STREIT 4/2020

S. 156-161

Völkerstraftaten im Ausland – Nebenklage in Deutschland

Dieser Artikel ist eine aktualisierte Fassung der Präsentation der Autorin beim Feministischen Juristinnentag 2018.

I Einleitung und Hintergrund

Das Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) existiert seit 1. Juli 2002 und setzt das Rom Statut, das die Grundlage für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) ist, in nationales Recht um. In den letzten Jahren ist die Generalbundesanwaltschaft (GBA) aktiv in diesem Bereich geworden und führt derzeit über 80 personenbezogene Ermittlungsverfahren und 10 Strukturermittlungsverfahren.1 Seitdem das Gesetz in Kraft getreten ist, gab es allerdings bisher lediglich sechs rechtskräftige Verurteilungen nach dem VStGB (Stand Oktober 2019)2 – keine davon erfolgte wegen sexualisierter und/oder geschlechtsbezogener Gewalt.
Das Jugoslawien- und Ruandatribunal und später der Internationale Strafgerichtshof haben zunächst ebenfalls sexualisierte und genderspezifische Gewalt im Kontext von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vernachlässigt. Internationale Kritik und auch eigene interne Analysen, warum diese Gewalt entweder ganz unsichtbar oder im Laufe der Verfahren auf der Strecke blieb, haben mit dazu beigetragen, dass bei den Ad-hoc Tribunalen und auch beim IStGH ein Umdenken eintrat und Strategien zur Verfolgung von konfliktbezogener sexualisierter Gewalt entwickelt wurden.3
Nach all diesen Erfahrungen bei internationalen Gerichten lässt sich noch nicht erkennen, dass die GBA daraus gelernt hat und eine Strategie entwickelt und umgesetzt hat, wie diese Verbrechen erfolgreich angeklagt werden können.
Lange gab es bisher lediglich ein einziges Verfahren in Deutschland, das sogenannte FDLR-Verfahren, in dem überhaupt Fälle von sexualisierter Gewalt angeklagt waren. Zu einer (erstinstanzlichen) Verurteilung wegen dieser Straftaten kam es jedoch nicht. Die Komplexe wurden vorher abgetrennt und eingestellt.
Inzwischen gibt es ein weiteres Verfahren gegen zwei mutmaßliche Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes, das im April 2020 vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz begann, in dem immerhin zwei Fälle von sexualisierter Gewalt angeklagt sind. Allerdings sind die Tatvorwürfe Vergewaltigung und schwere sexuelle Nötigung nicht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 6 VStGB angeklagt, sondern nach deutschem Strafrecht als § 177 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 StGB a.F. 4
Diese rechtliche Einordnung ist nicht belanglos. Verbrechen gegen die Menschlichkeit setzen voraus, dass die sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit einem systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung erfolgt ist, also hier im Rahmen der Unterdrückungspolitik der syrischen Regierung gegen die Zivilbevölkerung. Damit nimmt der GBA ausgerechnet die sexualisierte Gewalt aus dem Kontext des Angriffs gegen die Zivilbevölkerung und klagt diese nicht wie die anderen Gewaltformen, die gegen Gefangene eingesetzt wurden, als Angriff gegen die Zivilbevölkerung und damit als Verbrechen gegen die Menschlichkeit an. Dies widerspricht der Rechtsprechung internationaler Gerichte.
Vor dem OLG Frankfurt hat – ebenfalls im April 2020 – ein Prozess gegen ein mutmaßliches Mitglied des Islamischen Staates (IS) begonnen, in dem dem Beschuldigten vorgeworfen wird, als Mitglied des IS eine Jesidin und ihre Tochter als Sklaven gekauft zu haben. Die Anklage wirft ihm Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen vor. Obwohl der Sachverhalt eine Verfolgung wegen des Geschlechts (§ 7 Abs. 1 Nr. 10 VStGB) nahelegt, also die genderspezifische Behandlung und Verfolgung von Frauen durch den IS, ist dies nicht angeklagt. Auch dies ist nicht belanglos, denn die geschlechtsspezifische Verfolgung ist gerade bei den IS-Fällen besonders deutlich und wäre sie angeklagt, würde dies die geschlechtsspezifische Verfolgung von Frauen sichtbar machen.
In Deutschland gibt es das Institut der Nebenklage, das in den Verfahren nach dem Völkerstrafgesetzbuch eine immer größere Rolle spielen wird. Die besonderen Anforderungen an die Nebenklagevertretung, die Schwierigkeiten und die möglichen Interventionsmaßnahmen, insbesondere im Hinblick auf sexualisierte Gewalt, sollen in diesem Artikel näher beleuchtet werden.

II Das FDLR-Verfahren

Angesichts lediglich zweier Fälle, in denen bisher in Deutschland sexualisierte Gewalt nach dem VStGB angeklagt wurde, soll das FDLR Verfahren näher betrachtet werden, mit einem besonderen Blick auf die Rechte der Verletzten in einem Strafverfahren, das in Deutschland verhandelt wurde. Bei diesem Prozess handelte es sich um einen Prozess, bei dem die Straftaten in der Demokratischen Republik Kongo stattgefunden haben, wo auch die Verletzten leb(t)en.
Das Strafverfahren vor dem OLG Stuttgart richtete sich gegen Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni, Präsident und 1. Vizepräsident der in der Demokratischen Republik Kongo kämpfenden ruandischen Hutu-Miliz FDLR (Forces Démocratiques de Libération du Rwanda, also Demokratische Kräfte zur Befreiung Ruandas) wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschheit. Es ging unter anderem um Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, Morde, Überfälle, Vergewaltigungen, Plünderungen etc. Die beiden Angeklagten sollen von Deutschland aus diese Straftaten gesteuert haben als die politisch und strafrechtlich Verantwortlichen. Die beiden Angeklagten wurden am 28. September 2015 nach 320 Verhandlungstagen vom 5. Strafsenat des OLG Stuttgarts zu 13 bzw. acht Jahren Freiheitsstrafe verurteilt, im Wesentlichen wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und der Angeklagte Murwanashyaka wegen Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen.

III Die Situation der Verletzten

Die Verletzten haben sich dem FDLR-Verfahren nicht als Nebenklägerinnen angeschlossen. Entgegen § 406 i Strafprozessordnung (StPO) wurden die Verletzten von den deutschen Ermittlungsbehörden nicht über ihre umfassenden Rechte informiert. In § 406 i StPO heißt es: „Verletzte sind möglichst frühzeitig, regelmäßig schriftlich und soweit möglich in einer für sie verständlichen Sprache über ihre aus den §§ 406 d bis 406 h folgenden Befugnisse im Strafverfahren zu unterrichten.“ Zu den besonders genannten Rechten, über die informiert werden muss, gehören u.a. das Recht auf den Anschluss als Nebenklägerin, anwaltlichen Beistand, Akteneinsicht, Adhäsionsanträge auf Entschädigung und Anträge nach dem OEG zu stellen und Hilfe von Opferschutzeinrichtungen zu erhalten.
Sicher muss ganz neu bedacht werden, wie Informationen vermittelt werden für Betroffene in anderen Ländern, wie z.B. im Ost-Kongo, wo die Aushändigung eines Merkblatts für Opfer einer Straftat, herausgegeben vom BMJV, mit weiteren online-Hinweisen, sicher unzureichend ist.
Im Stuttgarter Verfahren wurden die Verletzten durch die Ermittlungsbehörden lediglich über ihre Rechte und Pflichten als Zeuginnen informiert, jedoch nicht über Rechte als Verletzte, geschweige denn wie sie davon Gebrauch machen können vom Ost-Kongo aus. Das erklärt, warum die Verhandlung ohne die Nebenklage stattfand und die Opfer keinerlei Einfluss auf das Verfahren hatten. Der GBA entschied, die Opferzeuginnen als anonyme Zeuginnen einzuführen. Dies sei im Interesse der Betroffenen und ihres Schutzes und dass Anonymität im Rahmen des Zeugenschutzes unvereinbar mit der Nebenklage sei. Die unterlassene Belehrung über die Rechte nach § 406 i StPO als Nebenklägerin führt jedoch nicht zu einer Möglichkeit, Wiedereinsetzung zu verlangen.5 Das heißt, dieser Rechtsverstoß bleibt ohne Folgen.
Es gibt keine rechtliche Grundlage für die Annahme, dass die Ausübung der Nebenklagerechte unzulässig ist für Personen, denen Anonymität gewährt wird bzw. die im Zeugenschutzprogramm sind. Wie im Einzelnen die Beteiligung an dem Verfahren gestaltet werden kann, ist dann vom Einzelfall abhängig. Das Zeugen-Harmonisierungsgesetz gibt ebenfalls einen Hinweis in diese Richtung: § 7 lautet: „Ansprüche der zu schützenden Personen gegen Dritte werden durch Maßnahmen nach diesem Gesetz nicht berührt.“ Dies muss natürlich auch für sonstige Rechte gelten, die eine Person hat, wie das Recht, sich einem Strafverfahren als Nebenklägerin anzuschließen.
Einige der betroffenen Zeuginnen wurden in der Hauptverhandlung via Video vernommen, wobei ihnen eine Rechtsanwältin als Zeuginnenbeistand beigeordnet war. Angesichts der Anonymität der Zeuginnen und der einhergehenden Beschränkung des Konfrontationsrechts der Verfahrensbeteiligten, regte der Senat an, den Antrag auf Einstellung dieser Tatkomplexe zu stellen. Entsprechend geschah es.
Damit endete das erste Verfahren, das Vorwürfe sexualisierter konfliktbezogener Gewalt nach dem VStGB enthielt, ohne eine Verurteilung wegen dieser Straftatbestände. Der Umgang mit den Verletzten, die nicht über ihre Rechte informiert wurden und keine Möglichkeit hatten, sich im Rahmen der Nebenklage an dem Verfahren zu beteiligen, wird so hoffentlich nicht wiederholt.

IV Typische Rahmenbedingungen von Verfahren nach dem VStGB

1 Die Verletzten befinden sich im Ausland

Die Verbrechensorte sind weit weg von Deutschland, in der Regel außerhalb der EU. Ermittlungen finden unter entsprechend erschwerten Bedingungen statt, möglicherweise in einem Noch-Kriegsgebiet oder zumindest nach einem bewaffneten Konflikt. Die Zeuginnen und Verletzten können sich im Tatortstaat oder sonstigem Ausland befinden. In solchen Fällen ist die Kommunikation mit den Betroffenen besonders erschwert, aber nicht unmöglich.
Es handelt sich in der Regel um Massenverbrechen mit einer möglicherweise großen Anzahl von Opfern. Der neu eingefügte § 397 b StPO ermöglicht inzwischen, Nebenkläger_innen mit gleichgerichteten Interessen eine gemeinsame Nebenklagevertretung beizuordnen. Die Verbrechen stehen meist in einem politischen Kontext und Konflikt, der auch in solche Verfahren hineinwirkt. Eine möglicherweise einseitige Auswahl einer Konfliktpartei kann zur Verschärfung beitragen.
Die vorgeworfenen Straftaten finden in einem anderen kulturellen, sozialen und politischen Kontext statt. In der Regel stehen die Verletzten noch unter dem unmittelbaren Eindruck der Kriegs- bzw. Konfliktereignisse und leben dort immer noch oder befinden sich als Vertriebene in Flüchtlingslagern. Informationen über den Zugang zu Unterstützungsangeboten und Opferschutzeinrichtungen, wie es die Strafprozessordnung vorsieht, ist für im Ausland lebende Betroffene kaum oder gar nicht gewährleistet.
Die Betroffenen sprechen möglicherweise eine lokale Sprache, für die es in Deutschland kaum oder keine vereidigten Dolmetscher_innen gibt. Auch für die Kommunikation vor Ort ist dies eine Herausforderung.
Weiter gehört zu den Rahmenbedingungen, dass die Verletzten mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet sind und sofern sie auch als Zeuginnen in Betracht kommen, Zeugenschutzmaßnahmen genießen, bzw. auch als Nebenklägerinnen genießen sollten. Die Möglichkeiten deutscher Zeugenschutzdienststellen sind allerdings im Ausland äußerst beschränkt, insbesondere wenn es keine Kooperation mit den betreffenden Staaten gibt.

2 Die Verletzten befinden sich in Deutschland

Leben die Verletzten in Deutschland, so wie dies in den Verfahren vor dem OLG Koblenz und Frankfurt der Fall ist, stellt sich die Lage etwas einfacher dar. Sollte es eine Gruppenvertretung geben, ist es möglich, dass die Mandantinnen nicht am selben Ort leben, so dass die Kommunikation mit ihnen erschwert ist. Zeugenschutzmaßnahmen hängen vom Einzelfall ab, können aber den Kontakt mit Mandantinnen besonderen Sicherheitserfordernissen unterwerfen.
Auch die in Deutschland lebenden Verletzten dürften keinerlei Kenntnis vom deutschen Justizsystem haben. Je nach Hintergrund der Betroffenen ist eine ausführliche und verständliche Aufklärung über den Prozess und die Rechte und Möglichkeiten der Nebenklage erforderlich. Dies kann eine besondere Herausforderung bedeuten.

V Besonderheiten für die Nebenklage­vertreterin

Kommt es zu einer Mandatsübernahme und Vertretung von nebenklageberechtigten Verletzten im Ermittlungsverfahren oder später als Nebenklägerinnen, die sich im (außereuropäischen) Ausland befinden, ergeben sich folgende Problemkreise:
Es besteht die Notwendigkeit, ein Nebenklageteam aufzubauen, mit mindestens einer lokalen Anwältin und gegebenenfalls weiteren Assistentinnen. Hier stellt sich das Problem der Kostenübernahme. Bisher ist das RVG darauf nicht ausgerichtet. Gegebenenfalls kann finanzielle Unterstützung von internationalen Gruppen und NGOs weiterhelfen. Bereits bestehende Kontakte sind sinnvoll.
Regelmäßiger Informationsaustausch mit den Mandantinnen, die möglicherweise gefährdet sind und an unterschiedlichen Orten leben, ist notwendig. Der Aufbau eines Informationsnetzwerks ist erforderlich, durch das auch gewährleistet ist, vertrauliche Informationen zu übermitteln und auszutauschen. Dabei ist insbesondere zu beachten, dass solche Kommunikation sicher ist. Insbesondere für vertrauliche Informationen sollten Verschlüsselungssysteme benutzt werden. Bei einer größeren Anzahl von Nebenklägerinnen kann über ein System von Repräsentantinnen nachgedacht werden. Hilfreich ist, von den Erfahrungen der Opfervertretung internationaler Gerichte zu wissen und zu lernen.
Die Zusammenarbeit mit lokalen und/oder internationalen NGOs (Intermediaries) vor Ort ist zwar hilfreich und notwendig, aber auch nicht einfach und eine Auswahl sollte sehr sorgfältig erfolgen. Ein Vorteil ist, wenn man bereits über verlässliche internationale/lokale Kontakte verfügt. Bei der Auswahl von Intermediaries sollte immer der vorausgegangene Krieg/Konflikt im Auge behalten werden. Fort-und Ausbildungen von Intermediaries sollten ebenfalls mit dazu gehören, da sie sonst die Informationsvermittlung vor Ort nicht angemessen ausführen können. Auch mögliche Korruption oder sonstige eigene Interessen von Intermediaries sollten beleuchtet werden.
Im Hinblick auf die Bezahlung müssen mit dem Senat Verhandlungen geführt werden wegen zusätzlicher Kosten, wie Reisen zu den Mandantinnen. Längerfristig müssen gesetzliche Änderungen herbeigeführt werden, durch die für solche Großverfahren und eine größere Anzahl von Nebenklägerinnen die notwendigen Ressourcen bereitgestellt werden.
Falls Zeugenschutz notwendig ist, sollten Anträge auf Schutzmaßnahmen eigeninitiativ gestellt werden. Falls bereits Zeugenschutzmaßnahmen bestehen, sollte analysiert werden, ob diese ausreichend sind. Enge regelmäßige Zusammenarbeit mit dem Zeugenschutz muss etabliert werden.
Kenntnisse im internationalen Strafrecht, insbesondere die Tatbestandsmerkmale internationaler Verbrechen sowie der Sexualstraftaten sind unerlässlich. Dazu muss die internationale Diskussion verfolgt werden zu neuen internationalen Fällen, sowie der sich entwickelnden Interpretation und Anwendung der Tatbestände nach dem VStGB bzw. dem Rom Statut in der Rechtsprechung.
Vertiefte Kenntnisse über den bewaffneten Konflikt/Krieg und die Hintergründe sind notwendig, ebenso Wissen über kulturelle, soziale und gesellschaftliche Besonderheiten müssen erlangt werden.
Die Zusammenarbeit mit professionellen (weiblichen) Dolmetscher_innen muss aufgebaut werden, die auch bereit sind, Mandantinnen im In- und Ausland aufzusuchen.
Vorkehrungen im Büro müssen getroffen werden, so dass das Verfahren Priorität genießen kann. Es handelt sich in der Regel um Umfangsverfahren, die nicht unbedingt am Bürostandort stattfinden. Zusätzlich sind Reisen zu den Mandantinnen und ein enger Austausch mit einer Kollegin vor Ort, sowie Intermediaries erforderlich, falls die Mandantinnen im Ausland leben.
Gute Sprachkenntnisse mindestens in Englisch und Französisch sind von Vorteil, wenn nicht sogar eine Mindestvoraussetzung, da die internationale Diskussion und Rechtsprechung vor allem auf Englisch oder Französisch stattfindet. Ein Pool von Expert_innen sollte aufgebaut werden, die ggf. benannt werden können zu bestimmten Fragen.
Den Mandantinnen muss Zugang zu spezialisierter psychologischer und medizinischer Unterstützung verschafft werden. Dies ist selbst für in Deutschland Lebende nicht einfach, da es bisher keine spezifische Beratung für Opfer internationaler Verbrechen gibt und kaum entsprechende Erfahrung mit Traumata, die von Massenverbrechen, also kriegerischen Auseinandersetzung, stammen.
Besonderheiten gibt es im Bereich der Entschädigung. Im Rahmen von Adhäsionsanträgen kann Entschädigung im Strafverfahren geltend gemacht werden. Die Zurückstellung des Antrags ist allerdings wahrscheinlich, da zunächst Probleme aus dem internationalen Privatrecht gelöst werden müssen, nämlich welches Recht anwendbar ist, wenn die Tat im Ausland begangen wurde und dies dann entsprechend anzuwenden. Ebenso verhält es sich für eine zivilrechtliche Klage, denn auch hier kommt es auf das Tatortrecht an. Aber selbst wenn ein vollstreckbarer Titel vorliegen sollte, besteht die Frage, ob erfolgreich vollstreckt werden kann.
Das Opferentschädigungsgesetz (OEG) findet keine Anwendung auf die typischen Konstellationen bei Straftaten nach dem VStGB, da die Taten in der Regel gerade nicht im Geltungsbereich des deutschen Rechts begangen wurden. Die inzwischen eingefügte Möglichkeit, für Auslandsstraftaten Entschädigung zu bekommen, gilt nur für Deutsche und Ausländer_innen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland haben und die Straftat gegen sie während eines nicht mehr als sechsmonatigen Auslandsaufenthaltes begangen wurde. Damit bleiben die Verletzten von derartigen Straftaten selbst bei einem Strafprozess in Deutschland ohne täterunabhängige Entschädigung.
Die EU-Richtlinie von 2012 (2012/29) zum Mindeststandard von Opferrechten findet nicht nur Anwendung auf Opfer von Straftaten, die in den Mitgliedsstaaten begangen wurden, sondern auch auf Opfer im Zusammenhang mit Strafverfahren, die in der EU durchgeführt werden, soweit sie im Zusammenhang mit dem Strafverfahren stehen. Nach dieser Richtlinie haben Opfer u.a. Anspruch auf Information über Entschädigung und wie diese zu beantragen ist. Ferner sollen sie informiert werden über den Zugang zu nationalen Entschädigungsprogrammen (Art. 9a). Diese Vorschrift läuft jedoch ins Leere, wenn staatlich gewährte Entschädigung von vornherein ausgeschlossen ist für diesen Personenkreis. Ferner sollen Mitgliedsstaaten Maßnahmen unterstützen, um die angemessene Entschädigung der Opfer durch die Straftäter zu fördern.
Es gibt bisher keine Anzeichen dafür, dass die Richtlinie dahingehend interpretiert wird, dass nationale Entschädigungsprogramme eingerichtet werden müssen für Opfer von Straftaten, die aus den existierenden Programmen herausfallen. Im Gegenteil, die Bundesregierung erklärte, dass die Richtlinie komplett umgesetzt sei.6

VI Mögliche Arbeitsfelder für die Nebenklagevertreterin

Bisher ist zu beobachten, dass der GBA rechtlich im Hinblick auf Subsumption unter die relevanten Tatbestände im Bereich der Sexualdelikte nicht voll ausschöpft, was in Tateinheit angeklagt werden könnte. Die Nebenklagevertreterin sollte die Bandbreite von Straftatbeständen und ihre Definition kennen und entsprechende Anträge stellen können, die auf eine geänderte rechtliche Wertung hinweisen. In dem oben erwähnten Fall vor dem OLG Frankfurt könnte z.B. ein Antrag auf rechtlichen Hinweis gestellt werden, den Sachverhalt auch als geschlechtsspezifische Verfolgung zu beurteilen. In dem Fall vor dem OLG Koblenz könnte z.B. ein Antrag gestellt werden, die angeklagten zwei Sexualstraftaten auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu bewerten und nicht „lediglich“ als Straftaten nach dem deutschen Strafgesetzbuch.
Da es sich um Verfahren handelt, deren Gegenstand Auslandsstraftaten sind, sollten outreach Aktivitäten unternommen werden, denn es ist wichtig, dass die Prozesse auch in den Tatortstaaten bekannt werden. Dazu wäre eine Zusammenarbeit mit Universitäten/NGOs hilfreich, die z.B. eine Prozessbeobachtung organisieren könnten und die prozesstägliche Berichterstattung mit einer verständlichen Zusammenfassung den Tatortstaaten zugänglich zu machen. Da es bisher keine Wortprotolle in deutschen Strafverfahren gibt, ist dies ein erheblicher Aufwand, aber dennoch notwendig, denn diese Gerichtsprozesse haben auch den Zweck, zukünftige Verbrechen zu verhindern und aufzuklären, was passiert ist.
Angesichts der mangelnden täterunabhängigen Entschädigung sollte Aufmerksamkeit darauf gelenkt werden, dass zwar Strafverfahren nach dem Weltrechtsprinzip in Deutschland stattfinden, aber kein Fonds vorhanden ist für die Opfer von Straftaten nach dem VStGB. Ähnlich wie für Opfer rassistischer Gewalt könnte ein Fonds beim BMJV bereitgestellt werden. Gleichzeitig könnte das OEG entsprechend der EU-Opferrichtlinie erweitert werden.

VII Empfehlungen

Legt man die typischen Rahmenbedingungen von solchen Verfahren nach VStGB zu Grunde und zieht die Lehren aus dem FDLR-Verfahren, so komme ich zu folgenden Eckpunkten, wie ein Verfahren aussehen könnte, das völkerstrafrechtliche Verbrechen zum Gegenstand hat:

  • Herstellung von Öffentlichkeit, die bis in das Tatort-Ausland reicht, damit ein solches Verfahren überhaupt wahrgenommen wird und zu Gerechtigkeit beitragen kann. Dazu ist mindestens erforderlich: Webseite des Gerichts, Live-Übertragung der Verhandlungstage, einschließlich Übersetzung, Wortprotokolle und outreach Veranstaltungen.

  • Nebenklage bei im Ausland befindlichen Nebenklägerinnen: Beiordnung von mindestens zwei in diesem Bereich kompetenten Anwält_innen: eine am Gerichtsort und eine im Tatortstaat und/oder Staat, wo sich die Verletzten befinden; angemessene finanzielle Ausstattung, ggf. zusätzliche Assistent_innen im Fall von einer großen Anzahl von Nebenkläger_innen; ggf. mehrere Vertretungen. Denkbar wäre auch eine Liste vorzuhalten, auf der nachgewiesenermaßen besonders qualifizierte Rechtsanwält_innen geführt werden. Angemessene Reisekosten für die Kommunikation mit den Mandant_innen sind zu gewährleisten.

  • Psychologische Betreuung durch geeignete Fachkräfte; ggf. lokale NGOs.

  • Fortbildung- für alle Verfahrensbeteiligten, einschließlich BKA und GBA im Hinblick auf die Besonderheit von Völkerstraftaten; Hintergrund des Konflikts/der Konflikte; kulturelle Sensibilisierung; vertraut machen mit Besonderheiten, wie z.B. Sexualstraftaten im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt.

Ständiger Runder Tisch

Neben den angesprochenen Problemkreisen gibt es viele bisher ungelöste Fragen. Es sollten all diejenigen, die involviert sind, also Ministerien, Ermittlungs-, Ausländer- und Sozialbehörden, Opferunterstützungseinrichtungen, Anwältinnen etc. an Lösungen arbeiten und praktische Guidelines entwickeln, wie in solchen Verfahren eine effektive Vertretung der Betroffenen gewährleistet werden kann, sowohl wenn sie sich in Deutschland als auch wenn sie sich im Ausland befinden. Dies wäre ein wichtiger Schritt hin zum Zugang zu Gerechtigkeit für die Opfer und Überlebenden von schwersten Verbrechen.

Konkrete Empfehlungen:

  • Aufnahme der Straftaten des VStGB in die Liste der Nebenklagedelikte nach § 395 StPO.

  • Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 406 i StPO sollte flankiert werden mit einem Recht auf Wiedereinsetzung. Dies entspricht der Empfehlung des Bundesverfassungsgerichts.

  • Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts, Einführung von Transskripts und Aufzeichnung und Übertragung von öffentlichen Hauptverhandlungen. Änderung des § 169 Abs. 2 GVG.

  • Beiordnung mehrerer Anwältinnen und zusätzlicher Assistentinnen – auch im Ausland – muss neu geregelt und zugeschnitten werden für Umfangsverfahren mit einer größeren Anzahl von Mandantinnen, die sich im Ausland befinden.

  • OEG ist zu ändern und auszudehnen auf Ansprüche, die im Zusammenhang mit in Deutschland durchgeführten Strafverfahren stehen.

  • Alternativ dazu könnte ein spezieller Fonds eingerichtet werden für Verletzte aus Verfahren nach VStGB.

  1. Christian, Aktuelle Entwicklung in der Strafverfolgung des Generalbundesanwalts auf dem Gebiet des Völkerstrafrechts, http://zis-online.com/dat/artikel/2019_12_1334.pdf (Stand Oktober 2019).
  2. Das Verfahren gegen Murwanashyaka wurde nicht rechtskräftig. Nachdem der BGH das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Oberlandesgericht Stuttgart zurückverwiesen hatte, verstarb der Angeklagte vor der Neuverhandlung.
  3. Zur Verfolgung von Sexualstraftaten beim Jugoslawientribunal ist folgendes sehr aufschlussreich: Serge Brammertz und Michelle Jarvis (Hrsg.), Prosecuting Conflict-Related Sexual Violence at the ICTY, Oxford, 2016. Die Staatsanwaltschaft beim IStGH veröffentlichte 2014 ihre Strategie: https://www.icc-cpi.int/iccdocs/otp/OTP-Policy-Paper-on-Sexual-and-Gender-Based-Crimes--June-2014.pdf.
  4. https://www.generalbundesanwalt.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2019/Pressemitteilung-vom-29-10-2019.html.
  5. BVerfG, 9.10.2007, 2 BvR 1671/07 und ebenso Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen, 27.08.2009, Vf. 35-IV-09.
  6. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Katja Keul, Margarete Bause, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Drucksache 19/11480 –: https://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/19/123/1912354.pdf, Seite 11.