STREIT 1/2019

S. 23-24

Hans. OLG, §§ 1671 Abs. 1, 1696 BGB

Sorgevereinbarung erfordert Einvernehmen der Eltern

Im Sorgerechtsstreit setzt eine sog. Vollmachtslösung zur Vermeidung einer Sorgerechtsübertragung als Mindestanforderung voraus, dass jedenfalls über die Erteilung der Vollmacht als solche und die damit verbundenen Informations- und Rechenschaftspflichten Einvernehmen zwischen den Eltern besteht. Nur dann kann die Erteilung einer Vollmacht als Ausfluss einer – für die gemeinsame Sorge erforderlichen – tragfähigen sozialen Beziehung angesehen werden.
(Leitsatz der Redaktion)

Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 25.04.2018, 12 UF 56/18

Aus den Gründen:
I.
Mit Beschluss des Beschwerdegerichts vom 8. August 2017, Gesch.-Nr. 12 UF 162/15, war eine Entscheidung des Familiengerichts vom 24. Juni 2015, mit der den Eltern das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht sowie das Recht zur ärztlichen Versorgung für ihre Kinder J., J. und R. entzogen und auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden war, teilweise dahingehend abgeändert worden, dass die Entziehung der genannten Teilbereiche in Bezug auf die Mutter aufgehoben wurde. In Bezug auf den Vater blieb es bei der vom Gericht getroffenen Anordnung. Dies hatte zur Folge, dass die Mutter seitdem das Aufenthaltsbestimmungs- und Erziehungsrecht sowie das Recht zur ärztlichen Versorgung für die Kinder allein ausübt.
Im Rahmen des vorliegenden Verfahrens beantragt die Mutter nunmehr die Übertragung der elterlichen Sorge für die Kinder insgesamt. Der Vater möchte die insoweit noch bestehende gemeinsame elterliche Sorge beibehalten und hat der Mutter im Anhörungstermin eine umfassende Vollmacht für sämtliche Bereiche der elterlichen Sorge erteilt.
Daraufhin hat das Familiengericht den Antrag der Mutter mit dem angefochtenen Beschluss zurückgewiesen. Zwar habe der Vater keinen Kontakt zu den Kindern und nehme an ihrem Leben nicht teil, jedoch könne die Mutter aufgrund der Vollmacht alle Entscheidungen für die Kinder allein treffen. Anhaltspunkte dafür, dass der Vater die Vollmacht in rechtsmissbräuchlicher Weise widerrufen werde, bestünden nicht. Auf den Beschluss wird zu näheren Sachdarstellung Bezug genommen.
Gegen den am 5. Februar 2018 zugestellten Beschluss wendet sich die Mutter mit der am 2. März 2018 eingegangenen Beschwerde, mit der sie an ihrem Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge insgesamt festhält. Das Jugendamt unterstützt die Beschwerde der Mutter. Die Mutter habe es in einem therapeutisch begleiteten Prozess gelernt, sich aus der von exzessiver körperlicher Gewalt geprägten Beziehung zu lösen und gleichzeitig für die Kinder eine verlässliche Erziehungsperson zu bleiben. Es könne ihr nicht erneut zugemutet werden, sich weiter mit dem Kindesvater auseinandersetzen zu müssen.
Der Vater verteidigt die angefochtene Entscheidung und beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Er räumt ein, dass keine Kommunikation der Eltern stattfinde und aus Kindeswohlgründen auch nicht wünschenswert sei. Die Mutter sei mit der ihr erteilten Vollmacht jedoch voll handlungsfähig und habe auch im Anhörungstermin trotz entsprechender Gelegenheit nicht darauf hingewiesen, dass sie die Vollmacht nicht akzeptiere. […]

II.
Die Beschwerde der Mutter ist zulässig, insbesondere fristgerecht erhoben worden. In der Sache ist sie begründet und führt zur antragsgemäßen Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung und – in Abänderung der bisherigen Sorgerechtsregelung – zur Übertragung der elterlichen Sorge für die Kinder auf die Mutter gem. §§ 1696 Abs. 1, 1671 Abs. 1 BGB.
Die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 1 S. 2 BGB liegen vor. Die Eltern leben nicht nur vorübergehend getrennt, die elterliche Sorge steht ihnen mit Ausnahme der auf die Mutter bereits übertragenen Teilbereiche gemeinsam zu. Zu klären ist lediglich die Frage, ob die Übertragung der elterlichen Sorge auf die Mutter insgesamt unter dem Aspekt des Kindeswohls angezeigt ist, oder ob die Mutter auf die vom Vater erteilte Auskunft verwiesen werden kann.
Nach dem den Beteiligten bereits erteilten Hinweis setzt die sog. Vollmachtslösung zur Vermeidung einer Sorgerechtsübertragung nach der Rechtsprechung des Senats als Mindestanforderung voraus, dass jedenfalls über die Erteilung der Vollmacht als solche und die damit verbundenen Informations- und Rechenschaftspflichten Einvernehmen zwischen den Eltern besteht. Denn nur dann kann die Erteilung der Vollmacht als Ausfluss einer – für die gemeinsame elterliche Sorge auch in diesem Fall erforderlichen – tragfähigen sozialen Beziehung angesehen werden (vgl. auch z.B. OLG Karlsruhe, FamRZ 2015, 2178).
Dieses Einvernehmen besteht im vorliegenden Fall nicht. Die Mutter lehnt die Erteilung der Vollmacht durch den Vater anstelle einer Sorgerechtsübertragung ab. Grund hierfür ist das Fehlen einer tragfähigen sozialen Beziehung zwischen den Eltern, nachdem die Mutter die Kontakte zum Vater aus Gründen des Kindeswohls abgebrochen hat. Auch nach Darstellung des Vaters findet eine Kommunikation zwischen den Eltern nicht statt.
Hinzu kommt, dass die Möglichkeit eines Widerrufs der Vollmacht – eine unwiderrufliche Vollmacht würde einen mit dem Gesetz nicht zu vereinbarenden Verzicht auf die elterliche Verantwortung darstellen – der von der Mutter angestrebten Verlässlichkeit der Sorgerechtsregelung entgegenstehen würde.
Die Stellungnahme des Vaters rechtfertigt keine abweichende Beurteilung. Seine Darstellung, es sei mangels Widerspruch der Mutter von einer zumindest konkludenten Vereinbarung zur Vollmachtserteilung gekommen, steht der Übertrag der elterlichen Sorge auf die Mutter nicht entgegen. Abgesehen davon, dass die Mutter im Termin erklärt hat, dass eine Vollmacht ‚nicht ausreichend ist, da die Eltern keinerlei Kommunikationsebene miteinander haben und es nur Schwierigkeiten macht, wenn der Vater nur eine Vollmacht erteilt, die jederzeit widerrufen werden kann‘, und damit ihren Widerspruch deutlich erklärt hat, wäre selbst eine Zustimmung nicht bindend, sondern ebenso wie eine Vollmachtserteilung widerruflich.