STREIT 1/2020
S. 28-29
Zwischenruf aus Straßburg zu Art. 8 EMRK – Adoptionsrecht und Leihmutterschaft
2019 hat der EGMR einige Entscheidungen zum Reproduktionsrecht getroffen, die im Hinblick auf Fragen der Leihmutterschaft und der Eispende eine klare Auslegung des Art. 8 EMRK erkennen lassen.1
Dies erfolgte vor dem Hintergrund einer sehr uneinheitlichen Rechtslage zur Leihmutterschaft in den 44 Vertragsstaaten des EGMR. In neun Vertragsstaaten ist Leihmutterschaft ausdrücklich erlaubt, in zehn weiteren wird sie offenbar toleriert und in 25 Staaten ist sie explizit oder implizit verboten.
Auf die Anfrage des französischen Cour de Cassation (Request No. P16-2018-001) entschied die Große Kammer des EGMR am 10. April 2019 in einem „beratenden Gutachten“2 über den Fall der Eintragung einer „Bestellerin“ in das Geburtsregister, und zwar als Mutter eines Kindes, das im Ausland, in diesem Fall in Kanada, nach den dort geltenden Regeln von einer Leihmutter ausgetragen worden war. Biologischer Vater des Kindes war der Ehemann der Klägerin/Bestellerin, genetische Mutter eine Eispenderin/die Leihmutter. Die kanadische Geburtsurkunde benannte die Klägerin/Bestellerin als „Mutter“.
Der EGMR entschied, dass es nach dem Recht eines Vertragsstaates der EMRK keinen Anspruch der Klägerin auf Eintragung in das Geburtsregister geben muss. Wenn im Heimatstaat für eine Frau die rechtliche Möglichkeit besteht, ein leibliches Kind ihres Ehemannes, das sie nicht geboren hat, zu adoptieren und auf diese Weise rechtlich die Position der Mutter einzunehmen, stellt das Heimatland damit eine Form der Anerkennung als „Mutter“ i.S.d. Gesetzes zur Verfügung, die zur Wahrung der Rechte aus Art. 8 EMRK ausreicht. In diesem Falle war die Anerkennung als Mutter in Frankreich durch Adoption des leiblichen Kindes ihres Ehegatten rechtlich möglich.
In der vom Französischen Cour de Cassation vorgelegten Anfrage nach Art. 1 des Protokolls Nr. 16 zur EMRK wurde auch gefragt, ob es einen Unterschied machen würde, wenn für die Leihmutterschaft eine Eizelle der Bestellerin verwendet worden wäre.
Der Cour de Cassation berief sich dabei auf eine frühere Entscheidung, in der er bereits festgestellt hatte, dass die Eintragung der Bestellerin in die französische Geburtsurkunde nach seiner Rechtsauffassung das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung – als Teil des Rechtes auf sein Privatleben – verletzen würde.
Für die Große Kammer des EGMR war entscheidend, dass sowohl das Recht auf Privatleben des Kindes gem. Art. 8 EMRK als auch das Ermessen des jeweiligen Staates bei der Abwägung der Persönlichkeitsrechte des Kindes und der Bestelleltern einerseits und des Schutzes vor Menschenhandel / Kinderhandel und Ausbeutung von Frauen und Kindern andererseits respektiert werden muss. Deshalb sieht die Große Kammer den Mitgliedstaat einerseits in der Verpflichtung, eine rechtliche Bindung zwischen der Bestellerin als Ehefrau und dem genetischen Kind ihres Ehemannes zu ermöglichen. Dies gelte umso mehr, wenn es auch eine biologische Verbindung zwischen Bestellerin und Kind gebe, wenn also die Leihmutter eine vom Ehemann befruchtete Eizelle der bestellenden Ehefrau ausgetragen hätte.
Der Ermessensspielraum des Staates erlaube aber, den rechtlichen Weg der Adoption vorzusehen; der Mitgliedstaat sei nicht verpflichtet, die Angaben aus der Geburtsurkunde des Geburtslandes des Kindes zu übernehmen.
Auf dieses beratende Gutachten bezog sich der zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Anträge zuständige Ausschuss des Gerichts am 19. November 2019 in den ähnlich gelagerten Fällen C ans E v. France (nos.1462/18 and 17348/18) und wies die Klagen der Bestelleltern gegen die französischen Berufungsgerichtsurteile zurück. Auch in diesen Fällen hatten die französischen Gerichte die Bestelleltern auf den rechtlich möglichen Weg der Adoption des biologischen Kindes des Ehemannes durch die bestellende Ehefrau verwiesen.
Es ging dabei ebenfalls um die Eintragungen in das Geburtenregister in Frankreich (Geburten/Eheschließungen/Todesfälle) unter Übernahme aller Eintragungen ausländischer Geburtsurkunden, in diesen Fällen aus den USA und aus Ghana. Die Klagen wurden mit Hinweis auf die gefestigte Rechtsprechung des EGMR als unzulässig abgewiesen.
Zusätzlich zu den von der Großen Kammer in ihrem beratenden Gutachten dargelegten Argumenten verwies das Komitee in diesen Fällen auf die relativ kurze Verfahrensdauer eines solchen Adoptionsverfahrens in Frankreich (4–6 Monate) und sah daher keine unverhältnismäßige Gefährdung des Kindeswohls in Abwägung mit den staatlichen Möglichkeiten, im Adoptionsverfahren sicherzustellen, dass die Bestelleltern die in Frankreich zum Schutz den Kindeswohls geltenden Voraussetzungen eine Adoption erfüllen.
Der Vertreter des Französischen Staates wies in diesen Entscheidungen nochmals ausdrücklich auch auf den Schutzzweck des Verbots der Leihmutterschaft nach französischen Recht hin, das nicht ohne Prüfung zumindest des Kindeswohls im Adoptionsverfahren umgangen werden soll.
Der EGMR hat also derzeit eine klare Linie zur Frage der Legalisierung von im Ausland im Wege der Leihmutterschaft geborenen Kindern, die nur mit dem männlichen Teil des Bestellelternpaares biologisch verwandt sind: Auch wenn der ausländische Staat in Fällen von Leihmutterschaft und Eispende die Bestellerin als legale ‚Mutter’ akzeptiert, ist der Herkunftsstaat nicht aus Art. 8 EMRK verpflichtet, diese Eintragung in der Geburtsurkunde zu übernehmen. Vielmehr reicht es aus, wenn eine rechtliche Möglichkeit der Legalisation im Inland besteht, z.B. durch Adoption des leiblichen Kindes des Ehegatten.
Anna Hochreuter
- Advisory opinion concerning the recognition in domestic law of a legal parent-child relationship between a child born through a gestational surrogacy arrangement abroad and the intended mother, requested by the French court of Cassation (Request No. P16-2018-001); C and E v. France (nos. 1462/18 and 17348/18) ↩
- 16 . Zusatzprotokoll zur Menschenrechtskonvention: Beratendes Gutachten auf Bitte eines Höchsten Gerichts eines Mitgliedstaates der Konvention ↩