STREIT 3/2018
S. 99-103
Sichere und gute Arbeit für Frauen
Vortrag anlässlich der feierlichen Auftaktveranstaltung zur Konstituierung des Ausschusses für Mutterschutz am 03.07.2018 in Berlin
Mutterschutz verdient gesellschaftlich hohe Aufmerksamkeit 
Der Ausschuss für Mutterschutz muss gebildet werden. So sieht es § 30 des neuen Mutterschutzgesetzes (MuSchG) vor. Ob dies durch schlichte Verwaltungsroutine abläuft oder öffentlichkeitswirksam inszeniert wird, ist sicher nicht nur Geschmacks- oder Ressourcenfrage. Es ist eine erste wichtige Kernbotschaft, die heute von hoher politischer Stelle gesendet und hoffentlich auch medial wirksam verbreitet wird: Der Mutterschutz verdient gesellschaftlich hohe Aufmerksamkeit. Dem wird das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gerecht, wenn es die Konstitution des Ausschusses für Mutterschutz mit der heutigen feierlichen Auftaktveranstaltung würdigt. 
Die Rahmung dieser Festveranstaltung durch zwei einleitende Vorträge gibt Gelegenheit, weitere Kernbotschaften zu vermitteln, denn die Einladung hat angesichts der prominenten Gästeschar offensichtlich ein sehr erfreuliches Echo bewirkt. Das zeigt ein großes Interesse am Mutterschutz über den Kreis der heute zu bestellenden Ausschussmitglieder hinaus. Diese Dialogbereitschaft gilt es, in den nächsten Minuten für einige Vergewisserungen zu nutzen. 
Der Ankündigung entsprechend will ich meine Ausführungen unter die Überschrift „Sichere und gute Arbeit für Frauen“ stellen. Ich darf und will Sie daher auf einen grundsätzlichen, über den Mutterschutz hinausgehenden Streifzug einladen. Der Blick ins Programm zeigt, mit dem anschließenden Vortrag meiner geschätzten Kollegin Marianne Weg zu „Der Ausschuss für Arbeitsschutz – Impulsgeber für den Mutterschutz“ wird es dann in guter Manier auch gewiss konkreter. 
Planung eines Streifzuges 
Welche Schlaglichter dürfen Sie nun von mir erwarten? Mit dem verfassungsrechtlichen Gebot der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern will ich beginnen. Eine historisch reflektierte Vergewisserung des verfassungsrechtlichen Auftrages im Spiegel der gesellschaftlichen Wirklichkeit dient der Orientierung auf dem Boden unseres Grundgesetzes. 
Mit dem Gebot der tatsächlichen Gleichstellung ist die Frage nach spezifisch frauenschützendem Recht eng verknüpft. Doch nicht nur abstrakt will ich zeigen, dass wir sichere und gute Arbeit gerade auch für Frauen brauchen. Mit einigen Beispielen möchte ich verdeutlichen, wo Verantwortlichkeiten für sichere und gute Arbeit für Frauen normativ verankert sind und wo Handlungsbedarf besteht. Spätestens bei diesem Blick in das Feld arbeits- und sozialrechtlicher Regulierung zeigt sich, wie sehr sich die Themen 
- gendergerechter Arbeitsschutz, 
- vereinbarkeitsförderliche Beschäftigungsorganisation und 
- menschengerecht gestaltbare Erwerbsbiografien 
 ähneln und wie eng sie von ihren Instrumenten her miteinander verwoben sind.
Am Ende kann ich die Brücke zu den Aufgaben des Ausschusses für Mutterschutz schlagen, auf den im Zuge dieser Komplexität erhebliche Herausforderungen zukommen werden.
Artikel 3 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz 
Lassen Sie mich mit einigen Worten zu Art. 3 Abs. 2 Satz 2 unseres Grundgesetzes beginnen. Das Bundesverfassungsgericht ist mehrfach von Arbeitgebern angerufen worden, deren Verantwortung für den Mutterschutz zu überprüfen. In einem am 18. November 2003 entschiedenen Verfahren1
 ging es konkret um die Pflicht des Arbeitgebers zur Zahlung seines Zuschusses zum Mutterschaftsgeld. Die wegweisende Entscheidung hat zu einer Verteilung der mutterschutzspezifischen Lohnkostenzuschüsse auf alle Arbeitgeber unabhängig von der tatsächlichen Frauenbeschäftigung, später geregelt im Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG), geführt. Aus Randnummer 209 dieser Entscheidung möchte ich auszugsweise zitieren: 
„Art. 3 Abs. 2 GG stellt ein Gleichberechtigungsgebot auf und erstreckt dieses auch auf die gesellschaftliche Wirklichkeit […]. Es geht um die Durchsetzung der Gleichberechtigung der Geschlechter für die Zukunft. Art. 3 Abs. 2 GG zielt auf die Angleichung der Lebensverhältnisse […]. Frauen müssen die gleichen Erwerbschancen haben wie Männer […]. Das entspricht auch den europarechtlichen und internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik. Sowohl das europäische Gleichstellungsrecht […] wie die völkerrechtlichen Instrumente zum Abbau der Diskriminierung der Frau […] fordern die Beseitigung auch mittelbarer und faktischer Diskriminierungen. […] Die Art und Weise, wie der Staat seine Verpflichtung erfüllt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken, obliegen seiner Ausgestaltungsbefugnis. Er muss jedoch faktische Diskriminierungen, die sich als Folge seiner Regelungen ergeben, so weit wie möglich vermeiden.“
Die verfassungsrechtliche Vorgabe wird also verknüpft mit der staatlichen Pflicht, die konkreten gesellschaftlichen Verhältnisse zu beobachten, und der weiteren Pflicht, erkennbaren tatsächlichen Ungleichheiten mit allen Mitteln entgegenzuwirken. Dieses Programm muss handlungsleitend für alle verantwortlichen Akteure sein, sei es wegen ihrer unmittelbaren Gewährleistungspflicht für Art. 3 Abs. 2 GG, sei es wegen ihrer mittelbaren Bindung an die Gleichstellungspflicht. 
Historie zur Geschlechtergleichstellung 
Das Gewicht dieser Gestaltungsmaxime lässt sich im historischen Kontext noch besser bemessen: Im Kampf um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern konnte schon vor ca. einhundert Jahren mit der grundsätzlich gleichen Anerkennung staatsbürgerlicher Rechte von Männern und Frauen in der Weimarer Reichsverfassung ein erstes Etappenziel verbucht werden. Aber selbst nach der Verankerung der Gleichstellung von Frau und Mann im Grundgesetz der BRD wie auch in der Verfassung der DDR blieben die gesellschaftlichen Verhältnisse, wenngleich in beiden deutschen Staaten in unterschiedlicher Intensität, lange unverändert. Immerhin führte die hohe Erwerbsbeteiligung der Frauen in der DDR zwangsläufig zu einer hohen Relevanz der Frage nach einer Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Bis heute zeigen die Zahlen über weibliche Erwerbsbeteiligungen und über öffentliche Betreuungsangebote ein nicht unwesentliches Gefälle von Ost nach West. Aber selbst nach Ergänzung des für das wiedervereinigte Deutschland geltenden Art. 3 Abs. 2 GG um Satz 2 mit der oben bereits erwähnten Pflicht zur tatsächlichen Geschlechtergleichstellung im Jahr 1994 sind in Deutschland annähernd gleiche Lebensverhältnisse von Frauen und Männern längst nicht erreicht. 
Verschiedene Berichte der Bundesregierung, u.a. der 2. Gleichstellungsbericht,2
 liefern eindrückliche Fakten. Frauen haben danach geringere Erwerbs- und Einkommenschancen, höhere Armutsrisiken, vor allem im Alter, und dies in Abhängigkeit von ihrer sozialen Rolle als Mutter, als alleinstehende Mutter und noch mehr als alleinstehende Mutter eines behinderten Kindes. 
Hieraus lässt sich nur schlussfolgern: es ist dringend an der Zeit, die im 2. Gleichstellungsbericht ebenso konkret formulierten Vorschläge für sichere und gute Arbeit in der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis zu nehmen,3
 sie sachlich zu diskutieren und die verantwortlichen Akteure in die Gestaltungspflicht4
 zu nehmen. 
Lassen Sie mich diesen verfassungsrechtlichen Streifzug mit einem Gedanken zur menschenrechtlichen Dimension von weiblicher Erwerbsarbeit beenden. Im Laufe unserer Geschichte waren Frauen je nach Arbeitskräftebedarf mehr oder weniger in- oder von der Erwerbswelt exkludiert. Im schlimmsten Fall waren sie Ersatz für im Krieg eingesetzte oder gebliebene Männer, denen sie nach Kriegsende den Platz wieder frei zu machen hatten. 
Arbeit ist ein Menschenrecht für alle Menschen, unabhängig von Geschlecht, Alter, Behinderung oder Herkunft, um nur einige typische Anknüpfungsmerkmale für diskriminierende Benachteiligungen zu nennen. Tatsächliche Gleichstellung muss losgelöst von konjunkturellen oder sonstigen volkswirtschaftlichen Phänomen verwirklicht werden. Frauen sind keine volkswirtschaftliche Reserve. 
Die arbeits- und sozialgesetzliche Konkretisierung des Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG 
Wie verhält sich nun das Gleichstellungsgebot zu spezifischen Rechten für Frauen im Arbeits- und Sozialrecht? Auch hierauf finden wir theoretische und inzwischen auch praktische Antworten. Dort, wo biologisch oder genderspezifisch unterschiedliche Ausgangslagen bestehen, muss auch das Recht spezifische Antworten geben. Der Mutterschutz ist insoweit eine Selbstverständlichkeit, über die hier gewiss nicht diskutiert werden muss. 
Doch schon die Einsicht in einen geschlechtsspezifischen Arbeitsschutz ist nicht mehr selbstverständlich. Zurecht verbietet das Gleichstellungsrecht Regeln, die Frauen wegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit vom Arbeitsmarkt aussperren oder benachteiligen. Die früheren, inzwischen abgeschafften Nachtarbeitsverbote allein für Frauen5
 sind beredtes Beispiel für derart diskriminierendes Frauenarbeitsschutzrecht. Wenn allerdings verantwortliche Arbeitsschutzakteure für die besonderen Belange von Frauen oder Männern, Jungen oder Alten, Teil- oder Vollzeitarbeitenden, befristet oder unbefristet Beschäftigten nicht sensibilisiert sind, dann kann ein menschengerechter Arbeitsschutz nicht wirken. Denken Sie nur an die unterschiedlichen Fertilitätsrisiken von Männern und Frauen. Es bedarf deshalb gerade im Hinblick auf Gesundheitsschutz einer besonderen Sensibilität für die spezifischen Bedarfe von Frauen und Männern.6
 
Neben biologischen sind auch soziologische Geschlechterunterschiede zu beachten. Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG verlangt wegen des Verbotes der mittelbaren Diskriminierung,7
 die bis heute überwiegend von Frauen geleistete Sorgearbeit bei der Gestaltung von Arbeitsbedingungen und sozialer Absicherung zu berücksichtigen.8
 Ein einfaches Beispiel: Wer Elternzeit beansprucht, darf nicht benachteiligt werden.9
 Doch wissen wir aus der Soziologie und Familienforschung inzwischen, dass es ganz erheblicher zusätzlicher Anreize bedarf, um auch tatsächlich eine geschlechtergerechte Verteilung von Sorgearbeit zu erreichen. 
Und damit kann ich zum dritten Aspekt meines Vortrages kommen: Was sind heute sichere und gute Arbeitsbedingungen für Frauen in diesem auf tatsächliche Gleichstellung abzielenden Sinn? 
Diskriminierungsfreier und gleichstellungssensibler Mutterschutz 
Es ist bereits angeklungen. Da wäre zunächst das Mutterschutzrecht selbst. Viel zu lange war das seit der europäischen Mutterschutzrichtlinie aus dem Jahr 1992 für Deutschland verbindliche Leitbild eines diskriminierungsfreien Mutterschutzes in unserer Rechtsordnung nicht transparent genug umgesetzt. Die bis Ende 2017 gültige Mutterschutzarbeitsplatzverordnung stand mit ihren modernen und gleichstellungsfördernden Regelungen im diametralen Widerspruch zum Mutterschutzgesetz. Das Mutterschutzgesetz alter Fassung mit seinen dominierenden Beschäftigungsverboten gab trotz vom Gesetzgeber beabsichtigter Angleichung des deutschen an das Europäische Recht den Ton an. Die neuen Regeln zur mutterschutzspezifischen Gefährdungsbeurteilung, zur Unterrichtung aller Frauen im Betrieb über die Ergebnisse der Gefährdungsbeurteilung und zur gestuften Anpassungspflicht des Arbeitgebers wurde in den Betrieben kaum umgesetzt und auch von Aufsicht und Gerichten nicht durchgesetzt.10
 
Umso mehr ist die Verabschiedung eines neuen Mutterschutzgesetzes unter Einschluss sämtlicher Instrumente des betrieblichen Arbeitsschutzes zu begrüßen. Zu begrüßen ist auch die klare Formulierung in § 1 des neuen Mutterschutzgesetzes über das Leitbild eines diskriminierungsfreien Gefährdungsschutzes. Dies muss allen verantwortlichen Akteuren zentrale Richtschnur der Umsetzung sein. Die Herausforderungen für die Praxis sind groß. Nüchtern konstatiert ist es jahrzehntelang versäumt worden, mutterschutzspezifische gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse zu ermitteln. Der Nachholbedarf kann nicht über Nacht kompensiert werden. Gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse bedürfen großer Expertise und ebenso großer Sorgfalt. Dennoch darf diese Einsicht nicht zu einer weiteren Blockade der Umsetzung des neuen Leitbildes führen.11
 
Die präventive Anpassung der Arbeitsumwelt an den Menschen und nicht umgekehrt ist ein Grundprinzip des betrieblichen Arbeitsschutzes. Wird diese Anpassung, wie von § 4 Nr. 6 ArbSchG verlangt, auch zugunsten schwanger, jüngst entbundener und stillender Frauen verwirklicht, dann ergeben sich vielfältige Synergien zwischen dem mutterschutzspezifischen und dem genderspezifischen Arbeitsschutz. Es wird schon ein Meilenstein erreicht sein, wenn wir allein diesen Grundsatz der mutterschutzspezifischen Anpassung der Arbeitsbedingungen in den Betrieben und Dienststellen, Schulen und Hochschulen breit platzieren und dort planerische und organisatorische Maßnahmen anstoßen können. 
Würdige und Privat- wie Familienleben schützende Arbeitsbedingungen 
Lassen Sie uns noch eine letzte, wichtige Etappe auf unserem Streifzug beschreiten. Beim Blick auf Stand und Hindernisse für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichstellung von Männern und Frauen müssen sonstige Grund- und Menschenrechte gleichermaßen bedacht werden. In der Europäischen Grundrechtecharta ist in Art. 31 vom Recht auf sichere und würdige Arbeitsbedingungen die Rede. Art. 33 Abs. 1 der EU-Grundrechtecharta spricht davon, den rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Schutz der Familie zu gewährleisten. In Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention wird das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens garantiert. 
Warum führe ich dies hier an? Weil es um die Vergewisserung über gute Arbeit geht. Selbstverständlich kann über die Verbote der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung viel erreicht werden, solange Frauen noch überwiegend Sorgearbeit leisten und deshalb von Erwerbsteilhabe ausgeschlossen sind.12
 Es kann inzwischen auch einiges über die geschlechtsunabhängigen Rechte zur Vereinbarkeit von Beruf und Familienleben erreicht werden.13
 Erwähnt werden können hier die Ansprüche auf Elternzeit, Elternteilzeit oder Pflegezeit und Pflegeteilzeit. Hier ist in der jüngeren Vergangenheit vieles, auch unter Verantwortung des BMFSFJ vorangebracht worden. 
Gleichwohl darf nicht übersehen werden, woran es nach wie vor vielerorts fehlt: an einer flexiblen Gestaltung notwendiger Anpassungen in den Betrieben und im Einzelfall. Im Zuge meiner wissenschaftlichen Forschungen habe ich einen rechtspolitischen Forderungskatalog zusammengestellt,14
 den ich hier direkt für auszumachende Reserven guter Arbeit für Frauen wiedergeben kann. 
Uns fehlt ein im Arbeitsvertragsrecht klar formuliertes Leitbild für die Pflicht zur Familienfreundlichkeit im Arbeitsleben. Vergleichbar dem neuen § 1 des neuen Mutterschutzgesetzes wäre eine solche Prämisse innerhalb der Regeln zum Arbeitsvertrag in §§ 611a BGB f. gut zu platzieren. Mit einer solchen konkret normierten Pflicht zur Berücksichtigung familiärer Sorgepflichten ließen sich die ansonsten nur für Rechtsexperten bekannten Wege über die grundrechtskonforme Ausgestaltung des Weisungsrechts des Arbeitgebers15
 für alle Beschäftigten sichtbar machen. 
Uns fehlt eine klare Regelung über gesicherte Rückkehrrechte nach familienbedingten Auszeiten. Die aufgrund unionsrechtlicher Richtlinien umzusetzenden Vorgaben verlangen von Deutschland transparente Normen über ein Rückkehrrecht nach Elternzeit oder Mutterschaftsurlaub an denselben und nur nachrangig an einen vergleichbaren Arbeitsplatz. Bislang fehlen konkrete Normen. Es sind genau diese Unsicherheiten, die vor allem auch Väter nach wie vor von längeren Auszeiten abhalten.16
Die Elternurlaubsrichtlinie formuliert Dialogpflichten während der Auszeit. In unserem Recht eine Fehlanzeige.17
 
Die europäischen Richtlinien formulieren konkrete Benachteiligungsverbote bei sorgebedingten Auszeiten. Im deutschen Recht eine Fehlanzeige.18
Gute Arbeit muss gerade auch für die heute zunehmend befristet Beschäftigten gelten. Der allgemein und aus gutem Grund hoch gehaltene Kündigungsschutz während des Mutterschutzes läuft bei befristeten Arbeitsverhältnissen weitgehend leer.19
 Intelligente Anregungen für einen gewissen Bestands- und Verlängerungsschutz bei Schwangerschaft/Elternzeit auch zugunsten befristet Beschäftigter liefern die familienfreundlichen Regeln im Wissenschaftszeitvertragsgesetz.20
 Auch der EuGH schließt die analoge Anwendung des Kündigungsverbots bei Auslaufen einer Befristung aus und prüft allein eine evtl. Diskriminierung bei Nichtverlängerung.21
 
Kaum abgebildet sind im Normenbestand des nationalen Arbeitsrechts die besonderen Schutzbedürfnisse von Eltern behinderter Kinder, obwohl auch hierzu das europäische Recht zwingende Vorgaben macht.22
 
Die Privilegierung familienbedingter Arbeitszeitwünsche, z.B. in Gestalt befristeter Teilzeit, wie sie nun im neuen Regierungsentwurf23
 vorgesehen ist, muss auch Beschäftigten in Kleinbetrieben eröffnet werden. 
Zu guter Letzt will ich angesichts der aktuellen Debatte vor einer Lockerung der Ruhenszeiten im Arbeitszeitrecht warnen.24
 Die Untersuchungen der BAuA zeigen, dass die Entgrenzung der Arbeitszeit nicht allein ein Risiko für die individuelle Gesundheit der Beschäftigten, sondern vor allem auch ein Risiko für familiale und soziale Ressourcen darstellt.25
Resümee 
Was lässt sich mit dieser kompakten Auswahl nun verdeutlichen? Ich meine, mindestens Zweierlei: 
Gute Arbeit für Frauen eröffnet Spielräume, nicht nur um deren tatsächliche Gleichstellung im Erwerbsleben zu ermöglichen, sondern auch, um ihnen die Freiheit zur selbstbestimmten Familienplanung und Lebensgestaltung zu sichern. Diese Spielräume müssen durch arbeitsrechtliche Gestaltungsoptionen und korrespondierende echte Rechtspflichten der Arbeitgeber ermöglicht werden.26
 Vergleichbar dem Ressourceneinsatz zur Herstellung eines inklusiven Arbeitsmarktes zur Teilhabesicherung behinderter Menschen27
 ist ein umfassender Maßnahmenkatalog zur familiengerechten und damit zur guten Erwerbsarbeit für Frauen aufzustellen und umzusetzen.
Die politischen Herausforderungen richten sich auch an das BMFSFJ. § 30 MuSchG auferlegt dem BMFSFJ nicht nur die Verantwortung für den Ausschuss für Mutterschutz. Das Gesetz verlangt die Abstimmung einmal zwischen dem Ministerium mit verschiedenen anderen Ressorts (gem. § 30 Abs. 2 und Abs. 4 MuSchG) und vom Ausschuss selbst mit den sonstigen Arbeitsschutzausschüssen (gem. § 30 Abs. 3 S. 2 MuSchG). Wie beispielhaft in der aktuell laufenden „Konzertierten Aktion Pflege“28
 muss das BMFSFJ auch im Bereich des Mutterschutzes in Kooperation mit den anderen Ressorts dazu beitragen, dass die Leitprinzipien des neuen MuSchG und die damit verbundenen Gestaltungsinstrumente zu guten Beispielen für gute Arbeit von Frauen im individuell dynamisch sich ändernden Lebenslauf werden. Gute Arbeit für Frauen muss als Querschnittsaufgabe in allen sozialen und wirtschaftlichen Zusammenhängen mitgedacht werden. Die großen Herausforderungen im Bereich der Pflege belegen exemplarisch sehr eindrücklich die gesamtgesellschaftliche Dimension guter Arbeitsbedingungen.29
 Unternehmen und sonstige Arbeitsschutzverantwortliche, die mithilfe gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse für eine aktive Gestaltung des Leitbildwechsels zum Schutz von schwangeren, stillenden und jüngst entbundenen Frauen gewonnen werden können, sind zugleich Pioniere, wenn Arbeitsbedingungen im weiteren Lebensverlauf von Beschäftigten stets aufs Neue präventiv beurteilt und angepasst werden müssen. Der Mutterschutz ist nur ein erstes, wenn auch ganz besonderes Feld für vereinbarungsfördernde Lernprozesse. 
Dem Haus und dem Ausschuss wünsche ich viel Erfolg in der Wahrnehmung seines hierzu gesetzlich formulierten Auftrages.
- BVerfG, 18.11.2003, 1 BvR 302/96, BVerfGE 109, 64 mit Anm. Eichenhofer BB 2004, 382. ↩
- BT-Drs. 18/12840. ↩
- BT-Drs. 18/12840, S. 239 ff. ↩
- Vgl. schon Nebe, Vereinbarkeit von Familie und Beruf – ein Thema für Tarifvertrags- und Betriebsparteien?, in: Festschrift für Bepler, München 2012, S. 439. ↩
- EuGH, 25.7.1991, C-345/89, Rs. Stöckel, AuR 1992, 186 sowie BVerfG , 28.1.1992, 1 BvR 1025/82, NZA 1992, 270, mit gemeinsamer Anm. Colneric NZA 1992, 393. ↩
- Zum genderspezifischen Arbeits- und Gesundheitsschutz anschaulich GFMK, Geschlechtergerechte Praxis im Arbeitsschutz und in der betrieblichen Gesundheitsförderung, Juni 2011, download unter https://soziales.hessen.de/sites/default/files/media/hsm/gfmk_bericht2011.pdf; Weg/Stolz-Willig (Hrsg.), Agenda Gute Arbeit: geschlechtergerecht!, 2014, VSH. ↩
- Dazu grundlegend Fuchsloch, Das Verbot der mittelbaren Geschlechtsdiskriminierung, Baden-Baden 1995. ↩
- Vgl. nur BVerfG, 5.4.2005, 1 BvR 774/02 BVerfGE 113, 1 ff. mit Anm. Schlegel, jurisPR-SozR 24/2005 Anm. 1. ↩
- Vgl. jüngst BVerfG, 08.06.2016, 1 BvR 3634/13, NZA 2016, 939. ↩
- Dazu schon Nebe, Betrieblicher Mutterschutz ohne Diskriminierungen, 2005. ↩
- Zur adäquaten Gestaltungsverantwortung Beetz in Hk-ArbSchR, 2. A., Betrieblicher Mutterschutz, Rn. 22 ff. ↩
- Dazu allgemein Rust in Rust/Falke, AGG, Berlin 2007, § 3 Rn. 29 ff., § 7 Rn. 1 ff. ↩
- Vgl. nur die EU-Kompetenz gem. Art. 153 Abs. 1 S. 1 lit i) AEUV und die hierauf basierende Elternurlaub-RL 2010/18/EU, die in ihren Erwägungsgründen wie auch in der Präambel der zugrundeliegenden Rahmenvereinbarung Elternurlaub neben Chancengleichheit und Gleichbehandlung die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders hervorhebt. ↩
- Vgl. Nebe, Gesetz zur Neuregelung des Mutterschutzrechts, Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMFSFJ (Stand 3.3.2016 – leicht gekürzt), gemeinsam mit Dagmar Hertle und Karin Bergdoll, STREIT Heft 4/2016, S. 165-174, Download unter https://www.akf-info.de/portal/wp-content/uploads/2016/04/Stellungnahme-zur-Novellierung-des-Mutterschaftsgesetzes-im-April-2016-1.pdf. ↩
- Dazu ArbG Wiesbaden, 30.10.2008, 5 Ca 632/08, mit zust. Anm. Feldhoff jurisPR-ArbR 30/2009 Anm. 1; grundlegend Feldhoff in: jurisPK Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kap. 8.3 Rn. 48, m.w.N. ↩
- Umfassend dazu Kiesow, Die Rückkehr an den früheren Arbeitsplatz und Arbeitsarrangements, Baden-Baden 2018, S. 59 ff. ↩
- Dazu Kiesow a.a.O., S. 79 ff., 195 f., 265, 297, deutlich S. 412. ↩
- Zum Rückgriff auf die Methode der richtlinienkonformen Auslegung Kohte, „Return to work“ – europäische Impulse und deutsche Handlungsmöglichkeiten, FS für Pfarr, S. 489, 498. ↩
- Zum Rückgriff auf die Methode der richtlinienkonformen Auslegung Kohte, „Return to work“ – europäische Impulse und deutsche Handlungsmöglichkeiten, FS für Pfarr, S. 489, 498. ↩
- Dazu Preis/Ulber, WissZeitVG, § 2 Rn. 62 ff., 187 ff.; Nebe in Däubler/Deinert/Zwanziger, WissZeitVG, 10. A., § 2 Rn. 15 ff., 40. ↩
- Vgl. EuGH, 4.10.2001, C-438/99, Rs. Melgar, Slg. 2001, I-6915 mit Anm. Schlachter ZESAR 2003, 40. ↩
- Vgl. Rosendahl, Der Fall Coleman und seine Auswirkungen auf das britische Gleichbehandlungsrecht, Beitrag B12-2011 unter www.reha-recht.de; Anna-Lena Hoffmann, Kollision von Arbeits- und Elternpflicht, RP Reha 2016, Heft 1, S. 54 ff. ↩
- Regierungsentwurf zur Brückenteilzeit unter http://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/PDF-Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-weiterentwicklung-teilzeitrecht.pdf;jsessio-nid=4B86989F4B4D3A0AD7C089A2A0F07A8D?__blob=publicationFile&v=2. ↩
- Vgl. die instruktive Stellungnahme von Kohte zur Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales des Dt. Bundestags am 25.06.2018 zum Thema „Änderung des Arbeitszeitrechts“, Ausschussdrucksache 19(11)83, S. 5, 8 f. ↩
- Vgl. BT-Drs. 18/8587, S. 15-17 unter Verweis auf die Untersuchungen von BAuA und BBiB. ↩
- Groskreutz/Kocher/Nassibi/Paschke/Schulz/Welti/Wenckebach/Zimmer, Das Recht auf eine selbstbestimmte Erwerbsbiografie, Baden-Baden 2013. ↩
- Zu den Wirkungen der UN-BRK und der Staatenprüfung das BTHG mit dem Ziel, den Gestaltungsanforderungen gerecht zu werden, BT-Drs. 18/9522, S. 1 ff. ↩
- Dazu https://www.bundesgesundheitsministerium.de/konzertierte-aktion-pflege.html. ↩
- Vgl. schon Nebe, FS für Pfarr, S. 416 ff. ↩