STREIT 2/2024

S. 78-79

KG Berlin, § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB, Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention

Umgangsausschluss zum Schutz des Kindes und der Mutter

1. Bei der Prüfung, ob der Umgang wegen einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB für längere Zeit auszuschließen ist, sind die Wertungen von Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention zu berücksichtigen, wonach durch die Gerichte sicherzustellen ist, dass durch die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet werden.
2. Neben der unmittelbaren und mittelbaren Betroffenheit der Kinder ist danach auch die eigene Betroffenheit der Mutter als Opfer häuslicher Gewalt zu berücksichtigen.
3. Ein unbefristeter Umgangsausschluss ist möglich und geboten bei einem entsprechenden eindringlichen Wunsch eines älteren Kindes, wenn dieses einer Vielzahl von Verfahren ausgesetzt war und der begründete Eindruck entsteht, dass die ablehnende Haltung durch die gerichtlichen Verfahren und die damit verbundene Belastung eher noch verstärkt wird.
(Leitsätze der Redaktion)
Beschluss des Kammergerichts Berlin vom 27.01.2023 – 17 UF 150/22

I.
1. Das Amtsgericht hat […] den Umgang des Vaters mit seiner Tochter S, …2009) bis zu deren Volljährigkeit und mit seinem Sohn E C, …2013) für drei Jahre ausgeschlossen. […]
Hiergegen wendet sich der Vater mit seiner Beschwerde, mit der in der Sache begehrt, das Verfahren unter die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung ohne gerichtliche Umgangsregelung einzustellen. Zur Begründung trägt er vor, er habe seinen Umgangsantrag erstinstanzlich zurückgenommen. Indem das Amtsgericht das Verfahren nicht beendet, sondern einen vollständigen Umgangsausschluss angeordnet habe, sei ihm jede Möglichkeit genommen worden, sich und seine Haltung sowie sich bei ihm ergebende Veränderungen gegenüber den Kindern darzu­stellen. […] Das Amtsgericht habe nicht geprüft, welche Auswirkungen eine diesbezüglich niedrigschwellige Kontaktaufnahme z.B. durch Briefe, Glückwünsche zu Feiertagen oder Geschenke hätten, die ihm im Falle der Beendigung des Verfahrens nach seiner Antragsrücknahme verblieben wären. So werde jegliches Band zwischen den Kindern und dem Vater zerschnitten, bei allem, was vorgefallen sein möge. […]

II.
Die vom Vater beantragte Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für seine Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Kreuzberg – 155A 2839/22 – vom 26.10.2022 ist abzulehnen, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, § 76 Abs. 1 FamFG, § 114 ZPO.
1. Das Amtsgericht hat ausführlich und auf Grundlage der Akten der Vorverfahren sowie der eigenen Ermittlungen zutreffend begründet, warum das Wohl der Kinder durch einen persönlichen Umgang mit dem Vater hier i.S.d. § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB gefährdet wäre und warum ein Ausschluss des Umgangs erforderlich und verhältnismäßig ist. Zutreffend hat es dabei entsprechend den Maßstäben sowohl des BVerfG (Entscheidung vom 17.09.2016 – 1 BvR 1547/16, FamRZ 2016, 1917) als auch des EGMR (Entscheidungen vom 28.04.2016 – Nr. 20106/13, FamRZ 2017, 891, Buchleither ./. Deutschland sowie vom 03.04.2018 – Nr. 43976/17, FamRZ 2019, 1612, Sangoi ./. Deutschland) auf den stabilen, intensiven und zielorientierten, einen Umgang ablehnenden Willen der 12 und 8 Jahre alten Kinder abgestellt.
Darüber hinaus hat es zutreffend die gegenüber der Mutter ausgeübte und von S, zum Teil miterlebte häusliche Gewalt berücksichtigt. Mit den vom Amtsgericht angesetzten rechtlichen Maßstäben übereinstimmend hat der Senat jüngst mit Beschluss vom 04.08.2022 – 17 UF 6/21 –, FamRZ 2023, 131 (m. Anm. Kischkel) ausgeführt, dass bei der Prüfung, ob der Umgang wegen einer Kindeswohlgefährdung gemäß § 1684 Abs. 4 Satz 2 BGB für längere Zeit auszuschließen ist, die Wertungen von Art. 31 Abs. 2 Istanbul-Konvention Berücksichtigung finden müssen, wonach durch die Gerichte sicherzustellen ist, dass die Ausübung des Besuchs- oder Sorgerechts nicht die Rechte und Sicherheit des Opfers oder der Kinder gefährdet. Neben der unmittelbaren und mittelbaren Betroffenheit der Kinder ist danach auch die eigene Betroffenheit der Mutter als Opfer häuslicher Gewalt zu berücksichtigen. Die Bedeutung von Art. 31 Abs. 2 der lstanbulkonvention in Umgangsverfahren hat jüngst auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unterstrichen (EGMR, Urteil vom 10.11.2022 – Nr. 25426/20, NZFam 2022, 1144 [Volke]). […]

2. […] die vom Amtsgericht ausführlich dargelegten Gründe für einen Ausschluss des persönlichen Kontaktes schließen auch die von dem Vater gewünschten Kontaktmöglichkeiten aus, denn bereits das Aufspüren von Mutter und Kindern in Berlin, die Einleitung eines neuen Umgangsverfahrens sowie die Kontaktaufnahme durch die Familie des Vaters über das Telefon oder Social Media haben die Kinder, insbesondere S, erneut schwer verunsichert. Zutreffend hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, dass der Vater durch vertrauensbildende Maßnahmen zunächst in Vorleistung zu treten und dadurch die Voraussetzungen für eine niedrigschwellige Kontaktaufnahme zu schaffen hat, […]. Auch im vorliegenden Verfahren hat das Jugendamt […] ergänzt, dass hierfür auch eine langfristige Beratung oder die nachgewiesene Absolvierung eines Anti-Gewalttrainings in Betracht kämen. Das hat der Vater offenbar weiterhin nicht verstanden, wenn er meint, er könne eine Bereitschaft der Kinder zum Umgang durch „Überraschung“, Geschenke oder Briefe herbeiführen. Danach ist es erforderlich, entsprechend der ausdrücklichen Anregung durch die Mutter und im Hinblick auf die erhebliche Verunsicherung der Kinder durch die bereits erfolgten Kontaktaufnahmen und das Gerichtsverfahren, den Umgang ausdrücklich auszuschließen. […]

4. Auch die Dauer des Umgangsausschlusses ist nicht zu beanstanden, insbesondere nicht der unbefristete Ausschluss in Bezug auf S. Zwar ist ein Umgangsausschluss grundsätzlich zu befristen, weil die Gründe hierfür regelmäßig nur vorübergehender Natur sind (EGMR, FamRZ 2017, 891, Rz. 49). Bei besonderen Umständen ist jedoch ein unbefristeter Ausschluss möglich und geboten. Solche können insbesondere vorliegen bei einem entsprechenden eindringlichen Wunsch eines älteren Kindes, wenn dieses durch das kompromisslose Verhalten der Eltern einer Vielzahl von Verfahren ausgesetzt war, ohne dass es ihm möglich gewesen wäre, sich diesen vor Gericht ausgetragenen Streitigkeiten zu entziehen und der begründete Eindruck entsteht, dass die ablehnende Haltung durch die gerichtlichen Verfahren und die damit verbundene Belastung eher noch verstärkt wird (BVerfG FamRZ 2016, 1917, Rz. 37 bei einem 12-jährigen Kind; ebenso OLG Saarbrücken, FF 2019, 121 bei einem 16-jähriges Kind). Die amtswegige Überprüfung der Entscheidung nach § 166 Abs. 2 FamFG ist in solchen Fällen ausreichend (EGMR, FamRZ 2017, 891, Rz. 52; BVerfG FamRZ 2016, 1917, Rz. 39). […]
Mitgeteilt von RAin Döndü Burç, Bremen