STREIT 4/2018

S. 178-182

Wissenschaft, Recht und Geschlecht

Auszug aus: Ulrike Schultz / Anja Böning / Ilka Peppmeier / Silke Schröder: De jure und de facto: Professorinnen in der Rechtswissenschaft. Geschlecht und Wissenschaftskarriere im Recht, Nomos, Baden-Baden 2018, S. 35-46, mit freundlicher Genehmigung der Autorinnen und des Verlags.

2.5 Wissenschaft als kontextuelle Geschlechterpraxis
Mikrosoziologische Untersuchungen haben herausgearbeitet, dass in sozialen Zusammenhängen stets ein geschlechtlicher „Ausweiszwang“ (Hirschhauer 1994, S. 2015) herrscht. Individuen müssen sich beispielsweise in die eine oder andere Geschlechtergruppe einpassen, diese durch körperliche Praktiken (Mimik, Gestik, Stimme usw.) und Artefakte (durch Kleidung, Schmuck usw.) symbolisch vermitteln und sich in institutionalisierte Geschlechterarrangements einfinden, um eine reibungslose Interaktion sicherzustellen (Garfinkel 1967; Goffmann 1977; Hirschhauer 1989; West/Zimmermann 1991). Auch der Weg zur Professur ist ein sozialer Vorgang, in den das Wissen um die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht und die geschlechtliche Selbstverortung eingelagert sind und mit Hilfe von sozialen Ritualen und Praktiken zum Ausdruck gebracht und reproduziert werden.
Historisch war die Wissenschaft lange Zeit ein ausschließlich männlicher Bereich. Das Immatrikulationsrecht wurde Frauen erst nach und nach zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingeräumt, das ausdrückliche Habilitationsrecht erhielten Frauen in Preußen erst im Jahr 1920 (Hausen 1986, S. 32; Altenstrasser 2010, S. 239). Auch nach der in den 1960/1970er Jahren politisch forcierten Bildungsexpansion, der Öffnung des tertiären Bildungssektors für Frauen und der sich damit einstellenden Angleichung weiblicher und männlicher Erwerbsbiographien hielt sich die Geschlechterstratifikation in den statushöheren Positionen der Wissenschaft hartnäckig. Die seit den 1980er Jahren institutionalisierten Frauenförderungs- und Gleichstellungsmaßnahmen an den Universitäten sowie die seit Jahren vorangetriebenen hochschulpolitischen Reformen, die zum Teil im Bündnis mit Projekten zur Geschlechtergerechtigkeit und der Steuerungsstrategie Gender Mainstreaming angestrengt wurden (vgl. Roloff 2002; Roloff/Selent 2003, kritisch Wetterer 2000), konnten die Geschlechtersegregation zwar weiter abbauen, eine akademische Laufbahn ist für Frauen aber nach wie vor mit Barrieren verbunden. Ganz offensichtlich ist die Kategorie Geschlecht in der Wissenschaft, obwohl diese für sich in Anspruch nimmt, vor allem nach objektiven und neutralen Kriterien zu funktionieren, noch immer von Bedeutung. (…)
Dass auch die Kontextualität von Geschlechterdifferenzen ein soziohistorisches Produkt ist (Heintz/Nadai 1998, S. 77) lässt sich beispielhaft am Fall Wissenschaft nachzeichnen. Es gilt als geschichtlich anerkannt, dass sich im 19. Jahrhundert aus dem Bedürfnis heraus, das Geschlechterverhältnis normativ in der Gesellschaftsordnung zu verankern (Rosaldo 1980), der Geschlechterdualismus Mann-Frau mit dem bürgerlichen Ideal der Kleinfamilie und mit ihm das Modell von öffentlicher und privater Sphäre durchgesetzt hat. Während die öffentliche Sphäre alleinig dem Mann zugeschrieben wurde, wurde die Frau zur Verwalterin des Privatbereichs. Laut Opitz-Belakahl (2010, S. 97 ff.) ist dieses Konzept kritisch zu sehen, da die scheinbar klare Trennung von öffentlich und privat eine wissenschaftliche Konstruktion darstellt, die der historischen Lebenswirklichkeit und seinem Alltag kaum gerecht wird. Die Situation von Frauen, die sich wissenschaftlich betätigen wollten, verschlechterte sich faktisch durch die sich im 19. Jahrhundert etablierende Geschlechterideologie und den formalen, institutionalisierten und somit legitimierten Ausschluss der Frauen aus den Universitäten. Die Präsenz von gebildeten und hochkultivierten Frauen an den Fürstenhöfen war bis in das ausgehende 16. Jahrhundert noch üblich. Im späten 17. und dem frühen 18. Jahrhundert engagierten sich wissenschaftlich interessierte Frauen an der Seite ihrer männlichen Verwandten in privaten Werkstätten oder Laboren. Teilweise gelang es ihnen, ihre wissenschaftliche Tätigkeit nach dem Tod des Vaters, des Ehemannes oder durch andere familiäre Gegebenheiten bedingt autonom fortzusetzen, auch wenn sie zumeist über keine akademische Ausbildung verfügten, da ihnen der Zugang zu den Akademien und Universitäten verwehrt wurde (Felt/Nowotny/Taschwer 1995, S. 89 f.). Die Stabilisierung von Geschlechterdifferenzen beruht also vor allem auf gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des 19. Jahrhunderts, da sie durch diese sozial, kulturell und institutionell begründet und legitimiert werden. (…)

2.6 Rechtswissenschaft als Geschlechterkontext
Inwiefern bildet die Rechtswissenschaft eine Disziplin, in der die Kategorie Geschlecht relevant wird? Es lässt sich zunächst festhalten, dass die Rechtswissenschaft wissenschaftssoziologisch noch ein nahezu unbeackertes Feld darstellt. Bislang fehlt es an einschlägigen theoretischen Ansätzen, empirischen Untersuchungen und einer metaperspektivischen Reflexion epistemologischer und sozialer Praxen in der Rechtswissenschaft, wie sie für andere Disziplinen bereits vorliegen (für die Mathematik vgl. Heintz 2000; für die Betriebswissenschaftslehre Burren 2010).
Das Recht ist nicht nur eine akademische Disziplin, sondern auch ein politisches Herrschafts- und Steuerungsinstrument, das auf gesellschaftliche Legitimation angewiesen ist. Nicht nur Wissen, auch Recht ist Macht. Die bislang nur rudimentäre Beschäftigung mit wissenschaftssoziologischen Fragestellungen der deutschen Rechtswissenschaft hängt möglicherweise mit ihrem Selbstverständnis zusammen. Als Element des Machtfeldes (vgl. Bourdieu 1988) und der staatlichen und politischen Sphäre, die auf gesellschaftliche Legitimität angewiesen ist, ist die Rechtswissenschaft tendenziell dazu disponiert, Kritik und Selbstreflexivität abzuwehren und in Subfelder wie die Rechtstheorie, die aus der Rechtsphilosophie hervorgegangen ist, und die Rechtssoziologie auszulagern. Geschlechterstudien zum Recht sind am Rande der Rechtswissenschaft angesiedelt und etablieren sich nur allmählich.1 (…)
Der wohl disziplinübergreifende Konsens, sich selbst und seine Erfahrungswelt nicht zu analysieren, sondern auszublenden, stellt eine wichtige Grundlage der modernen Wissenschaft dar. Sich selbst zu de-thematisieren bedeutet, dass
„die getroffenen Aussagen als Ergebnisse des Waltens einer überpersönlichen Instanz – der wissenschaftlichen Methode – erscheint, einer Instanz, die Objektivität verbürgen soll.“ (Lindner zitiert nach Dressel/Langreiter 2008, S. 2)
Die daraus resultierende Konstruktion wissenschaftlicher Objektivität lässt sich, wie bereits erläutert, als das normative Herzstück des Wissenschaftssystems begreifen. Obwohl es eine Vielzahl juristischer Beiträge zur fach- und juristischen Ideengeschichte gibt, sind Fragen nach der soziokulturellen Genese der Rechtswissenschaft, ihrer politischen und ökonomischen Einbettung, sowie den Entstehungsbedingungen und Strukturmerkmalen der juristischen Wissenskultur noch weitgehend ungeklärt.2 Die Marginalisierung von Geschlecht als relevanter Kategorie bezieht sich auch auf die Wissensproduktion der Rechtswissenschaft. Collier (1991, S. 429) stellt zu den Schwierigkeiten der Rechtswissenschaft, sich mit Geschlechterfragen auseinanderzusetzen, fest:
„Whilst in sociology there has occurred a certain reflexivity about the masculinism of both sociological method and the epistemological status of the sociological enterprise, within legal scholarship men do not seem to have been keen to address the masculinism of law and legal education. It has been in the development of an explicitly feminist legal theory that the masculinity of law […] has been a central question.”
Die Vorstellung der Objektivität wissenschaftlicher Erkenntnisproduktion ist seit den 1980er Jahren verstärkt von der feministischen Wissenschaftskritik in Frage gestellt und entmystifiziert worden (Harding 1990; 1991; Singer 2008). Wissenschaftliches Wissen und die elaborierten Praktiken der Erkenntnisproduktion seien durch eine Geschlechtsblindheit und eine Kontextignoranz gekennzeichnet, da sie die Lagen der Erkenntniskollektive, der Science Community, und den Denk- oder Sprechstandort der wissenschaftlichen Akteurinnen und Akteure abstrahieren und damit zugleich verschleiern. Die Berücksichtigung der „Situiertheit von Wissen“ (Harding 1991) könne diese Defizite aufarbeiten. Die Situiertheit von Wissen meint die Einbeziehung und Berücksichtigung lokaler sozialer, historischer, kultureller und ökonomischer Einflussfaktoren auf die Erkenntnissubjekte.3 Wissen ist aus dieser Perspektive an einen Kontext gebunden, der Raum für soziale Aspekte wie das Geschlecht lässt. Die Wissenschaftshistorikerin Daston (1992) entwirft eine Genese des Objektivitätskonzepts, in der sie die Geschichte und die Veränderungen wissenschaftlicher Normen und Vorstellungen nachzeichnet (vgl. oben) und so nachweist, dass Objektivität bzw. die Auffassung von Objektivität durchaus Veränderungen und Wandel unterliegt, also kein unveränderbares, asoziales und personenunabhängiges Konzept ist. In Bezug auf die Rechtswissenschaft thematisiert Baer (2001, S. 14) die Geschlechtlichkeit eines vermeintlichen neutralen Rechtssubjekts, das im Mittelpunkt des Rechtsdenkens steht, und rekonstruiert traditionelle rechtswissenschaftliche Erkenntnisse aus einer differenzsensiblen Perspektive.4 Entgegen der Vorstellung, das Rechtssubjekt habe
„kein Geschlecht, kein besonderes Vermögen, keine körperlichen Fähigkeiten oder Unfähigkeiten, keine sexuellen Vorlieben, keine besonderen Lebensweisen, keine Herkunft, keine religiöse Überzeugung, keine Zugehörigkeiten“ (ebd.),
seien es Eigenschaften wie Männlichkeit, Gesundheit, Rationalität und Zweckorientierung, die die Vorstellungen vom Rechtssubjekt prägen (dazu auch Büchler/Cottier 2012). (…)
Die Wissenschaftsforschung macht deutlich, dass die Vorstellung von Objektivität und Meritokratie Ideale der modernen Gesellschaft darstellen, die ein Bild von Wissenschaft entwerfen, das seine historische und soziokulturelle Prägung unthematisiert lässt und den Faktor Geschlecht als eine zu vernachlässigende Kategorie markiert. Einige Untersuchungen heben die Pluralität und Heterogenität der akademischen Disziplinen, die „disunity von science“ (Galison/Stump 1996) oder ihre „Fragmentierung“ (Knorr-Cetina 1999), hervor. Angesichts dessen lässt sich nur schwerlich von „einer“ oder „der“ Wissenschaft sprechen. Es ist fachspezifisch zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß soziale, institutionelle und organisatorische Arrangements in den einzelnen Disziplinen vergeschlechtlicht sind und eine wissenschaftliche Karriere beeinflussen. Je nach Tradition, Struktur, Wissenschaftsleben, Kommunikations- und Forschungsgepflogenheiten erscheint eine Karriere als Professorin leichter oder schwerer.
Für die Rechtswissenschaft, in der es noch immer Fakultäten mit nur einer oder sogar keiner Professorin gibt, gilt erkennbar letzteres. Die vertikale Geschlechterstratifikation in einer Profession, der das gesellschaftliche Mandat zur Überwachung und Durchsetzung verfassungsrechtlich verbriefter Rechte wie Chancengleichheit und Gleichberechtigung übertragen ist, deutet auf einen professions- und wissenskulturell bedingten Widerspruch hin. Jutta Limbach (1986, S. 88 f.) hat zum disproportionalen Verhältnis der Geschlechter in der Rechtswissenschaft geschrieben:
„Wir dürfen vermuten, daß verschiedene Mechanismen und Praktiken der Ausgrenzung von Frauen zusammenwirken, und zwar verstärkt in einer Wissenschaft, die sich nicht nur aufklärend, sondern anwendungsbezogen mit dem Instrumentarium sozialer Kontrolle beschäftigt. Stefan Bajohr und Kathrin Rödiger-Bajohr vertreten die Ansicht, daß sich gerade in der Abwehr der Juristinnen die vielfältigen Formen der Diskriminierung weiblicher Akademiker bündelten. Das lasse sich daraus erklären, daß der Beruf der Juristin nicht dem spezifischen weiblichen Arbeitsvermögen, d. h. den erzieherischen und pflegerischen Tätigkeiten zuzurechnen sei. Die Berufsarbeit von Frauen muß unter diesem Aspekt in der Tat in einem Fach befremdlich erscheinen, das mit Machtverhältnissen und gesellschaftlicher Ordnung zu tun hat.“
Die Besonderheiten des Faches, die Limbach anspricht, spielen in dieser Untersuchung eine zentrale Rolle. Die Rechtswissenschaft gilt in den modernen westlichen Gesellschaften als legitimierte Expertin für Gerechtigkeit und Egalität und als Repräsentantin eines aufgeklärten und säkularisierten Gesellschaftssystems, das sich zur Überwindung sozialer Ungleichheiten universalen Prinzipien wie Gleichheit und Objektivität verpflichtet hat (vgl. Meyer/Jepperson 2005, S. 49; Boyle/Meyer 2005, S. 199). Die Konstituierung des Juristenstandes ist historisch eng mit dem Entstehen der Bürokratie verbunden. Trotz fortschreitender Ausdifferenzierung der Profession und der zunehmenden Deregulierung ihres Arbeitsmarktes gilt nach wie vor das Leitbild des a-personalen Verwaltungsbeamten fort, der sich, wie in Zeiten Preußens des 19. Jahrhunderts, durch „Kompetenz und Effektivität, Sachlichkeit und Objektivität, Pflichtbewußtsein und Loyalität, Verantwortlichkeit und Selbstständigkeit“ auszeichnet (Nipperdey zit. nach Mai 1989, S. 110).
Die Jurisprudenz weist eine wissenschaftliche Programmatik auf, die, um gesellschaftliche Legitimität und soziale Verbindlichkeit zu erzeugen, mit Konzepten wie Objektivität, Neutralität, Unbefangenheit und Parteilosigkeit arbeitet (vgl. Limbach 1986, S. 96) und ein in dieser Hinsicht spezifisches Professionsethos aufweist, um in der Rechtspraxis funktional, verfahrenstreu und „revisionsfest“ agieren zu können.5 Das Festhalten an Idealen wie Objektivität und Neutralität ist von der feministischen Rechtswissenschaft als einem Stachel der Disziplin aber gerade in Frage gestellt worden (vgl. Lucke 1996; Baer 2010). Auch das Recht ist kein geschlechtsneutraler Bereich, in dem eine neutrale Wissenschaft betrieben wird (vgl. Battis/Schultz 1990).
Die Anwendungsbezogenheit, die Limbach anspricht, ist ein weiteres Spezifikum der Rechtswissenschaft. (…) Die Rechtswissenschaft nimmt insofern eine Sonderstellung ein, als sie nicht nur mit dem externen Arbeitsmarkt eng verflochten ist und eine ausgeprägte Professionsorientierung aufweist, sondern aufgrund ihres Gegenstandes Recht der staatlichen und politischen Sphäre besonders nahesteht (vgl. Baer 1997, S. 160 ff.).6 Diese Merkmale können eine geschlechtersegregierende Wirkung haben. Durch das Ausbildungssystem, das traditionell für das Richteramt und nicht für eine wissenschaftliche Führungsposition qualifiziert, weisen Studierende der Rechtswissenschaft insgesamt bereits eine geringere wissenschaftliche Orientierung als in anderen Disziplinen auf (Bargel/Multrus/Ramm 1996, S. 10). Dies wird gegebenenfalls dadurch verstärkt, dass die juristische Ausbildung, die ohnehin lange dauert, noch durch die zweijährige praktische Referendarzeit verlängert wird. Baer (1997, S. 156) meint hierzu:
„Ausbildung und Berufsweg dauern lange und ermöglichen kaum biographische Brüche, die für Frauen aufgrund der andauernden Primärzuständigkeit für Kinder immer wieder auftauchen. Mehrfache (Aus-)Bildung […] und Ausflüge in die Rechtspraxis, die erforderliche Reflexion derselben erst wirklich ermöglichen, werden nicht honoriert. Die Habilitation erweist sich ohnehin als innovations- und minderheitenfeindlich. Anders als in Deutschland wird beispielsweise in den USA vor einer Berufung nicht notwendig die noch dazu personenbezogene wissenschaftliche Dienstleistung und theoretische Arbeit vorausgesetzt […]. Das ermöglicht biographische Flexibilität und erfordert und fördert inhaltliche, meist eben auch interdisziplinäre Offenheit.“
Auch der Zweig der Hochschulforschung, der sich auf den Ansatz Bourdieus bezieht, geht davon aus, dass die Disziplinen eigene soziale Universen darstellen. Eine Disziplin zu studieren und in den Wissenschaftsbetrieb einzusteigen, heißt, einen fachspezifischen Habitus zu inkorporieren, eine Experten/-innenrolle in sich aufzubauen und diese harmonisch, im Einklang mit dem disziplinspezifischen Denk- und Normensystem auszufüllen (vgl. Liebau/Huber 1985, S. 323; vgl. auch Portele 1985). Das universitäre Feld ist mit einer impliziten und asymmetrischen Geschlechterstruktur unterlegt (Allmendinger et al. 2001; Krais 2000). Es ist historisch bedingt eine männlich geprägte Kultursphäre, die homosoziale Strukturen aufweist und in ihren Traditionen, Regeln, Werten und Interaktionsformen noch immer als männlich zu charakterisieren ist (Schultz 1990). Der Aspekt der männlichen Dominanz wird besonders in Berufungsverfahren relevant: Professorenpositionen werden vor allem unter Männern ausgehandelt und im Wissenschaftsspiel erobert (Engler 2000; 2001; Zimmermann 2000; vgl. auch Gross/Jungbauer-Gans/Kriwy 2008, S. 13). (…)
Wenn der juristische Habitus neutral konstruiert ist, ist er faktisch – wie der wissenschaftliche Habitus – doch männlich. Frauen haben sich, das wäre eine Folgerung, körperlich wie geschlechtshabituell umzubauen, sich in das vorgegebene Geschlechterarrangement einzufinden und eine „strategische Neutralisierungsarbeit“ (Malli 2003, S. 173) zu leisten, wenn sie erfolgreich sein wollen. (…)
Damit wird es zu einem Forschungsanliegen, Strukturen und kulturelle Gegebenheiten der Rechtswissenschaft zu identifizieren, die die Exklusion von Frauen fördern und unter dem Deckmantel von Universalismus und Geschlechtslosigkeit verborgen halten. Daher hat sich die Arbeit u.a. zum Ziel gesetzt, die juristische Fach- und Wissenschaftskultur eingehender zu betrachten.

  1. Für einen Überblick über die Themen der juristischen Geschlechterstudien: Aichhorn 1997; Battis/Schultz 1990; Büchler/Cottier 2012; Gerhard/Limbach 1988; Floßmann 1997; Foljanti/Lembke 2012; Holzleithner 2002; Kreuzer 2001; zu Recht und Geschlecht s. auch den Überblicksbeitrag Baer 2010.
  2. Eine „Wissenschaft der Rechtswissenschaft“ könnte sich folgende Fragen stellen, sie aufarbeiten und systematisieren: In welchem sozialen, kulturellen und historischen Zusammenhang ist die universitäre Rechtswissenschaft entstanden? In welcher politischen und ökonomischen Umgebung steht sie? Wie wirken sich gesellschaftliche Änderungen auf die Rechtswissenschaft aus? Welches sind die makro- und mikrosoziologischen Bedingungsfaktoren der akademischen Wissensproduktion? Welche Rolle spielen soziale Faktoren und Einflüsse, und wie geht die Disziplin mit diesen um? Welche Strukturmerkmale und Parameter weist die der juristische Wissenskultur auf?
  3. Harding entwickelt ein Modell der „strong objectivity“, das darauf angelegt ist, die Entstehungskontexte von wissenschaftlichem Wissen in den Reflexionsprozess einzubinden und ihn auf diese Weise zu „demokratisieren“ (vgl. dazu Singer 2008, S. 291)
  4. Das Rechtssubjekt ist ein Konstrukt und wird als ein Träger juristischer Rechte und Pflichten gedacht. Im Bürgerlichen Recht wird das Rechtssubjekt auch an die sog. Rechtsfähigkeit gekoppelt.
  5. Einen formal verfahrensrechtlichen Ausdruck mit einem rituellen Kern (zu Rechtsritualen: Winn 2003) findet dieses Professionsverständnis, in dem Wissenschafts- und Rechtsideale zusammenfließen, in dem sog. Befangenheitsantrag, der in den Vorschriften § 20 VwVfG (im Verwaltungsverfahren), § 24 StPO (im Strafprozess) und § 42 ZPO (im Zivilprozess) geregelt ist. Vorurteile, Parteinahme und mangelnde Neutralität sollen verhindert werden, indem befangene Richter/innen in einem formal zu stellenden Gesuch, das Distanz herstellt oder aber wahrt und das professionelle Selbstverständnis der Justiz fördert, abgelehnt werden können.
  6. Dies wird besonders augenfällig, wenn man an ihre Rolle im Nationalsozialismus denkt. Mit Hilfe der Rechtswissenschaft, verstanden als Rechtsprechung und wissenschaftliche Disziplin, wurde das bis dahin geltende Recht im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie radikal umgebaut (vgl. Röhl/Röhl 2008, S. 81) – einem wissenschaftlichen Gebot von Objektivität und Neutralität zum Trotz.