STREIT 2/2023
S. 94-95
Resolution des 47. FJT am 12.–14. Mai 2023 zu den Forderungen afghanischer Frauen an Deutschland und die Weltgemeinschaft
Wir unterstützen die Forderungen der afghanischen Frauen an Deutschland und die Weltgemeinschaft anlässlich des 47. FJT in Frankfurt am Main.
Forderung der afghanischen Frauen anlässlich des 47. Feministischen Juristinnen*tags
Durch die drakonische Politik der Taliban werden Millionen Afghaninnen und Afghanen seit deren erneuten Machtübernahme im August 2021 ihres Rechts auf ein sicheres, freies und würdiges Leben beraubt. Nach dem fluchtartigen Abzug westlicher Kräfte entwickelte sich das Land binnen weniger Monate zum frauenfeindlichsten Land der Welt. Die dort lebenden Menschen, die sich in den vorangegangenen 20 Jahren für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt, mit westlichen Kräften zusammengearbeitet oder einen westlichen Lebensstil angenommen haben, wurden schutzlos zurückgelassen, bedroht durch die menschen- und freiheitsfeindlichen Taliban.
In Afghanistan herrscht eine Art Gender-Apartheid. Frauen haben ihr Recht auf Bildung, politische Teilhabe, Ausübung eines Berufes verloren. In allen Lebensbereichen werden sie diskriminiert, unterdrückt und aus dem öffentlichen Leben gedrängt. Sie dürfen nicht reisen, keinen Sport treiben, nicht einmal Parks oder öffentliche Bäder besuchen. Stattdessen drohen ihnen bei Verstößen gegen die drakonischen Dekrete der Taliban Auspeitschungen und Steinigungen.
Als unsere Verpflichtung sehen wir:
Wir Frauen bitten alle fortschrittlichen Afghaninnen und Afghanen inner- und außerhalb Afghanistans dazu beizutragen, miteinander in den Dialog zu gehen. Wir wollen mit Ihrer Unterstützung Konferenzen und Treffen organisieren, Diskurse führen und Ideen austauschen, um auf der Grundlage kollektiver Entscheidungen und zusammen mit der internationalen Gemeinschaft den Kampf gegen die Geschlechterdiskriminierung, die sich in unserem Land leider in eine sichtbare Geschlechter-Apartheid verwandelt hat, zu führen.
Wir müssen eine Alternative zu dem derzeitigen politischen Zustand in Afghanistan entwickeln. Ziel muss sein, ein legitimes System nach dem Willen des Volkes zu errichten, das auf einer demokratischen Verfassung und auf den Menschenrechten basiert. Afghanische Frauen können in diese Richtung voranschreiten und die Führung und Organisation des Dialogs übernehmen.
Wir fordern die afghanischen Frauen auf, sich mit den aufgeklärten afghanischen Kräften zu solidarisieren, indem sie Streiks, Bürgerproteste und „zivilen Ungehorsam“ starten, um so Druck auf die De-facto-Regierung der Taliban auszuüben.
Um die Realisierung dieser Verpflichtungen benötigen wir die Solidarität der Frauen weltweit.
Deshalb appellieren wir an Deutschland und an die Weltgemeinschaft:
Nutzen Sie Ihre kollektive politische, diplomatische und finanzielle Macht und Ihren globalen Einfluss, um Druck auf die Taliban auszuüben, damit sie einen inklusiven politischen Prozess einleiten und die Menschenrechte aller Menschen respektieren.
Stellen Sie sicher, dass afghanische Frauen bei allen Debatten, Treffen und Konferenzen, die ihr Land und ihre Zukunft betreffen, vertreten sind und dass sie an allen Entscheidungsprozessen (strategisch, programmatisch und politisch), die Afghanistan betreffen, angemessen beteiligt werden.
Stellen Sie sicher, dass Ihre Regierung nicht aufhört, von Taliban die Respektierung der Rechte der Frauen auf alle Bereiche wie ihr Recht auf Bildung, politische Teilhabe, Ausübung eines Berufes zu fordern.
Stellen Sie Plattformen bereit für zivile und politische Gruppen, die sich für eine inklusive Vision für die Zukunft Afghanistans auf der Grundlage des Schutzes und der Förderung der Menschenrechte einsetzen.
Afghanische Schutzsuchende, die in Nachbarländer fliehen mussten und dort oft von Abschiebung nach Afghanistan bedroht sind, sind in das Bundesaufnahmeprogramm einzubeziehen.
Mehr als nur 1.000 Personen monatlich müssen aufgenommen werden, um der tatsächlichen Anzahl der Bedrohten gerecht zu werden.
Die Aufnahme höchst gefährdeter Personen ist in dringenden Einzelfällen durch Erteilung von humanitären Visa nach § 22 S. 2 AufenthG neben einem Bundesaufnahmeprogramm fortzuführen.
Das Ortskräfteverfahren ist so zu reformieren, dass alle Bedrohten, die für Deutschland gearbeitet haben, Schutz finden, unabhängig davon, wie weit die Tätigkeit zurückliegt. Der Begriff Ortskraft muss auch ehrenamtliche oder angeblich selbständige Tätigkeiten für deutsche Institutionen, Organisationen und (Sub-)Unternehmen umfassen.
Der Prozess der Familienzusammenführung aus Afghanistan, der inzwischen fast zum Erliegen gekommen ist, ist zu vereinfachen und zu beschleunigen. Darüber hinaus sollte der Begriff der Familien alle tatsächlich bedrohten Familienmitglieder umfassen, die unter einem Dach leben oder gewohnt haben, unabhängig von der Altersgrenze.
Den Familienangehörigen von in Deutschland lebenden ehemaligen Ortskräften, die sich noch in Afghanistan aufhalten, ist die Aufnahme nach Deutschland zu ermöglichen.
Afghanischen Menschen ist in Deutschland dauerhafter Schutz zu gewähren. Z.B. müssen afghanische Frauen aufgrund der geschlechtsspezifischen Verfolgung die Flüchtlingseigenschaft erhalten, so wie es jüngst die Europäische Asylagentur (EUAA) gefordert hat.