STREIT 2/2017
S. 65-67
BGH, §§ 138, 1572, 1578b Abs. 1 BGB
Sittenwidrigkeit eines Ehevertrages
Zu den objektiven und subjektiven Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit eines Ehevertrags aufgrund einer Gesamtschau der zu den Scheidungsfolgen getroffenen Regelungen im Fall der sog. Unternehmerehe (im Anschluss an Senatsbeschluss vom 29.1.2014 – XII ZB 303/13 und Senatsurteil vom 31.10.2012 – XII ZR 129/10).
Beschluss des BGH vom 15.3.2017 – XII ZB 109/16
Aus den Gründen:
I.
Die Beteiligten sind geschiedene Ehegatten. Sie streiten im restlichen Scheidungsverbund noch um nachehelichen Unterhalt und den Versorgungsausgleich.
Die Beteiligten heirateten im März 1993. Aus der Ehe ist eine am 3.12.1995 geborene Tochter hervorgegangen. Die Ehegatten schlossen am 28.12.1995 einen notariellen „Ehevertrag und Erbverzicht“. Darin vereinbarten sie zum nachehelichen Unterhalt Folgendes:
„Die Ehegatten verzichten gegenseitig auf nachehelichen Unterhalt und nehmen den Verzicht gegenseitig an. Ausgenommen hiervon ist der Fall, dass ein Ehegatte nach den gesetzlichen Vorschriften, derzeit §§ 1570, 1572 Nr. 2 BGB, Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes verlangen könnte. Mit dem Abschluss der Kinderbetreuung tritt der Verzicht wieder in Kraft. Im Anschluss an die Kindesbetreuung kann der Unterhalt aus anderen gesetzlichen Gründen nicht verlangt werden.
Sobald das jüngste der gemeinschaftlichen Kinder das 18. Lebensjahr vollendet hat, endet in jedem Fall der Anspruch auf Zahlung von Unterhalt wegen Betreuung eines Kindes nach den vorstehenden Bestimmungen, bzw. wird beiderseitig hierauf verzichtet. Auf die nach der Rechtsprechung gegebenen Beschränkungen dieses Ausschlusses von Unterhalt, wenn ein Ehegatte ohne Leistung von Unterhalt anderenfalls Sozialhilfe in Anspruch nehmen müsste, wurde hingewiesen.
Des Weiteren begrenzen wir hiermit die Höhe etwaiger vorstehender Ansprüche eines geschiedenen Ehegatten gegen den anderen wie folgt: Der monatliche geschuldete nacheheliche Unterhalt beträgt höchstens 3.000 DM […] monatlich. … .“
Darüber hinaus schlossen die Ehegatten in dem Vertrag einen Zugewinnausgleich und den Versorgungsausgleich aus.
Hintergrund für den Abschluss des notariellen Ehevertrags war eine Umstrukturierung des der Mutter des Ehemanns gehörenden Unternehmens. Dieses wurde von einem Einzelunternehmen in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, von der nach den Feststellungen des OLG zunächst 12 % der Geschäftsanteile auf den Ehemann übertragen werden sollten. Nach dessen Angaben hatte seine Mutter die Übertragung der Geschäftsanteile vom Abschluss des Ehevertrags abhängig gemacht. Die Mutter des Ehemanns übertrug diesem 2008 weitere 33 % der Geschäftsanteile sowie 45 % auf dessen Schwester und behielt ihrerseits noch 10 % der Geschäftsanteile.
Die Ehegatten trennten sich im November 2011. Der Scheidungsantrag des Ehemanns ist der Ehefrau im November 2012 zugestellt worden. Die Scheidung ist seit dem 25.11.2014 rechtskräftig.
Die 1969 geborene Ehefrau absolvierte nach Erwerb des qualifizierten Hauptschulabschlusses eine Lehre zur Bürokauffrau und übte den Beruf bis zur Eheschließung aus. Nach der Eheschließung wechselte sie ihren Arbeitsplatz und arbeitete bis 1995 sowie von 1998 bis 2008 im Familienunternehmen überwiegend in Teilzeitbeschäftigung als Sekretärin.
Aufgrund einer erstmals 1997 diagnostizierten Multiplen Sklerose ist die Ehefrau zu 100 % schwerbehindert und in Pflegestufe II eingestuft. Sie bezieht seit 2008 eine Erwerbsminderungsrente von derzeit monatlich 777 Euro und ist Inhaberin eines Aktiendepots mit einem Wert von rund 46.000 Euro.
Der 1963 geborene Ehemann erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb, Vermietung und Verpachtung sowie aus Kapitalvermögen. Er leistet Unterhalt an die volljährige Tochter, die Studentin ist.
Die Ehefrau beruft sich auf eine Unwirksamkeit des Ehevertrags und hat im Scheidungsverbundverfahren Ehegattenunterhalt wegen Krankheit, bestehend aus Elementar- und Altersvorsorgeunterhalt, geltend gemacht. 
Das AG hat die Ehe der Beteiligten geschieden, den Unterhaltsantrag abgewiesen und zudem ausgesprochen, dass ein Versorgungsausgleich nicht stattfinde. 
Auf die von der Ehefrau hinsichtlich der Folgesachen Versorgungsausgleich und nachehelicher Unterhalt eingelegte Beschwerde hat das OLG den Versorgungsausgleich durchgeführt und den Ehemann zu gestuften Unterhaltszahlungen verpflichtet. Dagegen richtet sich dessen Rechtsbeschwerde, mit welcher er die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses erstrebt.
Soweit die Rechtsbeschwerde sich gegen die im angefochtenen Beschluss enthaltene Entscheidung zum Versorgungsausgleich richtet, ist sie unzulässig. Insoweit fehlt es an der nach § 70 Abs. 1 FamFG erforderlichen Zulassung durch das OLG. […] Soweit die Rechtsbeschwerde sich gegen die Verpflichtung zur Zahlung nachehelichen Unterhalts wendet, ist sie unbegründet. […]
II
a) Der Ausschluss der einzelnen Scheidungsfolgen vermag allerdings jeweils für sich genommen im vorliegenden Fall den Vorwurf der Sittenwidrigkeit noch nicht zu begründen. […]
b) Selbst wenn die ehevertraglichen Einzelregelungen zu den Scheidungsfolgen jeweils für sich genommen den Vorwurf der Sittenwidrigkeit nicht zu rechtfertigen vermögen, kann sich ein Ehevertrag nach ständiger Rechtsprechung des Senats im Rahmen einer Gesamtwürdigung als insgesamt sittenwidrig erweisen, wenn das Zusammenwirken aller in dem Vertrag enthaltenen Regelungen erkennbar auf die einseitige Benachteiligung eines Ehegatten abzielt (vgl. Senatsbeschluss vom 29.1.2014 – XII ZB 303/13 = NJW 2014, 1101 = FamRZ 2014, 629 Rn. 38; Senatsurteile vom 12.1.2005 – XII ZR 238/03 = NJW 2005, 1370 = FamRZ 2005, 691, 693 und vom 9.7.2008 – XII ZR 6/07 = NJW 2008, 3426 = FamRZ 2008, 2011 Rn. 20 f.).
Das Gesetz kennt zwar keinen unverzichtbaren Mindestgehalt an Scheidungsfolgen zugunsten des berechtigten Ehegatten, so dass auch aus dem objektiven Zusammenspiel einseitig belastender Regelungen nur dann auf die weiter erforderliche verwerfliche Gesinnung des begünstigten Ehegatten geschlossen werden kann, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass sich in dem unausgewogenen Vertragsinhalt eine auf ungleichen Verhandlungspositionen basierende einseitige Dominanz eines Ehegatten und damit eine Störung der subjektiven Vertragsparität widerspiegelt. Auch eine lediglich auf die Einseitigkeit der Lastenverteilung gegründete tatsächliche Vermutung für die subjektive Seite der Sittenwidrigkeit lässt sich bei familienrechtlichen Verträgen nicht aufstellen. Ein unausgewogener Vertragsinhalt mag zwar ein gewisses Indiz für eine unterlegene Verhandlungsposition des belasteten Ehegatten sein. Gleichwohl wird das Verdikt der Sittenwidrigkeit in der Regel nicht gerechtfertigt sein, wenn außerhalb der Vertragsurkunde keine verstärkenden Umstände zu erkennen sind, die auf eine subjektive Imparität hindeuten, insbesondere infolge der Ausnutzung einer Zwangslage, sozialer oder wirtschaftlicher Abhängigkeit oder intellektueller Unterlegenheit (vgl. Senatsbeschluss vom 29.1.2014 – XII ZB 303/13 = NJW 2014, 1101 = FamRZ 2014, 629 Rn. 39; Senatsurteile vom 31.10.2012 – XII ZR 129/10 = NJW 2013, 380 = FamRZ 2013, 195 Rn. 24 und vom 21.11.2012 – XII ZR 48/11 = NJW 2013, 457 = FamRZ 2013, 269 Rn. 27).
aa) Übereinstimmend mit diesen Maßstäben ist das OLG im vorliegenden Fall in objektiver Hinsicht von einer die Ehefrau einseitig benachteiligenden Regelung ausgegangen.
Mit dem Alters- und Krankheitsunterhalt sind von der Senatsrechtsprechung dem Kernbereich der Scheidungsfolgen zugeordnete Unterhaltstatbestände ausgeschlossen worden. Insoweit war schon bei Vertragsschluss mit höherer Wahrscheinlichkeit auf Seiten der wirtschaftlich schwächeren und insoweit unzureichend abgesicherten Ehefrau eine spezifische Bedürfnislage absehbar. Auch war mit ehebedingten Einkommens- und Versorgungsnachteilen nur auf Seiten der Ehefrau zu rechnen, die die Kinderbetreuung und Haushaltsführung übernahm. Zudem stand fest, dass der Ehemann seine Altersversorgung nahezu ausschließlich auf eine private Vermögensbildung stützte, an welcher die Ehefrau aufgrund des Ausschlusses des Zugewinnausgleichs nicht partizipieren konnte. Im Unterschied zu einem vor Eheschließung abgeschlossenen Ehevertrag verzichtete die Ehefrau im vorliegenden Fall auf in der bestehenden Ehe bereits erlangte Rechtspositionen, ohne dass ihr hierfür von Seiten des Ehemanns eine Kompensation geleistet wurde. 
Dass der Ausschluss des Versorgungsausgleichs aus damaliger Sicht für sie – in beschränktem Ausmaß – vorteilhaft gewesen sein mag, ändert nichts daran, dass ihr durch die Übernahme der Familienarbeit Versorgungsnachteile entstanden, die durch Kindererziehungszeiten nicht hinreichend kompensiert wurden. Die von den Ehegatten getroffenen Regelungen gereichen somit in objektiver Hinsicht weit überwiegend zum Nachteil der Ehefrau.
bb) Auch in subjektiver Hinsicht ist die aufgrund der getroffenen Feststellungen vorgenommene Würdigung des OLG nicht zu beanstanden.
Die Ehefrau war danach in die Verhandlungen, die dem Abschluss der Verträge vorausgingen, nicht mit eingebunden. Sie hatte keinen Einfluss auf die Vertragsgestaltung und ihr wurde vor dem Abschluss des Ehevertrags kein Vertragsentwurf zur Verfügung gestellt. Im Notartermin wurde der Vertrag zwar vorgelesen, von ihr aber unterschrieben, ohne diesen Vertrag zum Durchlesen in der Hand gehabt zu haben. Das OLG hat daraus zu Recht den Schluss gezogen, dass die Ehefrau gegenüber dem Ehemann und dessen Verwandten in einer unterlegenen Verhandlungsposition gewesen sei und eine lediglich passive Rolle eingenommen habe. Dass diese Konstellation letztlich auf der wirtschaftlichen und sozialen Überlegenheit des Ehemanns beruht habe, die dieser bei Vertragsschluss ausgenutzt habe, bewegt sich ebenfalls im zulässigen Rahmen tatrichterlicher Feststellungen. Beim Notartermin war schließlich das noch nicht einen Monat alte Kind dabei, und es ist ebenfalls nachvollziehbar, dass die Ehefrau deswegen den Beurkundungstermin möglichst schnell hinter sich bringen wollte. Hinzu kommt, dass in dem Termin hauptsächlich die Umwandlung des Unternehmens beurkundet worden ist, an welcher die Ehefrau nicht beteiligt war.
Das OLG hat daher auch zu Recht eine subjektive Imparität infolge der Ausnutzung der sozialen und wirtschaftlichen Abhängigkeit der Ehefrau angenommen. Der von der Rechtsbeschwerde erhobene Einwand, dass der Ehefrau die Regelung egal gewesen sei, vermag dieses Ergebnis ebenso wenig in Frage zu stellen wie der Umstand, dass die Ehefrau die Möglichkeit gehabt haben mag, den Vertrag zuvor im Büro des Unternehmens zu lesen. Dass die Ehefrau von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch machte, steht vielmehr mit den sonstigen Feststellungen des OLG zum Verhältnis der Ehegatten durchaus im Einklang. 
Im Fall einer vorliegenden subjektiven Imparität ist es schließlich auch nicht erforderlich, dass der benachteiligte Ehegatte den Vertrag nur mit Bedenken oder quasi widerwillig abschließt. Vielmehr ist durch § 138 Abs. 1 BGB auch und gerade der Ehegatte geschützt, der dem Verlangen des überlegenen Ehegatten widerstandslos Folge leistet. […]
3. Wegen der Nichtigkeit des Ehevertrags ist der Ausschluss des nachehelichen Unterhalts unwirksam. Das OLG hat folgerichtig aufgrund der bei der Ehefrau bestehenden Erkrankung einen Anspruch auf Krankheitsunterhalt nach § 1572 Nr. 1 BGB angenommen. Die Bemessung des Unterhalts ist von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffen worden und gibt auch sonst keinen Grund zur Beanstandung.