STREIT 1/2019

S. 29-30

KG Berlin, §§ 116 Abs. 3 S. 3, 120 Abs. 2 S. 2, 3 FamFG, §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO

Sofortige Wirksamkeit und Vollstreckbarkeit eines Beschlusses 1. Instanz zum Ehegattenunterhalt

Die Vollstreckung aus dem Beschluss des Amtsgerichts – Familiengerichts wird einstweilen nur eingestellt, soweit der Unterhaltsschuldner zur Zahlung von Altersvorsorgeunterhalt an die Unterhaltsberechtigte verpflichtet ist.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 29.03.2018, 19 UF 10/18 SH

Aus den Gründen:
I. Der Antragsteller ist gem. Ziffer 3 der Beschlussformel der angefochtenen Entscheidung in der Folgesache nachehelicher Unterhalt verpflichtet worden, der Antragsgegnerin ab Rechtskraft der Scheidung Unterhalt in Höhe von 2.889 EUR monatlich (davon 721 EUR monatlich Altersvorsorgeunterhalt) zu zahlen. Die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung ist angeordnet worden. […]
Der Antragsteller trägt vor, bei einer vorläufigen Vollstreckung der erstinstanzlichen Entscheidung durch die Antragsgegnerin würde ihm ein unersetzlicher Nachteil entstehen. […]

II. Der nach § 120 Abs. 2 S. 3 und 2 FamFG, §§ 719 Abs. 1, 707 Abs. 1 ZPO zulässige Antrag des Antragstellers hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
1. Nach § 120 Abs. 2 S. 3 FamFG kann die Vollstreckung unter den Voraussetzungen des § 120 Abs.  2 S. 2 FamFG eingestellt oder beschränkt werden, d.h. wenn der Verpflichtete glaubhaft macht, dass die Vollstreckung ihm einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Dabei stellt die Mittellosigkeit des Unterhaltsgläubigers nach der Wertung des § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG, wonach das Gericht die sofortige Wirksamkeit seiner Entscheidung anordnen soll, wenn diese eine Verpflichtung zur Leistung von Unterhalt enthält, grundsätzlich keinen Gesichtspunkt dar, der allein die Annahme eines unersetzlichen Nachteils im Sinne des § 120 Abs. 2 FamFG rechtfertigt. Denn § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG liefe leer, wenn der Unterhaltsschuldner die Einstellung der Vollstreckung eines Unterhaltsbeschlusses allein dadurch erreichen könnte, dass er geltend macht, der Unterhaltsgläubiger könne – wie das regelmäßig der Fall ist – den Unterhalt für die Lebensführung verbrauchen und deshalb sei eine Rückzahlung des Betrages gefährdet (ständige Senatsrechtsprechung, Beschlüsse vom 07. Juni 2013 – 19 UF 38/13 –, vom 21. Mai 2015 – 19 UF 45/15 und 26. Januar 2016; ebenso OLG Brandenburg, FamRZ 2015, 1741; OLG Thüringen, Beschluss vom 13. Juli 2015 – 1 UFH 4/15, juris; Weber in: Keidel a.a.O., § 120 Rz. 17; Schulte-Bunert in: Schulte-Bunert/Weinreich, FamFG, 5. Aufl. 2016, § 120 Rz. 12).
Bei den an einen unersetzbaren Nachteil zu stellenden Anforderungen ist vielmehr zu beachten, dass der Gesetzgeber das im Zivilprozess herrschende System der vorläufigen Vollstreckbarkeit einschließlich der durch die §§ 707, 719 ZPO eröffneten weiten Ermessens- und Abwägungsspielräume bewusst nicht in das FamFG übernommen hat. Durch § 116 Abs. 3 S. 3 FamFG hat er die sofortige Wirksamkeit von Unterhaltstiteln wegen deren besonderen Bedeutung zur Sicherung des Lebensbedarfs vielmehr zum Regelfall erklärt und die Einstellung der Vollstreckung ausdrücklich an das enge Kriterium des nicht zu ersetzenden Nachteils geknüpft. Dass ein Anspruch auf Rückzahlung bei nach § 116 Abs. 3 FamFG vorrangiger Bedeutung des Unterhalts für die Sicherung des Lebensbedarfs nicht realisierbar sein kann, ist danach eine normale Folge der Zwangsvollstreckung. Denn es ist typisch für das Unterhaltsverhältnis, dass die zur Sicherung des Lebensbedarfs benötigten Mittel vom Unterhaltsberechtigten verbraucht werden und in der Regel nicht zurückgezahlt werden können. Der bestimmungsgemäße Verbrauch des Unterhalts kann daher für sich genommen nicht als unersetzbarer Nachteil für den Schuldner angesehen werden.
Entsprechend dieser Wertung des § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG kann die Vollstreckung gemäß § 120 Abs. 2 Satz 3 FamFG – unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls – dann eingestellt werden, wenn der Unterhalt nicht zur Sicherung des gegenwärtigen Lebensbedarfs benötigt wird. Insoweit ist etwa anerkannt, dass lange zurückliegenden Unterhaltsrückstände grundsätzlich nicht der vorläufigen Vollstreckung bedürfen, wenn nicht ausnahmsweise der Unterhaltsgläubiger zur Bestreitung seines Lebensunterhalts auf eine sofortige Zahlung angewiesen ist (OLG Brandenburg, FamRZ 2015, 1741; Weber in: Keidel, a.a.O., § 116 Rz. 19; vgl. auch BT-Drucks. 16/6308, S. 224). Auf die Erfolgsaussichten der Beschwerde kann es grundsätzlich nur ankommen, soweit ein unersetzbarer Nachteil dargetan ist (vgl. Senat, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 19 UF 3/16). Ein Ausnahme kann bei greifbarer Gesetzeswidrigkeit vorliegen.

2. Nach diesen Maßgaben ist die Zwangsvollstreckung nur in Höhe eines Teils des Altersvorsorgeunterhalts in Höhe von 413 EUR einzustellen.
Auf Altersvorsorgeunterhalt ist die 1963 geborene Antragsgegnerin zur Sicherung des laufenden Lebensunterhalts derzeit nicht angewiesen, denn er ist für den langfristigen Aufbau einer Altersvorsorge bestimmt, so dass nach der Wertung des § 116 Abs. 3 Satz 3 FamFG insoweit eine Vollstreckung vor Rechtskraft nicht geboten ist. Für einen etwaigen zwischenzeitlichen Verlust der Wertsteigerung durch Anlage des Unterhaltsbetrags wird die Antragsgegnerin durch die nach § 288 BGB geschuldeten Verzugszinsen schadlos gehalten. Die Zwangsvollstreckung hinsichtlich des Altersvorsorgeunterhalts ist allerdings insoweit nicht einzustellen, als der Antragsteller eine entsprechende Verpflichtung mit Schriftsatz vom 04.10.2016 (Bl. I/EU 10 d.A.) anerkannt hat, d.h. in Höhe von 308 EUR (von anerkanntem nachehelichem Unterhalt in Höhe von 1.515 EUR), so dass nur in Höhe von (721 – 308 =) 413,00 EUR einzustellen ist. Ein nach § 113 Abs. 1 FamFG i.V.m. 307 ZPO abgegebenes Anerkenntnis ist – auch in der Rechtsmittelinstanz – bindend (Feskorn in: Zöller, 32. Aufl. 2018, § 307 ZPO Rz. 13), für einen – nur unter engen Voraussetzungen zulässigen – Widerruf (Feskorn, a.a.O., vor § 306 ZPO Rz. 4) ist nichts vorgetragen.
Über diesen Betrag hinaus hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass ihm die Vollstreckung des vorläufig vollstreckbaren Betrages von 2.476 EUR einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Eine greifbare Gesetzeswidrigkeit der angefochtenen Entscheidung liegt nicht vor, im Übrigen haben beide Beteiligten im Beschwerdeverfahren umfassend und streitig zum Einkommen des Antragstellers vorgetragen. Auf die Zahlungsfähigkeit und die Finanzverhältnisse des Unterhaltsschuldners kann es grundsätzlich nicht ankommen, da diese in der zu vollstreckenden Entscheidung bereits berücksichtigt sind (vgl. Musielak/Borth, FamFG, 5. Aufl. 2015, § 120 Rz. 4) […].
Das Risiko, dass zu viel gezahlter Unterhalt vom Unterhaltsgläubiger nicht zurückerstattet werden kann, bürdet § 116 Abs. 3 S. 3 FamFG – wie unter 1. dargelegt – grundsätzlich dem Unterhaltsschuldner auf.