteren Verstößen gegen die ergangenen Schutzanordnungen nicht abhalten würde, kommt auch die sofortige Anordnung von Ordnungshaft (vorliegend von 4 Wochen) in Betracht.
(amtlicher Leitsatz, auszugsweise)
Beschluss des OLG Celle vom 30.05.2022 – 21 WF 172/21
Aus dem Sachverhalt:
I. Die Antragstellerin und der Antragsgegner sind miteinander verheiratet und leben seit Januar 2021 voneinander getrennt. Aus der Ehe ist die am 21. Dezember 2018 geborene Tochter G. hervorgegangen, die im Haushalt der Antragstellerin lebt.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Cuxhaven hat dem Antragsgegner mit dem auf Antrag der Antragstellerin ergangenen Beschluss vom 17. September 2021 im Wege der einstweiligen Anordnung, befristet bis zum 17. März 2022, unter anderem untersagt, die Wohnung der Antragstellerin zu betreten, sich der Antragstellerin oder der Wohnung der Antragstellerin auf eine Entfernung von weniger als 50 Metern zu nähern, den Arbeitsplatz der Antragstellerin aufzusuchen und Zusammentreffen mit der Antragstellerin herbeizuführen. Für den Fall der Zuwiderhandlung hat das Amtsgericht die Festsetzung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000 Euro, für den Fall, dass dies nicht beigetrieben werden kann, die Festsetzung von Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten sowie die unmittelbare Festsetzung von Ordnungshaft von bis zu sechs Monaten angedroht. Die Zustellung des Beschlusses erfolgte am 19. September 2021.
Der Antragsgegner suchte die Antragstellerin abgesehen von mehrfachen telefonischen Kontaktaufnahmen ohne Anspruch auf Vollständigkeit unstreitig jedenfalls zu folgenden Zeiten auf:
Am 7. November 2021 gegen 14:45 Uhr schlug der Antragsgegner mit bloßer Hand gegen die Fensterscheibe der Wohnung der Antragstellerin, so dass die Scheibe riss, aber nicht vollständig zerbrach. Er entfernte sich zunächst, erschien aber gegen 15:30 Uhr erneut bei der Wohnung der Antragstellerin.
Am darauffolgenden Tag gegen 16 Uhr sprach der Antragsgegner die Antragstellerin auf deren Rückweg vom Kindergarten an und drohte, die Antragstellerin selbst oder ihr Haus anzuzünden, wenn er die gemeinsame Tochter nicht sehen dürfe. Er drohte, ihr Handy zu zerbrechen, wenn sie die Polizei riefe. Eine Gefährderansprache durch die Polizei wurde beim Antragsgegner durchgeführt.
Einen weiteren Tag später suchte der Antragsgegner die Antragstellerin an ihrer Arbeitsstelle auf. Am Abend desselben Tages war die Antragstellerin nicht zuhause, als der Antragsgegner gegen 22 Uhr auf den Balkon der Wohnung der Antragstellerin sprang und versuchte, die Balkontür einzutreten. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die Schwester der Antragstellerin und das gemeinsame Kind des Antragsgegners und der Antragstellerin in deren Wohnung. Die Polizei führte eine erneute Gefährderansprache durch.
Am 10. November 2021 erschien der Antragsgegner gegen 19:30 Uhr und gegen 22:00 Uhr jeweils bei der Wohnung der Antragstellerin.
Diese beantragte am 11. November 2021 die Verhängung von Ordnungshaft, hilfsweise Ordnungsgeld. Das Amtsgericht hat diesen Antrag dem Antragsgegner mit Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Tagen zugestellt.
Noch am 11. November 2021 wurde der Antragsgegner durch die Polizeiinspektion Cuxhaven zu den Vorfällen vernommen. Eine weitere Gefährderansprache wurde durchgeführt.
Bereits am 14. November 2021 erschien der Antragsgegner gegen 16:30 Uhr wieder bei der Wohnung der Antragstellerin, ebenso am darauffolgenden Tag gegen 16:00 Uhr.
Am 21. November 2021 suchte der Antragsgegner die Wohnung der Antragstellerin um 07:10 Uhr, um 07:50 Uhr und um 10:40 Uhr auf.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Cuxhaven hat mit Beschluss vom 23. November 2021 gegen den Antragsgegner Ordnungshaft von vier Wochen verhängt. […]
Hiergegen wendet sich der Antragsgegner mit seiner sofortigen Beschwerde vom 26. November 2021. Er räumt ein, gegen die Unterlassungsanordnung verstoßen zu haben. Allerdings begehre er, dass statt Ordnungshaft ein Ordnungsgeld verhängt werde. […] Die Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 2021 verbrachte der Antragsgegner unstreitig im Treppenhaus der Antragstellerin.
Mit einem Antrag auf Verlängerung des Beschlusses vom 17. September 2021 trug die Antragstellerin gegenüber dem Amtsgericht mit eidesstattlicher Versicherung vom 16. März 2022 vor, der Antragsgegner habe sie am 27. Februar 2022 aufgesucht und, als sie ihn zum Gehen aufforderte, mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Neben einem Foto hat sie einen Behandlungsbericht der Institutsambulanz Chirurgie der H. Klinik C. GmbH vom selben Datum vorgelegt, wonach bei ihr eine Gesichtsschädelprellung und eine Stirnprellung diagnostiziert wurden. Weiter hat sie eidesstattlich versichert, der Antragsgegner habe am 4. März 2022 gegen 20:45 Uhr und am 10. März 2022 gegen 21:30 Uhr jeweils gegen ihr Schlafzimmerfenster geschlagen sowie am 11. März 2022 gegen ihre Wohnungstür geklopft. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 17. März 2022 die Schutzanordnung um ein Jahr bis zum 17. März 2023 verlängert.
Der Senat hat die Beteiligten am 18. Mai 2022 persönlich angehört. […]
Aus den Gründen:
Der gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 FamFG, §§ 793 ff. ZPO zulässigen, insbesondere nach § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO fristgerecht erhobenen, sofortigen Beschwerde bleibt in der Sache der Erfolg versagt. Die angefochtene Entscheidung ist nicht zu beanstanden.
1. Die objektiven Voraussetzungen für die Festsetzung von Ordnungsmitteln liegen auch nach dem Beschwerdevorbringen vor. […]
Das Amtsgericht hat zu Recht wiederholte Verstöße gegen den Beschluss vom 17. September 2021 angenommen […] Der Senat geht deshalb auch von einer schuldhaften Zuwiderhandlung aus. […]
2. Der angefochtene Beschluss ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Dies gilt insbesondere für die vom Amtsgericht getroffene Auswahl des konkreten Ordnungsmittels.
Zulässige Ordnungsmittel sind nach § 890 Abs. 1 ZPO Ordnungsgeld und Ordnungshaft, wobei auch angeordnet werden kann, dass Ordnungshaft nur für den Fall angeordnet wird, dass das Ordnungsgeld nicht betrieben werden kann. Über die Auswahl des Ordnungsmittels entscheidet das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen (OLG Bremen FamRZ 2018, 289 Rn. 6) im Rahmen dessen, welche Ordnungsmittel angedroht worden sind.
Ein Grundsatz, dass Ordnungshaft nur verhängt werden darf, wenn zuvor Ordnungsgeld verhängt worden war und es zu einem neuen Verstoß gekommen wäre, existiert nicht. Die gesetzliche Vorschrift führt die Ordnungsmittel gleichrangig nebeneinander auf. Allerdings soll Ordnungshaft nur dann als primäre Maßnahme angeordnet werden, wenn die Festsetzung von Ordnungsgeld nicht ausreichend erscheint (Gruber in: MüKo ZPO, 6. Aufl. 2020, § 890 ZPO Rn. 34 m. w. N.; Völker/ Clausius/Wagner in: Kemper/Schreiber, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, § 89 FamFG, Rn. 11; Giers in Keidel FamFG, 20. Aufl. 2020, § 89 Rn. 14b). Dies kann in Fällen hartnäckiger Nachstellungen geboten sein (vgl. Cirullies/Cirullies, Schutz bei Gewalt und Nachstellung, 2. Aufl. 2013, Rn. 44).
Die Ordnungsmittel des § 890 ZPO haben eine Doppelfunktion. Sie dienen sowohl der Prävention als auch der strafähnlichen Sanktionierung pflichtwidrigen Verhaltens des Schuldners. Dabei sind alle Gründe des Einzelfalls, unter anderem Art, Dauer, Umfang und Gefährlichkeit des Verstoßes, der Verschuldensgrad und der Zweck der Ordnungsmittel zu berücksichtigen (OLG Bremen FamRZ 2018, 289 Rn. 6).
Der Senat hat keine Zweifel daran, dass im vorliegenden Einzelfall die bloße Verhängung und Vollstreckung eines Ordnungsgeldes selbst in empfindlicher Höhe den Antragsgegner nicht von weiteren Verstößen gegen die einstweilige Anordnung abhalten würde. Insbesondere aus präventiven Gesichtspunkten kann als Ordnungsmittel deshalb nach Einschätzung des Senats in diesem Fall auch unter besonderer Berücksichtigung des nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verbrieften und durch Art. 104 GG verfahrensrechtlich abgesicherten Freiheitsgrundrechts des Antragsgegners nur die Ordnungshaft in Betracht kommen. Denn jegliche bisherigen Einwirkungen auf den Antragsgegner haben ihn offenbar nicht beeindrucken können, wovon das Amtsgericht zu Recht ausgegangen ist.
So ist ihm zweimal während des kurzen in Rede stehenden Zeitraums vom 7. bis 10. November 2021 durch die Polizeiinspektion Cuxhaven mittels Gefährderansprachen das Unrecht seines Verhaltens vermittelt worden und dennoch suchte er die Wohnung der Antragstellerin am jeweils nächsten Tag erneut auf.
Auch die polizeiliche Vernehmung am 11. November 2021 hat offenbar nicht zu einem Einsehen führen können, denn bereits am 14. November 2021 erschien der Antragsgegner ausweislich der polizeilichen Vermerke erneut bei der Antragstellerin.
Der bloße Erlass des Ordnungshaftbeschlusses am 23. November 2021, der dem Antragsgegner am 25. November 2021 zugestellt wurde, hat offenbar ebenfalls kein Umdenken erzeugen können, denn wenige Tage, nachdem er im Rahmen der sofortigen Beschwerde die Verhängung eines Ordnungsgeldes anstelle von Ordnungshaft beantragt hatte, verbrachte der Antragsgegner nach der eidesstattlichen Versicherung der Antragstellerin vom 7. Dezember 2021 die gesamte Nacht vom 4. auf den 5. Dezember 2021 im Treppenhaus ihres Wohnhauses. Überdies schlug er der Antragstellerin am 27. Februar 2022 nach deren eidesstattlicher Versicherung vom 16. März 2022 in ihrer Wohnung derart mit der Faust ins Gesicht, dass sie eine Gesichtsschädel- und Stirnprellung erlitt.
Das Verhalten des Antragsgegners trotz Gefährderansprachen und selbst während des laufenden Beschwerdeverfahrens lässt in diesem Einzelfall keinerlei Erwartung dahingehend zu, die Vollstreckung eines Ordnungsgeldes könnte den Antragsgegner von weiteren Verstößen abhalten. […] Die angeordnete Dauer von vier Wochen Ordnungshaft erscheint dem Senat unter den vorgenannten Erwägungen im vorliegenden Fall nicht unverhältnismäßig. Ermessensfehler des Amtsgerichts sind nicht erkennbar. […]
Da es sich vorliegend um wiederholte Verstöße nach zweimaliger polizeilicher Gefährderansprache handelt und im vorliegenden Einzelfall die Bedrohungslage ein besonders gravierendes Ausmaß erachtet, bewertet der Senat die angeordnete Dauer als verhältnismäßig.
Dabei berücksichtigt der Senat besonders das deutlich über den Regelfall hinausgehende Maß an Einschüchterung, das der Antragsgegner durch seine konkreten Verhaltensweisen auf Seiten der Antragstellerin auszulösen vermag. So beließ er es am 7. November 2021 nicht bei einem – ebenso rechtwidrigen – Klopfen an die Fensterscheibe, sondern übte offenbar derart Kraft aus, dass die Scheibe riss. Auch das plötzliche Erscheinen zur Nachtzeit des 9. November 2021 auf dem Balkon der Antragstellerin, wohlgemerkt in der dunklen Jahreszeit, hat erhebliches Einschüchterungspotential. Das gilt überdies auch für die besorgniserregend konkrete Drohung am 8. November 2021, die Antragstellerin selbst oder das Haus in Brand zu setzen. Diese besondere Intensität der Verstöße lässt jeden Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der angeordneten Dauer der Ordnungshaft zurücktreten. […]