STREIT 1/2023
S. 5-12
Wofür STREITen wir?
Warum streiten?
Recht ist Bewegung. Keine ändert die Welt allein. Praxis braucht Theorie und Theorie braucht Praxis. – Das könnte zusammenfassen, was die STREIT für mich bedeutet. Und das ist keine Abstraktion, sondern in und mit der STREIT intensiv zu erleben.
Ohne die Frauenbewegung, die eigentlich aus unterschiedlichen Bewegungen besteht, und ohne die Bewegung der Anwältinnen, Bürofrauen und Referendarinnen und dann immer mehr Studentinnen, die den Feministischen Juristinnentag begründet haben, ist die STREIT nicht vorstellbar. Auf diesem Pfad des FJT gelangte wohl auch ich in die Redaktion, in der sich allerdings viele Wege kreuzen – bei mir das Engagement gegen häusliche Gewalt, gegen Pornographie, gegen sexuelle Belästigung, für eine geschlechtergerechte Verfassung, für feministische Rechtstheorie. Damals ging ich wohl davon aus, dies alles mache mich zu einem Teil der feministisch-rechtskritischen Bewegung – aber in der STREIT und auf dem FJT ließ und lässt sich immer wieder erfahren, dass es kein solches Credo gibt, kein Programm, dass über (fast) alles immer auch, ja: gestritten wird. In der STREIT immer für die STREIT. Keine kuschelige Heimat, aber ein Zuhause. Lehrreich war das allemal – und ich erinnere mich an Momente, wo so überaus deutlich wurde, dass Theorie nicht nur in Hochschulen entsteht, dass Wissenschaft auch Praxis schätzt, dass Rechtskämpfe in Deutschland ganz anders wirken, wenn wir auch jene in anderen Ländern verstehen, dass Rechtsprechung sich durchaus auf die Seite der Frauen stellen kann. Das trägt auch in anderen Zusammenhängen weiter. Jedenfalls ist die STREIT nur gemeinsam, in dieser sehr besonderen Form eines Miteinanders, das von Unterschieden lebt und Gegeneinander erlaubt, auf der Suche nach dem, was wir miteinander teilen können und wollen, denk- und machbar. Die STREIT war (und ist, für mich) also gelebte Diversität, bevor das zum Label wurde.
In der STREIT kulminiert zudem auf gewisse Weise, was feministische Theorie und Frauenbewegung miteinander auszufechten haben. Themen wechseln, aber Fragen bleiben: Wie theoretisch, wie abstrakt und, nicht zuletzt, wie kompliziert darf es sein in der STREIT, wie praktisch, umsetzbar, bewegungsaffin? Gehören Positionen ins Heft, die mehrheitlich nicht geteilt werden – vielleicht gerade deshalb? Sind Beiträge akzeptabel, die Thesen nicht mit Quellen belegen und Argumente nicht in Beziehung setzen zu anderen, weil Subjektivität auch wichtig ist und diese Form braucht, oder: Was sind die Standards der STREIT, wer definiert die? Und gibt es wirklich einen Generationenkonflikt – oder ist das der Nebel, um andere Kontroversen zu verschleiern? Auch über all das streitet die STREIT.
Und warum?
Um uns immer wieder daran zu erinnern, dass das Private politisch ist. Um immer wieder klarzustellen, dass Theorie nicht nur in den Hochschulen entsteht, sondern auch in und aus Praxis. Um fragend zu bleiben, nicht wissend zu tun. Und dann doch ganz einig und eindeutig: Streiten für die Gleichberechtigung in der Unterschiedlichkeit. Und zwar auf allen Ebenen. So bleiben Denken und das Handeln in (der Frauen-) Bewegung.
Schließlich – die STREIT! Ganz wunderbare Menschen, interessant, eigen, zugewandt, auch fürsorglich. Manche brauchen Bühnen, manche arbeiten im Hintergrund, unersetzlich, geben unglaublich viel Zeit und Mühe, damit das immer wieder etwas wird. Und es kommen ganz viele Ideen auf die „Aufgabenliste“, unhierarchisch unsortiert, denn so viel ist wichtig, wäre interessant, ließe sich ausprobieren. Manches wird, manches nicht. Der Mix macht´s. Mich beeindruckt immer wieder, dass und wie so harte Themen mit wunderschöner Kunst im blauen Umschlag verhandelt werden. Am Ende bin ich schlicht sehr dankbar, dass ich auf den Juristinnentagen und in der Redaktion ein wenig mit streiten konnte, vor allem aber: dass es die STREIT gibt.
Susanne Baer, Richterin des BVerfG a. D.,
Professorin, Berlin
Für die Sichtbarkeit von Frauen im Leben und im Recht!
Als Teil der Frauenbewegung der 70er Jahre gehörte ich verschiedenen Frauengruppen an, wie dem Zusammenschluss von Frauenbetriebsgruppen, dem ‚Frauenmalochetreffen‘, das sich im April 1978 auf dem Tribunal Gewalt gegen Frauen in Köln gegründet hatte, oder später einer Frauengruppe, die sich 1981 in Bochum zusammenfand und sich gegen Frauenunterdrückung und Unterdrückung weltweit wandte, Veranstaltungen organisierte und dabei auch feministisch theoretische Texte diskutierte. Es lag für mich daher 1978 nahe, sich an den Jurafrauentreffen, dem heutigen Feministischen Juristinnentag, aktiv zu beteiligen. Als junge Anwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht war es im Frühjahr 1983 wunderbar, in Frankfurt/Main zu den Gründerinnen einer feministischen Rechtszeitschrift, der STREIT, zu gehören und im Mai das Heft 1 der STREIT in den Händen zu halten.
Es hat sich seitdem viel getan, die rechtliche Lage für manche Frauen, z.B. für Frauen wie mich, in der Welt verbesserte sich, aber für viele andere wurde sie auch schlechter, wenn ich an Afghanistan denke oder die schwierigeren Abtreibungsmöglichkeiten in Polen, in Teilen der USA, in Nicaragua. Es bleibt so für mich unverändert nötig, für eine Welt zu streiten, in der Frauen sich in jeder Hinsicht frei bewegen können, frei reden können, Luft zum Atmen haben, nach ihren Vorstellungen das Leben gestalten können. Es geht mir um die nachhaltige Änderung der Gesellschaft aus der Perspektive und im Interesse von Frauen, die bisherige patriarchale Ordnung hat mit Gewalt die vorhandenen Machtverhältnisse bestimmt, ein Zustand, der nicht so bleiben sollte. Mit anderen Frauen zusammen möchte ich erreichen, dass Frauen ein gutes Leben haben und – nach meiner Vorstellung – damit auch alle anderen Menschen. Dazu gehört, dass Frauen auf allen Ebenen Mut haben, das gesellschaftliche Leben zu gestalten, also auch sich vorhandener Rechte bewusst zu sein und diese dann durchsetzen zu können.
Mit STREIT können Frauenleben sichtbar werden, die sonst unbeachtet bleiben, Frauen die gezwungen sind, in sozial schweren Verhältnissen zu leben, Frauen in anderen Teilen der Welt, die unter sehr schlechten Bedingungen arbeiten, im Krieg, Krisensituationen leben, dort in besonderer Weise Gewalt erfahren. Wichtig ist für mich, dass Frauen, die sich hier und in anderen Teilen der Welt gegen Unterdrückung wehren, beachtet und geachtet werden und vorhandene positive Möglichkeiten von rechtlichen Interventionen verbreitet werden, denn Rechte und Gesetze sind Ergebnisse gesellschaftlicher Kräfteverhältnisse und daher veränderbar.
Von Anfang an sind in der STREIT deshalb Frauen die Autorinnen und veröffentlichen wir die für Frauen positiven Entscheidungen. Die STREIT ist so für mich ein Ort, an dem Frauen sowohl ihre eigenen Normvorstellungen äußern, als auch Mittel und Wege der praktischen Um- und Durchsetzung von Rechten publiziert werden.
Ich freue mich jedes Mal sehr auf unsere Redaktionstreffen, auf lebhafte Debatten, auf neue Erkenntnisse und auf die herzlichen Begegnungen. Es ist schön, unmittelbar zu erfahren, dass wir mit unseren Anliegen jeweils nicht allein sind. Jedes neue Heft der STREIT bedeutet für mich so auch persönliches Glück.
Malin Bode, Rechtsanwältin, Bochum
Wofür streite ich?
Ich streite
tagtäglich und nicht zuletzt mit mir dafür, dass das Private auch immer politisch ist;
für die Stärkung der Rechte von Frauen sowie von allen Menschen, die dem heteronormativen Rahmen nicht entsprechen;
für eine deutliche Zeichensetzung gegen einen weltweit zunehmenden Antifeminismus, Rassismus und Rechtspopulismus;
für eine Welt, in der Kategorisierungen von Menschen keine benachteiligenden Auswirkungen zur Folge haben;
dafür, dass das Streiten gegen Missstände und für Gerechtigkeit irgendwann nicht mehr erforderlich sein wird;
dafür, dass es feministisch-solidarische Orte wie die STREIT und den FJT auch weiterhin geben wird.
Sarah Elsuni, Professorin, Frankfurt am Main
Ein Leben mit STREIT
Anfang der 1970er Jahre, als ich in Frankfurt studierte, begann die Neue Frauenbewegung und wir stellten uns die Fragen: welche Unterdrückung ist allen Frauen gemeinsam und inwiefern unterscheidet sie sich von anderen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen? Und was ist Frauenemanzipation – wofür streiten wir?
Ich stritt zunächst für das Recht auf Abtreibung und dann für das Recht auf eine frauengerechte Geburtshilfe – Kämpfe, die heute von einer jüngeren Generation mit neuer Kraft weitergetrieben werden. Als Mutter war ich 1977 mit Strukturen konfrontiert, die mir damals eine Berufstätigkeit als Anwältin schier unmöglich machten, eine starke Motivation, mich weiter für die Umsetzung des Gleichberechtigungsversprechens aus Art. 3 GG einzusetzen.
Ich ging zu den Jurafrauentreffen und lernte von den Anwältinnen, die die Treffen organisierten, auf welche Hürden sie und ihre Mandantinnen vor den Gerichten stießen. Als diese Anwältinnen sich Anfang 1983 in Frankfurt trafen, um eine Zeitschrift zu gründen, war ich begeistert. Ich lebte im Kollektiv des Verlags Roter Stern und hatte schon Bücher mit herausgegeben und produziert. So bot ich mich an, die Produktion der STREIT zu betreuen.
Seither lerne ich in jedem Quartal bei unseren Redaktionssitzungen, mit welchen Problemen Frauen sich an (feministische) Anwältinnen wenden auf der Suche nach Gerechtigkeit, die ihnen im Beruf, in der Partnerschaft, im Sozialsystem, bei den Ausländerbehörden oder nach erfahrener geschlechtsbezogener Gewalt verwehrt wird. Und ich lerne, wie Gerichte in vielen Konstellationen Recht im Sinne dieser Frauen sprechen könnten, wenn sie es denn wollten.
So veröffentlichen wir möglichst viele Entscheidungen aus allen Rechtsgebieten, in denen Gerichte sich getrauen, gegen die Meinung der Herrschenden – die sog. herrschende Meinung – eine andere Meinung zu vertreten. Die entsprechenden Argumentationen werden oftmals in Artikeln, die wir veröffentlichen, vorbereitet und verbreitet. Und es werden in der STREIT Änderungen der Gesetze gefordert und kommentiert. Auch wird die überkommene patriarchale Rechtsordnung als Ganzes aus einer feministischen Perspektive analysiert und kritisiert.
Mich fasziniert immer wieder der Blick in ältere Hefte: wie sich unsere Themen durch all die Jahre und Jahrzehnte gleichen und doch verändern. So wird z.B. Gewalt gegen Frauen heute weniger tabuisiert – es sei denn, es geht um Sorge- und Umgangsverfahren. Der Gewaltschutz wurde verbessert – greift aber kaum bei neuen Formen digital ausgeübter Gewalt. Der Zugang von Frauen zur Erwerbsarbeit wurde erleichtert – zugleich aber stieg die Zahl prekär arbeitender Frauen aus dem Ausland insbesondere in der Altenpflege, ein Thema, das jetzt für mich auch lebensgeschichtlich relevant wird.
Als Wissenschaftlerin interessiere ich mich vor allem für die Rechtsgeschichte. So lese ich in den Heften, die in den letzten 40 Jahren entstanden sind, wie in einem Geschichtsbuch, in dem sich die Entwicklung feministischer Rechtstheorie, Rechtspolitik und Rechtspraxis abbildet. Und ich bin glücklich, an der Geschichte und diesem Buch mitgewirkt zu haben – und hoffentlich noch lange mitmachen zu können.
Sibylla Flügge, Professorin i.R, Frankfurt a.M.
Wofür streite ich?
Ich streite dafür, dass strukturelle Gewalt gegen Frauen sichtbar und ernst genommen wird und Belange von Frauen Beachtung finden.
Immer noch ist es auch außerhalb des Gerichtssaals an der Tagesordnung, dass Frauen nicht geglaubt wird, wenn sie von erfahrener Gewalt berichten. Diskriminierungen werden heruntergespielt, sexuelle Übergriffe bagatellisiert. Mütter werden unter Androhung des Entzugs ihres Sorgerechts dazu genötigt, dem gewalttätigen Vater die Kinder ohne jegliche Schutzmaßnahmen zu überlassen. Ihnen wird mangelnde Bindungstoleranz vorgeworfen und im Gerichtssaal wird die erfahrene Gewalt und die Auswirkungen auf die Kinder von keiner der beteiligten Institutionen thematisiert und beachtet.
Zwar stehe ich im Gerichtssaal mit meinen feministischen Ansichten oft alleine da, weiß jedoch eine ganzes Redaktionsteam an tollen Frauen hinter mir, die für das Gleiche streiten.
Als Redakteurin möchte ich dazu beitragen, dass positive Entwicklungen in Gesetzgebung und Rechtsprechung Beachtung finden und uns als Motivator dienen, weiter zu streiten.
Als Anwältin sehe ich es als meine Aufgabe, die in der Gesellschaft tief verankerten, patriarchalen Strukturen gemeinsam mit den Betroffenen zumindest sichtbar zu machen. Für einen gesellschaftlichen Wandel – und nur dann wird sich auch in der Rechtsprechung etwas ändern – ist es elementar, dass Frauen die erfahrene Gewalt thematisieren können.
In einer Welt, in der Frauen oft immer noch unsichtbar sind und ihre Belange nicht gehört werden, ist es ein erster Schritt aus der Immanenz in Richtung Transzendenz, dass sie sich Gehör verschaffen und sie für ihre eigenen Rechte eintreten.
Migrantische Frauen müssen sich auf diesem Weg besonderen Herausforderungen stellen. Neben der Diskriminierung als Frau sind sie häufig auch Rassismus ausgesetzt. Hinzu kommt, dass eine Trennung von gewalttätigen Ehemännern oft noch existentiellere Auswirkungen hat. Denjenigen, die keinen dreijährigen rechtmäßigen Bestand der ehelichen Lebensgemeinschaft im Bundesgebiet vorweisen können, droht der Verlust ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland. Die Härtefallregelung des § 31 Abs. 2 AufenthG kommt nur selten zur Anwendung. Für die Ausländerbehörde überwiegen zumeist einwanderungspolitische Belange. Sie stellt überhöhte Anforderungen an einen Nachweis der erfahrenen Gewalt und argumentiert, dass die Frauen unproblematisch ins Heimatland zurückkehren können. Unberücksichtigt bleibt auch, dass geschiedene Frauen in vielen Ländern mit Stigmata und Ausgrenzungen konfrontiert sind. Dass diese Praxis Frauen dazu zwingt, weitere Jahre in familiären Gewaltstrukturen zu verweilen, wird hingenommen. Ein Erfolg ist zumindest, dass die neue Bundesregierung die Vorbehalte gegen das Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt nicht verlängert und damit der Schutz der Istanbul Konvention künftig auch umfassend für Migrantinnen gilt. Die Beachtung in der Verwaltungspraxis wird voraussichtlich aber noch einiges an Streiten erfordern.
Trotz der drohenden Konsequenzen fassen viele Frauen den Mut, sich zu trennen und ein unabhängiges Leben aufzubauen. Das verdient höchsten Respekt. Wenn ich Frauen nach dem Trennungsjahr wieder begegne, um sie im Scheidungsverfahren zu vertreten, sehe ich oft selbstbewusste und strahlende Frauen vor mir, die stolz berichten, was sie in der kurzen Zeit alles bewerkstelligt haben. Frauen, die in den krassesten Abhängigkeitsverhältnissen gelebt, massive Gewalt erfahren und keinerlei Deutsch gesprochen haben, bauen sich in nur 12 Monaten ein komplett eigenständiges Leben auf. Diesen Fortschritt zu sehen, motiviert mich, weiter zu streiten, für Frauen und ihre Belange und diese mutigen Frauen werden auch immer mehr Frauen dazu bewegen, diesen Weg zu gehen.
Katharina Gruber, Rechtsanwältin, Hamburg
Realitätscheck
Als Rechtsanwältin im Familienrecht tätig, war ich Mitbegründerin des Vereins „Frauen streiten für ihr Recht e.V.“, der die STREIT herausgibt. Ich sehe mich noch die Satzung verfassen … Neun Jahre später wechselte ich auf die Richterbank, die mir mit diesem ausschließlichen Maskulinum wegen der strukturellen Bedingungen des Justizbetriebs zutreffend bezeichnet erscheint: die mittelbare Diskriminierung von Frauen im Familienrecht besteht nach wie vor. Die Bereitschaft, die Lebensbedingungen von Frauen in einem patriarchal grundierten Umfeld auch nur wahrzunehmen, erscheint eingeschränkt. Ungleichen Ausgangspositionen in der familiären Auseinandersetzung – materiell wie immateriell – vor Gericht Rechnung tragen zu wollen, haftet der Ruch der Voreingenommenheit an. Der Umkehrschluss wird nicht gesehen … Wie zäh die justizielle Rezeption ungleicher Lebensbedingungen sich gestaltet, zeigt der Gewaltschutz.
STREIT hat schon sehr früh, vor allen anderen, zum Gewaltschutz publiziert, die wenigen Wegweisungsentscheidungen haben wir als Anfang erkannt, die Entwicklungen im europäischen Ausland beobachtet und dokumentiert. Die Bereitschaft der Gerichte, Partnerschaftsgewalt, insbesondere gegen Frauen, als Realität zu sehen und Schutz zu bieten, blieb jedoch eingeschränkt, so dass den RichterInnen durch das Gewaltschutzgesetz 2002 vorgegeben werden musste, dass und wie die aus § 823 BGB folgenden Unterlassungsansprüche umzusetzen sind. Eine einheitliche Rechtspraxis scheint es allerdings dennoch nicht zu geben; Berichte vor allem professioneller HelferInnen lassen erkennen, dass es nach wie vor größere Landstriche geben muss, in denen bei schlüssigem und glaubhaft gemachtem Vortrag von Taten gegen Gesundheit, Leben oder Freiheit der Erlass einer einstweiligen Schutzanordnung ohne mündliche Verhandlung praktisch nicht vorkommt. Erst die Istanbul-Konvention führt jetzt, 20 Jahre nach dem Gewaltschutzgesetz und bald 5 Jahre nach ihrem hiesigen Inkrafttreten zu zögerlicher Wahrnehmung, dass Gewalttätigkeit sich nicht auf die Paarbeziehung beschränkt, sondern das familiäre System insgesamt belastet, so auf die Frauen weiterhin einwirkt und dass Täter gefährlich bleiben. Zentral für den nach der Konvention zu gewährenden justiziellen Schutz ist es, den Sachverhalt rückhaltlos aufzuklären. Es gilt, den Amtsermittlungsauftrag ernst zu nehmen und ihn nicht auf Sachverständige zu delegieren, die ihn bedingungsgemäß nicht erfüllen können. Wenn wir sehen, dass die gerichtliche Amtsermittlung an keiner Stelle Ausbildungsgegenstand ist, dass es nicht ein einziges Lehrbuch zu deren Methoden gibt, wissen wir, dass der Weg zu einer routinemäßigen richterlichen Durchleuchtung angeblich privaten Lebens noch lang ist.
Unsere Arbeit in der Redaktion, die Diskussion um die Veröffentlichung familienrechtlicher Entscheidungen, die gemeinsame Einschätzung von deren rechtspolitischer Bedeutung hat mich darin unterstützt, herausbekommen zu wollen, was wirklich gewesen ist.
Sabine Heinke, Richterin am Amtsgericht i.R., Hamburg
Denkfreiheit
Für mich ist die STREIT eine Art rechtspolitisches Korrektiv:
In meiner Erwerbsarbeit habe ich nicht viel mit feministischer Rechtspolitik zu tun und auch nur selten mit juristischen Fachfragen zu Frauenrechten, Gleichstellung oder Antidiskriminierung. Aber ich erlebe die Umsetzung, die Auswirkungen der rechtspolitischen Diskussionen und Fortschritte, über die die Autorinnen in der STREIT schreiben und über die wir in der Redaktion diskutieren – und versuche, Veränderungen vor dem Hintergrund meiner (feministischen) Grundwerte einzuordnen, zu verstehen.
Die STREIT ist dabei immer ein bisschen mehr als der rechtspolitische oder rechtswissenschaftliche Diskurs in anderen Fachzeitschriften/Veröffentlichungen und in den Medien: Sie ist unabhängig von Parteipolitik und unabhängig von Hierarchien in Wissenschaft, Politik und Justiz. In der STREIT können wir über die Tagespolitik hinaus, historisch, grenzüberschreitend wie auch utopisch denken. Das ist für mich Denkfreiheit und damit auch mein Verständnis von „Feminismus“: der fortlaufende Versuch, sich von Machtstrukturen, Diskriminierung und Zuschreibungen zu befreien und über eine Gesellschaft nachzudenken, die gerechter, verbindender, menschlicher ist als die heutige – die alte Utopie vom besseren Leben für alle.
Anna Hochreuter, Abteilungsleiterin
in der Senatsverwaltung, Berlin
Wofür ich streite
Als die erste STREIT in 1983 erschien, war ich 11 Jahre alt und ging in der Nähe von Leipzig zur Schule. Von Feminismus hatte ich noch nichts gehört. Aufgewachsen bin ich mit der Erfahrung, dass außerhäusliche Erwerbsarbeit von Frauen der Normalfall ist, Kindergartenplätze in ausreichender Anzahl vorhanden sind, existentielle Fragen der Sicherung des Lebensunterhalts sich auch für die Erwachsenen in meiner Umgebung nicht stellten. Das änderte sich schlagartig mit dem gesellschaftlichen Umbruch 1989/90.
Mit den neuen, scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten kamen plötzlich neue Herausforderungen. Innerhalb kürzester Zeit sind unglaublich viele Menschen abgewandert, weggezogen „in den Westen“. Meine Heimatstadt Altenburg verlor dadurch etwa 1/3 der Bevölkerung, die Arbeitslosenquote schnellte in die Höhe, lag Anfang der 1990er Jahre in „meiner“ Region bei über 20% und war damit mehr als doppelt so hoch wie in Westdeutschland, Frauen fanden viel schlechter neue Arbeit als Männer. In puncto Bezahlung bilden sie immer noch das Schlusslicht. Viele, die da blieben, haderten trotz der Freude über die neu gewonnenen Freiheiten mit dem gesellschaftlichen Wandel, was noch lange überall zu spüren war. Zum ersten Mal hörte ich Sätze wie, dass Arbeitslosigkeit für Männer viel schwerer sei als für Frauen, und fand es empörend, dass hier geschlechtsbezogene Rollenzuschreibungen stattfanden.
1991 hatte ich nach 12 Schulbesuchsjahren das Abi in der Tasche. An die mir auf dem Abschlusszeugnis immerhin mit dem Ergebnis „sehr gut“ bescheinigte wissenschaftlich-praktische Arbeit („Bau einer Trafostation in der Kesselgasse Altenburg als energetische Basis für den innerstädtischen Wohnungsbau“) habe ich heute keinerlei Erinnerungen. Niemand in meinem Familien- oder Bekanntenkreis hatte einen juristischen Beruf. Vielleicht angespornt durch die Annahme, dass ein erfolgreich abgeschlossenes Jurastudium eine sichere Basis in dieser unsicheren Zeit vermittelt, vielleicht auch ein wenig aus Trotz gegenüber meiner damaligen Klassenlehrerin, deren Worte „Rechtsanwalt, das ist doch kein Beruf für Frauen“ mir damals schon unfassbar neben der Sache liegend vorkamen, habe ich beschlossen, Jura zu studieren. Jetzt bin ich seit über 22 Jahren als Rechtsanwältin zugelassen und kann mir keinen besseren Beruf vorstellen.
Als ich während des Studiums Anfang der 1990er Jahre zum ersten Mal den Feministischen Juristinnentag besuchte und STREIT-Leserin wurde, waren mir viele Themen neu, waren abstrakt für mich hochinteressant, betrafen aber nicht meine konkrete Lebensrealität, was sich dann ziemlich schnell änderte, spätestens als meine Generation dran war, Familie und Erwerbstätigkeit miteinander zu vereinbaren. Als ich mit zwei Freundinnen 2003 das Leipziger Anwältinnenbüro gründete (das damalige Berliner Anwältinnenbüro war unser Vorbild), war der Name nicht zufällig gewählt. Dass er trotzdem so provozierte, war erstaunlich.
In STREIT haben wir immer wieder auch Beiträge publiziert, die die besonderen Lebenssituationen und den Kampf um Gleichberechtigung der Frauen aus der ehemaligen DDR thematisieren. Das Recht ist seit langem angeglichen, die Rechtswirklichkeit von Frauen und Männern bundesweit geht in grundlegenden Bereichen noch immer auseinander, zum Nachteil der Frauen. Streit um Unterhaltsvorschuss oder Streit um Anerkennung von sexualisierten Gewalttaten nach dem Opferentschädigungsrecht betreffen in weit überwiegender Zahl Frauen. Die Rechtsdurchsetzungsmechanismen sind nur scheinbar geschlechtsneutral. Institutionelle Hindernisse abzubauen, die Mandant*innen so durch das Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu begleiten, dass sie durch das Verfahren keine weitere Demütigung und Schädigung erfahren, ist immer wieder eine Herausforderung. Und der Streit um Entgeltgerechtigkeit muss weitergeführt werden, damit der Grundsatz des gleichen Lohns für gleiche / gleichwertige Arbeit keine bloße Worthülse bleibt.
Susette Jörk, Rechtsanwältin, Leipzig
Wofür streite ich?
1977, sieben Jahre vor der Realisierung des Projekts einer deutschsprachigen Feministischen Rechtszeitschrift, hielt ich die Urkunde über mein bestandenes 2. Staatsexamen und kurz danach meine Heiratsurkunde in den Händen. Der in solcher Situation damals übliche und gesellschaftlich erwünschte weitere Lebensweg von Frauen hieß 3-Phasen-Modell: die Frau erst in Ausbildung, sodann mit einem Ehemann als Ernährer viele Jahre in der Rolle der Hausfrau und Mutter, um schließlich mit 45-50 Jahren in eine Erwerbstätigkeit zu starten. Ich habe diesem Modell misstraut und setzte lieber auf ‚Selbstverwirklichung‘, wie es abschätzig genannt wurde.
Im gleichen Jahr trat die grundlegende Reform des Familienrechts in Kraft. 1977 schien es, dass die Lebenswirklichkeit von Frauen erstmals im Recht ernsthaft berücksichtigt würde. Doch weit gefehlt: die Anforderungen an Frauen nach der Trennung wurden in kürzester Zeit hoch geschraubt, (Ehe)Männer schnell wirtschaftlich entlastet. Stichwort diesmal ‚Selbstverantwortung‘! Vor allem das Unterhaltsrecht und das Sorgerecht leben seither von Fiktionen, der Annahme gesellschaftlicher Verhältnisse, die oft weit von der Realität des Lebens Alleinerziehender entfernt sind. Die Rahmenbedingungen des 3-Phasen-Modells haben eine lange Halbwertszeit: die überwiegende Last des Aufziehens der Kinder tragen weiterhin die Frauen, Gesellschaft und Väter übernehmen nur zögerlich Verantwortung für die junge Generation.
Mit STREIT sind wir in der Lage, diesen konsequenten Rückbau der Frauenrechte im Familienrecht und die Fiktionen zu benennen und zu bekämpfen: Kita-Plätze bedarfsgerecht und mit genügend Personal? Vollzeit-Schulen? Recht auf Rückkehr aus Teilzeitarbeit in Vollzeitbeschäftigung?, um nur einige zu nennen. In Schriftsätzen und im Gerichtssaal wird deutlich, wie schwer es die Beweisregeln der Prozessordnung Frauen machen, Rechte durchzusetzen, und wie nachteilig sich die geringeren wirtschaftlichen Ressourcen der Frauen für sie auswirken. Deshalb: Feministische Familienrechtlerinnen braucht das Land!
In STREIT stärken wir den Kolleginnen den Rücken und fordern die Gesellschaft auf, Recht und Realität in Kongruenz zu bringen: wir STREITen für die Anerkennung und leistungsgerechte Bezahlung von Care-Arbeit an jungen und alten Menschen, die Abschaffung des Ehegattensplittings und der beitragsfreien Krankenversicherung für Ehegatten, die bedarfsgerechte Versorgung mit zuverlässig finanzierten Schutzräumen bei häuslicher Gewalt, für erreichbare und gewaltfreie Geburtshilfe, für Sorgerechte abhängig von tatsächlicher Übernahme der Fürsorge und nicht nur vom gemeinsamen Wohnsitz.
Ich STREITe für Chancengerechtigkeit und ein wirtschaftlich auskömmliches Leben für alle Frauen, frei von Armut gerade auch im Alter. Für mich ist STREIT ein Gesamtkunstwerk von Leben und Arbeiten, Frauensolidarität und Einsatz für die Rechte von Frauen, STREIT hat mein Leben bereichert.
Susanne Pötz-Neuburger, Rechsanwältin i.R., Hamburg
Wofür streite ich? Für Gerechtigkeit!
In der letzten Station meines Referendariats lernte ich 1981 engagierte Rechtsanwältinnen kennen, die in Hamburg ein Jurafrauentreffen organisierten – und seit dieser Zeit sehe ich mich als feministische Juristin. Ich streite für Gerechtigkeit, für gleiche Rechte und Chancen für Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen und immer wieder gegen den § 218 StGB!
Als junge Rechtsanwältin mit den Schwerpunkten Familienrecht und Vertretung von Frauen in Nebenklageverfahren erfuhr ich vielfach, wie unfassbar ungerecht Frauen im Recht und in den juristischen Verfahren behandelt wurden – besonders wenn sie Gewalt erlebt haben. Das war schwer auszuhalten, dagegen wollte ich ankämpfen.
Daher waren für mich das Jurafrauentreffen bzw. später der feministische Juristinnentag wichtige Foren, um mich mit gleichgesinnten Kolleginnen über unsere alltäglichen beruflichen Erfahrungen auszutauschen, zu vernetzen und um rechtspolitische Positionen in Debatten weiterzuentwickeln. Als die Idee entstand, unser Wissen, unsere Meinungen und Erfahrungen auch zwischen den Juristinnentagen zu vermitteln und die Möglichkeit zu schaffen, für Frauen positive Urteile weiter zu verbreiten, war ich sofort begeistert dabei. Aber in den herkömmlichen juristischen Publikationen hatten diese Positionen keinen Platz, sie wurden schlicht nicht abgedruckt.
Es war die Zeit der Projekte in der Frauenbewegung: Wenn es etwas nicht gibt, machen wir es eben selbst! Also beschlossen wir, einige feministische Juristinnen, eine Zeitschrift herauszugeben, die genau diesen Zweck erfüllte: die feministische Rechtszeitschrift STREIT. Dafür gründeten wir den Verein „Frauen streiten für ihr Recht e.V.“ Seit Heft 1/1983 bin ich in der Redaktion. Ich beteilige mich an den lebhaften Diskussionen und habe im Laufe der Jahre verschiedenste Aufgaben übernommen: Im Verein erledige ich als eine der Vorsitzenden die notwendigen Vereinsaufgaben, für die Produktion der Hefte werbe ich manchmal Artikel ein, bearbeite Beiträge redaktionell und lektoriere Beiträge und Urteile, bereite sie für den Satz vor, lese Korrektur und kümmere mich um die Endredaktion und die Gesamtgestaltung. In den vier Jahrzehnten hat sich viel verändert. Es gab viele technische Neuerungen, unter anderem die Präsenz der Zeitschrift im Internet und die online-Ausgabe, was auch in der Produktion und Herausgabe der Hefte immer neue Herausforderungen mit sich brachte und bringt.
Beruflich habe ich seit den 90er Jahren nicht mehr als Juristin gearbeitet, sondern habe zunächst politische Bildungsarbeit für Frauen koordiniert und war später als Personalreferentin und Personalentwicklerin tätig. Als Mitglied der Redaktion kann ich jedoch – wenn auch indirekt – weiterhin dazu beitragen, dass das Recht zugunsten von Frauen weiterentwickelt wird und Frauen juristisch gestärkt und unterstützt werden können.
Viermal im Jahr trifft sich das Redaktionskollektiv; einige Redakteurinnen sind seit Anfang an dabei, andere kamen dazu, manche sind im Laufe der Jahre ausgeschieden. Wir setzen uns leidenschaftlich über die verschiedensten rechtspolitischen feministischen Themen auseinander. In intensiven und teils auch harten Diskussionen ringen wir dort um feministische Positionen in den unterschiedlichsten Rechtsfragen, die dann einen Platz in einem der nächsten Hefte der STREIT haben sollen. Nicht alles lässt sich abbilden, nicht alles findet den Weg ins Heft, aber immer sind es spannende und erhellende Debatten. Dieser Raum, in dem wir mit großer Ernsthaftigkeit, tiefem gegenseitigem Respekt und Vertrauen miteinander streiten, bedeutet mir sehr viel. Dabei müssen wir hin und wieder auch Widersprüche aushalten, die sich nicht lösen lassen. Die Themen, an denen sich die Debatten entzünden, finden sich in der STREIT und auch im Feministischen Juristinnentag wieder.
Die Existenz der STREIT über 40 Jahre ist ein kleines Wunder. Wir arbeiten ohne Bezahlung rechtspolitisch im Kollektiv, wir veröffentlichen Inhalt ohne Werbung und finanzieren die STREIT ausschließlich über den Verkauf der Zeitschrift sowie über Spenden. Auch wenn es heute viele Möglichkeiten gibt, an Informationen zu feministisch relevanten rechtspolitischen Inhalten zu gelangen, gibt es nur in der STREIT eine Bearbeitung verschiedenster juristischer Themen aus feministischer Sicht, in der auch Debatten Platz finden, die Anstöße für neue Entwicklungen geben. Ich freue mich, Teil dieses immer wieder spannenden Projekts zu sein.
Anita Roggen, Hamburg
Warum ich streite
Ich streite hier mit, da ich wütend bin und um nicht nur wütend zu sein.
Ich möchte nicht in einem Rechtsstaat leben, der Frauen und ihre Arbeit unsichtbar macht, benachteiligt, ohne dass dies überhaupt bemerkt und thematisiert wird. Ich möchte keine Gesellschaft, die Gewalt tabuisiert, dabei das Ausmaß von Gewalt gegen Frauen und Kinder verdrängt und digitale Gewalt verkennt. Ich möchte keine Wirtschaft, die Carearbeit und deren Wertschöpfung negiert, unsere Lebensressourcen ausblendet, aus Berechnungen herauslässt, Ausbeutung verbrämt und sich rechtlicher Regulierung entzieht.
Ich streite als Redakteurin schwerpunktmäßig um meine Themen Digitalisierung und Wirtschaft. Zwei Bereiche, in denen sich patriarchale Herrschaftsmechanismen in den letzten drei Jahrzehnten – meinen Berufsjahrzehnten als Juristin – ungebrochen behauptet haben und weiter behaupten: mit offen ausgeübter Macht, mit verdeckten und subtilen Mechanismen, mit alten Gewaltstrukturen und neuen Gewaltstrukturen in den sich rasend schnell entwickelnden digitalen Technologien, mit schamlosen Instrumentalisierungen und Marginalisierungen von Frauen und vulnerablen Personen. Mit allem, was zur Verfügung steht, um Errungenschaften der Frauenbewegungen zu bekämpfen, Sorgearbeit abzuwerten und Menschen möglichst klein zu halten.
Ich streite mit den Mitteln des Rechts und der Rechtswissenschaft, da ich als Frau in diesem Staat Recht studieren durfte und beruflich tätig sein darf. Was bleibt mir übrig, als meine Wut über die (immer noch) bestehenden Verhältnisse mit feministischem Bewusstsein konstruktiv zu kanalisieren, über sie zu reflektieren, sie zu teilen, sie zu diskutieren und schließlich umzuleiten in Energie, die autonom und unerschrocken denken, juristisch texthandwerken, handeln, mitgestalten und weiterentwickeln will.
Ich bin dankbar, dass ich nicht alleine bin mit meiner Wut. Die Teilnahme an den feministischen Juristinnentagen und meine Arbeit in der STREIT-Redaktion auf den Schultern der Gründerinnen und all unserer feministischen Vorgängerinnen bestärken mich immer wieder und lassen mich meinen juristischen Berufsalltag und mein Frausein in einer patriarchalen Gesellschaft aushalten.
Anke Stelkens, Rechtsanwältin, München
Frauensolidarität im Patriarchat
Hätte ich nicht schon in meinem letzten Schuljahr gewusst, dass ich Rechtsanwältin werden will, und hätte ich dann nicht frühzeitig Kontakt zu feministischen Juristinnen gefunden, hätte ich das Jurastudium an einer erzkonservativen bayerischen Universität mit einer gewaltigen Übermacht an männlichen Professoren und Kommilitonen in den 70er Jahren wahrscheinlich nicht durchgestanden. Schon an der Universität gründeten zwei Kommilitoninnen und ich unsere erste Frauenjuragruppe. Wir befassten uns intensiv und sehr empört mit der damals herrschenden Rechtsprechung zu § 177 StGB (Vergewaltigung). Damals verlangten das Gesetz und die herrschende Meinung für eine Verurteilung des Täters einer Vergewaltigung eine erhebliche Gegenwehr der betroffenen Frau. Die Urteile waren geprägt von frauenfeindlichen Formulierungen und aggressiven Männerphantasien. Die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe musste noch erkämpft werden. Es gibt sie erst seit 1997. Sehr schwierig war in den 80er Jahren die gesellschaftliche und rechtliche Situation für Frauen mit ungewollter Schwangerschaft. Schwangerschaftsabbrüche waren, trotz einer – restriktiven – gesetzlichen Indikationslösung, in Bayern nahezu unmöglich. Die Bayerische Justiz führte mit großem Einsatz jahrelange Strafprozesse gegen einen Frauenarzt und viele seiner Patientinnen, angeklagt wegen illegalem Schwangerschaftsabbruch. Diese „Memminger Prozesse“, die zu einer Vielzahl von strafrechtlichen Verurteilungen führten, lösten massive Proteste aus und hatten eine enorme Mobilisierung vieler Frauen, auch außerhalb Bayerns, zur Folge.
Anfang der 80er Jahre erfuhr ich zufällig von den Jurafrauentreffen, an denen ich mit großem Staunen über die Vielzahl gleichgesinnter, kämpferischer Frauen und mit Begeisterung über die Intensität der Treffen dann regelmäßig teilnahm.
Mein Interesse und meine Aktivitäten galten und gelten seitdem dem Widerstand gegen die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, dem Einsatz gegen Gewalt gegen Frauen, Kinder und diskriminierte Minderheiten, dem Widerspruch gegen die Ausbeutung von Frauen und der Unterstützung und Stärkung von Frauen für ihre gleichberechtigte Teilhabe in allen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bereichen.
Als Rechtsanwältin, dann auch als Fachanwältin für Familienrecht, habe ich meine Mandantinnen als Nebenklagevertreterin in den Strafverfahren gegen die sie verletzenden Täter unterstützt. Bei Trennung und Scheidung habe ich sie durch den oft sehr schmerzenden Prozess begleitet und sie ge- und bestärkt, ihre Rechte zu erkennen und durchzusetzen.
Die STREIT kenne ich seit dem 1. Heft aus 1983. Seit 1989 bin ich eine ihrer Redakteurinnen. Ich schätze unsere regelmäßigen Redaktionstreffen und meine tollen Redaktionskolleginnen sehr, es macht mir Spaß, die unterschiedlichen Texte zu diskutieren, dabei über den eigenen beruflichen Tellerrand zu schauen und mich von den klugen Beiträgen inspirieren und bestärken zu lassen.
Die STREIT ist für mich ein einzigartiges feministisches Projekt der autonomen Frauen(rechts)bewegung, in der nun seit 40 Jahren für die Rechte von Frauen gestritten wird und in der unsere Erfolge der letzten Jahrzehnte auch ihren Niederschlag finden.
Trotz diverser Fortschritte gibt es weiter alte und hinzugekommene neue Missstände zu bekämpfen. Der Kreis der von Diskriminierung Betroffenen und der Aktivistinnen* in der politischen Auseinandersetzung ist sehr viel diverser geworden. Für sie Alle wünsche ich mir, dass die STREIT weiterhin der Ort bleibt, wo feministische Kritik an juristischer Theorie und Praxis, gesellschaftliche Analysen und rechtspolitische Forderungen ihren Platz finden und wo wir uns zum gemeinsamen streiten vernetzen.
Ute Stöcklein, Rechtsanwältin i.R., Berlin
Ich streite für meine Mandantinnen
Mein Jura-Studium erhielt eine bedeutsame Wende, als ich an der FU in Berlin eine Vorlesung von Frau Prof. Dr. Limbach hörte, in der sie eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes kommentierte. Es ging um die Frage, ob eine Frau ihren Unterhaltsanspruch verwirkt, „wenn sie aus einer intakten Ehe ausbricht“. Frau Limbach fragte sich bei der Formulierung, ob die Ehe eine Irrenanstalt sei, aus der man ausbrechen könne. Mir gefielen der Humor und die Lebendigkeit, mit der Frau Limbach uns Studierenden rechtliches Wissen vermittelte und ich entschied mich, das Familienrecht zu vertiefen. Viel später, bei einem Symposium zum internationalen ehelichen Güterrecht 1998 in Regensburg, lernte ich RAin Jutta Bahr-Jendges kennen, die u.a. darauf hinwies, dass in notariellen Eheverträgen Frauen häufig benachteiligt werden. Männer hätten wegen ihrer größeren finanziellen Mittel mehr Möglichkeiten, sich zu informieren und für sie günstige Vereinbarungen zu schließen.
1999 besuchte ich dann den Feministischen Juristinnentag in Bremen und bin dort zum ersten Mal in die feministische Rechtspolitik eingetaucht. Ich erkannte, dass meine Mandantinnen mit Migrationshintergrund die gleichen rechtlichen Probleme wie andere hatten, zusätzlich jedoch die Sprachbarriere und fehlendes Wissen über die gesellschaftlichen Strukturen. Gerade auch für diese Mandantinnen möchte ich das Sprachrohr sein, um ihre Anliegen durchzusetzen.
Es gab für Frauen mit Migrationshintergrund anfänglich keine Integrationsbemühungen, keine Sprachkurse, sie kamen oft als Ehefrauen nach Deutschland und blieben unsichtbar, und sollten es auch bleiben. Wenn sie Gewalt in der Beziehung erlebten, kamen sie nur mit Hilfe von außen aus dieser Beziehung heraus. Auch heute noch haben Frauen mit Migrationshintergrund mit Benachteiligungen zu kämpfen. Es gibt bis heute keine umfassende, den Bedürfnissen dieser Frauen entsprechende, Integrationspolitik und nur unzureichende Angebote für Bildung, Arbeit und Teilhabe an dem gesellschaftlichen Leben. Ich mache die Erfahrung, dass diesen Frauen gerade im Ausländer- und Sozialrecht von Behörden und Ämtern Recht nur zögerlich gewährt wird und ich als türkischsprachige Rechtsanwältin für meine Mandantinnen ihre Rechte mit mehr Nachdruck durchsetzen kann.
Gewalt gegen Frauen wird nach wie vor in den gerichtlichen Verfahren vielfach tabuisiert und soll nicht thematisiert werden. Ich streite dafür, dass diese Gewalt gesehen und angemessen darauf reagiert wird. Das gilt selbst dann, wenn eine Frau nach 20 Jahren in Deutschland noch kein Deutsch spricht und ein Kopftuch trägt.
Zümrüt Turan-Schnieders, Rechtsanwältin, Hanau