STREIT 1/2024
S. 42
KG Berlin, § 1568a BGB
Zuweisung der Ehe(-Miet)wohnung an die Ehefrau nach Billigkeitsgründen
Die Ehewohnung ist der Ehefrau zuzuweisen, wenn sie nach Abwägung aller maßgeblichen Gesichtspunkte in stärkerem Maße auf sie angewiesen ist. Der Tatsache, dass der Ehemann der alleinige Mieter der Ehewohnung ist, kommt dabei kein entscheidendes Gewicht zu.
(Leitsatz der Redaktion)
Beschluss des KG Berlin vom 21.09.2023 – 16 UF 83/23
Aus den Gründen:
I. Der Antragsteller wendet sich gegen die Entscheidung des Familiengerichts in dem Scheidungsverbundbeschluss vom 28. Juni 2023, mit dem die in der Kstraße in B belegene Ehewohnung der Antragsgegnerin überlassen wurde.
Zur Begründung der Entscheidung hat das Familiengericht ausgeführt, auch wenn die gemeinsame Tochter der Beteiligten – die heute knapp über 12 Jahre alte N – seit längerer Zeit bereits im Haushalt des Antragstellers lebe, überwögen dennoch die Interessen der Antragsgegnerin an der Belassung der Wohnung das Interesse des Antragstellers, dass die von ihm allein angemietete Ehewohnung, aus der er im August 2020 ausgezogen sei, erneut ihm wieder zur Nutzung überlassen werde. […]
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. […]
II. Die zulässige Beschwerde des Antragstellers (§§ 58, 64 ff. FamFG) ist nicht begründet:
1. a) Zwar liegt, auch wenn die streitbefangene Ehewohnung im Inland belegen ist, aufgrund der ukrainischen Staatsangehörigkeit des Antragstellers und der russischen Staatsangehörigkeit der Antragsgegnerin ein Sachverhalt mit Auslandsberührung vor (Art. 3 EGBGB). Dennoch hat das Familiengericht im Ergebnis zu Recht deutsches Sachrecht angewandt: […]
2. Auf der Grundlage des danach anwendbaren deutschen Sachrechts kann die Antragsgegnerin vom Antragsteller – wie das Familiengericht zutreffend herausgearbeitet hat – jedoch verlangen, dass er ihr die Ehewohnung überlässt, weil sie in stärkerem Maße auf deren Nutzung angewiesen ist und die Überlassung an sie der Billigkeit entspricht (§ 1568a Abs. 1 BGB). Im Einzelnen:
a) (aa) Eine Ausrichtung der zu treffenden Zuweisungsentscheidung am Wohl eines im Haushalt lebenden Kindes (§ 1568a Abs. 1 BGB) kommt hier – vorbehaltlich des unten erörterten Gesichtspunktes, den Umgang zu ermöglichen – nicht in Betracht. Zwar lebt N, die gemeinsame, heute knapp über 12 Jahre alte Tochter der beiden Ehegatten, etwa seit zwei Jahren zusammen mit einer 16-jährigen Halbschwester und der neuen Lebenspartnerin des Antragstellers in dessen Haushalt in E […]. Aber vom Antragsteller wird nicht behauptet, dass er die Ehewohnung zugewiesen haben möchte, um dort mit der gemeinsamen Tochter zu leben. Im Gegenteil: Die Antragsgegnerin hat wiederholt – und ohne, dass der Antragsteller dem widersprochen hätte (§ 138 Abs. 3 ZPO) – vorgetragen, der Antragsteller habe ihr gegenüber erklärt, er beabsichtige, nach erfolgter Zuweisung der Ehewohnung ein Zimmer davon unterzuvermieten, ohne dass der Vermieter davon etwas erfahren soll […].
(bb) Tatsächlich erscheint es auch mehr als fernliegend, dass N in die Ehewohnung einziehen könnte: Im Umgangsverfahren hat N gegenüber der Verfahrensbeiständin erklärt, E als ihren Lebensmittelpunkt anzusehen und dass sie dort gerne wohne. […]
(cc) Bei lebensnaher Würdigung des Vortrags der Beteiligten unter Berücksichtigung auch der Äußerung des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin, im Falle einer für ihn positiven Zuweisungsentscheidung zu beabsichtigen, ein Zimmer der Ehewohnung weiter zu vermieten, spricht vielmehr alles dafür, dass der Antragsteller die Wohnung nutzen möchte, weil sie in unmittelbarer Nähe zu seiner Arbeitsstelle am A in B liegt und sich damit für ihn die Möglichkeit ergibt, „unter der Woche“ in dem nicht weiter vermieteten Teil der Wohnung zu leben, um von dort bequem den eigenen Arbeitsplatz erreichen zu können.
b) In Fällen wie hier, in denen keiner der beiden Ehegatten die Wohnung benötigt, um dort mit den gemeinsamen Kindern weiter leben zu können und um ihnen das vertraute Umfeld zu erhalten (vgl. nur Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568a Rn. 6), ist anerkannt, dass stattdessen eine Abwägung nach Billigkeitsgründen zu erfolgen hat: Die Ehewohnung ist demjenigen Ehegatten zuzuweisen, der in stärkerem Maße auf die Wohnung angewiesen ist, wobei bei dieser Abwägung alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 24. März 2010 – 15 UF 166/09, FamRZ 2010, 1985 [Rz. 29] sowie Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568 Rn. 6). Bei Anlegung dieses Maßstabs ist aber offensichtlich, dass die Wohnung – wie bereits das Familiengericht zutreffend und ohne Rechtsfehler festgestellt hat – der Antragsgegnerin zuzuweisen ist. […]
(bb) Der Antragsteller verfügt über ausreichenden Wohnraum: Er ist Eigentümer eines Grundstücks in F, das von ihm derzeit mit einem Wohnhaus bebaut wird. Der Bau muss so weit fortgeschritten sein, dass der Antragsteller bereits Anfang 2023 in der Lage war, von der Mutter die Zustimmung zur polizeilichen Ummeldung der gemeinsamen Tochter nach F und die Zustimmung zu einer Schulanmeldung in F abzufordern. […] Der Antragsteller verfügt bereits in E über eine Unterkunftsmöglichkeit, in der er zusammen mit dem gemeinsamen Kind, einer weiteren Tochter und der neuen Lebenspartnerin bereits seit geraumer Zeit – seit mehreren Jahren – lebt. Stichhaltige Gründe, weshalb das nunmehr plötzlich nicht mehr möglich sein soll, sind nicht ersichtlich. Sie würden auch nicht durchgreifen: Denn der Antragsteller verfügt – jedenfalls für den absoluten Notfall – immer noch über die Möglichkeit, in der Wohnung seiner eigenen Mutter in Berlin – deren Anschrift er seit Verfahrensbeginn als Korrespondenz- und Meldeanschrift nutzt – „unterzukommen“.
Über derartige Möglichkeiten verfügt die Antragsgegnerin nicht: Im Inland (bzw. im Großraum B) wohnen keine Familienangehörigen von ihr. Sie verfügt über kein Grundeigentum und hat auch nicht – anders als der Antragsteller – die Möglichkeit, auf eine „Zweit-“ oder „Drittwohnung“ zurückgreifen zu können: Der Umstand, dass der Antragsteller jedoch bereits seit längerem über einen (bzw. mehrere) anderweitigen, ständigen Wohnsitz verfügt, steht nach der Rechtsprechung einer Zuweisungsentscheidung zu seinen Gunsten aus Gründen der Billigkeit entgegen (vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 18. März 2022 – 13 UF 134/21, FamRZ 2022, 1523 [Rz. 42]).
(cc) Die Antragsgegnerin verfügt – anders als der Antragsteller, der über einen eigenen PKW und zusätzlich über ein Kraftrad/Motorrad verfügt – über kein eigenes Fahrzeug; sie besitzt keinen Führerschein. Da sie im Schichtdienst arbeitet, ist sie auf eine Wohnung in der Nähe zu ihrem Arbeitsplatz angewiesen, um den Arbeitsplatz – aufgrund der Schichtarbeit – notfalls auch zu Fuß, zu Zeiten erreichen zu können, in denen möglicherweise kein öffentlicher Nahverkehr mehr unterwegs ist. Die Ehewohnung in der Kstraße gewährleistet das gerade noch; der Arbeitsplatz der Antragsgegnerin liegt in einer Entfernung von nicht ganz 5 km davon. Für den Antragsteller gilt das in dieser „Schärfe“ gerade nicht: Einmal ist er in der Lage, seinen Arbeitsplatz am A mit seinen vorhandenen Fahrzeugen gut zu erreichen; zudem ist sein Arbeitsplatz sowohl von E als auch von F aus mit den Regionalbahnen zum A gut zu erreichen.
(dd) Weiteres, gewichtiges Argument ist schließlich der Umstand, dass die Antragsgegnerin, die den Angaben des Antragstellers in der Scheidungsantragsschrift […] lediglich über ein Nettogehalt von ca. 1.400 € verfügt und der aufgrund ihrer beschränkten wirtschaftlichen Möglichkeiten Verfahrenskostenhilfe gewährt worden ist: Bei den derzeitigen, aktuellen Mietpreisen und des allgemein bekannten, außerordentlich angespannten Wohnungsmarktes in B besteht für sie keine realistische Chance, in absehbarer Zeit überhaupt eine neue Wohnung erlangen zu können. Letztlich kann noch nicht einmal völlig ausgeschlossen werden, dass die Antragsgegnerin, wenn ihr nicht die Ehewohnung überlassen werden sollte, von Obdachlosigkeit bedroht sein könnte. […] Dagegen ist der Antragsteller in wirtschaftlicher Hinsicht wesentlich besser aufgestellt […].
(ee) Schlussendlich ist die Antragsgegnerin auf die Ehewohnung auch deshalb angewiesen, weil dies nach Sachlage der einzige Ort ist, an dem sie den Umgang mit N pflegen kann: Das Mutter-Tochter-Verhältnis ist aufgrund der im Umgangsverfahren Amtsgericht Pankow 200 F 525/23 erörterten Umstände zwar noch etwas belastet und der Umgang findet, wie das Jugendamt berichtet, unregelmäßig statt. Aber Mutter und Vater haben in jenem Verfahren am 12. April 2023 vereinbart, dass N vom Vater alle vierzehn Tage am Samstag von 10 Uhr bis 16 Uhr zur Mutter gebracht wird, damit Mutter und Tochter Umgang miteinander pflegen können. Zusätzlich haben die Eltern vereinbart, dass sie sich unverzüglich – also noch im April 2023 – an das Jugendamt wenden, um gemeinsame Beratungsgespräche in der Erziehungs- und Familienberatungsstelle wahrzunehmen. Auch das – die Wahrnehmung des Umgangs – fordert eine Überlassung der Ehewohnung an die Antragsgegnerin.
(ff) Dass der Antragsteller der alleinige Mieter der Ehewohnung ist, steht dem Erlass einer Überlassungsentscheidung zugunsten der Antragsgegnerin nicht entgegen. Denn mit Rechtskraft der vorliegenden Überlassungsentscheidung ändert sich der Mietvertrag automatisch mit der Folge, dass der Mietvertrag lediglich hinsichtlich der Vertragsparteien zu berichtigen ist (§ 1568a Abs. 3 BGB; vgl. Grüneberg/Götz, BGB [82. Aufl. 2023], § 1568 Rn. 6, 13 ff.).
c) Bei dieser Sachlage kann die Beschwerde keinen Erfolg haben; das Rechtsmittel ist vielmehr zurückzuweisen. […]
Mitgeteilt von Dr. Martin Menne,
Richter am KG Berlin