STREIT 2/2023
S. 80-81
Spaniens Regierung stärkt die Rechte von Frauen
In Spanien wurden in den letzten Monaten zwei Reformpakete verabschiedet, die eine umfassende Stärkung der Rechte von Frauen mit sich brachte. Das umstrittene Gesetzt für die „Garantie der sexuellen Freiheit“ wurde im April 2023 bereits wieder geändert.
Am 7. Oktober 2022 ist das „Nur ein Ja ist ein Ja“- Gesetz zunächst in Kraft getreten. In diesem Rahmen wurde die vorherige Unterscheidung zwischen sexuellem Missbrauch und Aggression aufgehoben und somit das System der Klassifizierung von sexuellen Übergriffen geändert. Es bedarf der ausdrücklichen Zustimmung aller Beteiligten bei sexuellen Handlungen, so dass nicht mehr nachgewiesen werden musste, dass sich die Betroffene gewehrt hat.
Eine Einwilligung liegt nur dann vor, wenn sie frei durch Handlungen zum Ausdruck gebracht wurde, die unter Berücksichtigung der Umstände des Falles eindeutig den Willen der Person zum Ausdruck bringen.
Unter den Begriff der sexuellen Aggression fällt nicht nur die Vergewaltigung, sondern auch Belästigungen, Exhibitionismus, sexuelle Provokation, sexuelle Ausbeutung, der Missbrauch Minderjähriger jeglicher Art, weibliche Genitalverstümmelung, Zwangsehe, Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung sowie die Verbreitung sexueller Gewaltakte in digitalen Medien sowie sexuelle Erpressung etwa in Netzwerken und Chats.
Höhere Haftstrafen sind vorgesehen, wenn die Tat in einer Gruppe erfolgt oder wenn der Aggressor der Partner des Opfers oder mit dem Opfer verwandt ist und wenn die sexuelle Aggression die Verwendung von chemischen Substanzen beinhaltet, um den Willen des Opfers aufzuheben. In diesen Fällen kann das Strafmaß von zwei auf acht Jahre erhöht werden, wenn keine Penetration vorliegt (zuvor fünf bis zehn Jahre), und mit Penetration von sieben auf 15 Jahre (zuvor zwischen 12 und 15 Jahren).
Auch der Femizid wurde ausdrücklich im Gesetz genannt und unter Strafe gestellt. Definiert wird der Begriff als Tötung einer Frau durch einen oder mehrere Männer, weil sie eine Frau ist.
Ziel des Gesetzes „Nur ein Ja ist ein Ja“ war es außerdem, ein ähnliches Schutz- und Betreuungssystem zu schaffen, wie es bereits für die Betroffenen geschlechtsspezifischer Gewalt existiert. Zu diesem Zweck wurden Krisenzentren eingerichtet, die den Betroffenen sexualisierter Gewalt unabhängig von der Erstattung einer Anzeige 24 Stunden täglich das ganze Jahr über zur Verfügung stehen und in denen sie psychologisch, juristisch und sozial betreut werden können.
Zum Schutz der Betroffenen wurden überdies Verfahrensmaßnahmen zur Begleitung der Betroffenen entwickelt, einschließlich der Möglichkeit, in besonderen Räumen getrennt von den Tätern auszusagen.
Unter Strafe gestellt wurde auch das sog. „Catcalling“, das Ansprechen einer anderen Person mit Äußerungen, Verhaltensweisen oder Vorschlägen sexueller Art, die eine objektiv erniedrigende, feindselige oder einschüchternde Situation für das Opfer schaffen, ohne dass es sich dabei um andere, schwerwiegendere Straftaten handelt. Es wurde als Antragsdelikt ins Strafgesetzbuch eingeführt.
Das Gesetz „Nur ein Ja ist ein Ja“ wurde nun bereits kurze Zeit nach Inkrafttreten wieder geändert, da es aufgrund des nun vorgesehenen teilweise geringeren Strafmaßes zu Strafmilderungen und Strafentlassungen kam. Dass der Strafrahmen teilweise herabgesetzt wurde, resultiert aus der neuen Klassifizierung des neuen Gesetzes. Verhaltensweisen, die bisher nicht unter den Straftatbestand fielen, wie beispielsweise das sogenannte Belästigen auf der Straße, wurden mit Strafen am unteren Ende des Strafrahmens belegt.
Einige Gerichte wandten nach Inkrafttreten des Gesetzes den Artikel 2 des spanischen Strafgesetzbuches an, welcher die Rückwirkung derjenigen Strafgesetze vorsieht, die den Straftäter begünstigen, auch wenn zum Zeitpunkt des Inkrafttretens bereits ein rechtskräftiges Urteil ergangen ist und der Betreffende seine Strafe verbüßt. Das „Nur ein Ja ist ein Ja“-Gesetz selbst enthielt keine Regelung, ob es rückwirkend angewandt werden soll. Ein Gericht in La Rioja berief sich allerdings auf die fünfte Übergangsbestimmung des Strafgesetzbuches, in der es heißt „Bei Freiheitsstrafen wird dieses Gesetz nicht als günstiger angesehen, wenn die Dauer der für die Tat mit ihren Umständen verhängten früheren Strafe auch nach dem neuen Gesetzbuch gilt“ und lehnt eine rückwirkende Begünstigung ab.
Die Reform behält den Straftatbestand der sexuellen Aggression bei, führt aber einen Untertyp ein, um zwischen Aggression mit oder ohne Gewalt und Einschüchterung zu unterscheiden. Zu diesem Zweck wurde der strafrechtliche Rahmen geändert. Für sexuelle Nötigung ohne Gewalt sieht das Gesetz nun ein bis vier Jahre Freiheitsentzug vor und für sexuelle Nötigung mit Gewalt oder Einschüchterung sind ein bis fünf Jahre vorgesehen.
Vergewaltigung (penetrative sexuelle Nötigung) ohne Gewaltanwendung wird nun mit vier bis zwölf Jahren, Vergewaltigung mit Gewalt oder Einschüchterung oder gegen den Willen des Opfers mit sechs bis zwölf Jahren Freiheitsentzug bestraft.
Die ursprünglich vorgesehenen Strafverschärfungen bei erschwerenden Faktoren werden beibehalten.
Mit der Reform wird auch der Artikel über Angriffe auf die sexuelle Freiheit von Minderjährigen geändert. So werden die Mindeststrafen für sexuelle Nötigung mit Penetration erhöht von acht auf zwölf Jahre Gefängnis, wenn keine Gewalt oder Einschüchterung vorliegt und der Wille des Opfers nicht überstimmt wurde, und von 12 auf 15 Jahre Gefängnis, wenn einer dieser Umstände vorliegt.
Das ursprüngliche Gesetz verfolgte den Zweck klarzustellen, dass jede nicht einvernehmliche Handlung einen Angriff auf die sexuelle Freiheit darstellt, die im Wesentlichen rechtlich geschützt werden sollte. Patricia Laurenzo, Professorin für Strafrecht an der Universität von Málaga, sieht die Reform als Rückschritt an. Die sexuelle Freiheit wird sowohl mit als auch ohne Gewaltanwendung in genau derselben Weise verletzt. Wenn der Gewalt im Grundtatbestand mehr Bedeutung beigemessen wird, bedeutet dies, dass die Schwere der Verletzung der sexuellen Freiheit davon abhängt, ob auch eine Verletzung der körperlichen Integrität vorliegt. Der Grundtatbestand schützt aber die sexuelle Freiheit, nicht die körperliche Unversehrtheit.
Ein weiteres Reformpaket wurde im Februar 2023 in Spanien verabschiedet. Neben den Änderungen des Personenstandsgesetzes, nach dem nun alle Personen ab 16 Jahren künftig ihren Geschlechtseintrag unbürokratisch ändern lassen können, soll auch das Abtreibungsrecht künftig besser geregelt werden. Das neue Gesetz sieht Schwangerschaftsabbrüche in öffentlichen Gesundheitszentren vor, die Altersgrenze für eine Abtreibung ohne elterliche Zustimmung wurde auf 16 Jahre gesenkt und die bisher geltende dreitägige Bedenkzeit entfällt. Überdies soll die sogenannte „Pille danach“ künftig kostenlos zugänglich gemacht werden und Verhütungsmittel in öffentlichen Einrichtungen künftig frei zugänglich sein.
Auch im Arbeitsrecht erfolgte ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichstellung. Frauen wird dank eines neuen Gesetzes die Möglichkeit gewährt, bei Menstruationsbeschwerden mit entsprechendem ärztlichen Attest Krankheitstage zu nehmen. Das spanische Arbeitsrecht bietet im Krankheitsfall bislang wenig Schutz. Einen Anspruch auf Lohnfortzahlung wie in Deutschland vom ersten Krankheitstag an gibt es nicht. Erst am vierten Tag nach einer Krankschreibung erhalten spanische Beschäftigte eine Entgeltfortzahlung. Diese beträgt dann aber nur 60 Prozent.
Quellen:
Público: Así es la ley del ‚solo sí es sí‘ que ha aprobado el Congreso: https://www.publico.es/mujer/ley-congreso-diputados.html
EL SALTO: Qué ha pasado esta semana con la ‘ley del solo sí es sí’, pregunta a pregunta: https://www.elsaltodiario.com/violencia-sexual/ley-libertad-sexual-rebajas-condenas-resumen-semana
EL SALTO: La Ley del ‘Solo sí es sí’, una reforma necesaria: https://www.elsaltodiario.com/violencia-machista/ley-del-solo-si-es-si-una-reforma-necesaria
EL PAÍS: El Gobierno modificará la ‘ley del solo sí es sí’ para „resolver a futuro los problemas detectados“ https://elpais.com/sociedad/2023-01-28/el-gobierno-modificara-la-ley-del-solo-si-es-si-para-resolver
-a-futuro-los-problemas-detectados.html
NEWTRAL: Aprobada la reforma del PSOE de la ley del ‘solo sí es sí’: claves para entender qué cambia; https://www.newtral.es/aprobada-reforma-psoe-ley-solo-si-es-si-claves/20230426/
SINPERMISO: Violencia e intimidación vs consentimiento; https://sinpermiso.info/textos/violencia-e-intimidacion-vs-consentimiento
Der Spiegel: Spanien führt „Menstruationsurlaub“ ein, https://www.spiegel.de/ausland/spanien-menstruationsurlaub-neues-abtreibungsrecht-und-selbstbestimmungsgesetz-a-708b3acf-7115-417d-919e-e6ba 519e0882